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II. Die Umstellungen der Behördenorganisation im Laufe des 18. Jahrhunderts

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Neustrukturierung der Verwaltung

In den größeren Territorien des Reichs kam es seit dem Ende des 17. Jahrhunderts zu einer tiefgreifenden Umformung und Neustrukturierung des Behördengefüges durch Aufbau eines neuen Behördenzweiges, der dem überlieferten Institutionengerüst zur Seite gestellt wurde. Am konsequentesten geschah dies ohne Zweifel in Preußen, denn hier wurden die neuen Behörden dann auch mit dem Policeywesen betraut; sie übernahmen damit also im Wesentlichen auch die allgemeine Verwaltung.[76] In Preußen waren es die sog. Kriegs- und Domänenkammern, die dort zu Beginn des 18. Jahrhunderts unter Friedrich Wilhelm I. auf der Basis der bereits vorhandenen Kameral- und Kommissariatsverwaltung aufgebaut worden waren.[77] Das Kommissariat war etwa in der Mitte des 17. Jahrhunderts zusammen mit den Anfängen eines stehenden Heeres als zivile Militärverwaltungsbehörde zur Beaufsichtigung, Besoldung, Verpflegung und Einquartierung der Soldaten geschaffen worden.[78] Typisch für die brandenburgische Verwaltungsgeschichte ist es nun, dass dort die älteren Funktionen der Kammern und der Kommissariate, also die Domänen-, Regalien-, Finanz- und Militärverwaltung allmählich mit dem Pflichtenkreis einer allgemeinen Verwaltungsbehörde verbunden wurden.[79] Friedrich Wilhelm I. fasste dann im Jahre 1723 Kammern und Kommissariate zusammen.[80] Aus dieser Verbindung erwuchs das Generaldirektorium – die neue oberste Regierungs- und Gesetzgebungsinstanz für alle Länder der preußischen Monarchie mit den Kriegs- und Domänenkammern als ihren nachgeordneten Provinzbehörden, die ihrerseits wieder über ein vergleichsweise breit ausgefächertes Arsenal lokal wirksamer Amtsträger verfügen konnten.[81] Die Kammern als allgemeine Verwaltungsbehörden – darin lag zugleich ein Programm: Die gesamte Verwaltung wurde hier in den Dienst der Vermehrung der Staatseinnahmen als oberstes Verwaltungsziel gestellt. Das in Österreich 1749 als reichsweite Spitzenbehörde installierte „Directorium in publicis et cameralibus“ stellt eine Parallele zum preußischen Generaldirektorium dar.

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Neues Funktionsprofil

Von den älteren Institutionen der Verwaltung[82] unterschied sich das Funktionsprofil dieser neuartigen Verwaltungsbranche demgemäß vor allem dadurch, dass hier das Gewicht der justiziellen Tätigkeit deutlich geringer ausfiel, da sich nun die ökonomischen Zielsetzungen ganz in den Vordergrund schoben. Nicht, dass die justizielle Komponente gänzlich gefehlt hätte, aber diese wurde nun zum bloßen Annex zur eigentlichen Hauptfunktion der neuen Behörden und das war die kameralistisch verstandene Policey: Die Kammern sollten in erster Linie „verwalten“ und dem kameralistischen Verwaltungsverständnis gemäß bedeutete dies: Sie sollten für wachsende Staatseinkünfte sorgen, sich aber nicht um die Pflege der Justiz kümmern.

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Kammerjustiz

Allerdings konnten die Kriegs- und Domänenkammern hier nur erfolgreich sein, wenn ihnen die ordentlichen Justizinstitutionen nicht ständig dazwischentraten, indem sie das Verwaltungshandeln am überlieferten Normenbestand – dem Gemeinen Recht und den partikularen Gewohnheitsrechten – maßen, die beide in keiner Weise mit den neuen, ökonomisch ausgerichteten Verwaltungszielen kompatibel waren. Dies ist der Hintergrund der im 18. Jahrhundert stark diskutierten Kammerjustiz, die in Preußen eine bedeutende Rolle spielte,[83] aber durchaus auch in vielen anderen Territorien anzutreffen war. Es ging dabei um die Frage, ob und inwieweit Regierung und Verwaltung, also die „Policey“, von den Behinderungen und Bindungen gerichtlicher Kontrolle freigestellt werden sollten. In diesen Zusammenhang gehört auch die Debatte um die Justiziabilität von Policeysachen: Bei der Kammerjustiz wurden Streitigkeiten auf bestimmten, policeylich relevanten Sachgebieten von den Kammern miterledigt, weil sie, wie es etwa im preußischen Ressortreglement von 1749 heißt, „ohne Administrierung der Justiz ihrem Officio (k)ein Genügen leisten“ könnten.[84] Streitentscheidung und Sanktionierung waren hier nur noch Hilfsfunktionen, die die eigentliche, nichtjustizielle Verwaltungstätigkeit vor den Behinderungen seitens der Justiz abschirmen sollten.

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Abgrenzung zur ordentlichen Justiz

Tatsächlich entzogen die preußischen Kriegs- und Domänenkammern der überkommenen „ordentlichen Justiz“ im Laufe der Zeit in beträchtlichem Umfang auch Rechtsprechungskompetenzen[85] – ein Vorgang, der insbesondere von Seiten der Stände scharf kritisiert wurde, weil man von dieser Seite nicht völlig zu Unrecht befürchtete, dass die ganz auf die Interessen des Monarchen eingeschworenen Kammern nicht in gleicher Weise Recht sprechen würden, wie die den Ständen in der Regel auch personell viel näher stehenden „Regierungen“ oder die altüberlieferten Jurisdiktionsinstanzen.[86] Es kam noch hinzu, dass sich die Zuständigkeitsabgrenzung der Kammerjustiz von der durch die traditionellen Gerichtsinstanzen ausgeübten ordentlichen Justiz, allen geradezu massenhaft erlassenen Zuständigkeitsreglements zum Trotz, vielfach als unsicher erwies, was aber die Kammern nicht selten nur in dem Streben nach Ausdehnung ihres Zuständigkeitsterrains bestärkte.[87] Dem Grundsatz nach sollten die Kammern nur in solchen Sachen judizieren, die „den Statum Ökonomicum et Politicum“ angehen oder „überhaupt in das Interesse Publicum einschlagen“, wie es in dem genannten preußischen Ressortreglement von 1749 formuliert war.[88] Umgekehrt sollten „alle Prozeßsachen, welche lediglich das Interesse privatum vel jura partium“ betreffen „bei denen ordentlichen Justiz-Collegiis dezidieret werden.“ Diese Unterscheidung entsprach in etwa der zeitgenössischen Differenzierung zwischen Policey- und Justizsachen. Der „Status Ökonomicum et Politicum“ war regelmäßig dann betroffen, wenn eine zu entscheidende Sache nicht nur nach „den Rechten“, also dem Gemeinen Recht und den überlieferten Partikularrechten, sondern zumindest auch nach den Policeyordnungen des Landes zu beurteilen war.[89] Es war dies also eine ganz andere Unterscheidung als bei der heute vorgenommenen Differenzierung zwischen öffentlichem und privatem Recht.[90] Zwar waren hier primär Streitigkeiten zwischen Staat und Untertanen angesprochen, aber der „Status Ökonomicum et Politicum“ konnte durchaus auch in einem Streit zwischen Privaten betroffen sein. Entscheidend für die Zuständigkeit der Kammern als gerichtliche Instanz sollte einzig der Gesichtspunkt sein, ob und inwieweit der Streitgegenstand policeylich geregelt war. Waren in einem bestimmten Fall neben „den Rechten“ irgendwelche im weitesten Sinne policeylichen Gesetze einschlägig, dann durfte die zu entscheidende Sache – jedenfalls den Intentionen des preußischen Gesetzgebers nach – nicht, oder zumindest nicht ausschließlich, der ordentlichen Gerichtsbarkeit überlassen bleiben und zwar auch dann nicht, wenn es sich um eine Parteisache ohne direkte Beteiligung des Staates handelte.

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Verwaltungsgeschichtliche Kontinuität in kleineren Territorien

Die neuartige ökonomische Ausrichtung von Politik und Verwaltung, wie sie seit dem Ende des 17. Jahrhunderts zu verzeichnen war,[91] hat freilich in erster Linie in den größeren Territorien Platz gegriffen, wurde aber umgekehrt in vielen kleineren oder von einem stärker konservativen Regierungsstil geprägten Territorien kaum wirksam.[92] Die Policeygesetzgebung blieb hier von den neuen ökonomisch-kameralistischen Ordnungsvorstellungen vielfach unberührt. Prägend blieb vielmehr ein älteres Ordnungsdenken, das – ohne die Perspektive bewusster Neugestaltung der sozialen und ökonomischen Strukturen – auf die Beseitigung einzelner Missstände durch gegensteuernde Normsetzung ausgerichtet war.

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Beispiel Kurköln

Als Beispiel mag hier ein bedeutendes geistliches Territorium dienen: der Kirchenstaat der Kölner Erzbischöfe und Kurfürsten, das „Erzstift“. In der Verwaltungsgeschichte dieses Territoriums überwog die Kontinuität bei weitem. Weder die Gesetzgebung noch die Anordnung der Verwaltungsinstitutionen zeigt hier jene Ausrichtung auf die „Wirtschaftsförderung“, wie sie besonders im Preußen des 18. Jahrhunderts zu beobachten ist.[93] Die oberste Policeybehörde im Erzstift, der Hofrat, folgte auch im 18. Jahrhundert noch weitgehend dem traditionellen policeylichen Ordnungsdenken. Mit diesem ganz traditionellen Standpunkt ist es auch in Verbindung zu bringen, dass die oberste kurkölnische „Policeybehörde“ mit dem ganz überwiegenden Teil ihrer Arbeitsressourcen ein Justizorgan blieb. Eine deutlichere institutionelle Trennung von Justiz und Policey ist demgemäß in Kurköln bis zum Ende des geistlichen Staates im Jahre 1802 ausgeblieben. Die Behördenstrukturen im geistlichen Kurstaat des Erzbischofs von Köln wiesen daher keine speziellen Policeybehörden auf, die erst im Hinblick auf neu entstandene policeyliche Aufgaben begründet worden wären, wie dies beim preußischen „Generaldirektorium“ und den ihm nachgeordneten Kriegs- und Domänenkammern der Fall war.[94] Nur ansatzweise finden sich im 18. Jahrhundert – allerdings nur auf der obersten Ebene – Ansätze einer funktionalen Differenzierung, bei der sich justizielle und policeyliche Funktionen von einander abschichteten. Eine solche Tendenz trat beispielsweise in dem Umstand zutage, dass im kurkölnischen Hofrat ab 1788 eine getrennte Beratung von Justiz- und Verwaltungsangelegenheiten eingeführt wurde. Von da an waren für „Verwaltungsgeschäfte und Rechtsprechungstätigkeit“ jeweils getrennte Protokolle zu führen. In diesen Zusammenhang gehören auch die beiden „Policeykommissare“ innerhalb des Hofrates: Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts trugen zwei Hofräte die Funktionsbezeichnung „Polizeikommissar“; ihre spezielle Aufgabe bestand darin, in besonderer Weise darauf zu achten, dass überall gute Policey herrschte. In erster Linie ging es hierbei darum, möglichst effektiv über die Einhaltung der Policeygesetze zu wachen und die Verstöße zu melden; ganz besonders hatten sie dabei ihr Augenmerk auf die örtlichen Beamten und Magistrate zu richten, damit diese ihrerseits eifrig und konsequent genug auf die Einhaltung der Policeyverordnungen achteten. Die Policeykommissare dienten also gleichermaßen als zentrale policeyliche Bußeninstanz wie als Kontrollinstanz über die policeyliche Aktivität des Apparates. Gleichzeitig kam ihnen aber darüber hinaus die Aufgabe zu, ganz allgemein auf die gute Ordnung im Lande zu achten.

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Kammerjustiz in Kurköln

Auch in Kurköln hat es nicht an Versuchen der Hofkammer gefehlt, aus der Funktion einer reinen Kassen- und Wirtschaftsverwaltung des Fürsten hinauszuwachsen und policeyliches Kompetenzterrain zu besetzen. Derartiges war in den allermeisten Territorien des 18. Jahrhunderts zu beobachten – die kurkölnische Kammer machte hier keine Ausnahme. Der Grundtendenz nach versuchte sie, sich in die Position einer Policeybehörde zu drängen und den Hofrat auf die Justizsachen zu verweisen. So begann die Hofkammer beispielsweise damit, das Gesetzgebungsmonopol des Hofrates aufzubrechen, indem sie selbst unter Umgehung des Hofrates Befehle und Mandate erließ, ohne solche Maßnahmen mit dem Rat abzusprechen oder zu koordinieren. Daraus erwuchs ein Dauerkonflikt mit dem Hofrat, der nicht bereit war, sich seine tradierten policeylichen Kompetenzen und Zuständigkeiten von der Hofkammer entwinden zu lassen.[95] Hintergrund solcher für die Verwaltungsgeschichte der deutschen Territorien typischen Konflikte waren die üblichen Auseinandersetzungen zwischen Landesfürst und Ständen. Die Kammern verstanden sich dabei ihrem Selbstverständnis nach häufig als die Interessenvertretung des Fürsten; die Kammern suchten demgemäß den Einfluss des nicht selten von den Ständen dominierten Rates zurückzudrängen. In den meisten Territorien, zumal in denjenigen unter geistlicher Landesherrschaft, waren diese Versuche aber insgesamt betrachtet wenig aussichtsreich; auch in Kurköln blieben sie ohne weiterreichende Konsequenzen. Denn in der Regel blieben die Landstände stark genug, um sich einer grundlegenden Umgestaltung des administrativen Institutionengefüges und der Kompetenzverteilung zugunsten der fürstlichen Kammerverwaltung entgegenzustemmen.

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