Читать книгу Neue Theorien des Rechts - Группа авторов - Страница 33

III. Kritische SystemtheorieSystemtheorie

Оглавление

In jüngerer Zeit hat sich die SystemtheorieSystemtheorie des Rechts wieder stärker dem grundlegenden Verhältnis von Recht und Gesellschaft zugewendet und insbesondere den Dialog mit Ressourcen der Kritischen Theorie gesucht[244]. Noch in den 1970er Jahren hatten sich Systemtheorie und Kritische Theorie wechselseitig abgegrenzt[245]. Doch bei Lichte betrachtet, existierte schon immer ein unterschwelliger Dialog. Beide Theorietraditionen beobachten eine selbstreferentielle Schließung von Sozialsystemen und verfolgen eine immanente Kritik, die nicht äußere Ideale an das Recht heranträgt, sondern seine Verstrickung in die funktional ausdifferenzierte Gesellschaft analysiert[246]. Dementsprechend sind die jüngeren Beiträge davon gekennzeichnet, eine Analyse und Kritik des Rechts zu entfalten, die die Erkenntnisfortschritte der Systemtheorie aktualisiert.

Im Mittelpunkt steht ein weiteres Mal die Unterscheidung zwischen System und Umwelt. Während LuhmannLuhmann, Niklas noch die operative Geschlossenheit des Rechts so verstanden hatte, dass die sozialen Umwelten tatsächlich nur ein diffuses Negativkorrelat der Systeme darstellen, werden sie in den neueren Beiträgen deutlicher substantiiert. Andreas Fischer-Lescano hat vorgeschlagen, die Theorie der funktionalen Differenzierung des Rechts zu ergänzen. Die Ausdifferenzierung des Rechts beruhe nicht nur auf Geschlossenheit, so Fischer-Lescano, sondern auch auf wirksamen sozialen und juridischen Kräften[247]. Entgegen »vitalistischen« Annahmen gehen diese Kräfte dem Rechtssystem zeitlich nicht voraus oder |63|entziehen sich gar der Veränderbarkeit. Sie rufen aber Widerstände, Überschreitungen und Reibungen im Verhältnis von System und Umwelt hervor. Als Sozialsystem presst das Recht die oft arationale oder gar nicht sprachfähige »Pluralität lebendiger Kräfte« in ein enges Korsett[248]. Dazu zählen nicht zuletzt auch die natürlichen Umwelten und die Körperlichkeit der Menschen[249]. Im Recht gelten nur rechtliche Kommunikationen, es verfährt mit seinen eigenen Rationalitätsstandards, an denen die nicht-rechtlichen sozialen Kräfte regelmäßig scheitern. Dies kann sich gar zu einer strukturellen Gewalt des Rechts steigern, wenn die Selbstreferenz der Systeme die jeweils heterogenen Kräfte abweist[250].

Im Recht schwingt aber nicht nur die Gewalt der Inkommensurabilität, sondern auch eine befreiende Kraft mit. Da »nichts im Recht von der Erwartung ausgenommen« ist, »gerecht« zu sein, wirkt nicht nur die gewaltschwangere Kraft des bestehenden Rechts[251]. Der Anspruch auf konsistentes und gerechtes Entscheiden führt einen Stachel ein, eine Gegenkraft, die das Recht am Maßstab eines gerechten Rechts ausrichtet. Während bei LuhmannLuhmann, Niklas der Appell an die Gerechtigkeit noch das Instrument war, um konsistentes Entscheiden unter veränderten Umweltbedingungen weiter zu ermöglichen, wird die Gerechtigkeit hier zu einer subversiven Transzendenzformel[252]. Die Ausdifferenzierung des Rechtssystems enthält nicht nur eine repressive Kraft. Sie bringt auch eine emanzipative Kraft aus ihrem Inneren hervor, die es ermöglicht, die Gewaltverhältnisse vom Standpunkt eines gerechten Rechts aus zu überschreiten. Das Recht ist deshalb von innen her als »politisch« zu beschreiben – dies aber nicht als Fremdsteuerung durch die Rationalität des politischen Systems, sondern als interne Reflexionspolitik, die auf die Folgen und Bedingungen rechtlichen Entscheidens abstellt. Interpretationskämpfe in der rechtlichen Dogmatik, die Konkretisierung allgemeiner Rechtsnormen auf konkrete Fälle, die Kollisionslagen der Regime innerhalb des Rechts stellen das Spielfeld für unterschiedliche Rechtspolitiken bereit[253].

Das Blickfeld verlagert sich durch diese Einsichten in das Verhältnis von Gewalt, Gerechtigkeit und Eigenlogik zunehmend auf die Unterscheidung zwischen Recht und Nicht-Recht, zwischen Rechtsform und Gesellschaft. Da die sozialen Umwelten für das Recht unerreichbar bleiben, stellt sich die Frage, wie ein |64|mimetischer Umgang des Rechts mit dem Nicht-Recht denkbar werden kann[254]. Wie kann das Recht »ein Sensorium für die menschlichen und gesellschaftlichen Kräfte« aufbauen und »eine Spannung zwischen dionysischer Energie und apollinischer Form« auf Dauer stellen[255]? Die neuere Diskussion um eine Kritische SystemtheorieSystemtheorie erschließt in dieser Hinsicht auch Ressourcen der Ästhetik und der Urteils- und Entscheidungstheorie für rechtspolitische Fragen.

Durch diese Wende hin zum Verhältnis von Recht und Gesellschaft knüpft die Kritische SystemtheorieSystemtheorie an die Annahme eines sozialen Substrats an, das die kritische Rechtsstaatslehre der 1920er und 1930er Jahre bemühte, und aktualisiert es für die funktional ausdifferenzierte Weltgesellschaft[256]. Demnach evoluiert das Recht nicht nur selbstreferentiell und ungerichtet (und »funktioniert« in dieser Hinsicht), sondern es bezieht sich auf einen historisch gewachsenen Stand der funktionalen Differenzierung, der sich nicht einzig »logisch« (als Anderes, Negativkorrelat) erschließen lässt. Die Evolution findet stets als Ko-Evolution mit anderen Systemen statt. Nimmt man eine solche Analyseperspektive ein, treten Asymmetrien, ungleiche Entwicklung und historische Umstände hervor, die eine nur »logische« Anwendung der funktionalen Differenzierung übersteigen. Sie beleuchtet die Differenzierungsvorgänge in ihrer Geschichtlichkeit und geht der Kontinuität und dem Wandel in der »historischen Konsolidierung intersystemischer Asymmetrien« nach[257].

Adäquate Kommunikationsweisen bewähren sich also nicht nur im Hinblick auf den unproblematischen Anschluss an die jeweilige systemspezifische Selbstreferenz, sondern müssen einen angemessenen Umgang mit dem jeweiligen historischen Material finden. Dies ist folgenreich für den Modus der RechtskritikRechtskritik: Wird das Recht als begrenzt offenes System, als »poietisches Unsystem« verstanden[258], erscheint es weder aussichtsreich, externe Ideale an das Recht heranzutragen, noch die rechtliche Normativität als Königsnormativität zu adeln; vielmehr ist ein »Prozess fortschreitender Adäquanz« einzuleiten, der dem historisch |65|gewachsenen Stand der funktionalen Differenzierung gerecht wird[259]. So wird ein Kritikstil zwingend, der die bloße Verteidigung oder Zurückweisung des Rechts übersteigt und eine immanente Kritik in Gang setzt, in der sich Recht und Gesellschaft wechselseitig zu transformieren und zu befreien vermögen.

Neue Theorien des Rechts

Подняться наверх