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ОглавлениеDAS LEID DER GEFANGENEN
Es ist nicht bekannt, wo dieses Foto sowjetischer Kriegsgefangener entstanden ist: Noch an der Front in Russland im Sommer 1941? In einem der Durchgangslager, die sie auf ihren Todesmärschen gen Westen passierten? Oder schon in Deutschland, wohin man den übrig gebliebenen Rest der Gefangenen schließlich brachte? Es könnte überall gewesen sein, denn überall im deutschen Machtbereich waren die Lager für russische Gefangene meist nicht viel mehr als ein Stück nackte Erde, mit Stacheldraht abgezäunt und vonWachtürmen gesichert. Überall siechten die als »Untermenschen« verunglimpften Kriegsgegner unter menschenunwürdigen Umständen vor sich hin. Überall litten sie bitteren Hunger.
KEINE KAMERADEN
Bereits am 30. März 1941 hatte Hitler in einer Ansprache vor über zweihundert hohen Militärs seine Absichten offengelegt. »Der Krieg wird sich sehr unterscheiden vom Kampf im Westen. Ein Krieg gegen Russland kann nicht ritterlich geführt werden. Es handelt sich um einen Kampf der Weltanschauungen und rassischen Gegensätze und ist daher mit nie dagewesener erbarmungsloser Härte zu führen … Wir müssen von dem Standpunkt des soldatischen Kameradentums abrücken. Der Kommunist ist vorher kein Kamerad und nachher kein Kamerad.«
Im Geiste der von Hitler ausgegebenen Parole, dass es im Osten »keine Kameraden« gebe, war schon die Planung für die Versorgung der sowjetischen Kriegsgefangenen erfolgt. Obwohl die Deutschen mit riesigen Gefangenenzahlen in kurzer Zeit rechneten – schließlich ging die allgemeine Planung von einem siegreichen Blitzkrieg aus –, war die Vorbereitung hierauf völlig unzureichend. In menschenverachtender Gleichgültigkeit behandelte man die Unterbringung und Versorgung der sowjetischen Kriegsgefangenen als nebensächliches Problem. Eine humanitäre Katastrophe wurde teils leichtfertig, teils billigend, in Kauf genommen.
Sie ließ denn auch nicht auf sich warten. Schon die ersten Kesselschlachten gaben einen Vorgeschmack auf die Hölle, die die sowjetischen Soldaten erwartete. Bei Minsk wurden 100 000 Kriegs- und 40 000 Zivilgefangene auf »einen Raum von etwa der Größe des Berliner Wilhelmsplatzes« eingepfercht, schrieb der Ministerialrat der Organisation Todt, Xaver Dorsch, in einem Bericht vom 10. Juli 1941: »Die Kriegsgefangenen, bei denen das Verpflegungsproblem kaum zu lösen ist, sind teilweise sechs bis acht Tage ohne Nahrung und kennen in einer durch den Hunger hervorgerufenen tierischen Apathie nur noch eine Sucht: zu etwas Essbarem zu gelangen.«
Erst am neunten Tag seiner Gefangenschaft, so erinnert sich der russische Arzt Fjodor Iwanowitsch Tschumakow, bekam er etwas zu essen – eine Schöpfkelle Brühe, die die sowjetischen Gefangenen als »Balanda« bezeichneten. Zwei Kellen voll waren die tägliche Ration eines Gefangenen; Brot gab es nicht dazu, sondern nur einen schwer verdaulichen Ölkuchen aus gepressten Sonnenblumenkernen.
Diese kärglichen Rationen erwiesen sich als umso verheerender, als der Abtransport in die rückwärtigen Gebiete in den ersten Monaten zum allergrößten Teil in Fußmärschen erfolgte – die vielfach zu Todesmärschen wurden. Bis Ende 1941 fanden bereits 1,4 Millionen gefangene Rotarmisten in den Lagern oder auf den Transporten den Tod.
Einen Einsatz der Gefangenen in der unter Arbeitskräftemangel leidenden Kriegswirtschaft lehnte Hitler aus ideologischen Gründen zunächst ab. Erst als sich der Angriff der deutschen Wehrmacht Ende 1941 vor Moskau festlief, änderte er seine Pläne. Vor dem Einsatz im Reich wurden jedoch alle »politisch gefährlichen Elemente«, Kommunisten, Juden, Intelligenzler, »ausgesondert«, das heißt: ermordet. Denjenigen, die schließlich in der deutschen Wirtschaft Zwangsarbeit leisteten, ging es zwar mit der Zeit besser; Versorgung und Unterkunft in den sogenannten »Stalags« blieben jedoch unter dem Niveau der übrigen Gefangenengruppen.
Nach deutschen Quellen sind von den 5,75 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen in deutschem Gewahrsam etwa 3,3 Millionen an Hunger, Krankheiten und durch Exekutionen gestorben, also mehr als die Hälfte. Das Schicksal dieser Gefangenen – es gehört neben dem Holocaust zu den dunkelsten Kapiteln des Zweiten Weltkriegs.