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Einleitung Gerhard Schweppenhäuser 1. Anfänge

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Zu Anfang des Jahrtausends machte „Medienphilosophie“ als neue philosophische Subdisziplin im deutschen Sprach- und Kulturraum von sich reden. Kurz zuvor war die weltweite wirtschaftliche Spekulationseuphorie auf dem Gebiet der „neuen Medien“ und der digitalen Technologien zusammengebrochen. Martin Seel, seinerzeit Philosophieprofessor in Gießen, verhieß der Medienphilosophie damals nur eine kurze Lebensdauer, denn sie habe keinen genuinen Themen- und Methodenbereich. Aber eines habe sie, nämlich die Funktion eines Korrektivs innerhalb des arbeitsteiligen Betriebs der Philosophie. Ähnlich, wie beispielsweise eine „feministische Ethik“ zwar eigener disziplinärer Substanz ermangele, aber durchaus helfen könne, blinde Flecken im Ethik-Diskurs aufzuhellen, lägen die Dinge auch mit der Medienphilosophie: „Sie ist keine neue Disziplin neben den anderen Disziplinen“, meinte Seel (2003: 10); aber sie könne immerhin dafür sensibilisieren, dass menschliche Praxis generell „mediale Praxis“ (Seel 2003: 15) ist. Sie könne und solle auf Artikulationen dieses Sachverhalts aufmerksam machen, die womöglich nicht ausreichend beachtet würden, und anschließend ihren Betrieb wieder einstellen.

Es ist anders gekommen. Medienphilosophie hat sich über den Tag hinaus als akademischer Forschungs- und Lehrbereich etabliert. Die Diskussionen über Medienphilosophie haben eine mehr oder weniger zusammenhängende Gestalt angenommen, und dabei zeichnen sich verschiedene Grundlinien für die Bestimmung ihres Gegenstandes und ihrer Methoden ab. Auch wenn die sogenannte „Dotcom-Blase“ geplatzt ist, haben sich Lebenswelt und kommunikative Alltagspraxis durch den unumgänglichen Gebrauch digitaler Medien in nicht geringem Maße verändert. Die neuen Schwierigkeiten und Erleichterungen, die mit dem sozio-medialen Wandel verbunden sind, werden von Philosophinnen und Philosophen reflexiv eingeholt und auf Begriffe gebracht. Dabei wird nicht selten die Frage nach dem Begriff des Mediums selbst auf die Tagesordnung gesetzt und das Forschungsgebiet damit wieder auf Distanz zum unmittelbaren Gegenwartsbezug gebracht. Einige Philosophinnen und Philosophen argumentieren, dass die Zeit reif sei für einen „medial turn“ in der Philosophie, weil Medien aller Art die Ermöglichungsbedingungen für Wahrnehmung, Kommunikation und Erkenntnis sind. Andere plädieren wiederum dafür, dass sich der philosophische Diskurs für die einzelnen Medienwissenschaften öffnen solle – sei es, um ihnen eine solide wissenschaftstheoretische Grundlage zu geben, sei es, um Medienpraktiker philosophisch zu beraten (siehe dazu Wiesing 2008: 30ff.).

Gleichwohl tut ein gegenwärtiger Versuch, einen Überblick über relevante medienphilosophische Positionen zu gewinnen, gut daran, die Skepsis ernst zu nehmen, die sich gegenüber allzu partikular definierten Bereichsphilosophien regen kann (die womöglich präsentiert werden, als seien sie der endlich entdeckte Mittelpunkt des philosophischen Universums). Reicht es nicht aus – so darf nach wie vor gefragt werden –, davon zu sprechen, dass zu gegebenen Anlässen verschiedene philosophische Begriffe und Modelle des Medialen und der Medien formuliert und reflektiert werden? Warum belässt man es nicht dabei, von „philosophischen Theorien der Medien“ (oder des „Medialen“ bzw. der „Medialität“ 1) zu sprechen? Diese Fragen sind keineswegs bloß rhetorisch. Man kann sie mit Hilfe einer Analogie erläutern. Philosophinnen und Philosophen können methodisch kontrolliert über anthropologische Phänomene wie Liebe und Hass oder über gesellschaftliche Phänomene wie die Verwerfungen des Sozialen durch neoliberale Konkurrenz nachdenken, ohne dass an Hochschulen sogleich Lehrstühle für „Emotionsphilosophie“ oder „Kapitalismusphilosophie“ eingerichtet werden müssten. Der bestehende Fächerkanon philosophischer Institute reicht aus, um dergleichen philosophisch zu reflektieren: In praktischer Philosophie und philosophischer Anthropologie werden Theorien der Gefühle erörtert, in Sozialphilosophie und Ethik geht es (neben vielem anderen) auch um Probleme des wirtschaftlichen Handelns und Gehandeltwerdens der Menschen in der Moderne.

Das markante Label „Medienphilosophie“ hat sich im akademischen Betrieb nicht selten dann bewährt, wenn es galt, neue Lehrstühle und Forschungsbereiche zu schaffen, finanzielle Mittel für Stellen bereitzustellen und Diskursdomänen durch Tagungen und Publikationen zu etablieren. Aber darum ging und geht es ja nicht nur – sondern stets auch darum, den Kanon akademischer Themen- und Methoden durch spezifische, an neuartigen Perspektiven, Gegenständen und Diskursfeldern orientierte Forschungsgebiete seriös auszudifferenzieren. Und zwar sowohl an nichtphilosophischen Fachbereichen, denen an philosophischer Reflexion und Begleitung von Forschung und Lehre gelegen ist, etwa auf dem Gebiet von Kunst und Design, als auch innerhalb der Philosophie.

Das wiederum hat Tradition. Wer nimmt heute noch Anstoß, wenn die Rede von Religionsphilosophie, Naturphilosophie, Staats- und Rechtsphilosophie oder Technikphilosophie ist? Diese Richtungen zählen unstrittig dazu, wenn es um die „‚Disziplinen‘, d.h. die systematischen Gebiete der Philosophie“ geht, also um Gebiete, „die sich aus spezifischen materialen und formalen Perspektiven herauskristallisiert haben.“ (Pieper 1998: 8) Annemarie Pieper hat den Kanon philosophischer Diskursfelder benannt, der sich Ende des 20. Jhs. etabliert hatte, und sie hat dabei die unterschiedliche Historizität der einzelnen Felder nicht unerwähnt gelassen: „Dabei blicken ‚alte‘ Disziplinen wie die Ethik, die Logik, die Politische Philosophie und die Metaphysik auf eine längere Geschichte zurück als die ‚jüngeren‘ Ästhetik, Anthropologie, Geschichtsphilosophie und Sozialphilosophie oder die ganz ‚jungen‘ feministische Philosophie, Kulturphilosophie, Philosophie des Geistes und Technikphilosophie. Einige sind zwar modernen Ursprungs, haben aber gleichwohl eine lange Vorgeschichte, so z.B. die Erkenntnistheorie, die Rechtsphilosophie und die Wissenschaftstheorie. Andere wurzeln zwar in der Antike, haben es aber aufgrund der Konflikte, die die Menschheit heute zu zerreißen drohen, mit einem aktuellen Aufgabenbereich zu tun: die Angewandte Ethik, die Naturphilosophie, die Philosophiedidaktik und die Religionsphilosophie.“ (Pieper 1998: 9; im Orig. z.T. kursiv)

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