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Kapitel 18 - Widzelt in Königsberg

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Oft vertrieb Widzelt sich die Zeit, indem er sich die Stadt anschaute. Er spazierte mit Heinrich Sasse, seinem Begleitbruder, vor den Toren der Stadt durch die schön gepflegten Obst- und Gemüsegärten. Kohl und anderes Gemüse stand in geraden Reihen, sorgfältig von Unkraut befreit. Auch Hopfen war angebaut und die Obstbäume und Beerensträucher standen in voller Blüte. Wie von dicken Schneepolstern bedeckt, blühten die gut beschnittenen Kirschbäume.

„Jedes Bürgerhaus ist mit solch einem Nutzgarten ausgestattet“, erfuhr Widzelt. „Die Bürger versorgen sich hauptsächlich selbst aus den Gärten. Die Stadtgärten selbst gehören dem Orden. Hinzu kommt natürlich für jeden der Besitz von Vieh - Schweinen, Schafen, Pferden, Kühen, Ziegen, Geflügel. Das Amt der Hirten wird von den Bürgern bezahlt. Es geht reihum durch die Familien. Getreide- und Heuernten werden gemeinsam eingebracht, wie auch der Holzeinschlag gemeinschaftlich bewältigt wird. So fühlen sich alle als Teil unseres großen Schicksals und die Arbeit wird allen wichtiger als das Spiel“, erklärte Heinrich Sasse sehr freundlich aus eigenem Antrieb. Er war es wohl gewöhnt, Fremde herumzuführen und Widzelt stimmte ihm zu. Das sei in Friesland nicht anders, mag doch keiner hinter den andern zurückbleiben und keiner wolle sich vorwerfen lassen, zu schlecht zu arbeiten oder gar faul zu sein, koste es auch Schmerzen und Tränen.

Der Tag war trotz des leichten Windhauches von See her drückend heiß. Nichts war so schön wie die Kühlung, die ein plötzlicher Windzug brachte oder die dunkle Wolke, die sich wie eine schützende Hand vor die Sonne schob. Heinrich bekundete, dass er durstig sei und eine kurze Rast ihnen beiden Kraft und neuen Mut geben werde. Das bot sich vorzüglich am Brunnen beim Backhaus an. Der kühle Trunk, das Gefühl des prickelnden Wassers an den Lippen und im Mund – ach, das war herrlich. Sie ruhten aus unter der alten Kastanie am Weg und das Gespräch flog fröhlich hin und her. Aus dem gemeinschaftlichen Backhaus stiegen weiße Wasserwölkchen auf. „Da wird Steinofenbrot gebacken“, erklärte Sasse eifrig. „Sie heizen den Ofen drei Stunden vorher kräftig mit Holz an und wenn die Steine drinnen heiß genug sind, werden sie mit Wasser benetzt. Daher die Dampfwolken. Dann kommen die Teigbatzen hinein. Freue dich, heute Abend gibt es für uns frisch gebackenes Steinofenbrot auf dem Schloss!“

Weil man ein Gewitter fürchten musste, ging es nun heimwärts in die Stadt. Zurückgekehrt, ließen Widzelt und Heinrich sich erst einmal das gute Königsberger Bier schmecken.

Das Bier sei gut und sehr preiswert, meinte Widzelt anerkennend: „Aber - gibt es nur dieses? Unser Bier in Ostfriesland ist viel kräftiger und bitterer.“

„Ja, hier gibt es nur dieses Bier zu kaufen. Jeder Berechtigte darf es in seinem Hause brauen.“

„Und warum gibt es dann kein anderes?“

„So schmeckt es dir nicht?“

„Doch, ich wundere mich nur.“

„Ich kann dir das erklären. Die Biereinfuhr ist beschränkt auf den Eigenverbrauch, damit hier kein schädlicher Wettbewerb auftritt“, erklärte Heinrich und nahm einen tiefen Schluck, ehe er fortfuhr: „Die Berechtigung zum Bier brauen haftet am Grundstück und wird mit diesem als Recht verkauft oder vererbt. Das ist unabhängig vom Beruf des Besitzers.“

„Wie das? Trinken denn die Brauberechtigten so viel Bier?“

„Nein, Abnehmer sind Schenken, Junker- und Gemeingärten und all die Bürger, die nicht brauberechtigt sind. Was den Preis anbetrifft, so wachen die Ratsherren darüber. Braupfannen, Güte und Preis des Bieres werden von den Ratsherren streng überprüft. Im vergangenen Jahr hat sich ein Braumeister aus dem Bayernland hier niedergelassen. Aber das Bier ist noch dünner.“

„Können wir heute noch einmal zum Hafen hinuntergehen? Ich möchte mich gern dort umschauen“, fragte Widzelt den ’Graumantel’.

„Ihr werdet noch lange hier verweilen, Junker. Der Feste und Völlerei ist noch lange kein Ende. Ich schlage vor, wir gehen vorerst zurück zum Ordenshaus. Kompri?“

Ja, er hatte es verstanden. Es war gut so, denn kaum im Ordenshaus angelangt, ging ein leichtes Sommergewitter hernieder. Aber es hinterließ nur wenig Feuchtigkeit und zog recht flüchtig über das Land hinweg zur See hinaus. Das bisschen Nässe verdampfte rasch in Sonne und Wind und im Nu waren die Wege wieder abgetrocknet.

Anderntags holte Widzelt seinen Gang hinunter zu den Aschhöfen nach. Dort wurde die Pottasche für die Seifenproduktion hergestellt.

Einen großen Bogen schlug Widzelt um den Schlachthof, denn der Geruch nach Blut und Abfällen schlug ihm auf den Magen.

Auch die Gerberhöfe am Katzbach umging Widzelt, denn da stank es noch grauenhafter. Stattdessen genoss er lieber den wundervollen Rossgarten mit den alten Baumgruppen, wo die Kastanien mit duftenden weißen und roten Kerzen in voller Blüte standen. Dort war die Luft erfüllt vom Zwitschern unzähliger Singvögel. Der Weißdorn prunkte in herrlichen Kaskaden und auch die vielen Spireenhecken leuchten rosarot und weiß. Über dem riesigen Areal lag berauschend schwerer Blumenduft und die Linden summten und brummten von Bienenschwärmen. Die Tierchen kümmerten sich aber weder um Mensch noch um Tier, sondern sammelten fleißig den Nektar. Das versprach gute Honigerträge.

Die prächtige Pferdezucht erwärmte Widzelt das Herz. Begeistert schaute er zu, wie die edlen Rosse über die Koppeln jagten. Pferdeknechte sonderten jene Tiere aus, die auf den Heereszug mitgenommen werden sollten und brachten sie zu den Marställen. Dort wurden sie noch einmal in die Hände erfahrener Bereiter gegeben, damit die Pferde - gut gerüstet mit sorgfältiger Ausbildung - auf den Heereszug mitgenommen werden konnten.

Die Arbeit an der Hand nahm offenbar großen Raum in der Ausbildung der Tiere ein. In mehreren Koppeln wurden Pferde an der Hand geführt, vor der Ecke pariert, leicht mit langer Gerte auf Rücken, Bauchseite und Hinterschenkel ’betupft', während ein Knecht den Kopf streichelte und Futter reichte. Das sollte die Tiere an die Berührung gewöhnen, ohne dass sie zusammenschreckten.

An der anderen Seite des Rosshofes übten Bereiter und Abrichter die schwierigen Sprünge auf der Hinterhand wie Kapriole, Kruppade und Ballotade, das Auskeilen und Steigen, Treten auf der Stelle, Trab, Galopp und Schritt, Passagen und Übergänge wurden geschult. Alles überlebenswichtige Fertigkeiten im harten Heeresbetrieb. Auf gerader Linie gab es einen Tanz von Reiter und Pferd mit einem Dutzend Einerwechseln, dann fliegende Wechsel. Gefällig und harmonisch, fast wie eine tänzerische Darbietung, erschienen die Königslektionen dem fernen Beobachter. Die Ausbilder sahen das wohl eher pragmatisch, denn bei den jungen Pferden gab es deutliche Unpässlichkeiten und einige Patzer. Das Pferd musste gut durchgesprungen sein, daran mangelte es zuweilen und es kam häufig zu kleinen Unsicherheiten. Ein Apfelschimmel mit Bereiter fiel Widzelt besonders auf. Sehr aufschlussreich das Paar, obwohl im starken Trab mit kleinen Schwächen behaftet, im starken Schritt jedoch zeigte das Ross einen taktreinen, in der Länge gut ausgestatteten Schritt. Der Drehschwung: Mit sieben leichtfüßigen Galoppsprüngen drehte sich das Pferd im kleinen Kreis. Das war Eleganz pur, göttlich! Die Ausstrahlungskraft von Pferd und Reiter beeindruckten Widzelt. Majestätisch erhaben wirkte die Passage, im Schwebemoment stark akzentuiert, die Übergänge butterweich.

Wenn ich das doch auch nur so schön könnte, sinnierte Widzelt fasziniert. Das Traversieren ist mit das Schwerste der Welt. Aus der Schulter heraus in den größten Grad der Versammlung zurückkehren, das muss gekonnt sein. Der Reiter mit unsichtbaren Hilfen, der Zügel weich geführt, feinfühlig auf dem Rücken des Rosses, das so selbstverständlich an den Hilfen steht! Phantastisch.

Traversale: Der bildschöne Schimmel-Hengst schaute in die Richtung, in die er sich vorwärts und gleichzeitig seitwärts bewegte, er schnaufte ab, fiel höchst konzentriert mit gespitzten Ohren in einen glanzvollen Schritt. Man sah es deutlich, das Ross genoss es, zu Schreiten und wie es dabei deutlich mit dem Hinterhuf über den Abdruck des Vorderhufes schritt.

Es folgten abermals ausgreifende, sehr ausdrucksstarke Galopptraversalen, perfekt auf gerader Linie. Galoppwechsel frei aus der Schulter, glanzvoll gemacht, wie an der Schnur gezogen.

Widzelt war rein begeistert, wie gleichmäßig die fliegenden Wechsel zu zwei Sprüngen geschahen. Dem zuzusehen, war Widzelt Genuss und Freude zugleich.

Widzelt selbst stufte sich durchaus als hervorragenden Reiter ein, der sein Pferd allein mit Schenkeln und Gesäß zu leiten verstand, was im Krieg unerlässlich gefordert wurde. Da die Hände Schwert und Schild führen mussten, konnten die Zügel häufig nicht genutzt werden. Sich aber von solch einem rassigen Pferd tragen zu lassen, das erwartete Widzelt nun bald. In großer Ungeduld eilte er durch den Rossgarten hinauf zu den Ställen, denn unter diesen eleganten Pferden durfte er sich eines aussuchen für seine Kreuzfahrt nach Litauen, so glaubte er zumindest.

Vor den weitläufigen Stallgebäuden wurden Getreidesäcke entladen. Widzelt sah schon von weitem, wie ein Knecht seinen Sack ungeschickt fallen ließ. Da hatte er sogleich eine Ohrfeige geerntet, wohl vom Futtermeister. In den Kräuterbeeten neben den Sandwegen rupften Gartenbuben zwischen den Stauden Unkraut aus, andere mähten den Weideplatz mit Sichel oder Sense, harkten Gras und Heu zusammen. Wahrlich, es herrschte Hochbetrieb im Rossgarten, wo etliche Tagelöhner das Erdreich aufbuddelten, auf kleine Ackerwagen luden und fortkarrten, denn der Komtur hatte angeordnet, einen neuen Graben zu schlagen, solange die Wiese geschoren war, damit das überreichliche Wasser an anderen Stellen gesammelt werde, wo man es dringend benötigte. Was die Wasserwirtschaft anbetraf, darin waren die Ordensritter Meister und nicht nur dort. Der Orden besaß aus allen Ecken des Reiches unzählige hoch befähigte Angehörige der Baukunst ebenso wie auch Seeleute, Handwerker jeglicher Art, Bauern, Kaufleute und andere Gewerke. Die kämpfende Ritterschaft als solche befand sich demgegenüber bei weitem in der Unterzahl.

Frohgemut eilte Widzelt durch den Rossgarten, in Vorfreude darauf, sich eines der Rosse auszusuchen, welches der Hochmeister ihm zugestanden hatte. Aber ehe es dazu kommen konnte, trat ihm in den Marställen empört der Landstallmeister entgegen. Sein hochrotes Gesicht verriet nichts Gutes. Es gelang Widzelt nicht, dessen Schimpftirade mit beschwichtigenden Worten und freundlichen Gesten zu unterbrechen, um sein Anliegen vorzutragen. Verflucht, er musste das Schriftstück des Hochmeisters vorweisen, um in die Stallanlage hineinzukommen, aber das konnte er in der Aufregung nicht so schnell finden, suchte hier, grabbelte dort in seinem Wams. Endlich! Schließlich jedoch führte das Empfehlungsschreiben des Hochmeisters Winrich von Kniprode zum Ziel. Voller Ehrfurcht küsste der Marschall die Signatur auf dem Schriftstück und führte Widzelt anschließend durch die weitläufigen Stallanlagen, wobei Widzelt durchaus Sachkunde und ’Pferdeverstand’ offenbarte. Einigermaßen zuträglich zeigte der Marschall ihm daraufhin die in Frage kommenden Pferde. Schade, dass er jedoch jene Tiere, die Widzelt im Rossgarten bei der Arbeit beobachtet hatte, ausschloss. Ob der junge Herr das nicht gesehen habe, fragte er bissig, das seien alles unfertige Reitpferde und Zuchthengste, die würden fürs Gestüt gebraucht und seien für eine Heerfahrt am allerwenigsten geeignet und drängte seinen Begleiter ungeduldig, sich zu rasch zu entscheiden, denn er habe noch anderes zu tun, als hier mit ihm die Zeit zu vertrödeln.

Schwer genug, bei der exzellenten Auswahl eine rasche Entscheidung zu treffen. Immerhin kam es doch obendrein auf den Charakter des Pferdes an und nicht zuletzt auch auf den Zusammenklang von Ross und Reiter. Sowohl ’Pascha’ als auch ’Calif’ sagten Widzelt ungeheuer zu. Als er sich endlich nach einigem Zögern für den gewaltigen Apfelschimmel ’Calif’ entschieden hatte, war das dem ’Herrn aller Pferde’ anscheinend auch wieder nicht recht. Der wäre schwer zu reiten, bedeutete der Marschall und grinste hinterhältig. Ob Widzelt ihn trotzdem erproben dürfe? Er leuchtete förmlich vor Verlangen nach diesem Ross. Es scheine sehr sprunggewaltig zu sein, meinte er begierig und das Herz klopfte ihm bis zum Halse vor Leidenschaft. - Das könne er ihm ganz und gar nicht anraten, entgegnete der Stallmeister genervt, das Tier sei zwar sprunggewaltig aber ziemlich eigenwillig. Es wäre wohl ein Wunder, wenn der junge Herr dieses Ross zu reiten verstünde.

Widzelt fühlte sich geschmäht: Was soll das denn nun wieder heißen? Meint er, ich sei ein unfähiger Hampelmann? Demzufolge bestand er umso fester darauf, den ’Calif’ erproben zu wollen. Bislang habe er noch jedes Pferd unter seine Herrschaft gezwungen, beschied er stolz. Im Gegenlicht der geöffneten Stalltür erschienen zwei Stallburschen. Der Landstallmeister winkte sie herbei. Eigentlich beabsichtigte er, die Knechte zum Aufzäumen und Satteln herzuzitieren, aber Widzelt verkündete selbstsicher, dass er das wohl genauso gut ohne Hilfe zu tun verstehe. Daraufhin schickte er die Stallburschen mit einer Kopfbewegung wieder weg und überließ Widzelt schweigend den Schimmel, schmunzelte aber irgendwie verächtlich, was der Junker angelegentlich übersah.

In der Tat machte das riesige Ross schon beim Aufzäumen Sperenzchen, schlimmer noch wurde es beim Satteln. Das ließ ’Calif’ sich nur sehr widerstrebend gefallen, hatte wohl einen feinnervigen Bauch. Nachdem das Pferd sich zuvor mehrmals nervös um die eigene Achse gedreht hatte, saß Widzelt schließlich mit Hilfe eines Stallbuben auf. Das war keine gute Vorstellung gewesen, aber endlich konnte es losgehen. Widzelt dankte, griff fest in die Zügel, gab ’Calif’ leicht die Fersen und ab ging es in leichtem Trab hinunter zum Rossgarten. Zu Anfang ging das Ross total brav unter ihm und Widzelt triumphierte innerlich. Dann jedoch kündigte sich der Krähenbusch mit hunderten und aberhunderten von Raben an. Gewaltig erschreckt vom lärmenden Gekrächze der Vögel, stieg und buckelte ’Calif’ so heftig, bis Widzelt in den Staub plumpste. Dann jagte das Pferd, befreit von seinem Reiter, kreuz und quer durch den Rossgarten, unmöglich für Widzelt, es wieder einzufangen.

Der Marschall pfiff vergnügt durch die breite Lücke seiner Schneidezähne als Widzelt den Hof betrat: „Ha! Hat er Euch Staub fressen lassen, der Calif? Er hat's Euch gezeigt! Ha, ha! Ja, das ist des Hochmeisters edles Ross. Kein anderer kann’s reiten“, höhnte der Marschall und lachte barbarisch als Widzelt humpelnd und ohne Pferd zu den Ställen zurückkehrte, wobei er sich vergeblich bemühte, den Schmerz zu unterdrücken.

„Gratia, unsere Unterhaltung beginnt auf einem hohen Stand, Herr.“

„Ja, geradezu schwindelerregend“, lachte der Marschall.

Beschämt entschied Widzelt sich für “Pascha“, einen kräftigen Rappen, prüfte den Beschlag und fragte nervös: „Herr Marschall, habt Ihr Moorschuhe für das Ross?“

Der grinste: „Moorschuhe? Nein. Was wollt Ihr damit?“

„Ich weiß, dass das Gelände, was zu durchqueren ist, von Sümpfen durchzogen ist. Darum brauche ich Moorschuhe für mein Pferd. Wollt Ihr ihm bitte welche anpassen lassen?“

„Hm, was fragt Ihr mich? Wendet Euch an den Schmied.“

Diesem wohlgemeinten Rat folgte Widzelt und fand auf dem Gelände des Rossgartens nach einigem Umherirren den dortigen Schmied. Der war schier begeistert davon, Moorschuhe für Widzelts Pferd herstellen zu dürfen. Diese mussten jedoch korrekt angepasst werden, was Widzelt zwang, den “Pascha“ erst einmal herbeizuholen. Zu dumm aber auch, dass er daran nicht gedacht hatte, denn das wusste er doch von daheim. Nachdem er den Rappen beim Hufschmied eingestellt hatte, durfte er sich wieder auf den Weg zur Stadt machen, denn die Anfertigung würde mindestens zwei Tage in Anspruch nehmen, so beschied ihm der Schmied. Dann könne Widzelt wiederkommen und das Ross daran gewöhnen, sprich, ein bisschen im Sumpf beim Rossgarten üben. Bei dieser, in den Bart gebrabbelten Erklärung, kam Widzelt unübersehbar die Galle hoch, er spieh auf den Boden und stieß drohend die Luft aus, ehe er arrogant die linke Braue hochzog. Und dann fraß sich sein Blick förmlich in das rußige Gesicht seines Gegenübers. Das sagte alles, Worte braucht Widzelt nicht mehr dazu.

Aus langjähriger Erfahrung zuckte der Schmied zurück. Derartige Reaktionen kannte er zur Genüge. Das hieß, der Junker verlangte Gehorsam! Er hatte den Junker als einfachen Ordensknecht eingeschätzt und die konnte man herumschubsen. Dieser da aber wollte offensichtlich entsprechend gewürdigt werden. Solch ein Denkfehler zog oft böse Folgen nach sich. Mit einer untertänigsten Verneigung knickte der Schmied daher ein und klagte eingeschüchtert: „Habt Nachsicht, Herr. Es ist viel zu tun und das Leder muss erst beschafft werden, damit es dauerhaft haltbar ist und nicht reißt oder bricht.“

„Und das dauert?“

„Ich gelobe, Herr, das dauert ein bis zwei Tage“, gab der Hufschmied - nicht ohne den entsprechenden Bückling - botmäßig Auskunft.

„Schmied“, sagte Widzelt so leise, dass der ihn kaum verstand, „Schmied, ich rate dir gut, folge meinem Wunsch. Ich komme morgen Abend wieder und dann ist das Werk vollbracht. Hört Ihr?“

Der Schmied ließ vor Schreck seinen Hammer fallen und nickte heftig Zustimmung: „Gewiss, Herr. Ich verstehe, Herr. Seid gewiss, Herr, es wird geschehen.“

Das bezwang Widzelts Zorn. Unausgesprochene Drohungen wirken oft besser als offene Drohworte, überlegte Widzelt, lächelte verschmitzt und verabschiedete sich sehr ritterlich nach höfischer Gewohnheit.

Zur Vesper war Widzelt endlich wieder zurück in der Altstadt von Königsberg. - Die Gassen in der Umgebung der Ordensburg waren vollgestopft mit Menschen. Ein reges Kommen und Gehen von Ordensbeamten und Heerfahrern aus aller Herren Länder beherrschte die Ordensgebäude.

Paniere mit dem schwarzen Kreuz des Ordens und farbenprächtige Banner schmückten die Fassaden der Ordenshäuser, die in großer Anzahl die Burg 'Königsberg' umsäumten und wiesen den Fremden den Weg zu den für sie zuständigen Meldeämtern.

Widzelt war schon eingetragen, und so drängelte er sich in das Ordenshaus für die Italiener. Vielleicht, dass er dort ein bekanntes Gesicht sah aus der römischen Kolonie oder aus Neapel?

Aus dem Stimmengewirr erklangen immer wieder die Worte prego und scusi, pronto und basta heraus.

Der schwitzende Ordensbeamte warf einen Blick über die Köpfe einiger herausgeputzter Gecken, die ihn offenbar heftig plagten, indem sie alle auf einmal auf ihn einredeten, und sagte: „Das Meldeamt für Deutsche ist zwei Häuser weiter.“

„Danke“, nickte Widzelt höflich, „ich wollte nur schauen, ob ich hier ein paar alte Freunde aus Neapel treffe.“

„Freunde? Aus Neapel?“

„Gewiss doch, Herr. Ich habe meine Jugend in Italien verbracht.“

„Ha! Darauf habe ich gewartet!“, freute sich der Beamte und sprang so stürmisch hinter seinem Pult hervor, dass er mit der Stiefelspitze den Köcher mit den Pergamentrollen umriss. „Ihr kommt mir wie gerufen! Ich bin Hans von Winterfeld, Ordensbeamter“, stellte er sich vor. „Und Ihr, mit wem habe ich die Ehre? Ich sehe den Reichsadler auf Eurem Wams.“

Nicht ohne Stolz strich Widzelt über den brook'schen Adler auf seiner Brust: „Widzelt tom Brook, Junker von Brookmerland.“

„Brookmerland?“

„An der Westersee liegt das, Grafschaft Holland.“ Widzelt nannte die größten nächstliegenden Städte. „Zwischen den Hansestädten Groningen und Bremen.“

„Ah so, bekannte Hansestädte... Der Orden hat Handelsbeziehungen dorthin und nach Hamborg und Lübeck, selbstverständlich... Junker Widzelt, wenn es Eure Zeit erlaubt, so darf ich um Euren Beistand ersuchen?“

„Gern, Herr, wenn ich helfen kann, ...“ Widzelt bückte sich, die Pergamentrollen aufzusammeln.

„Nein, nein, das nicht. Das meine ich nicht. Ein Deutscher aus Italien! Ihr beherrscht sicher glänzend die Landessprache, ihr könnt mir helfen. Könnt Ihr Schreiben?“

„Sehe ich aus wie ein Dummkopf? Freilich kann ich das!“

Hans von Winterfeld überschlug sich schier vor Begeisterung. „Dann ernenne ich Euch zu meinem Amtsgehilfen, Junker.“

„Könnt Ihr das denn?“

„Würde ich es sonst tun?“

Es fiel Winterfeld nicht schwer, Widzelt zu gewinnen und in Windeseile wurde ein zweites Schreibpult herbeigeschafft, Tintenfass, Federn, Streusand und Pergament.

Die Listen füllten sich. Bis zum Neun-Uhr-Läuten glitten Hunderte von braungebrannten Gesichtern an Widzelt vorüber, ohne dass er auch nur einen Bekannten wiedergesehen hätte. Indes, bekannte Namen aus den edelsten italienischen Häusern waren darunter, die sich für den Heerzug meldeten.

Als Dank für seine Hilfe lud Hans von Winterfeld den Junker zum ’Vogelschießen' ein.

„Morgen ist Feiertag, Junker Widzelt! Morgen ist Schützenfest. Seid mir herzlich willkommen und erlaubt, dass ich Euch begleite. Der festliche Umzug der Schützen beginnt nach der Prim, um 7 Uhr. Wo habt Ihr Quartier genommen, dass ich Euch abholen lassen kann?“ Das abgezehrte Gesicht des Ordensbeamten strahlte.

„Hm, es ist unnötig, mich abholen zu lassen. Ich bin in der Ordensburg untergebracht. Einer der Brüder wird mich begleiten.“

„Auf der Ordensburg! Nobel! Dacht‘ ich mir‘s doch. Ihr seid eine gewichtige Person, ja? Das ist gut, Junker. Das ist sehr gut!“

Widzelt fühlte sich geschmeichelt und half dem Ordensbeamten, die Fensterläden zu schließen. Nachdem Hans von Winterfeld endlich auch die schweren Eichentüren sorgfältig verriegelt hatte, schlenderten sie gemeinsam zum Markt hinunter, um sich nach des Tages Mühen ein kühles Bier zu genehmigen. Auf dem Weg dorthin streifte Hans flüchtig die Gründungsgeschichte der Burg. Der Deutschritterorden habe hier am Pregel anno 1255 eine Burg namens “Conigsberg“ gegründet, und zwar zu Ehren des prominentesten Heerführers des Ordens, des Königs Ottokar II. Přemysl von Böhmen. Freilich wusste Widzelt das bereits, aber er bekundete höflich Beifall.

Alle Schenken waren überfüllt von grölenden, krakeelenden Jungkerls, die mit ihren phantastischen Kriegstaten prahlten. Kühn waren sie, das schien gewiss, und sie wollten sich ’Goldene Sporen’ verdienen!

Stickige, heiße Luft, geschwängert von Bierdunst, schlug ihnen entgegen. Hans von Winterfeld und Widzelt hatten Glück, dass einige übermäßig trunkene Gäste gerade hinausgeworfen wurden. So konnten sie sich neben eine Handvoll Österreicher auf die einzige Bank quetschen.

„Das Ausschießen des Königs ist bei uns ein Volksfest. Es findet vor den Toren von Königsberg statt“, sagte Hans. „Das Fest geht zurück auf den Mairitt, das ist ein Frühlingsfest, bei dem die Männer am 1. Mai zur Musterung bewaffnet vor die Stadt ziehen. Das ist heute noch so, aber hinzugekommen ist eben das Schützenfest. Die Vogelschießen finden jährlich in der Pfingstzeit statt. Ihr seht, die Schützengilde ist hier wie andernorts aus der Waffenpflicht entstanden.“

Widzelt nickte beifällig und leerte seinen Becher: „Sehr aufschlussreich, Hans. Aber erlaubt, dass ich mich zurückziehe. Es ist so beengend hier. Der Tag war lang und ich fühle, eine bleierne Müdigkeit überkommt mich. Ich denke, der Umzug beginnt am Gildehaus? Wir sehen uns dort“, verabschiedete er sich rasch, denn er sah in dem Gewühle den Heinrich Sasse der sich gerade zur Tür hinaus zwängte. Sicher würde der ’Graumantel’ jetzt zur Ordensburg gehen und er konnte sich ihm anschließen.

Chroniken der tom Brook

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