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3 Emotionen und Geschichte

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Die Geschichtswissenschaft hat schon relativ früh die sogenannte emotionale Wende (emotional turn) zur Kenntnis genommen und integriert. Die Erkenntnis, dass der Ausdruck und das Empfinden von Emotionen und Gefühle nicht ewig naturgegeben, sondern dem Wandel der Zeit unterworfen sind, ist nicht zuletzt der Historiker*innen zu verdanken. Sie sind den Fragen „Haben Emotionen eine Geschichte?“ und „Machen Emotionen Geschichte?“ nachgegangen und stellten mit Lucien Febvre, der bereits 1941 zur Beschäftigung mit dem „Affektleben von einst“ aufrief, erneut fest, dass sozial und kulturell konstruierte Emotionen ein ertragreicher Forschungsgegenstand der Gesellschaftsgeschichte darstellen können. Seit dem Ende der 2000er Jahre bildet die Emotionsgeschichte bzw. die Geschichte der Gefühle ein expandierendes Forschungsfeld, dem zum Beispiel das Max-Planck-Institut in Berlin ab 2008 ein eigenes Forschungsbereich widmete. Sowohl in Deutschland als auch Frankreich wurden in den letzten Jahren Standardwerke zur Geschichte der Emotionen veröffentlicht (Frevert 2011 und 2016, Plamper 2012; Corbin, Courtine, Vigarello 2017), die sich unter anderem mit der Frage auseinandersetzen, welche Emotionen angestrebt und kultiviert, welche Vorstellungen vermittelt, welche Anforderungen gestellt, welche emotionalen Reaktionen in verschiedenen Sinn- und Kulturhorizonten erwartet wurden (Stalfort 2013). Besonders in der Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts lassen sich Emotionen häufig mit Empörung bzw. Revolte verbinden – man denke nur an das weltweit gelesene und rezipierte Pamphlet von Stéphane Hessel: „Empört Euch!“ (2010). Im Kontext der Historisierung der deutschen Geschichte artikulierten sich Tagungen und Werke um die DDR-Geschichte oder die 68er Revolution sowie linke Bewegungen oder auch um Krisenzeiten, Kalten Krieg, Kapitalismus (Illouz, Benger 2017) und Kampf um Umweltschutz (Radkau 2011). Unterschiedliche Herangehensweisen wurden bevorzugt: Diskursgeschichte, Geschichtspolitik, Didaktisierung in Museen oder an Schulen (Brauer 2016). Wesentliche Impulse kamen auch aus der Politikwissenschaft, so konnte der Einfluss von Emotionen auf die Politik des 19. und 20. Jahrhunderts thematisiert werden (Aschmann 2005) oder auch durch Medienwissenschaftler mit der doppelten Funktion der Medien, Kaptation und Beeinflussung (Bösch, Borutta 2006).

In seinem Beitrag veranschaulicht Guillaume Robin am Beispiel der Kundschaft des Berghain-Clubs auch aus der soziologischen Perspektive die Schlüsselrolle der Beherrschung von Emotionen und deren Somatisierung bzw. Nicht-Somatisierung als Stütze des Zugehörigkeitsgefühls in einer Subkultur. Die Emotionen, die diese „emotionale Gemeinschaft“ (in Anlehnung an den von Barbara Rosenwein eingeführten Begriff der emotional communities) der Techno-Szene zusammenhalten, können auch für politische Zwecke mobilisiert werden, nämlich im Kampf um die Nutzung des urbanen Raums.

Auch Nicolas Batteux orientiert sich an Rosenwein und führt eine Umkehrung gewöhnlicher emotionsgeschichtlicher Untersuchungen durch, indem er in der 68er Bewegung nicht die protestierenden Studenten, sondern Parlamentarier der SPD-Bundestagsfraktion unter die Lupe nimmt. Er zeigt im Besonderen, wie der Begriff „Emotionen“ von den Abgeordneten in Abgrenzung zum Begriff „Gefühle“ verwendet wurde, um das als negativ empfundene Verhalten der demonstrierenden Jugend als übermäßig affektbetont anzuprangern.

Henning Fauser kehrt den Blick nach Frankreich und beleuchtet in seinem Beitrag ebenfalls das Verhalten einer Gruppe sowie die Signalfunktion, die bestimmte Handlungen beim Ausdruck von Emotionen haben können, und zwar am Beispiel des öffentlichen Tragens der gestreiften Häftlingskleidung durch französische KZ-Überlebende im Zeitraum 1945–1961. In diesem Fall sollte ein gestreiftes Stück Stoff, das auf Demonstrationen am Leib getragen wurde, auf vergangenes Leid verweisen, beim Betrachter Emotionen wecken und eine Stigma-Umkehr von negativer Ausgrenzung zu positiver Abhebung vollziehen. Gezeigt wird außerdem, dass nur kommunistisch gesinnte ehemalige Häftlinge ihre KZ-Kleidung auf diese Art und Weise als visuelles Mittel politischer Kommunikation einsetzen.

Viel weiter zurück in der Zeit geht Niall Bond bei seiner Untersuchung der Rolle von Emotionen und Empörung in der formativen Phase der Rechts- und Sozialwissenschaften in Deutschland. In der Auseinandersetzung zwischen der romantischen Rechtsauffassung eines Savignys und dem von Rudolf von Jhering vertretenen Utilitarismus wurde dem Vorwurf der übertriebenen Rationalität (Gefühlsleere, Emotionslosigkeit, zweckorientiertes Kalkül) bzw. Irrationalität (Sentimentalität bis zur Gefühlsduselei) vorgeworfen. Bei Ferdinand Tönnies und in der frühen deutschen Soziologie finden sich Spuren beider Richtungen, die sich im Begriffspaar Gemeinschaft-Gesellschaft niederschlagen. Dahinter sieht Bond den strukturellen Gegensatz zwischen Normen der Bewusstheit und Normen der Unbewusstheit.

Dem Beitrag von Matthias Rein über Zorn im geistlichen Sündendiskurs des Mittelalters kommt nicht nur in chronologischer Hinsicht ein besonderer Platz zu, handelt es sich doch um den einzigen Text zur vorneuzeitlichen Geschichte in diesem historischen Teil. Er steht auf Grund seines metasprachlichen Ansatzes auch an der Nahtstelle zwischen Geschichts- und Literaturwissenschaft und bemüht sich um eine differenzierte Thematisierung der Grundemotion Zorn. Über die narrative Ebene hinaus werden auch die psychischen, physischen und sozialen Auswirkungen von Zorn berücksichtigt und anhand von drei Beispieltexten eingehend untersucht.

Empörung, Revolte, Emotion

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