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1 Revolte, Empörung und Emotion in der neueren geisteswissenschaftlichen Forschung

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Seit einigen Jahren kommt die geisteswissenschaftliche Emotionsforschung wieder in Schwung: Neben den traditionellen, immer noch aktuellen Herangehensweisen der Kulturgeschichte, der Anthropologie, der praktischen Philosophie, der Psychologie, der literarischen Rezeptionstheorie und der Rhetorik haben sich neue Herangehensweisen entwickelt, die einerseits das Erbe der poststrukturalistischen Kulturforschung antreten, und sich andererseits auf die neuen Erkenntnisse der kognitiven Psychologie berufen, die unser Verständnis von Emotionen verändern. Für Brian Massumi (1995) ist Affektforschung die Chiffre zu einer neuen allgemeinen Theorie der Semiotik und der gesellschaftlichen Kommunikation überhaupt. Wie umstritten die Parole der „emotionalen Wende“ der Geisteswissenschaften auch ist (s. Leys 2011 für eine grundlegende Kritik), sie hat dennoch zur Entstehung einer neuen Reihe von Forschungen über Gefühle und Emotionen wesentlich beigetragen (für einen Überblick, s. etwa Greco & Stenner 2008 oder Lemmings & Brooks 2014). Ob in der Sprachwissenschaft, in der Literaturwissenschaft oder auch in der kulturellen, intellektuellen, politischen und sozialen Geschichte: Das erneute Interesse für Emotionen stellt die Forschung vor die Wahl, die neuen Ansätze mit traditionellen Paradigmen des Einzelfachs zu kombinieren, oder sich von diesen traditionellen disziplinären Mustern abzugrenzen.

Die intrinsisch interdisziplinäre Herangehensweise der Emotion Studies stößt zudem auf die bestehende disziplinäre Vielfalt der kulturwissenschaftlichen und neuphilologischen Ansätze im Bereich der Germanistik – ob man diese als Einzelbereich der Areal Studies betrachtet, oder auf dem Fokus auf diskursives bzw. philologisches Material besteht. Die mutmaßliche „emotionale Wende“ gestaltet sich also unterschiedlich in der Germanistik, als in einem Einzelfach wie etwa Ethik oder der vergleichenden Literaturwissenschaft. Dies gilt insbesondere für die nationalen Traditionen der Germanistik, die sich seit Längerem mit geschichtlichen, soziologischen und anthropologischen Fragestellungen auseinandersetzen. Dazu zählt die französische Germanistik.

Auf Betreiben des französischen Verbandes für Hochschulgermanistik (Association des Germanistes de l’Enseignement Supérieur, AGES) wurden 2019 die Germanistinnen und Germanisten weltweit dazu eingeladen, sich mit den Herausforderungen der Emotionsforschung auseinanderzusetzen. In freundlicher internationaler Zusammenarbeit mit der Universität des Saarlandes und besonders mit Prof. Dr. Nine Miedema war ursprünglich eine internationale und interdisziplinäre Tagung für 2020 in Saarbrücken geplant. Die – emotionsreichen – coronabedingten Wechselfälle der folgenden Monate haben es anders entschieden. Es wurde dennoch beschlossen, die Weichen für weitere Gespräche und Forschungen zu stellen, indem eine Auswahl aus den geplanten Beiträgen herausgebracht und veröffentlicht werden sollten.

Um trotz der Vielfalt der untersuchten Emotionen einen Leitfaden zu behalten, wird ein bestimmter Emotionskomplex besonders berücksichtigt: Zorn und Empörung. Empörung wird hier als individueller und als kollektiver Affekt definiert. Diese Emotion ist nicht nur ein Gefühl, sondern auch ein Ereignis, das im Phänomen der individuellen und kollektiven Revolte gipfeln kann. Empörung und Revolte wurden schon von den traditionellen Herangehensweisen der Emotionsforschung gründlich behandelt und eignen sich daher für den gewünschten Dialog gut. Das Spannungsverhältnis zwischen Behauptung und Zerstörung (bzw. Positivität und Negativität) bei Empörung und Revolte gibt zumindest Anlass zur Besprechung von zwei Grundthemen der Affekttheorie Massumi’scher Prägung: den komplexen Verbindungen zwischen persönlichen Werturteilen und emotionaler Intensität, und dem Verhältnis zwischen Emotionen und der „Virtualität“, d.h. der Menge aufkeimender, emergierender und unvollkommener Entwicklungen, durch welche die „Futurität“ in der Gegenwart verankert aber auch teilweise gefangen ist.

Gesammelt werden Beiträge aus historischer, geistesgeschichtlicher, literarischer und linguistischer Perspektive zu den Phänomenen Revolte – Empörung – Emotion im deutschsprachigen Raum. Zu den rekurrierenden Motiven der Beiträge gehören die Sozialgeschichte der Empörung, die kulturellen und diskursiven Aspekte von Revolte, die literarische Behandlung von Revolte, Empörung und benachbarten Emotionen sowie die Rhetorik der Empörung und die Rolle von Empörung und Emotionen in der Sprachtätigkeit selber.

Empörung, Revolte, Emotion

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