Читать книгу Handbuch der Medienphilosophie - Группа авторов - Страница 9
4. Beziehungen
ОглавлениеMedienphilosophie unterscheidet sich insofern von den Medienwissenschaften, als sie begrifflich klären möchte, was Medien als Mittel des Weltzugangs und der Welterschließung leisten. Anhand der drei philosophischen Parameter Sprache, Kultur und Gesellschaft beschreibt sie, wie Menschen über Medien ihre Welt erschließen. Die Medienphilosophie steht also in nächster Nähe zu drei weiteren „Bindestrich-Philosophien“, nämlich Sprachphilosophie, Kulturphilosophie und Sozialphilosophie.
Dass es Berührungspunkte zwischen Sprach- und Medienphilosophie gibt, muss hier nicht ausführlich begründet werden.4 Natürliche Sprachen sind bekanntlich die prominentesten Medien der Humankommunikation; überhaupt ist die Struktur von Kommunikation sprachlich, einschließlich der Kommunikation zwischen Menschen und Maschinen oder vernetzten Maschinen untereinander mittels künstlicher Sprachen. Medienphilosophische Ansätze teilen zudem mit der Sprachphilosophie die selbstreflexive Besonderheit, „daß der Gegenstand der Erklärung ihr näher ist als die Gegenstände sonst; denn Sprache wird durch Sprache bestimmt, in Wörtern das Wesen der Wörter bezeichnet“ (Schweppenhäuser 1958: 313).5
Auch die Behauptung einer besonderen Nähe von Medien und Kultur ist kein geistiges Wagnis. Die gesellschaftliche Praxis, die „Kultur“ oder „Zivilisation“ genannt wird, besteht darin, dass erfahrbare Lebensumgebungen in kommunizierbare Zeichenzusammenhänge transformiert werden. Die Transformationen erfolgen regional und kontinuierlich. Zeichenzusammenhänge sind die Grundlage dafür, die Umgebung durch Arbeit und Interaktion zu verändern. Und das heißt: sie sich als „Welt“ anzueignen. In diesem Sinne hat Ernst Cassirer Kultur als Produktion von Bedeutungsgeflechten mittels Zeichengebrauch bezeichnet. „Die symbolische Formung […] ist ein kontinuierliches Geschehen. Durch kulturelle Kontinuität werden die symbolischen Formen untereinander und intern differenziert, relativiert. Doch sie bleiben wie ein Netz aufeinander bezogen.“ (Paetzold 1993: XII) Die Geflechte aus bedeutungstragenden Zeichen kann man die Medien der Kultur nennen. Man kann aber auch umgekehrt sagen, dass Kultur das Medium ist, welches, genauer besehen, aus Zeichengeflechten besteht, die Bedeutungen produzieren. In der Phänomenologie, also der philosophischen Strömung, mit der Cassirers Ansatz konkurrierte, wird Kultur ebenfalls als die Wirklichkeit bezeichnet, die sich Menschen durch Erleben und Deutung aneignen.6 Den Zusammenhang der „Welt“ als Handlungsraum nennen wir „Kultur“. Auch in der kritischen Theorie und im Poststrukturalismus ist die welterschließende und weltformende Funktion soziokultureller Medien betont worden, freilich mit – jeweils unterschiedlich akzentuierten – negativen Vorzeichen. In der Tradition von Horkheimer und Adorno wird Kulturphilosophie „als Element des kritischen Selbstbewusstseins der Kultur“ (Schnädelbach 2003: 544) begriffen.
Die Semiotisierung der Wirklichkeit kann nur innerhalb gesellschaftlicher Zusammenhänge erfolgen. Dort finden Kooperation und kommunikative Interaktion statt – basal vermittelt über natürliche Sprachen, und zunehmend auch über sekundäre, artifizielle Sprachen, die codes der medialen Kommunikationsprogramme. Kritische Sozialphilosophie legt hier die Erkenntnis zugrunde, dass die Menschen ihren Reproduktionsprozess und dessen kulturelle Reflexionsformen selbst gestalten, wenn auch beileibe nicht immer aus freien Stücken.7 Wenn zum Produktionsparadigma noch das Interaktionsparadigma hinzugenommen wird, um zu beschreiben, dass nicht nur Arbeit, sondern auch intersubjektive Verständigung zu den Grundlagen des sozialen Fortschritts im Bewusstsein der Freiheit gehört, dann wird deutlich, dass das humane Potential zu verständigungsorientierter Kommunikation durch selbstgemachte gesellschaftliche Fremdbestimmtheit gefährdet wird, die „eine Kritik der gesellschaftlichen Kommunikationsverhältnisse“ (Honneth 1994: 59) erforderlich macht.
Damit ist ein Zusammenhang zwischen Sprachphilosophie, Kulturphilosophie und Sozialphilosophie aus medienphilosophischer Perspektive skizziert. Medienphilosophie reflektiert ihre Gegenstände in einem Kontext der Welterschließung durch soziale Interaktion, die über Sprechen und Zeichenverwendung vermittelt ist.