Читать книгу Chroniken der tom Brook - Gunda von Dehn - Страница 22
Kapitel 19 - Das Schützenfest
ОглавлениеEin erstaunlich buntes Gewimmel von Bürgern und Fremden säumte alle Straßen und Gassen, als der lange farbenprächtige Umzug, begleitet von allerlei Spielleuten und Gauklern, durch die ganze Stadt zog. Bunte Bänder wehten an den Instrumenten der Spielleute, flatterten in den Mähnen der Pferde, und die Bürger prangten in ihrer besten Sonntagstracht.
Das neugierige Volk folgte den Schützenbrüdern auf den Fersen zum Kampfplatz. Irgendwo in dem Gedränge bemerkte Hans von Winterfeld den deutschen Junker und drängte sich zu ihm durch. Hans hatte vor Aufregung ganz rote Wangen und faselte immer wieder, wie schön das Ganze doch sei. Widzelt brauchte darauf nicht zu antworten, denn Winterfeld redete in einem fort.
Die kurz gemähte Wiese dampfte in der Morgensonne. Ein frischer Nachtregen hatte Wald und Auen zu leuchtendem Grün aufleben lassen. Auf mehreren schön bemalten und grün bekränzten Pfählen prangte ein Holzadler. Unter viel Geschrei und Beifall wurde der König ‚ausgeschossen'. Zuerst das Bogen-, dann das Armbrustschießen.
Der Gildemeister hatte seine Jungkerls Unterordnung gelehrt. Gehorsam folgten sie seinen Anweisungen. Da gab es kein Gerangel. Jeder wartete ordentlich in der Schlange, wenn auch voller Ungeduld, bis die Reihe an ihn kam.
Hans von Winterfeld wedelte aufgeregt mit den Armen: „Mein Bruder, mein Bruder ist dabei. Seht Ihr ihn? Das ist der mit den schönen grünen Hosen aus Leydener Laken!“
„Wo denn?“ Da waren drei Jungkerls in grünen Beinkleidern.
„Herr Widzelt, schaut! Jetzt ist Karl an der Reihe. Im letzten Jahr hat er die grünen Hosen gewonnen!“ Stolz schwang aus seiner Stimme und er warf sich ordentlich in die Brust.
Widzelt verstand die Aufregung um Karl nicht recht und zuckte die Achseln.
„Er ist der König!“, schrie Hans gegen das Spektakel der Schaulustigen an. „Er will es diesmal wieder packen!“
Das Bogenschießen gelang Karl in meisterhafter Weise. Der Bursche schoss nicht schlecht.
Dann das Armbrustschießen: Gelassen legte Karl den Bolzen ein, spannte die Armbrust, kniete auf den mit Stroh bedeckten Boden, legte an, zielte und... daneben!
Enttäuschtes Raunen wogte durch die Zuschauer.
Der nächste Schuss... Der Holzadler schien zu flattern: „Hurra! Hurra!“ Hans warf begeistert die Arme hoch. Auch der dritte Schuss traf sein Ziel. Der Adler knickte seitlich ab, blieb aber schwingend hängen. Verärgert reihte Karl sich wieder ein.
Der nächste Bursche, auch einer mit grünen Hosen.
„Das ist der Vorjahressieger“, erklärte Hans. „Der ist ‚Freischütz', besessen vom Schießen. Die jungen Handwerksmeister sind bei uns drei Jahre zur Schießübungen verpflichtet. Der da hat sich freiwillig zum Waffendienst gemeldet. Wer sich freiwillig meldet, wird ‚Freischütz’ genannt. Mal sehen...“
Der lange, breitschultrige ’Freischütz’ lachte und klopfte Karl gönnerhaft die Schulter, ehe er auf die Kampfbahn sprang. Er tat sich besonders hervor in Schnelligkeit und Zielsicherheit. Seine Pfeile trafen wie von Zauberhand gelenkt. Dann das Schießen mit der Armbrust. Gleich der erste Schuss saß, der schwarze Adler purzelte zu Boden. Der junge Freischütz hatte gesiegt.
Widzelt erkannte, dass diese Wehrübungen offenbar gute Erfolge zeitigten und beschloss, gleiches zu Hause einzuführen. Jeder waffenfähige Mann sollte sich des Sonntags im Bogenschießen üben, beschloss Widzelt. Ob er das allerdings würde durchsetzen können? – Das bezweifelte er mit Recht, denn meistens kommt es ja anders als man denkt.
Der tosend Bejubelte wurde mit einer Schärpe geehrt und reich beschenkt. Zusätzlich erhielt der neue Schützenkönig noch eine Königsgabe, bestehend aus einer nagelneuen Armbrust und weichen Lederhandschuhen mit breiten Stulpen. Die beste Belohnung war wohl die Befreiung von Hand-, Gespann- und Wachtdiensten für ein ganzes Jahr. Außerdem wurde der neue Schützenkönig noch mit freier Zeche für ein ganzes Jahr im Gemeingarten beschenkt.
Im Triumphzug trugen seine Gildebrüder ihn auf den Schultern zum Gemeingarten, wo der Wirt schon Vorbereitungen für die Bewirtung der Schützenbrüder getroffen hatte. Die Kosten hierfür wurden großzügig vom Deutschritterorden übernommen, denn das Schützenfest war mehr als ein Fest der Geselligkeit und Volksbelustigung. Hier konnte der Orden Schützen ausbilden lassen und rekrutieren. Noch zehn Tage dauerten die ausgedehnten Festlichkeiten in Königsberg an, dann endlich war der Völlerei ein Ende.
Unterdessen war das Heer zu unglaublicher Stärke angewachsen. Am Ende, kurz vor Beginn der Heerfahrt, zählte es dreißigtausend Mann; Gäste, Söldner und Ordensritter zusammengerechnet. Die Ordensleute hatten aber alles wohl im Griff und gut organisiert. Tag und Nacht wurde gekocht, gebacken, gesotten, gebraten, gebraut. Unmengen von Schlachttieren wurden vertilgt; Wein und Bier flossen in Strömen. Die Versorgung der vielen Menschen stellte die Ordensritter keineswegs vor unlösbare Probleme. Ob Senkgruben, Wasserversorgung oder Unterkünfte, der Orden verstand alles bestens und zur Zufriedenheit der Kreuzfahrer zu richten.
Die ‚Graumäntel’, nach ihrer Tracht so genannt, leisteten in ihren Wirkungsbereichen Erstaunliches. Diese dienenden Ordensbrüder, durchweg nicht von Adel, arbeiteten emsig Tag und Nacht in Haus- und Landwirtschaft, um den Ansprüchen der vielen Heerfahrer gerecht zu werden.
Der Ordenshandel blühte wie nie zuvor und der Ordensschäffer hatte alle Hände voll zu tun.
Seine ‚Graumäntel' nutzten fleißig ihre Handelsbeziehungen und schafften emsig Waren aus aller Herren Länder heran.
Widzelt traf die überraschende Ehre, dem Ordensschäffer zur Hand gehen zu dürfen: Bestellungen, Inspektion von Waren, Weiterleiten und Umleiten von Lieferungen, Abrechnungen prüfen. Es gab unglaublich viel zu tun.
Widzelt hatte zwar einige Zeit am Hof des Grafen von Holland zugebracht, um die Administration kennenzulernen, aber dennoch war dies hier fast alles Neuland für ihn und er wollte schier verzweifeln unter der Last der plötzlichen Verantwortung. Er wurde von einer Aufgabe in die andere geschubst und mit internen Angelegenheiten betraut, die ihm ferner schienen als der Himmel.
Der Wegebericht des Pflegers von Insterburg traf ein. Widzelt, der just anwesend war, wollte sich rasch zurückziehen. Großer Gott! Nicht noch was, von dem ich keine Ahnung habe! Indes, Gottfried von Linden, der Obermarschall, hielt ihn zurück: „Bleibt da, Junker! Schaut her! Habt Ihr das schon mal gesehen? Dies ist ein Wegebericht. Erarbeitet ihr in Eurer Heimat auch so etwas, bevor ihr in den Krieg zieht?“
Verlegen lächelnd erklärte Widzelt: „Ostfriesland, das ist unsere Heimat. Da kennt man Wald und Steg, See und Bruch, Herr Marschall.“
„Ach so.“ Das klang zerstreut. „Junker, geht, holt mir Kniprode her und sagt ihm, dass die Geleitsleute von Insterburg den Wegeplan geschickt haben. Wir wollen ihn besprechen.“
„Das erste Nachtlager“, hieß es in dem Wegebericht, „zu Walkusyn an den Verhauen, das ist eine Meile von Insterburg. Für die zweite Nacht bis zur Baite an der Pissa, das sind vier Meilen... Auch sollte ich Eure Ehrbarkeit, wir Ihr mir geschrieben habt, wissen lassen, ob die Wege gut sind oder nicht; so wisset, dass man auf der Heide an drei Stellen Brücken bauen muss. Die eine Stelle ist wohl zwei Seile breit, die beiden anderen ungefähr eines. Zwischen der Heide und der Szeszuppa ist ein Wald, der heißt der Kempe, den muss man räumen, es sind überall Büsche; zwischen der Rawsze und Wyzaidy ist auch ein kleines Bruch, das ist kaum ein halbes Seil breit, das muss man auch überbrücken. Auch wisse Eure Weisheit, lieber Herr Marschall, dass der Geleitsmann Darguse auf dem Wege, den er gegangen ist, sich kein großes Heer zu führen getraut aus Mangel an Wasser und Gras und weil soviel kleine Wälder da sind, nur ein kleines Stück Heer von zwei- oder dreihundert Mann könnte da wohl ziehen. Gegeben zu Insterburg am Tag St. Urbanus. Pfleger zu Insterburg“.
Nachdem die Meister und etliche Komture den Wegebericht eingehend studiert hatten, wurde Rat gehalten.
Der Hochmeister fuhr mit seinen kräftigen Händen mehrmals über den kahlen Schädel, so wie es seine Art war, wenn er überlegte. Er schien unzufrieden.
„Nun gut, der Wegebericht scheint… leidlich“, sagte er schließlich. „Der Feldzug muss vor Wintereinbruch erfolgreich abgeschlossen werden. Das erfordert darum eine in alle Einzelheiten gehende Planung. Das geordnete Anrücken der Truppen, das Aufschlagen der Nachtlager, der Übergang über den Memel, der Angriff auf Kawen selbst. Bis ins kleinste Glied muss die Vorgehensweise durchdacht sein: Wer, wann, wo, wie, warum... Später wird ohnehin vieles den örtlichen Gegebenheiten geopfert werden müssen.“
Der Marschall fuhr mit dem Zeigefinger über die ausgebreitete Landkarte: „Gut. Die täglich zurückzulegenden Strecken bis zum Aufschlagen der Nachtlager betragen zwischen eine und sechs Meilen. Sie müssen genau eingehalten werden. Wir dürfen nicht in Verzug geraten. Wie der Geleitsmann Darguse sagt, haben andernfalls die Pferde womöglich kein Gras oder Wasser.“
„Hm, die Schwierigkeit stellt jene Strecke, wo angeblich nur dreihundert Mann durchkönnen“, warf der Hochmeister ein.
„Man wird diesen Engpass nicht umgehen können. Wie dem auch sei, dem ausgekundschafteten Weg muss strikt gefolgt werden, nicht nur, um Ausfälle zu vermeiden, die durch Verirren, Ertrinken oder andere Widrigkeiten, geschehen können.“ Gottfried von Linden reckte seine hohe Gestalt und schaute fragend auf die anderen Gebietiger. „Vorschläge?“
Widzelt lehnte sich gespannt vor.
Der Komtur von Ragnit verzog seinen Mund zu verzerrtem Lächeln: „Wir werden vorangehen, wie immer. Dann wird man sehen, ob Darguse nicht übertrieben hat.“
„Ich denke, diese Schwierigkeit ist auszuräumen, wenn wir genügend Hafersäcke mitnehmen“, bemerkte der Tressler.
„Hafer ist gut, aber Wasser... Wo kriegen wir Wasser her?“, überlegte der Zeugmeister laut.
Winrich von Kniprode erhob sich langsam: „Wie viel Meilen sind es?“
„Das steht da nicht“, brummte der Trapier ärgerlich und kratzte sich den dichten Haarkranz.
„Nun gut, wo Bruchland ist, da ist auch reichlich Wasser. Ob genießbar, wird man sehen. Darguse wird wissen, wann die Durststrecke kommt. Jeder wird für sein Tier zwei oder drei Wasserschläuche füllen, oder auch mehr, wenn es sein muss. Es können auch Wasserfässer transportiert werden.“
„Die Österreicher müssen sich von ihren Weinvorräten trennen und stattdessen Wasser fassen“, grinste der Tressler schadenfroh.
Winrich zog die linke Braue hoch, verzog sparsam die gespaltene Oberlippe. „Und du mein junger Freund? Junker von Brookmerland? Hast du nichts beizutragen?“, wandte er sich an Widzelt.
„Man könnte Brunnen graben. Ich kann mit der Wünschelrute gehen. Dann finden wir Wasseradern.“
„Wünschelrute... Ist das nicht Teufelswerk?“ Das war der Schnitzmeister Markward von der Marienburg, ein grobschlächtiger Kerl mit Pranken wie Widzelt sie noch nicht gesehen hatte.
„Unsinn!“, wischte Gottfried von Linden den Einwurf weg. „Wenn es notwendig wird, müssen wir Brunnen graben. Es erleichtert die Arbeit ungemein, wenn jemand Wasseradern finden kann. Besser Teufelswerk als verdursten! Ha, ha, ha!“
Der Hochmeister legte Widzelt anerkennend die Hand auf die Schulter. Widzelt fühlte sich ermutigt: „Gestattet mir die Frage, ob an Moorschuhe für die Pferde gedacht ist.“
„Moorschuhe?“, fragte der Hochmeister mit Blick auf Gottfried von Linden und Widzelt hatte den Eindruck, als ob der Obermarschall nicht daran gedacht hatte als dieser stumm nickte.
„Wie steht es mit todbringenden wilden Tieren wie Bären, Wölfen, Giftschlangen...?“, fragte der Tressler rundum.
„Ah ja, die gibt es auch, aber die verkriechen und verstecken sich zumeist, wenn wir durch die Wildnis trampeln. Und wenn wir einen fetten Bären treffen, können wir einen köstlichen Bärenschinken auf der Tafel genießen.“ Gottfried von Linden lachte schallend und hieb mit der Faust auf die Landkarte. „Ich werde ihnen gebieten, dass jeder für drei Wochen Vorräte einzukaufen hat. Einen Teil davon können sie auf Lasttieren mitnehmen. Den anderen Teil werden wir auf Schiffe verladen und den Memel hochschiffen bis zum Sammelplatz. Was meinst du, Tressler, wie viele Schiffe werden wir brauchen?“
Der Tressler, ein kümmerwüchsiges Männlein, kratzte sich die Glatze, ehe er antwortete. Seine Fingernägel hinterließen tiefrote Streifen. „Ich habe es schon durchgerechnet. Wir werden eine ganze Flotte benötigen.“
„Ja und? Wie viele?“
„Sechshundert mindestens... Kommt drauf an, wie viel Lastraum sie bieten.“
„Sechshundert Schiffe! Das wird Schwierigkeiten geben. 30.000 Menschen übersetzen, dazu den ganzen Tross. Der Himmel sei mir gnädig.“ Der Marschall schlug bittend die Augen gen Himmel.
„Der wird dir nicht helfen, wenn du es nicht selbst tust“, griente Winrich. „An die Arbeit! Sie zahlen uns nicht fürs Zuschauen. Gott sei mit Euch.“
„Auch mit dir.“
Widzelt fieberte von nun an voller Ungeduld dem Abmarsch entgegen. Nie in seinem jungen Leben hatte er so erhitzt von Spannung und Unruhe einem Ereignis entgegengesehen. Welch große Auszeichnung! Er durfte dem Hochmeister dienen. Also in den Sattel!