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I. Das Policeyrecht im Gefüge der frühneuzeitlichen Rechtsgebiete

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Begriff des Verwaltungsrechts

Das Wort „Verwaltungsrecht“ taucht bekanntlich erst im 19. Jahrhundert auf: Seit den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts begann es sich in den Titeln und Überschriften der staatsrechtlichen Literatur zu verbreiten, etwa in dem bekannten Lehrbuch Robert von Mohls über das „Württembergische Staatsrecht“ von 1831. Hier findet sich das Verwaltungsrecht dem neuen Teilgebiet des „Konstitutionsrechts“ gegenübergestellt. „Konstitutionsrecht“ und „Verwaltungsrecht“ machen nunmehr zusammen die beiden Teilgebiete des Staatsrechts aus; „in den 40er- und 50er-Jahren ist die Unterscheidung längst Gegenstand des allgemeinen Sprachgebrauchs“.[114]

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„Policeyrecht“

Älter ist der Begriff des „Policeyrechts“, aber auch dieser reicht nur bis etwa in die Mitte des 18. Jahrhunderts zurück, ist also viel jüngerer Provenienz als die „Policey“ selbst mit ihrer bis ins Mittelalter zurückreichenden Begriffsgeschichte. Ein „Policeyrecht“ hingegen und eine darauf aufbauende Unterscheidung zwischen einem „policeywissenschaftlichen“ und einem spezifisch „policeyrechtlichen“ Ansatz lässt sich erst seit der Mitte des 18. Jahrhunderts beobachten; damals erschienen die ersten Abhandlungen zum „Policeyrecht“.[115] Dieses „Policeyrecht“ unterschied sich allerdings ganz grundlegend vom späteren „Verwaltungsrecht“, wie es im Laufe des 19. Jahrhunderts entstand. Es deckte zwar in etwa diejenigen Sachbereiche ab, die heute in den einzelnen Teilgebieten des besonderen Verwaltungsrechtes geregelt sind, aber es umschloss durchaus auch solche Regelungsmaterien, die man heute dem Privatrecht zuordnen würde; als Beispiel mag hier etwa das Vormundschaftsrecht dienen.

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Verwaltungsrecht als Teil des Öffentlichen Rechts

Wie weit dieses „Policeyrecht“ vom späteren Verwaltungsrecht noch entfernt war, wird deutlich, wenn man seine Verortung in der Gliederung der einzelnen Rechtsgebiete betrachtet, wie sie noch im 18. Jahrhundert üblich war. Das „Policeyrecht“ bewegte sich in einem gänzlich anderen Normenumfeld als dann später das „Verwaltungsrecht“. Der moderne Begriff des „Verwaltungsrechts“ erschließt sich erst vor dem Hintergrund einer grundlegend neuen Einteilung der Rechtsnormen in ein „öffentliches“ und ein „privates“ Recht, wie sie um 1800 über die Bühne ging: Etwa gleichzeitig mit dem Aufkommen des Ausdrucks „Öffentliches Recht“ begann man sich die Rechtsordnung als Ganzes in die beiden Hauptteile des öffentlichen und des privaten Rechts eingeteilt vorzustellen: Aus einer „additiven Gliederung der Rechtsordnung in eine Vielzahl von Rechtsgebieten“ wird allmählich eine Zweiteilung.[116] Das Verwaltungsrecht oder das „Administrativrecht“, wie es zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch vielfach hieß, wurde hierbei als ein Teil des Öffentlichen Rechts betrachtet und somit als Teil einer Rechtsordnung, die im Gegensatz zum Privatrecht steht.[117]

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Trennung von Staat und Gesellschaft

In der allmählichen Neustrukturierung der rechtlichen Normenordnung entlang der grundsätzlichen Unterscheidungslinie zwischen einem Öffentlichen Recht und einem Privatrecht[118] schlug sich die vom Liberalismus angestrebte Trennung von Staat und Gesellschaft nieder.[119] Dies wiederum beruhte auf einem bestimmten Entwicklungsstand des Staates: Seine Verdichtung nämlich zum institutionellen Anstaltsstaat, der sich nun von der Gesellschaft abspalten ließ. Erst mit dieser institutionellen Verdichtung war „der Staat“ auch als (juristische) Person zu begreifen, dem sich – losgelöst von der Person des Fürsten – bestimmte Rechte und Pflichten zuordnen ließen.

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Das Policeyrecht als Teil des Deutschen Privatrechts

Das Policeyrecht des 18. Jahrhunderts hingegen war noch in einer vollkommen andersartigen Rechtslandschaft verortet, die auch in ganz andersartige Teilrechtsgebiete gegliedert war. Es wurde im 18. Jahrhundert dem Privatrecht noch nicht als etwas Wesensverschiedenes entgegengesetzt. Vielmehr wurde es damals unbestrittenermaßen, aber aus heutiger Sicht überraschend, gerade als ein Teil des sog. „Deutschen Privatrechts“ betrachtet.[120] Es war ein Teil des territorialen Statutarrechts[121] und zählte damit auch zum „Bürgerlichen Recht“,[122] schon weil es sich weder dem Ius Commune noch einem Sonderrechtsgebiet, wie dem Kriminalrecht, dem Lehensrecht oder dem Ius Publicum, zuordnen ließ. Man darf hier allerdings den Terminus „Deutsches Privatrecht“ nicht im modernen Sinne als dichotomischen Gegenbegriff zum Öffentlichen Recht missverstehen. Der Gegenbegriff zum „Deutschen Privatrecht“ im vormodernen Sinne, also zum Ius Germanicum, war nicht etwa das „Öffentliche Recht“, das es ja im modernen Sinne noch gar nicht gab, sondern das Ius Commune. „Deutsches Privatrecht“ war also der Inbegriff aller Rechtsnormen außerhalb des gemeinrechtlichen Normenkosmos und außerhalb der besonderen Rechtsgebiete, die sich seit dem Spätmittelalter herausgebildet hatten, wie das Lehensrecht, das Kriminalstrafrecht und das Ius Publicum. Noch in dem wohl bekanntesten, an der Wende zum 19. Jahrhundert erschienenen „Handbuch des teutschen Policeyrechts“ von Günther Heinrich von Berg findet sich das Policeyrecht als ein Teil des Privatrechts verortet: Von Berg vergleicht das Policeyrecht mit dem Prozessrecht: So wie dieses gehört auch jenes mit einem Teil zum Privat-, mit einem anderen zum Staatsrecht. Das Policeyrecht im engeren Sinne, das „eigentliche Policeyrecht“, wie er es nennt, ist ein Teil des Privatrechts. Dieses „eigentliche“ Policeyrecht beinhaltet den „Inbegriff der Rechte und Verbindlichkeiten, welche durch die Policeygewalt bestimmt sind“,[123] also die Normen der von den „Policeygewalten“ erlassenen Gesetze. Das Policeyrecht im weiteren Sinne umfasst bei von Berg darüber hinaus aber auch das „Recht der Policeygewalt“. Mit diesem Teil ist das Policeyrecht zugleich ein Teil des Ius Publicum, des Staatsrechts. Denn beim „Recht der Policeygewalt“ geht es nicht um die Normen der Policeyordnungen selbst, sondern um die staatsrechtliche Kompetenz zu deren Erlass und Sanktionierung. Hier werden in erster Linie die Rechte und Kompetenzen der verschiedenen „Policeygewalten“ – Reich, Reichskreise, Territorien und schließlich Kommunen – voneinander abgegrenzt. Während es im ersteren Fall, nämlich bei den Normen der Policeyordnungen selbst, darum geht, „was die Policeygewalt will“, so ist im „Recht der Policeygewalt“ vielmehr Gegenstand, „was sie darf“,[124] welchen Obrigkeiten also das Recht zum Erlass von Policeyordnungen zukommt und welchen nicht. Das betrifft auch bei von Berg noch in erster Linie die Frage nach den Hoheitsrechten der verschiedenen Herrschaftsträger untereinander, die seit jeher im Mittelpunkt des Ius Publicum gestanden war. Es war daher zunächst umstritten, inwieweit es überhaupt sinnvoll sein könne, aus den überlieferten Rechtsgebieten des Deutschen Privatrechts bzw. des Ius Publicum ein eigenes „Policeyrecht“ herauszulösen und zu verselbstständigen. Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es Stimmen, die, wie etwa der Publizist Nikolaus Thaddäus Gönner, in dem Begriff des „Policeyrechts“ keinen Sinn sahen:[125] Die Materien, die man gewöhnlich unter dem Begriff des Policeyrechts sammele, zählten untrennbar zum Deutschen Privatrecht bzw. zum Staatsrecht; die Abtrennung einer eigenen Rechtsmaterie „Policeyrecht“ sei sinnlos.[126]

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Vom Policeyrecht zum Verwaltungsrecht

Der Begriff des „Policeyrechts“ entstand also dadurch, dass innerhalb des weiteren Bereichs des Deutschen Privatrechts ein besonderes Gebiet abgegrenzt wurde. Die neuartige Stoffabgrenzung unter der Bezeichnung des „Policeyrechts“ dürfte in erster Linie durch den Bedeutungszuwachs der Kameralwissenschaften bedingt gewesen sein, die sich damals auch universitär als selbstständiges Fach zu etablieren begannen.[127] Damit entstand auch das Bedürfnis nach einer zusammenfassenden Darstellung der kameral- und policeywissenschaftlich relevanten Teile des deutschen Privatrechts. So wurde die Verselbstständigung des Policeyrechts und die ihm zugeordnete Stoffauswahl von den ersten Autoren des neuen Fachs jedenfalls begründet.[128] Es war derjenige Teil des „Deutschen Privatrechts“, der für die zeitgenössische Policeywissenschaft von besonderer Bedeutung war. Erst an der Wende zum 19. Jahrhundert wurde „die herrschende Zuordnung des Polizeirechts zum Privatrecht unsicher“.[129] Hintergrund dessen war eine allmähliche Verschiebung der Fächergrenzen, wie sie nicht zuletzt im neuartigen Begriff des „öffentlichen Rechts“ zum Ausdruck kam.[130] Gleichzeitig hatte sich der Bedeutungsbereich des „Privatrechts“ verengt.[131] Dies wiederum brachte eine neue Verortung des Policeyrechts innerhalb des Fächergefüges mit sich: Denn definierte man das Privatrecht als die Summe der Normen, die die Beziehungen der Individuen untereinander regelten, und betrachtete man es als ein unabhängig von jeder staatlichen Gesetzgebung entstehendes, sozusagen „staatsfreies“, sei es schon in der unveränderlichen Natur des Menschen angelegtes, sei es vom „Volksgeist“ gewohnheitsrechtlich erzeugtes Recht, dann hatte das Polizeirecht dort keinen Platz mehr.[132] Es wurde nun – zusammen mit dem Staatsrecht, in dem sich die Tradition des Ius Publicum fortsetzte – dem neuen Oberbegriff des „öffentlichen Rechts“ zugeordnet.[133]

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Policey und Konstitutionalismus

Gleichzeitig wurde es üblich, an Stelle von „Polizeirecht“ vom „Verwaltungsrecht“ oder „Administrativrecht“ zu sprechen. Vielfach wurde nun systematisch zwischen Constitutionsrecht und Administrativ- bzw. Verwaltungsrecht unterschieden. Auch hier war der württembergische Staatsrechtler und Politiker Robert von Mohl führend: Sein zweibändiges „Staatsrecht des Königreichs Württemberg“ (1829/31) ging als eines der Ersten von einer derartigen systematischen Gegenüberstellung aus.[134] Das Wort „Policey“ in seinem alten Sinne war mit dem rechtlichen und politischen Denken des Konstitutionalismus nicht mehr kompatibel, denn in der „Policey“ waren gesetzgebende und vollziehende Funktion noch ungetrennt zusammengeschlossen. Auf die Unterscheidung zwischen Gesetzgebung und Verwaltung kam es aber im konstitutionellen Staat entscheidend an: Staatliches Handeln sollte, soweit es nicht in Gesetzgebung oder Rechtsprechung bestand, gesetzesgebunden sein und eben diese Forderung wurde mit der Gegenüberstellung von Gesetzgebung und Verwaltung zum Ausdruck gebracht: Im letzteren Fall ist der Staat an die Gesetze, im ersteren Fall – bei der Gesetzgebung – ist er hingegen an die Zustimmung der Volksvertretung gebunden, die auf diese Weise die Individualrechtssphäre der Bürger rechtlich einhegen kann.

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