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Kapitel 20 - Die Expedition zum Memel

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Das bisweilen üppig bewaldete Gebiet war durchsetzt von lang gestreckten Sümpfen und unzähligen Wasserläufen, die überbrückt werden mussten. Hierfür brauchte man Holz, das aber zuerst einmal geschlagen werden musste. So entstand mancher Knüppeldamm, der die Sumpfgebiete überspannte. Begleitet von frivolem Gesang und schlüpfrigen Geschichten, ging die Arbeit munter voran, obgleich manchmal nur eine Wegmeile am Tage geschafft wurde.

Ehe man das Feldlager aufschlagen konnte, waren häufig Rodungsarbeiten notwendig und Widzelt überlegte, ob wohl des Hochmeisters Name daher rühre, weil er Sumpfgelände roden ließ. Wie auch immer, das Unterholz musste geräumt werden, um vor Überfällen gesichert zu sein. Gräben mussten gezogen und gewisse Örtchen eingerichtet werden. Das starke Baumholz wurde zum Bau von Verhauen verwendet. Nach Abzug des Heeres überließ man die Verhaue häufig den Flammen. Für Brücken und schließlich auch für Angriffsmaschinen wurde manchmal das Holz mitgenommen oder aber konnte vor Ort geschlagen werden. Ob das eine oder andere geschehen musste, entschieden die Begleitmänner von der Insterburg.

Jäger hatten für den täglichen Fleischtopf zu sorgen. Wild gab es genug: Schwarzwild, Hirsch und Reh, Elch und Bär, Niederwild in Massen, und doch, keine leichte Aufgabe, das scheue Wild zu erlegen, wenn ein Heer von Söldnern und Rittern durch die Wildnis lärmt. Immerhin musste ein Heer von dreißigtausend Mann mit Nahrung versorgt werden.

Einmal gelang es den Jägern, eine ganze Herde Wisente einzukreisen und zu erlegen. Mehr als 500 Zentner Fleisch pro Tier brachte das! Welch ein Schmaus! Die unbrauchbaren Kadaverreste blieben auf dem Feld zurück. Kolkraben und allerlei andere Tiere taten sich daran gütlich. Aber das Glück, Bären, Rotwild oder Elch zu erlegen, lachte nicht so häufig. Leichter gelang es, der Wasservögel habhaft zu werden, die in großer Zahl in Sümpfen und Wasserläufen anzutreffen waren. Jegliche Art von Vögeln bereicherte das Nahrungsangebot. Ob Enten, Reiher, Schnepfen, Störche, Schwäne oder auch all die kleinen Waldsänger, die man leicht mit Leimruten und Netzen fangen konnte, sie alle bereicherten das tägliche Einerlei aus mancherlei Waldbeeren, Pilzen und hartem Brot, Hirsebrei und Hülsenfrüchten und waren willkommener Schmaus für das Gros der Männer. Die Fürsten und hohen Herren hatten freilich ihre eigene Furage dabei.

Kranke, ob Mensch oder Tier, mussten ebenfalls versorgt werden. Simple Fußkranke genauso wie ernsthafter erkrankte Heerfahrer und lahme Zugtiere oder Pferde. Tee aus Ringelblumen wurde gegen Verdauungsbeschwerden gereicht, leichte Verletzungen mit einer Salbe aus Schmalz und Ringelblumen bestrichen. Aber die feuchte Luft ließ alle Wunden schlecht verheilen, so dass sie sich nicht selten zu schwärenden Eitergeschwüren entwickelten. Dazu die drückende Tageshitze, die manch wackerem Kerl schwer zu schaffen machte.

Nach wie vor wurden die Gebetsstunden der Ordensangehörigen eingehalten. Vereinzelt fand auch die feierliche Bestattung eines in der Wildnis tödlich Verunglückten statt. Bei den großen Wegstrecken, gepaart mit sommerlichen Temperaturen, war es ausgeschlossen, die Toten zum nächsten Gottesacker zu schaffen.

Irgendwann ertrank sogar ein ganzer Stoßtrupp von 80 Mann im Sumpf. Die Menschen im Moor, hinabgedrückt von Helm und Harnisch, wie sie um Hilfe schrien! Schrecklich! Die Ertrinkenden versuchten, sich aus dem Sog des Moores zu befreien, aber das blubberte und gluckste nur lüstern, als könne es nicht erwarten, die Menschen zu verschlingen. Hilfe nahte und war dennoch meilenweit entfernt für die Verunglückten.

Wem es gelang, Hände und Arme aus der Schwärze des Morastes zu befreien, der musste zuerst den schweren Helm loswerden, was wegen der Halteriemen nicht einfach war. Glücklich drum, wer keinen Helm trug, denn das erhöhte die Aussicht auf Rettung als Ritter und Knechte endlich an dem weitläufigen Sumpfgelände anlangten.

Die herbeigeeilten Gefährten strebten zwar danach, geschwind Hilfe zu leisten, aber das gestaltete sich arg schwierig, wollten sie nicht selbst in den Sumpf geraten und feststecken. Mit äußerster Vorsicht mussten sie sich Schritt für Schritt vorarbeiten, bis dorthin, wo der Boden schwankend wurde und keinen Schritt zu weit.

Zu jener Zeit standen jedoch die meisten verunglückten Männern schon so tief im Morast, dass ihnen kaum mehr zu helfen war, und sie sanken vor den Augen ihrer Gefährten tiefer und tiefer... Wem von den Unglückseligen es in der Zwischenzeit tatsächlich gelungen war, den eisernen Helm ins Moor zu werfen, der suchte nun verzweifelt einen Ast, einen Baumstumpf, eine Stütze zu erreichen.

Eilends verknüpfte man Seile, Zügel und Lederriemen miteinander, die man an Pfeilen befestigte und zu ihnen hinüber schoss. Das rettete noch eine Handvoll Leute, während jedoch zugeworfenen Stricke meistens unerreichbar für die erschöpften Männer blieben. Zu schwer, sich gegen den saugenden Morast zu stemmen.

Sturmleitern hätten sich als überaus nützlich erwiesen und vielleicht noch das eine oder andere Leben retten können, aber die Fuhrwerke mit den Angriffsgeräten hingen zu weit zurück, als dass sie noch rechtzeitig hätten eintreffen können.

Furchtbar waren sie anzusehen, die schlammverschmierten Fratzen, die aufgerissenen Münder der Todgeweihten, die noch einmal nach Luft schnappten, ehe sie ertranken; geradezu gespenstisch, die aufsteigenden, gluckernden Blasen der letzten Lebenszeichen... Schaurig, die verzweifelten Männer im Sumpf, wie sie sich gar gegenseitig in Todesangst ertränkten, nicht absichtlich, aber in großer Not, weil sie sich retten wollten und zu Knäueln aneinander festklammerten. Grausig war es anzusehen, wie der Sumpf sie langsam verschluckte, ohne wirklich helfen zu können. Ein Anblick, der sich tief in die Seelen der Helfer einbrannte. Manch einer erzählte später noch öfter davon, und ihm, dem erfahrenem Kämpfer, der schon so grauenhafte Dinge in seinem Leben erlebt hatte, kamen die Tränen in Anbetracht seiner eigenen Machtlosigkeit, die es ihm versagt hatte, die Kameraden aus dem Sumpf zu retten.

Der Sumpf aber wurde somit selber zum „Gottesacker“. Am Rande des Sumpfes aber ließ der Ordensmarschall ein weithin sichtbares Kreuz aufstellen und Winrich von Kniprode spendete anderntags den Ertrunkenen in einer feierlichen Messe seinen großmeisterlichen Segen.

So sehr Widzelt den Tag herbeigesehnt hatte, endlich auf Kreuzfahrt gehen zu dürfen, so sehr verfluchte er jede Stunde, in der er sich in sommerlicher Hitze durch Morast und Dickicht quälen musste, geplagt von surrenden Schwärmen von Mücken, von Myriaden Wespen, Bienen, Hornissen, Bremsen und anderem Ungeziefer.

Vor ihm glitzerte in der Mittagsglut das schmale Band der Szeszuppa, einem Fluss von etwa einer Speerlänge Tiefe, wie der Geleitsmann Darguse bekundete. Aber Widzelt glaubte eher, dass es überwiegend Morast war, mit dem man sich herumschlagen musste, denn der Fluss schlängelte sich in bräunlich-grünen Mäandern durch die Wiesen. In seinem dunklen Wasser spiegelten sich die Schilfränder. Die Szeszuppa führte viel braunen Schlamm mit sich und das dunkle Moorwasser ließ keinen Grund erkennen.

Widzelt erinnerte sich bei diesem Anblick, wie er als Bub eines schönen Sonntags beinahe in einem Graben ertrunken wäre. Blank und dunkel und harmlos sah das Wasser aus, so wie dieser Fluss hier. Und die Wolken am Himmel spiegelten sich darin. Ihm ward verboten, am Graben zu spielen, denn bisweilen strecke Beelzebub seine schwarze Hand aus dem Wasser und zöge Kinder hinunter in den Schlamm, so hieß es. Dort behielt er sie und nie wieder durften sie Sonne, Blumen und Vögel sehen. Tief unten in seinem schwarzen nassen Reich behielt der Böse die Kinder! Er aber spielte trotz des Verbotes am Grabenufer. Es war so schön, mit dem Weidenstecken ins Wasser zu platschen. Und da schwammen die kleinen Entenkinder, die konnte man fast erreichen mit dem Stecken. Und er beugte sich vor, noch ein Stückchen, noch ein wenig, aber die Entlein schwammen rückwärts. Nun, dachte er, dann könnte ich doch Fischlein stechen, und er schnitzte sich einen Dreizack. Damit war er sehr lange beschäftigt. Nun musste das Gerät ja auch ausprobiert werden. Die Grabenböschung war sehr steil und er kroch auf allen Vieren hinunter, um ans Wasser zu gelangen. Teufel, da rutschte ihm der schöne Dreizack weg. Den aber brauchte er ja nun, und er hatte ja auch viel Arbeit gemacht. Er beugte sich vor, konnte ihn schon mit den Fingerspitzen erreichen und… plumps war Widzelt ins Wasser gefallen. Blubb, blubb machte es und er war weg… und dann fühlte er, wie ihn jemand am Hemd packte… Da stand er dann, triefend und schwarz wie das Moorwasser. Sein Retter, der alte Wagenknecht, lachte so lauthals, dass alles Gesinde zusammenlief und ebenfalls über ihn lachte. Nie zuvor hatte Widzelt sich so geschämt. Das war die größte Strafe für ihn gewesen, um vieles schlimmer als der nachfolgende Stubenarrest…

Vier Brücken wurden nun über den Fluss geschlagen. Kaum fertiggestellt, drängten sich derartige Menschenmassen auf den verhältnismäßig schmalen Überbrückungen, dass Widzelt glaubte, sie müssten jeden Augenblick zusammenbrechen und in die Fluten stürzen. Die Pferde am Ufer wieherten erschreckt, und mancher Reiter hatte Mühe, sein Tier am Steigen zu hindern. Hätte Widzelt die Wahl gehabt, er wäre hinüber geschwommen, aber die hatte er nicht, denn eingekeilt zwischen anderen Reitern, presste und schob man ihn vorwärts. Wie gut, dass er Beinschienen trug, sonst hätte man ihm vielleicht die Beine abgequetscht.

Keine drei Schritte von Widzelt entfernt stürzte ein Gepanzerter von seinem in Panik geratenen Ross in die Fluten und ertrank, weil ihm wegen des erbarmungslosen Gedränges niemand helfen konnte und er selbst aus eigener Kraft dazu nicht in der Lage war.

Überall nur Gebrüll und Geschrei, Flüche und Schmähungen, Gezeter und Gekeife...

Das Heer war voller Ungeduld, wollte endlich an den Feind kommen.

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