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Kapitel 5 - Bericht aus Italien
ОглавлениеWidzelt steckte seinen Kopf zur Tür herein: „Der neue Kaplan wünscht, vorgelassen zu werden.“ Das klang verdrossen, und Widzelt zog die Stirn genauso in Falten wie Ocko das in solchen Fällen zu tun pflegte.
„So lass ihn ein“, entgegnete Ocko ruhig und schob Foelke von sich.
Augenrollend gab Widzelt die Tür frei.
Oh, ein alter Mann! Wir hatten mit einem jungen Kaplan gerechnet. Deshalb ist Widzelt so enttäuscht, überlegte Foelke.
Benedikt hieß der neue Geistliche und alt war er nicht, ein Mann in den besten Jahren, aber immer noch nur Kaplan und Ocko fragte sich, warum er nicht aufgestiegen war. Herzlich hieß er ihn willkommen, fragte nach seinem Befinden, ob der Weg beschwerlich gewesen sei, bot ihm dann überaus zuvorkommend Speise und Trank an.
Nein, das müsse er zurückweisen, entgegnete der blassgesichtige Geistliche, er habe ein Fastengelöbnis abgelegt. Jedoch würde ein Krug Brunnenwasser seinen Durst löschen, wenn Ocko denn so freigebig sein wolle.
Ritter Ocko lachte erheitert. Ja, einen Krug Brunnenwasser könne er in diesen schlechten Zeiten gerade noch entbehren.
Bereitwillig griff Benedikt das Wort von den ‚schlechten Zeiten’ auf. Er habe Neuigkeiten aus Italien mitgebracht, berichtete er und ließ sich erschöpft in den Korbsessel fallen.
Ocko forderte ihn freundlich auf, seine Neuigkeiten zur Sprache zu bringen, was Benedikt mit Vergnügen tat.
Bernabo Visconti beanspruche im Gebiet von Verona die Rechte seiner Frau auf Kosten der illegitimen Söhne des Cansignorio della Scala, erzählte der Geistliche.
Das sei wohl nicht ganz unberechtigt, meinte Ocko lapidar dazu.
„Ich hörte, dass sie Visconti 300.000 Florin für die Erbrechte angeboten haben.“
„Sehr vernünftig.“
„...aber Bernabo Visconti will 500.000 von ihnen.“
„Dann wird man sich dazwischen irgendwo einigen. Es ist besser, Geld zu zahlen, als sich in blutige und kostspielige Kriege verwickeln zu lassen“, erklärte Ocko mit Blick auf seine Frau. „Bernabo Visconti ist einer der grausamsten und blutrünstigsten Tyrannen, die es je gegeben hat.“
Dem stimmte Benedikt uneingeschränkt zu und setzte noch die Krone oben drauf: „Der wichtigste Staatszweck, so hat Bernabo Visconti verkündet, ist die Eberjagd des Fürsten.“
„Unser Herr Graf, der Herzog von Bayern, liebt hingegen die Hirschjagd, hörte ich. Die kann drei Stunden und mehr dauern. Da lässt er sich nicht dreinreden“, lachte Foelke vergnügt.
„Nun denn, da braucht auch der Herzog eine große Jagdmeute, nicht wahr?“
„Freilich, fünfzig Hunde oder so“, meint Ocko beschwichtigend. „Das ist ja nicht alle Welt.“
„Ha, das ist bei Bernabo Visconti anders. Das zitternde Volk muss ihm 5.000 Jagdhunde füttern, und das unter der schärfsten Verantwortlichkeit für deren Wohlbefinden.“
Ocko lachte sarkastisch auf: „Wahnsinn! Aber typisch, das Wohlbefinden der Hunde ist ihm wichtiger als das seiner Untersassen!“
„Vielleicht ist er tatsächlich vom Wahnsinn befallen. Wäre nicht verwunderlich bei all den schrecklichen Kriegsereignissen rundum... Wie dem auch sei, wer es wagt, ihm da hineinzugreifen“, fuhr der Geistliche fort, „wer das wagt, der wird martervoll hingerichtet. Ein bestialisches ’Torturmandat’ hat er entwickelt, nach dem die Qual durch 41 Tage allmählich gesteigert wird. Damit der Tod nicht zu früh Erlösung schafft, lässt er sogar Ruhetage einfügen.“
Foelke schlug entsetzt die Hand vor den Mund. Es schien Benedikt Spaß zu machen, immer noch mehr Untaten des Visconti zu verkünden: „Häuptling, Bernabo Visconti hat ein raffiniertes Büttel- und Spitzelsystem geschaffen. Nichts bleibt ihm verborgen.“
„Das ist mir bekannt, das gab es schon damals, als ich noch in Neapel war.“ Ocko wollte ablenken und fragte nach, wie viele Kinder ihm seine Gemahlin, Beatrix della Scala, geboren habe.“ (Anm.: Beatrix, Tochter des Mastino III. von Verona, *um 1330/35-18.6.1384)
Der Geistliche lachte hasserfüllt auf: „So viel man weiß, hat er 15 eheliche und 10 illegitime Kinder gezeugt. Es können aber auch etliche mehr sein.“
Foelke konnte nicht umhin, die arme Frau zu bedauern.
Bernabo Viscontis Töchter seien trotz ihres zweifelhaften Adels heiß begehrt, warf Benedikt spitz ein, denn unermessliche Reichtümer habe der Herr von Mailand angehäuft. Prunkvoll und verschwenderisch halte er Hof.
Foelke schüttelte betroffen den Kopf. „Ja, wer das Volk aussaugt...“
Ocko konnte das nur unterstreichen. Kein Geheimnis, dass Bernabo Visconti hemmungslos, genusssüchtig und machthungrig sei, erläuterte er seiner Frau. „Der Fürst kann wohl die ganze Christenheit auf. Auf der anderen Seite ist Bernabo Visconti aber auch gebildet, stark, tapfer und arbeitsam. Er hält Mailand frei von Straßenraub und hat ein Ohr für die Armen.“
„Ein Ohr für die Armen“, wiederholte Foelke verächtlich. „Findest du das nicht etwas wenig, Ocko? Nur ein Ohr für die Armen?“
„Der Ritter meint, dass er den Armen hilft“, erklärte Benedikt. „Von denen gibt es nämlich recht viele.“
Das wußte sie auch und echote giftig: „Recht viele. Wie das wohl kommt?“
Benedikt ignorierte den scharfen Einwurf: „Aber, alle seine Kinder hat Bernabo Visconti in den höchsten Adel hinein verheiratet.“
In seiner Stimme klang ein Anflug von Neid durch, fand Ocko und hielt rigoros dagegen: „Andererseits hat er seine Tochter Donnina mit dem Condottiere John Hawkwood verheiratet, aber da bin ich gerade abgereist aus Italien.“ (1377)
„So ist es und sicher hat sie ihn nicht freiwillig zur Ehe genommen. Dieser Hochzeit hätte ich nicht beiwohnen wollen. Das arme Kind wird nicht begeistert gewesen sein“, bedauerte Benedikt. „Der Krieg hat Hawkwoods Charakter verdorben.“
„Ist Hawkwood denn so schrecklich?“ fragte Foelke überrascht. Das konnte sie sich gar nicht vorstellen, wo Ocko doch selbst in Italien als Heerführer gedient hatte, und ihn hielt sie keineswegs für einen Barbaren. Das wäre ihr doch wohl aufgefallen... Oder?
„Da fällt einem doch sofort das grauenhafte Blutbad von Faenza ein, welches Hawkwood mit seiner ‚Weißen Kompanie‘ angerichtet hat“, nickte der Geistliche zustimmend.
„Faenza, ist das da, wo die schönen Keramiken herkommen?“ warf Foelke ein.
„Ja, richtig, in Faenza werden die Fayencen hergestellt. Das hat die Stadt einst reich gemacht. Aber davon ist nun nicht mehr viel übrig. - Im Übrigen steht jetzt wieder eine Hochzeit an. Seine Tochter Valentina wird Peter II., König von Lusignan-Zypern, heiraten.“
„Das ist wahrlich ein kluger Schachzug!“, äußerte Ocko bewundernd. „Dann wird er weitläufig mit allen Königshäusern verwandt, auch mit Herzog Otto von Braunschweig. Ich sehe Bernabo schon Frieden aushandeln mit Otto. Ist jemand mächtig genug und grausam dazu, dann fragt keiner mehr danach, ob er seinen Bruder ermordet hat. Alle kuschen vor dem Tyrannen.“
Foelke machte große Augen und fragte noch mal nach.
„Sein Bruder soll schwachsinnig gewesen sein, so sagt man, aber daran ist er nicht gestorben. Ja, Bernabo hat ihn wohl tatsächlich ermorden lassen. So oder ähnlich entledigt man sich in Italien unerwünschter Rivalen“, bemerkte der Geistliche bissig. „Ach, im übrigen... Wißt Ihr schon, Ritter? - Papst Urban VI. unterstützt jetzt Karl von Durazzo, Königin Johannas Neffen.“
Ocko reagierte konsterniert: „Gegen Johanna? Johanna hat Urban zur Papstkrone verholfen!“ „Gewiß, Häuptling. Undank ist der Welt Lohn! Ohne die Hilfe der Königin von Neapel hätte Urban niemals die Tiara erlangt. Sie hat es erst möglich gemacht, indem sie vor 2 Jahren Papst Gregor XI. finanziell und militärisch unterstützt hat, als er von Avignon nach Rom zurückgekehrt ist. Hat Herzog Otto von Braunschweig Papst Gregor nicht damals Geleitschutz gegeben mit seinem Heer? Ihr seid dabei gewesen, nicht wahr? Ich hörte davon.“
„Hm, das hat mich meine Gesundheit gekostet.“ Ocko wies auf seinen Fuß, der ihm große Probleme bereitete. Die Verletzung brach manchmal auf, was höllisch schmerzte. Dann geriet Ocko in Fieber und der Fuß näßte und eiterte ganz fürchterlich. Foelke ging in diesem Augenblick plötzlich auf, warum Papst Gregor ohne weiteres Tragaltar und Plenarablaß bewilligt und überdies Dodo Wilhelmi von Norden zum Pfarrer erhoben hatte. Schon lange rätselte man in brook’schen Landen über Ockos enge Beziehungen zum Papstthron. Nun klärte es sich endlich für Foelke auf.
Die italienischen Verhältnisse waren sehr verwickelt und seit dem Tod von Papst Gregor XI. (27.3.1378) beileibe nicht übersichtlicher geworden.
Inzwischen erzählte der Geistliche mit glatter Zunge von der Wahl des neuen Papstes, wie sie draußen vor dem Lateranpalast mit Spannung das Rauchzeichen erwartet hatten. Er riesige Menschenmenge, Kopf an Kopf, freudig erregt und voller Ergriffenheit.
Das war am 8. April gewesen, elf Tage nach Gregors Tod. Aus dieser Wahl ging der Erzbischof von Bari, Bartolomeo Prignano, als Papst hervor, der sich fortan Urban VI (+1389) nannte. Großer Jubel brandete über den Platz, denn im Volk wurden große Hoffnungen mit ihm verbunden.
Als Königin Johanna von Neapel vom Ausgang der Wahl erfuhr, soll sie vor Freude ihre Kammerjungfer umarmt haben, so erzählte man sich. Die Königin unterstützte Urban VI massiv, war er doch durch seine neapolitanische Herkunft Johannas Untergebener. Das aber wollte Urban ganz schnell abschütteln. Pikant, dass er vordem Johannas Beichtvater gewesen war und so schreckte er vor keiner Verleumdung zurück. Obwohl seine Erhebung zum Papst das Beichtgeheimnis keineswegs aufgehob, verunglimpfte er Königin Johanna als Gattenmörderin. Viele Leute glaubten ihm das unbesehen, weil jeder wußte, dass Urban einst Johannas Beichtater gewesen war. So baute Urbaun flugs eine Partei auf, die gegen die Königin opponierte. In seiner früheren Eigenschaft als Erzbischof von Bari hatte er schon immer mit der ungarischen Linie sympatisiert. Nun tat er sich offen mit Karl von Durazzo, Johannas Neffen und Adooptivsohn zusammen, drohte Johanna brutal, sie zu exkommunizieren und abzusetzen.
Dieses Chaos, das Urban angerichtete, sollte und musste um jeden Preis beseitigt werden, um wieder Ruhe zu schaffen, so sahen es die Kardinäle der katholischen Kirche. Aus diesem Grunde kam es am 20. September zur zweiten Papstwahl, aus der Kardinal Robert von Genf als Sieger hervorging. Auch ihn schien Benedikt nicht gerade zu verehren: „Dieser Gegenpapst residiert nun in Avignon und nennt sich Clemens VII. (+1394), wie ihr wißt. Kennt ihr ihn, Ritter?“
Ocko bejahte das schmunzelnd: „Robert von Genf ist ein mächtiger Kriegsherr!“
„Dieser hinkende Papst - er kommt nicht nur daher wie der Leibhaftige persönlich - ja, ich glaube fast, er ist es sogar, denn er ist grausam wie kaum ein zweiter. Zum Glück erklärt er sich für Johanna.“
Benedikt hockte da wie ein großer schwarzer Vogel, der seine Krallen in die Armlehnen gräbt, um nicht vom Lehnstuhl zu fallen. „Ach, wenn das nur gut geht“, seufzte er und betonte bebend, wie sehr Königin Johanna unter ihrem Neffen Karl von Durazzo leide. Ob Ocko ihm je begegnet sei? Freilich sei er das, bestätigte Ocko. Er selbst habe mit dem Knaben Waffenübungen vollführt und ihn in die Kunst des Schwertkampfes eingewiesen.
„Nun, da habt ihr wohl des Guten zu viel vollbracht“, erklärte Benedikt todernst.
„Einer muss ja Schuld sein“, entgegnete Ocko kurz und Widzelt musste laut lachen.
Aber der Geistliche ließ sich nicht irritieren. „Schuld hat viele Gesichter“, äußerte er pikiert. „Die Menschen vergessen gern, wem sie Dank schulden, dessen ungeachtet verjagen sie denjenigen sogar und manchmal..., manchmal lassen sie ihn töten oder tun es sogar mit eigener Hand. Wie gut ist es, dass der Tod nicht das Ende bedeuten muss, sondern das ewige Leben.“
„Aber nicht für die Mörder“, sagte Widzelt und bekreuzigte sich.
Kopfnickend stimmte der Bischof zu. Johannas Neffe Karl von Durazzo bekämpfe die Königin bis aufs Blut und werfe ihr vor, sie habe ihren Gemahl Andreas von Ungarn ermorden lassen, berichtete er weiter.
„Das glaube ich wohl, Hochwürden!“, warf Ocko zähneknirschend ein.
„Dass sie Andreas von Ungarn ermorden ließ?“
„Nein, dass Johannas Neffe das unterstellt. Das begründet seinen Anspruch auf den Thron!
Im Übrigen ist das doch großer Unfug! Wozu also das Ganze jetzt?
Hat der Papst „Sündengeld“ von Johannas Neffen erhalten, damit er ihm den Thron gibt?“
„Das wäre pervers. Aber ich weiß es nicht, Ritter. Möglich ist es. Papst Urban hat bereits bewiesen, was für ein Mann er ist, ihm traue ich alle Schlechtigkeit der Welt zu...“
Ein schlichter Bibelwurm war der Geistliche nicht, das hatte er soeben bewiesen. Sein umfangreiches Wissen schien Ocko suspekt und auch die Weise, wie er über die Päpste resümierte. Immerhin sollte Benedikt sein Beichtiger werden. Da schien es angemessen, mehr über ihn zu erfahren. Hatte Ocko eine integere Persönlichkeit vor sich, der er voll vertrauen durfte? Wie der Fall der Königin von Neapel mit ihrem Beichtvater Bartolomeo Prignano, alias Papst Urban, zeigte, war es nicht leicht, einen wirklich ehrlichen, verlässlichen Beichtvater zu bekommen. Aus diesem Grunde hielten die tom Brook es wie viele andere Edle und wählten Personen aus dem eigenen Familienkreis für diese Position aus, sofern das im Bereich des Möglichen lag.
„Erklärt Euch, Benedikt! Sagt mir, woher Ihr Euer Wissen bezieht.“
„Ritter, lange Zeit lebte ich in der Friesenkolonie der Ewigen Stadt. Erst vor kurzem folgte ich dem Ruf in die Heimat, um meinen Lebensabend hier, bei Euch, zu verbringen. Ich selbst erlebte das Ringen um die Macht. Es bekommt Königin Johanna nicht gut, dass sie ihren Gatten hat umbringen lassen.“
„Hochwürden, das ist eine böswillige Unterstellung! Ich habe Euch gerade eben die Zusammenhänge im Groben dargelegt. Habt Ihr mir nicht zugehört?“, protestierte Ocko heftig mit deutlich lauterer Stimme. Ihm wurde übel bei dem Gedanken, dass man der Königin etwas antun könnte, weil ihr Gemahl von unbekannter Hand getötet worden war.
„Immerhin, Andreas von Ungarn ist erdrosselt worden!“
„Was hätte Johanna für einen Grund gehabt? Ich wüsste keinen. Warum sollte sie den jungen Mann an ihrer Seite ermorden lassen? Sie waren beide im gleichen Alter und noch nicht einmal mündig. Papst Clemens VI. hat die Königin freigesprochen von jeder Schuld. Außerdem ist es über 30 Jahre her, und was alles ist geschehen in dieser Zeit!“ Sichtliche Verärgerung schoss aus Ockos Augen. Foelke erschrak vor dem Zorn in seinen Augen, noch nie hatte sie ihn so wütend gesehen. Gab es da doch etwas mehr zwischen ihm und der schönen Königin, das er vor ihr verbarg? Ob sie einander geliebt hatten? Sie würden sich kaum jemals wiedersehen. Kein Grund zur Eifersucht, und doch verspürte Foelke einen leisen Stich in der Herzgegend.
„Ja, ja, die vom Papst angeordnete Untersuchung verlief im Sande, weil die Mordanstifter schnell alle Täter und unsicheren Mitwisser hinrichten ließen, so sagt man... und... man flüstert es nicht nur, man sagt es jetzt wieder laut, dass Johanna das Komplott zur Ermordung ihres Gatten Andreas von Ungarn geschmiedet hat. Sie hat damals ihre Provinz Avignon an Papst Clemens VI abgetreten, damit er sie von diesem Verbrechen freispricht.“ Benedikts Mund verzog sich zu bekümmerter Grimasse.
„Da traut Ihr Johanna wohl etwas zuviel an Raffinesse zu - einer Neunzehnjährigen! Nein, umsonst ist der Tod und der kostet das Leben. - Sie benötigte Geld für die Verteidigung ihres Landes gegen Ludwig von Ungarn“, eine steile Falte erschien zwischen Ockos Brauen. „Deswegen trat sie Avignon an Clemens ab. Man muß doch anerkennen, dass Johanna von jeder Schuld freigesprochen wurde. Das ist doch alles Schnee von gestern. Man kann nicht ständig wieder darauf herumhacken, dass es aber hätte sein können! Vieles hätte sein können. Da gibt es noch andere Aspekte. Von allen Seiten zog man an ihr, wollte sie zur Ehe zwingen und zu vielen anderen Dingen. - Sie heiratete Ludwig von Tarent...“
„Ja, ihren Liebhaber“, fiel der Geistliche scharfzüngig ein, „aber sie musste sofort mit ihrem frischgebackenen Ehemann vor der furchtbaren Rache Ludwigs von Ungarn nach der Provence flüchten.“
„Rache! Ha, das war Ludwigs Feigenblatt! Ludwig von Ungarn hat zwar lauthals verkündet, er wolle seinen Bruder rächen. Gewiß ist aber, dass er 3 Jahre brauchte, um das überhaupt erst einmal zu bemerken! Nein, er wollte sich schlicht das Königreich Neapel einverleiben! Allein das ist der Grund gewesen. Und da war dem Ungarn jedes Mittel recht, um Johanna vom Thron zu stoßen und sich selber draufzupflanzen! Dabei wollte ihn niemand haben in Johannas Königreich. Aber das interessierte ihn nicht.
Zuvörderst machte König Ludwig von Ungarn den Hauptverantwortlichen für den Mord an seinem Bruder dingfest. Das war nämlich angeblich Johannas Vetter Karl von Durazzo. Ihn hinzurichten (1348), brachte Ludwig von Ungarn den Thron von Neapel in greifbare Nähe.
Nachdem das „glücklich“ vollbracht war, verlangte König Ludwig dreist vom Papst die Verurteilung und Absetzung Johannas und erneuerte den Anspruch der ungarischen ANJOU auf das Lehen Neapel-Sizilien!“
„Vielleicht hatte er Beweise?“
„Beweise? Sicher hatte er die. Durch Folter erpresste Aussagen. Johannas Vetter Karl von Durazzo belastete sich selbst. Er sei der Anführer einer Opposition gegen Johannas Gemahl Andreas von Ungarn gewesen. Er habe selbst nach dem Thron gestrebt, sagte er aus. Weiß der Himmel, was man ihm noch alles „entlockt“ hat, ehe man hinrichtete.
Einzig um Thron und Macht ging es! Die ungarischen Anjou waren von Johannas Großvater, Robert dem Weisen, ausgebootet worden, der seiner Enkelin den Thron von Neapel vererbte. Und, wenn Ihr mich fragt, Kaplan, zu Recht.“ Ocko schlug empört mit der flachen Hand auf den Tisch. „Aber da hat der Ungar die Rechnung ohne die Neapolitaner gemacht und so erhoben sie sich und verjagten ihn.
Gewiß, Johanna gewann die Unterstützung von Papst Clemens VI. Dadurch konnte sie endlich nach Neapel zurückkehren (1352), was sehr vonnöten gewesen ist. - So war es und nicht anders!
Lieber Herr, ich bitte, alle Verleumdungen gegen die Königin zu unterlassen! Wer weiß das besser als ich, dass die Königin sich immerzu ihrer Vettern erwehren muß, die sich nicht scheuen, heuchlerisch und betrügerisch gegen sie vorzugehen, um das Königreich an sich zu reißen. Sie schmieden Ränke und Kabale ohne Ende!“
Benedikt schien echt aufgewühlt zu sein: „Ich versichere Euch, Johannas Gegner würden sie gern der Marter ausetzen... Grauenvoll... diese schöne, kluge und kunstsinnige Frau.“
Es durchlaufe ihn kalt, wenn er sich vorstelle, dass diese Machenschaften zum Ziel führen könnten, sagte er und bemerkte eher beiläufig: „Ah ja, aber wen wundert es, wenn der Papst die Glaubwürdigkeit der Königin herabwürdigt? Sie ist ja nur eine Frau! Sagt doch die Kirche, die Frau als solche ist unredlich und heuchlerisch. Ich vermag das nicht zu entscheiden - verzeiht.“
Foelke zuckte vor Empörung über Benedikts anmaßende Worte. Ocko nahm beruhigend ihre Hand auf. Die war eiskalt. Ob Benedikt mit dieser Einstellung der richtige Mann ist, um als Beichtvater zu dienen? Das musste Foelke eher verneinen.
„Wie dem auch sei, es ist ihnen, Gott sei Dank, bisher kein Erfolg beschieden.“ Der Geistliche bekreuzigte sich und bestätigte, dass die Königin nach dem Tode ihres Gemahls Ludwig von Tarent (24.5.1362 ) rasch eine Stütze finden musste, um sich der Vettern erwehren zu können.
Das konnte Ocko nur unterstreichen, aber er glaube, sagte er, dass Johanna politisch unklug gehandelt habe, indem sie sich mit Jakob von Aragon-Mallorca vermählte (14.12.1362), denn Jakob sei krank an Geist und Seele gewesen.
Foelke schaltete sich ein und fragte mit großen Augen wie Ocko das meine.
„Irre.“
„Irre? Wieso? Von Geburt an?“
Nein, das nicht, erklärte Benedikt ernst, aber es sei nicht verwunderlich. Man habe Jakob als achtjährigen Knaben in einen eisernen Käfig gesperrt. „Das war, als sein Vater sein Königreich an Peter von Aragon verloren hat. In diesem eisernen Käfig ist Jakob in Barcelona bis zu seiner Flucht gefangengehalten worden. Erst wenige Monate vor seiner Eheschließung mit Johanna war ihm die Flucht gelungen.“
„Oh Gott, das sind... 18 Jahre! Ein Kind wie ein Tier in einem Käfig! Das ist ein furchtbares Schicksal! Wie kann man so grausam sein!“, warf Foelke entsetzt ein, Tränen in den Augen.
„Es gibt Menschen, die sind schlimmer als Tiere“, stimmte Ocko zu. „Deswegen nennt man Peter von Aragon ‚den Grausamen‘. Oh ja, aber es gibt noch viel ärgere Grausamkeiten, Foelke. Doch ja, es ist ein schlimmes Schicksal. Jakob ist davon krank im Geiste geworden. Johanna musste ihn schließlich von allen Staatsgeschäften ausschließen. Sie gab ihm Kalabrien als Apanage. Jahrelang reiste Jakob in Frankreich und Spanien umher, um Hilfe und Unterstützung zu finden, damit er sein Erbe zurückgewänne. Vergebens. - Seine Gemahlin sah ihn nach der Hochzeit kaum noch. Vor vier Jahren ist er dann gestorben, ein junger König ohne Land.
Johanna hat immer versucht, mit ihrer Vetternlinie Durazzo in Frieden auszukommen. Sie gab ihrem Neffen Karl sogar ihre Nichte zur Gattin und sicherte ihm nach dem Tode ihres eigenen Kindes die Erbfolge zu. Was hätte sie noch mehr tun können?“
Der Geistliche zuckte die Achseln: „Karl hat Awarenblut! Das ist hitzig, das weiß doch jeder! Er ist ehrgeizig und Skrupel kennt er nicht. Er kann es nicht abwarten, endlich die Nachfolge anzutreten. Jetzt hat er sich sogar offen gegen Johanna erhoben und dies auch noch mit Unterstützung von Papst Urban VI. (Prignani, ehem. Beichtvater von Johanna) Was meint Ihr, Ritter, sollte sie nicht einfach den Thron aufgeben und abdanken?“
„Dann wäre sie wohl bald tot.“
„Aber ob ihr vierter Gemahl, der Herzog Otto von Braunschweig-Grubenhagen, sie schützen kann? Was meint Ihr.“
Davon war Ocko überzeugt. Herzog Otto von Braunschweig sei ein überlegter und kluger Heerführer und außerdem im Volke sehr beliebt, äußerte Ocko bestimmt. Johanna habe den Herzog mit Rücksicht auf die Wirren und Unruhen in ihrem Königreich zu ihrem Gemahl erwählt. Der kriegserfahrene Herzog habe nicht weniger als vierzig Siege errungen. Er selbst sei ihm Freund und Gefährte in vielen dieser Schlachten gewesen. Mit Gewissheit werde Otto von Braunschweig Johanna schützen und auch Papst Clemens VII. (ehem. Kardinal Robert von Genf) werde das tun.
Immerhin könne es sein, es sei doch möglich, den Herzog anderweitig zu binden. Dann könne er sie nicht schützen, argwöhnte Benedikt kassandrisch.
Das verwies Ocko ins Land der Märchen.
So richtig behagte es dem Geistlichen nicht, dass man ihm widersprach. Das bemerkte nicht nur Foelke mit Unbehagen, das sah auch Ocko.
„Nicht schlecht, nicht schlecht. Hoffen wir das Beste.“ Benedikt bekreuzigte sich und nahm einen tiefen Schluck aus der Kanne. „Königin Johanna hat immerhin bis jetzt zwei wichtige Ziele erreicht. Erstens die Durchsetzung ihrer persönlichen Herrschaft und zum Zweiten eine zunehmende Befriedung ihres Königreiches.“ Er hielt inne, denn der Häuptling hatte den Arm um seine Frau gelegt und sie sacht an sich gezogen.
Woran denkt er? Hört er mir überhaupt zu? Seine Blasiertheit ist unerträglich, urteilte Benedikt verdrießlich. Das soll er gefälligst unterlassen!
Wie ein bunter Bilderbogen erstand die Zeit in Italien vor Ockos Augen, eine Zeit brachialer Gewalt und endloser Kämpfe:
Da war die Sache mit Philipp von Tarent, der durch Johannas Gemahl zu hohen Ämtern gekommen war. Ludwig habe seinen Bruder bis zur Unkenntlichkeit befördert, hatte Johanna einmal gespottet. Das hätte sie vielleicht nicht sagen dürfen. So etwas verzeiht ungarisches Blut nicht. - Nachdem Maria, die Schwester der Königin, gestorben war, hatte ihr Gemahl Philipp denn auch nichts Eiligeres zu tun, als auf Marias Nachlass zu pochen.
Was zu Anfang geschickt eingefädelt schien und durchaus Frieden versprach, nämlich ihre Schwester dem Bruder ihres Gemahls zur Ehe zu gegeben, in diesem Moment rächte es sich und Johanna hat ihre „gute Tat“ bitter bereut. In unglaublicher Geschwindigkeit scharte Philipp Söldnerheere um sich...
Dieser Erbschaftsstreit war nicht unähnlich demjenigen, den ich mit Folkmar Allena und meiner Brudertochter Adda ausgetragen habe...
Auch nach Philipps Tod (+1374) setzte sich die Erbschleicherei fort. Die Dreistigkeit nahm kein Ende. Flugs machte nun Francesco de Balzo, Herzog von Andria, Erbansprüche geltend.
Otto von Braunschweig und ich, wir haben Francesco und seinen Sohn Jacopo bis nach Avignon gejagt. - Ocko lächelte in Gedanken an die kopflose Flucht der beiden Blutsauger. - Aber, ist der eine Erbschleicher weg, steht schon der nächste auf der Matte. - „Ich fürchte“, sagte er laut, „dass der Königin die Thronfolge von Neapel zum Verhängnis werden könnte.“
Da es an der Tür pochte, kam Benedikt nicht dazu, Ocko über seine Gedanken auszufragen.
Der schaute Widzelt an, bedeutend, dass er öffnen möge. Eine Magd stand knicksend vor der Tür. Jemand wünsche, zum Grundherrn vorgelassen werden, sagte sie und stopfte sich verlegen die blonden Locken unter die Haube.
„Nun, und wer ist es?“ Ocko liebte es nicht, Leute zu empfangen, von denen er weder Namen noch Herkunft kannte.
Das wisse sie nicht, stotterte die Magd kleinlaut und knickste vorsichtshalber noch ein paar Mal.
„Widzelt, geh und frage nach seinem Begehr, woher er kommt und wer er ist. Und mach' die Tür hinter dir zu. Es wird kalt hier drinnen.“
Gehorsam schloss Widzelt die Tür. Nun hörte man eine Weile nichts, dann Gekicher und wieder Pause. Oh, Widzelt hat ein Techtelmechtel, erkannte Foelke schmunzelnd.
„Wie seid Ihr eigentlich zu Otto von Braunschweig gestoßen, Ritter?“, störte Benedikt Foelkes Gedanken.
„Das beantworte ich gern. Wie Ihr wisst, griff Herzog Otto von Braunschweig in die Streitigkeiten Italiens ein. Das war anno 1373. Da der Graf von Oldenburg mit Braunschweig verwandt ist, hat er seinem Vetter ein Kontingent an Waffen und Leuten überstellt. So gelangte ich zu ihm.“
„Ich glaubte, du hättest dich mit deinem Vater überworfen gehabt?“, fragte Foelke vorsichtig.
„Auch das, deswegen bin ich ja zuvor fortgegangen.“
„Die Oldenburger sind mit Braunschweig verwandt, sagst du?“
„Ja, Foelke, mit der Linie Braunschweig-Lüneburg. Die Mutter von Graf Conrad von Oldenburg war Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg.“
„Ach, und ich meinte, Conrads Mutter wäre Ingeborg von Holstein?“
„Ja, das ist richtig, aber ich meinte den 1. Grafen Conrad, nicht den jetzigen.“
„Ach so. Dann bist du also nicht nach Santiago de Compostella gewandert?“
„Freilich bin ich das, aber nicht allein, da war noch ein ganzes Heer dabei“, lachte Ocko, „und da gab es eine ‚Handvoll‘ Aufenthalte und Zwischenstationen.“
Der Geistliche zog eine brook'sche Münze heraus: „Verzeiht, Ritter, ich sehe drei Kronen auf Euren Münzen. Warum?“
„Witzig, diese Frage, Benedikt. Ihr wisst wohl nicht, dass Ostfriesland eine Republik mit regimentsfähigen Geschlechtern ist? Ich regiere einen Autonomiestaat mit den Untertanengebieten Norderland, Brookmerland und Auricherland. Diese Staatlichkeit wird nach geltendem heraldischem Recht durch Souveränitäts-Kronen dokumentiert.“
Foelke nickte eifrig dazu und Benedikt fügte hinzu: „Aha, Ihr meint, eine Art Patrizierrepublik? Habt Ihr denn keinen Lehnherrn?“ Ocko lauschte auf den Gang hinaus, antwortete nicht. Benedikt gab sich damit zufrieden. Mittlerweil war die Dunkelheit hereingebrochen und vor dem Fenster schwirrte dem Anschein nach ein Nachtvogel oder eine Fledermaus. Holzschuhe klackerten den Gang hinunter, dann lautes Lachen und Johlen auf dem Flur. Man hörte ein ums andere Mal Widzelts Freudengeschrei, dazwischen eine volltönende beherrschte Stimme, die ihn offenbar zu beruhigen suchte.
Fortfahrend fragte Ocko den Geistlichen, ob er die Incoronata gesehen habe.
„Ihr meint die Residenz der Herzöge von Kalabrien, Ritter? Gewiß, erstaunlich, was Johanna aus der Gerichtshalle der angiovinischen Herrscher gestaltet hat.“
„Die Fresken von Roberto d' Oderisio... Sind sie nicht einmalig? Johanna hat wahrlich zaubern lassen.“
„Sagt das besser nicht, Ritter.“
„Ach, so war das nicht gemeint. Ich wollte damit sagen, wenn man vor diesen wundervollen Fresken steht, dann fühlt man sich inmitten der Hochzeitsfeierlichkeiten von Johanna und Ludwig von Tarent. Die prunkvollen höfischen Szenen, die prächtigen Ritter, die herrlich gekleideten Damen... Das Königspaar, der ganze Hof, die festlich-ritterliche Gehobenheit...“
Foelke entging nicht der eigentümlich melancholische Klang in Ockos Stimme.
„In meinen Augen, laßt mich das sagen, Ritter, sind diese Fresken der Incoranata Ausdruck der höfisch ritterlichen Kultur am Hofe Johannas. Diese Fresken spiegeln einen moralischen Verhaltenskodex wieder und nicht zuletzt eben auch kriegerische Elemente.“