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2 Emotionen und Empörung als Gegenstand der Sprachwissenschaft
ОглавлениеDiskursiv lassen sich Emotionen, und vor allem Empörung, als Haltungen der Sprecher:innen bezüglich vorgestellter Sachverhalte fassen. In diesem Sammelband wird aber auch Empörung als Ereignis begriffen, das über eine auszudrückende innerliche Haltung hinausgeht: Empörung kann auch dieser Ausdruck selbst sein, oder die Reaktion darauf. Emotionen sind daher ein wichtiger theoretischer Gegenstand für die Sprechakttheorie. Welche Regelmäßigkeiten treten in diesen Interaktionen zutage, die die Grice’schen Kooperationsmaximen (vor allem die „Modalitätsmaxime“) oft missachten? Was ist das Zusammenspiel zwischen Emotionalität und illokutiver Kraft? Die Grundsprechakte, die von Searle (1969) definiert worden sind, beinhalten entweder keine intrinsischen emotionalen Komponenten (Aussage, Frage, Befehl), oder werden sehr allgemein als emotional definiert (Exklamation, in vielen Hinsichten ein Stiefkind der klassischen Sprechakttheorie, s. Danon-Boileau & Morel 1995, Krause & Ruge 2004, d’Avis 2016, Larrory-Wunder 2016). Die neuere Sprechaktforschung liefert aber ein differenzierteres Bild, die auf eine feinkörnigere Beschreibung der emotionalen Merkmale verschiedener Illokutionssorten hoffen lässt, auch in formaler Hinsicht: Mehrere formale Ansätze versuchen jetzt, die Semantik und Pragmatik der Empörung und der Emotion modellieren (Potts 2007, Gutzmann 2015). Wahrheits- und gebrauchskonditionale Semantik werden miteinander artikuliert, um die Glückensbedingungen (felicity conditions) emotionaler und insbesondere empörerischer Sprechakte zu bestimmen. Eine wichtige Frage dabei ist, wie sich die emotionalen, empörerischen Illokutionen in die Landschaft der Sprechakte verorten lassen. Gibt es eigene emotionale Sprechakte, oder soll man eher Emotion, etwa Empörung, als eine zusätzliche illokutionäre bzw. expressive Verfärbung basaler Sprechaktsorten verstehen? Oder soll der Expressivitätsbegriff kritischer betrachtet werden (Blakemore 2015)?
Diese Frage wird in den ersten zwei Beiträgen des Bandes erörtert. In ihrem Beitrag „Emotionen in expressiven Sprechakten. Das Beispiel des Dankens“ nimmt Urszula Topczewska diese Frage nach dem Platz der Expressivität in der Sprechakttheorie zum Ausgangspunkt. Die Vermittlung von Emotionen durch Sprechakte lässt sich nicht auf eine pauschale Ausdrucksfunktion reduzieren und inkludiert immer eine teilweise diskursive Herausbildung der Emotion durch den Sprechakt selbst. Sie unterliegt somit den sozialen Konventionen, die dem Rückgriff auf spezialisierte Untertypen von Sprechakten entsprechen. Diese theoretischen Stellungnahmen werden anschließend am Beispiel der emotionalen Bestimmungen des Sprechaktes „Danken“ veranschaulicht. Auch der Beitrag von Anne-Kathrin Minn und Nathalie Schnitzer, „Aufforderung und Emotion im DaF-Unterricht aus pragmatischer und didaktischer Sicht“, befasst sich mit diesem Themenbereich der Emotionsvermittlung innerhalb von konventionalisierten Illokutionen. Diesmal geht es um die Aufforderung als Illokution (eher als um den Imperativsatz als Satzmodus). Berücksichtigt wird das Spannungsfeld von Emotionalität und (Auf)forderung am Beispiel von Äußerungen aus dem Umfeld der Corona-Pandemie. Dieser Beitrag kennzeichnet sich auch durch eine didaktische Perspektive aus der Sicht des Deutschen als Fremdsprache: Veranschaulicht wird die Aneignung pragmatischer Strategien durch fortgeschrittene Sprachlernende anhand von fünf praktischen Aufgaben.
Nach dieser Standortbestimmung rückt Empörung durch den Beitrag von Daniel Gutzmann und Katharina Turgay in den Vordergrund. Unter dem Titel „Das ist doch alles Bullshit, du Troll! Eine sprechakttheoretische Betrachtung von Unwahrheit und Emotionalisierung in den sozialen Medien“ befassen sie sich mit unwahren Assertionen, die auf Empörung abzielen („Trolling“, „Bullshit“, s. Stefanowitsch 2020). Unter Berücksichtigung der neueren theoretischen Forschung zur Lüge (s. u.a. Meibauer 2015) versuchen Sie, solche Wortmeldungen sprechakttheoretisch zu verorten, und von anderen konventionalisierten Illokutionstypen abzugrenzen.
Sprechakttheorie erschöpft aber das Feld der pragmatischen Emotionsforschung nicht. Auch die interaktive Dimension emotionaler Diskurse soll auch in Betracht gezogen worden, sowohl in mündlichen als auch in schriftlichen Interaktionen: Wie laufen footing- und face-taking-Strategien in emotionbeladenen Kontexten (Brown & Levinson 1987)? Welche sprachlichen Phänomene kann die korpusbasierte Erforschung emotionaler Diskurse an den Tag legen? Werden Emotionen vermittelt oder verheimlicht, je nach den Requisiten einer bestimmten Tradition? Und wie? Erste Angaben sind aus den neueren Studien zum Ausdruck der expressiven Funktion der Sprache (Bühler 1934, Jakobson 1960) zu erwarten (s. schon Traverso, Plantin & Doury 2000 sowie Schwarz-Friesel 2007 oder Micheli et al. 2013, und die Sammelbände von Paulin 2007, Gautier & Monneret 2011, Chauvin & Kauffer 2013, Gutzmann & Gärtner 2013, d’Avis & Finkbeiner 2019, Mackenzie & Alba-Juez 2019). Erste Ansätze haben sich erfolgreich mit mündlichen und multimodalen Korpora beschäftigt (s. u.a. Mondada 2016, Pfänder & Gülich 2013, Quignard et al. 2016, sowie aus germanistischer Sicht König 2017), wie auch mit den Eigenschaften der Emotionsvermittlung in neuen Medien (Bucher 2020, Fladrich & Imo 2020). Im Geiste der Unterschung von Nähe- und Distanzsprache (Koch & Oesterreicher 1985) ließe sich fragen, inwieweit der Ausdruck von Emotionen genremäßig mit konzeptioneller Mündlichkeit verbunden ist (über Emotionen in schriftlichen Texten, s. dennoch Fries 2009). Der Beitrag von Roland Lakyim „Einseitigkeit und institutioneller Rahmen (Öffentlichkeit) als einschränkende Faktoren zum Emotionsausdruck in offiziellen Korrespondenzen“ widmet sich diesem Methodenbereich der interaktionalen korpusbasierten Emotionsforschung und nimmt bewusst schriftliche Diskurse zum Ausgangspunkt. Ausgehend von den konventionalisierten diskursiven Eigenschaften eines konzeptionell und medial schriftlichen Genres, der offiziellen Korrespondenz, erforscht Roland Lakyim die Art und Weise, wie pragmatisch-kontextuelle Regelmäßigkeiten den Ausdruck von Emotionen erschweren können. Dabei zeigt er auch, dass Emotionalität sich trotzdem an den Tag legen lässt, und isoliert er erste Formen und Strategien der schriftlichen, öffentlichen Emotionsvermittlung.
Insgesamt lässt sich Emotionalität nicht als ein getrenntes Feld der Sprachwissenschaft absondern. Ob man sie als allgegenwärtige Belebungskraft gegen die Grammatik hervorhebt, oder sie umgekehrt als Quelle von Irregularitäten bzw. Performanzunfällen abtut: Emotionen liegen genausowie Illokutionen zumindest teilweise im Lexikon und in der Grammatik. Emotionalität unterliegt somit dem Prinzip der sprachlichen Arbitrarität und muss mit den Instrumenten der Morphologie, der Phraseologie (Schmale 2013) und der Syntax erfasst werden können. Auf lexikalisch-semantischer Ebene dürfte hier der Begriff der Intensivierung in den Vordergrund rücken. Wie lassen sich morphologische Intensivierungsmarker rekrutieren? Sind sie Fälle von Grammatikaliserung (Traugott 1995)? Von Pragmatikalisierung? Inwieweit kann man von einem Kontinuum zwischen intensivierenden und nicht-intensivierenden Lesarten sprechen? Im vorliegenden Sammelband wird diese Frage im Hinblick auf intensivierende Wortbildung gestellt. In seinem Beitrag „Warum Superstaus nicht super und Biowaffen nicht bio sind – Empirische Untersuchungen zum Wandel vom gebundenen Morphem zum freien, expressiven Wort“ nimmt Fabian Ehrmantraut die beiden Präfixoide super- und bio- unter die Lupe. Das erste hat eine konventionelle affektive und eine intensivierende Bedeutung entwickelt. Emotionalität und Werturteil schwingen sehr oft im Gebrauch des zweiten mit. Der Beitrag befasst sich mit den verschiedenen Gebrauchsweisen der beiden Formen und weist nach, inwieweit der morphologische Wandel mit einer Bedeutungsänderung und einer Konkretisierung einhergeht.