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1 Einleitung

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Die moderne Neurobiologie definiert Emotionen als größtenteils automatisch im Gehirn ablaufende Vorgänge, die menschliche Kognitionen und Handlungen begleiten und somatosensorisch gefühlt werden können:

Emotionen treten auf, wenn im Gehirn verarbeitete Bilder emotionsauslösende Regionen anregen, beispielsweise die Amygdala oder besondere Abschnitte der Stirnlappen. Sobald eine dieser Auslöseregionen aktiviert wird, scheiden endokrine Drüsen und subkortikale Gehirnkerne chemische Substanzen (bei Angst beispielsweise Cortisol) aus, die sowohl ins Gehirn als auch in den Körper gelangen. Darüber hinaus werden bestimmte Handlungen eingeleitet (zum Beispiel wiederum im Fall der Angst, Flüchten oder Stehenbleiben sowie Kontraktionen des Darms) und bestimmte Ausdrucksweisen (beispielsweise von Angst geprägte Gefühlsausdrücke oder Körperhaltungen) gezeigt. Zumindest für den Menschen gilt, dass auch bestimmte Gedanken und Pläne im Geist auftauchen. […] Die Gesamtheit all dieser Reaktionen stellt den «emotionalen Zustand» dar, der sich recht schnell entfaltet und dann wieder nachlässt, bis neue Reize, die ebenfalls Emotionen verursachen können, im Geist hinzukommen und eine erneute Kettenreaktion anstoßen. (Damasio 2011: 123)

Emotionen sind aber nicht nur physiologisch bedingt, sondern auch persönlichkeits- und kulturabhängig. Sie basieren auf Normen- und Wertesystemen, die von Kultur zu Kultur unterschiedlich ausgeprägt sein können. Die Kultur stellt jeweils sozial anerkannte Verhaltensmuster bereit, die als situationsangemessen gelten und insofern die Entstehung von Emotionen fördern.

Aus philosophischer Sicht bilden Emotionen eine sehr heterogene Klasse von mentalen Zuständen, die von einfachen, reaktiven bis zu hochkomplexen, menscheneigenen animi motus reichen:

At first blush, the things we ordinarily call emotions differ from one another along several dimensions. For example, some emotions are occurrences (e.g., panic), and others are dispositions (e.g., hostility); some are short-lived (e.g., anger) and others are long-lived (e.g., grief); some involve primitive cognitive processing (e.g., fear of a suddenly looming object), and others involve sophisticated cognitive processing (e.g., fear of losing a chess match); some are conscious (e.g., disgust about an insect in the mouth) and others are unconscious (e.g., unconscious fear of failing in life); some have prototypical facial expressions (e.g., surprise) and others lack them (e.g., regret). Some involve strong motivations to act (e.g., rage) and others do not (e.g., sadness). Some are present across species (e.g., fear) and others are exclusively human (e.g., schadenfreude). And so on. (Scarantino/de Sousa 2018)

Das am wenigsten kontroverse Merkmal von Emotionen scheint ihre Intentionalität zu sein. Ob sie aber deskriptiv oder präskriptiv zu interpretieren ist, bleibt in der philosophischen Diskussion nach wie vor unentschieden. Fest steht nur, dass Emotionen im Rahmen einer sozialen bzw. moralischen Ordnung als angemessen bzw. unangemessen in Bezug auf ihr intentionales Objekt angesehen werden (ebd.).

Sprachlich werden Emotionen z.B. in Sprechakten des Lobens, Bewunderns, Spottens, Beschimpfens, Dankens, Sich-Ängstigens usw. ausgedrückt, also in denjenigen Sprechakten, die Searle (1969) zu den Expressiva zählt und die nach seiner Definition den illokutionären Zweck haben, psychische Zustände des Sprechers auszudrücken (cf. Searle 1976: 12; Searle/Vanderveken 1985: 211–216; Vanderveken 1990: 213–219). Mit Expressiva will also ein Sprecher etwas von seinen subjektiven Erlebnissen mitteilen:

They may express very general propositional attitudes such as belief or intention, or affectively coloured inner states such as hope, desire, and the like. We say that the expression of inner states is upgraded when the speech act foregrounds the speaker’s inner states, sometimes emphasising their intensity. The expression of inner states is downgraded if linguistic and textual devices hinder the foregrounding of the speaker’s inner states where the context and/or the discourse topic would make it appropriate to expect its occurrence. (Bazzanella et al. 1991: 67)

Hermanns (1995) unterscheidet emotionsausdrückende und emotionsbezeichnende Äußerungen. Diejenigen, die Emotionen ausdrücken (z.B. in Form von Exklamativsätzen wie Was für ein Genie!), benennen sie nur sekundär, und umgekehrt: Äußerungen, in denen Emotionen diagnostiziert werden (z.B. Er liebt sie bzw. Ich habe Angst), dienen nur sekundär zum Ausdruck von Emotionen. In diesem Sinne stellt Hermanns fest: „Ich finde auch, der Satz Ich liebe dich drückt das Gefühl der Liebe in der Regel gar nicht aus“ (Hermanns 1995: 145). Emotionsbezeichnende Sätze drücken nach Hermanns nicht die genannte Emotion aus, sondern die Intention des Sprechers, den Adressaten glauben zu lassen, dass der Sprecher ihm gegenüber diese Emotion empfindet1. Noch weiter geht Motsch (1995: 149), der der gesamten Klasse von Expressiva den intentionalen Modus des Glaubens, dass p, zuschreibt, indem er die expressiven Sprechakte auf Bewertungen reduziert.

Schwarz-Friesel (2007) hält dagegen die von Hermanns vorgeschlagene Unterscheidung zwischen emotionsausdrückenden und emotionsbezeichnenden Äußerungen für artifiziell und findet den Satz Ich liebe dich nicht weniger expressiv als eine spontane Liebesbekundung mit einem Exklamativsatz wie Oh mein süßer Hase. Sie behauptet ihrerseits: „Auch Äußerungen mit emotionsbezeichnenden Wörtern drücken selbstreferenziell den inneren Zustand des Sprechers aus“ (Schwarz-Friesel 2007: 147).

Vor dem Hintergrund dieser Diskussion lokutionärer und illokutionärer Bedeutungen von Expressiva ist der vorliegende Beitrag ein Versuch, folgenden Fragen nachzugehen: Inwiefern verleihen expressive Sprechakte unseren Emotionen Ausdruck? Geht die Ausdrucksfunktion der Expressiva mit einer Darstellungsfunktion einher? Steuern Expressiva als formelhafte, kollektive Orientierungsmuster die Herausbildung von Emotionen?

Zunächst werde ich die Searle’sche Definition expressiver Sprechakte diskutieren und in diesem Zusammenhang soziale Aspekte von expressiven Illokutionen2 herausstellen. Die sich daraus ergebende These, dass expressive Sprechakte sozialen Normen folgen und in diesem Sinne von sozialen Regeln geleitet sind, wird anschließend anhand des Sprechakts der Danksagung veranschaulicht.

Empörung, Revolte, Emotion

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