Читать книгу Chroniken der tom Brook - Gunda von Dehn - Страница 16
Kapitel 13 - Marienburg - Vorbereitungen für die Heerfahrt
ОглавлениеFrühlingsduft durchstreift die Marienburg. Alle Fenster sind geöffnet, um die milde Maienluft einzulassen. Der Ordenshochmeister, Winrich von Kniprode, durchquerte eilig mit einem Arm voll Pergamentrollen den hohen Remter, als Widzelt ihm begegnete.
„Junker, was - zum Henker - tut Ihr hier. Gehört Ihr nicht in die Firmarie? Oder ist die Arbeit schon getan?“
„Ich habe 24 Stunden ohne Pause gearbeitet: die Alten und Kranken gebadet, gefüttert und zum Danzker gebracht, Verbände getauscht, zur Ader gelassen, geschröpft. Das Badhaus der Firmarie sauber geschrubbt...“
„Das reicht! Das reicht! Ich weiß, was man in der Firmarie tun muss.“
„Nun hat mich der Bruder Spittler fortgeschickt.“
„Kommt mit mir“, warf Winrich ihm über die Schulter zu und eilte schon die schön mit Steinmetzarbeiten verzierte Sandsteintreppe hinunter. Widzelt schlitterte über das glasierte Fliesenmosaik: „Ich bewunderte gerade das Rippengewölbe, die wundervollen Säulen, Meister.“
„Ach, deswegen starrst du an die Decke?“
„Nein, ich betrachtete das Kapitell.“
„Welches?“ Der Hochmeister ging mit weit ausholenden Schritten durch den langen Bogengang mit zart grün bemalten Sandsteinsäulen.
„Das mit dem Sündenfall.“
Sie waren am Turm des Meisters angekommen. Der Hochmeister stöhnte: „Diese Wendeltreppe! Das muss ich ändern. Nun gut, das stärkt die Muskeln in den Beinen.“
Wie ein junger Mann sprang der Hochmeister die Stufen hinunter, und das in seinem hohen Alter - er zählte gewiss schon 70 Winter. Dann wandte er sich nach rechts. - Widzelt wagte nicht zu fragen, was er denn ändern wolle. Im Untergeschoss angelangt, riss der Hochmeister die mit der Heiligen Barbara verzierte Eichentür auf.
„Das ist unser Kumpanstübchen“, erklärte er zu Widzelt gewandt. Der Junker warf einen Blick in den Raum. Reich geschmückt mit bunten Wappengemälden. Wohl die Hauswappen der Komture. Der Ausdruck ‚Stübchen‘ würde für unser Brookmerland nicht zutreffen. Unsere Stübchen sind vielleicht zehn Schritte im Quadrat groß. Dieses ‚Stübchen' misst mindestens fünfzig Schritte im Quadrat. Das Kreuzgewölbe ist ziemlich scharfgratig. Ob die roten Steine extra dunkler nachgetönt und die Fugen weiß ausgemalt sind? Ganz schön und sogar gemütlich mit dem Kamin in der Ecke.
Winrich schaute ins Kumpanstübchen und fragte einen Bruder nach dem Tressler. Er sei in der Silberkammer, antwortete der und verneigte sich höflich. „Geh zu ihm, Bruder, er möge in die Gebietigerratsstube kommen.“ Der Bruder ließ sofort alles steh’n und liegen und eilte zur Silberkammer. Die war im Westflügel untergebracht und zwar im älteren ehemaligen Hochmeistergemach. Nach dem Neubau des Hochmeisterflügels mit dem Eckturm, der immer noch nicht ganz fertiggestellt war, bewohnte Winrich jetzt die Gemächer hier oben im dritten Stockwerk. Der Blick aus dem Fenster bot eine wundervolle Aussicht über die Nogat und ihre Brücken, bis hinaus aufs Haff.
Der lange Weg zur Silberkammer bedeutete für den Bruder, die Wendeltreppe hinauf, durch den großen Flur, zum Westflügel zu laufen. Ein weiter Weg. Mindestens eine halbe Stunde würde es daher dauern, bis der Tressler in der Gebietigerstube sein konnte.
Derweil machte sich der Hochmeister sich mit Widzelt zusammen schon mal auf den Weg zur Gebietigerkammer. Also weiter. Die Wendeltreppe mit dem prächtig verzierten eisernen Gitter hinunter, vorbei an der Kammer von ’Meister Kappelan’. Dessen Tür stand offen. Balsamischer Duft nach Weihrauch und Honig schlug ihnen entgegen. Der Meister war aber gerade nicht zugegen. Widzelt sah ein wundervolles, vergoldetes Mariengemälde an der Wand hinter dem reich geschnitzten Altar. Schimmernd funkelte das Licht der Honigkerzen im faltenreichen Gewand der Jungfrau. Auf dem Arbeitstisch lag ausgebreitet ein Rechentuch und Widzelt murmelte: „Willst vor Schaden du dich schützen, musst du Rechenmünzen nützen!“ Da spendete der Hochmeister ihm deutlich Beifall: „So ist es, Widzelt, so ist es. Befolge es fleißig, denn das Rechnen auf Linien bewahrt dich vor Verlusten. Ich selbst benutze aber auch sehr gern den russischen Stschoty.“
„Stschoty? Was ist das?“ fragte Widzelt erstaunt.
„So etwas wie ein Abakus, schau, da steht er. Ich denke, der Name kommt von dem russischen Wort für Rechnung, also wohl von Stschot.“
Ein Abakus wurde daheim auch benutzt. Ein nützliches Gerät für die Durchführung von Addition und Subtraktion, Multiplikation und Division sowie für das Errechnen von Quadrat- und Kubikwurzeln.
Ein Stockwerk tiefer erreichten sie endlich die Gebietigerstube. Sie besaß ein imposantes Kreuzgewölbe, bemalt mit hellgrünen Ranken und zart rosa Blüten, das steinerne Fensterkreuz schön verziert mit Ornamenten; buntes venezianisches Glas in den Fensteröffnungen und über allem ein Speer als Gardinenstange mit faltenreichen roten Samtvorhängen - an den Seiten durch Raffhalter mit Doppelquasten drapiert. In der Ecke stand auf einem Arbeitstisch der Stschoty, ein schön polierter Holzrahmen mit blanken Stäben, auf welchen die Rollen saßen. Ein aufwendig mit Schnitzwerk gestaltetes Gerät. Die relativ großen, farbig abgestimmten Bernsteinperlen in goldgelb und weiß zeigten an, dass hier erst kürzlich eifrig gerechnet worden war. Daneben befand sich zusätzlich noch ein besonderes Bruchrechnungsbrett.
Die Wände schmückten Elchdecken sowie ein präparierter Eberkopf und in der Ecke auf einem breiten Wandregal blickte ein riesiger zähnefletschender Wolf mit rotglühenden Glasaugen auf die Besucher herab.
Unwillkürlich zuckte Widzelt einen Wimpernschlag lang zusammen, ehe er nachfragte, ob die Herren wohl gern auf die Jagd gehen würden.
„Hm, wegen des Wolfes? Der hat mich fast das Leben gekostet: Nur 16 Werst von hier hat er mich angefallen, jetzt steht er da... Ha, ha, Pech gehabt! Setz dich, Junker.“
Der Hochmeister warf die Pergamente auf den ovalen Eichentisch in der Raummitte, ließ sich in seinem wappenverzierten Hochstuhl nieder und wies Widzelt einen Platz auf der steinernen Bank vor dem Fenster zu, denn der Tisch war nur für die Gebietiger bestimmt.
Widzelt warf einen Blick hinaus aufs Haff. Unbeschreiblich schön und man hört das Schreien der Möwen, das Rauschen der Wogen und die Brandung gegen die Küste schlagen. Fast wie zu Hause…, sinnierte er.
„Ein Becher Wein gefällig?“ Der Hochmeister zog am Strang einer blitzblanken Messingglocke. Kurz darauf kam ein ’Graumantel' und fragte botmäßig nach seinem Begehr.
„Ruft den Spittler, den Trapier, den Marschall von Balga. Ich sah ihn heute bei der Messe. Wir müssen Rat halten und bring Wein und Brot.“
Nicht lange, und einer der ’Graumäntel' brachte schöne blaue Steingutbecher und einen Krug Rheinfaller.
„Wie geht es zu Hause?“, erkundigte der Hochmeister sich bei Widzelt.
„Ich habe noch keine Nachricht erhalten“, erwiderte dieser und setzte sich manierlich auf das schwarze Samtpolster der Steinbank.
„Und? Wie gefällt es dir bei uns?“
„Die Ordensregeln sind sehr streng, wenn ich das sagen darf.“
„Das darfst du, mein Sohn. Und wir sind stolz darauf, dass bei uns bislang Zucht und Ordnung herrschen, anders als in anderen Orden.“
„Eine Frage brennt mir auf der Seele, Euer Gnaden.“
„Ja, frag nur.“
„Als ihr die Burg Balga erobert habt“, sprach Widzelt den Hochmeister gespannt an, „wie ging das zu? Seid ihr über Land vorgestoßen oder habt ihr euch nasse Füße geholt?“
„Gern beantworte ich dir diese Frage, Widzelt. Nun, Balga liegt auf einer ziemlichen Anhöhe“, entgegnete der Hochmeister, „nicht leicht, es zu gewinnen. Im Jahre des Herrn 1238 segelten einige Ordensbrüder mit der ’Pilgrim’ und der ’Friedeland’, Geschenke des Markgrafen Heinrich von Meißen an den Orden, in das Frische Haff hinein. Dort entdeckten sie die Pruzzenburg am Rande der Steilküste.
Mächtig beherrschte die Pruzzenfeste mit ihren doppelten Erdpalisaden und Wehrtürmen das Frische Haff und dessen Küsten. Schier uneinnehmbar überragte die Pruzzenburg dort oben den Rand der Steilküste. Nun, für einen Überraschungsangriff genügten zwei Schiffe samt Besatzung nicht, zumal schon der Klang der Hifthörner vermeldete, dass die Pruzzen gewarnt waren. Unverrichteter Dinge zogen sich die Ordensschiffe zurück, da das kleine Aufgebot keine Möglichkeit sah, die Feste zu erobern.
Diesen - strategisch wichtigen - Punkt der Küste in Besitz zu nehmen, war für unseren Orden unverzichtbar, wollten wir unserer Aufgabe, die Heiden zu bekehren, gerecht werden. Natürlich haben wir nun zuvörderst das Gelände erkunden lassen. - Nachdem der Rat zusammengekommen war…“
„Verzeiht, Euer Gnaden, wenn ich nachfrage. Wer gehört denn zum Rat?“
Der Hochmeister strich sich nachdenklich den Bart, schaute Widzelt wohlwollend an und erklärte nachsichtig: „Hochmeister, Landmeister, Ordensmarschall, Trapier, Schnitzmeister, Spittler und nicht zuletzt der Tressler und einige Komture, junger Freund.“
Oh, Widzelt spürte genau, dass sein Verhalten ungehörig gewesen war, drum bedankte er sich artig.
„Nachdem nun also der Rat den Wegebericht eingehend studiert hatte“, fuhr Kniprode gefällig fort, „erörterte das Kollegium das Problem eingehend. Man kam unvermeidbar zu dem Schluss, dass ein Angriff zu Lande nicht sehr Erfolg versprechend sein konnte. Ein bedeutungsloses Heer von zweihundert Mann hätte dort maximal angreifen können. Viel zu gering, um die Festung zu erobern. Nur ein Dummkopf kämpft einen Gefecht, das er nicht gewinnen kann.
Im darauf folgenden Jahr sandte darum der Vizelandmeister Berlewin eine stattliche Flotte zur Eroberung der Pruzzenburg aus. Die Burg bestand seinerzeit noch aus Holzgebäuden, umgeben von Holzverhauen. Sie wurde heftig von See aus mit Brandpfeilen beschossen - mit wenig Erfolg. Vergeblich schien der Sturm auf die Burg. Da jedoch spielte der Pruzzenführer Kodrune unseren Ordensrittern die Burg in die Hände. So konnte der Orden letztlich doch noch die Herrschaft über die Feste gewinnen. Die Burg war unser und sie ist es heute noch. Seit etlichen Jahren nun ist Balga in Stein gebaut. Wir sind immer noch dabei, auszubauen und zu erweitern.“
„Nun, bei mir zu Haus ist es eigentlich ähnlich. Ihr habt es ja gesehen, Herr Hochmeister. Unsere Burg liegt auch auf dem Rand eines Steilufers zum Kolk hin und ist umgeben von Sümpfen. Aber sonst haben wir auf dem platten Lande solch harsche Probleme mit See und Steilküste nicht. Dafür gibt es bei uns Wassergräben, die zu überwinden, manchmal schier unmöglich ist“, entgegnete Widzelt lachend.
„Ich denke, auch dagegen gibt es Mittel, junger Freund. Schütte den Graben an einer Stelle zu, oder, falls das zu langwierig, lege Leitern darüber.“
Widzelt lachte und meinte, dies wisse er wohl, nur, dass die Belagerten das kaum zulassen und schmerzhafte Gegenmaßnahmen ergreifen würden.
Das Gespräch plätscherte oberflächlich dahin, bis die Gebietiger eintrafen. Die schön geschnitzten Familienwappen in den Rückenlehnen bezeichneten die angestammten Stühle der Ritter. Der Hochmeister gebot den Gebietigern mit fahriger Handbewegung, sich zu setzen. Dann fuhr er mit seinen knochigen Händen über den kahlen Schädel, wie immer, wenn er seine Gedanken sammeln wollte. Er schaute auf. Sein Blick wanderte in die Runde, blieb am Komtur von Balga haften: „Der König von Litauen hat das Ordensland überfallen und auf grauenvollste Weise Ordensangehörige und Siedler ermordet. Selbst Kinder sind gefoltert, verbrannt, aufgespießt und enthauptet worden, wie ihr wisst. Der König hat den Orden damit zum Gegenschlag herausgefordert. Das gibt Krieg!“
Beifälliges Nicken am runden Versammlungstisch. Der Hochmeister sprach bedächtig und sehr deutlich, so dass Widzelt seinen Worten in der für ihn ungewohnten niederdeutschen Sprache gut folgen konnte.
„Eine neue Sachlage: Herzog Albrecht III. von Österreich, Graf von Habsburg, hat davon gehört. Ihn drängen Herz und Wille zu einer Heerfahrt gegen den König Kinstutte von Litauen, den furchtbaren Heiden zu strafen.“ Winrich machte eine bedeutungsvolle Pause. „Daneben drängt es ihn, goldene Sporen zu erwerben. Der Herzog meint mit Recht, dass es ihm mehr gezieme, goldene Rittersporen zu tragen als die silbernen des Knappen. Er strebt nach dem Ritterschlag.“
Die Gebietiger grinsten und der Tressler flüsterte belustigt: „Ich kenne ihn. Das ist der mit dem langen Zopf.“
Widzelt horchte auf, neugierig, was das mit dem Zopf zu bedeuten hatte, aber Kniprode fuhr ungehalten fort: „Ihr Herren, Ruhe bitte, jetzt rede ich. - Naturgemäß sind wir somit beauftragt worden, nun diese Heerfahrt nach Litauen für ihn zu planen. Herzog Albrecht III. von Österreich zahlt großzügig, damit der Orden die Heerfahrt ausrichten kann.“ Der Hochmeister bedeutete Widzelt, Wein einzuschenken. „Hat jemand etwas zu sagen?“
„Natürlich muss zuvor das Gelände gründlich erkundet werden“, meinte der Komtur von Balga mit samtweicher, priesterlicher Stimme, wie es seine Art war.
„Oh, da möchte ich mit auf Erkundungsfahrt!“, rief Widzelt begeistert. Er war Feuer und Flamme und freute sich eine Fahrt auf dem Memel. - Ein strafender Blick des Tresslers traf ihn und zu seinem Kummer versagte Kniprode ihm die Erlaubnis.
„Ich brauche Euch hier, Junker. Dafür hat der Orden eigens ausgebildete Geleitsleute“, beschied ihm der Hochmeister knapp. „Ich werde den Manteuffel zu Pferd nach Insterburg schicken. Pferde sind die Flügel des Menschen, sie sind stark und schnell und heiß. Innerhalb kurzem wird mir der Pfleger von Insterburg einen Wegebericht schicken.“
Bis allerdings ein nutzbarer Wegebericht vorlag, vergingen zwei Wochen und Widzelt fragte unterdessen vergeblich nach dem „Zopf“ des Herzogs von Österreich, aber ihm kam nichts zu Ohren, denn niemand wollte ihm Auskunft zuteil werden lassen, nicht einmal der Hochmeister, was Widzelt rein fuchsig machte.