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Chroniken der tom Brook – Der Ritter - anno 1379 - 1389 Gunda von Dehn
ОглавлениеDie Braut wirkte bleich und übernächtigt in ihrem karminroten, reich mit Gold geschmückten Gewand. Der Bräutigam aber scherzte im Bewusstsein des errungenen Sieges. Ritter Ocko tom Brook erfreute sich allerbester Stimmung, denn sein Siegespreis war sie, Foelke Kampana. Wie sie sich hingegen fühlte, schien ihn wenig zu kümmern.
Ihre Hochzeit mit dem mächtigsten Häuptling diesseits der Ems, Ritter Ocko tom Brook, hatte Foelke sich vor wenigen Tagen noch anders vorgestellt, nämlich als kaltes, nüchternes Verfahren ohne die Spur eines festlichen Brauches und ohne strahlende Gesichter.
Nun aber quoll der Saal über von heiteren Menschen. Die Braut hatte gewusst, dass ihr künftiger Gemahl weit verzweigte Beziehungen unterhielt, aber diese Menge an Hofwürdenträgern und Edlen überraschte sie denn doch. Alle namhaften Familien waren zur Hochzeit geladen, nicht nur aus Ostfriesland, sondern auch von weit her, aus Flandern ebenso wie aus der holländischen Grafschaft waren sie angereist, sogar aus dem französischen Königreich und der Normandie war entfernte Verwandtschaft zugegen. Und wenn die Honoratioren auch häufig nicht persönlich erscheinen konnten, so wurden doch freundliche Botschaften, verbunden mit edlen Geschenken, durch Abgesandte überbracht.
Ein Meer von Honigkerzen verströmte sein wohlig-süßes Aroma und in dem riesigen Kamin mit dem schön behauenen Sandsteinsims prasselte duftender Kien.
Girlanden aus Tannengrün und Mistel schmückten den Saal der Burg von Osterhusen. Jetzt - in der Weihnachtszeit - war auch der heilige ‚Hulst‘, die Stechpalme, ein gern gesehenes Zierwerk mit seinen leuchtend roten Früchten. Foelke musste unwillkürlich daran denken, dass schon eine Handvoll Früchte einen Menschen vergiften, ja, sogar töten konnte. Aber ach, gab es nicht etliche Pflanzen, die das bewirkten? Es kam nur auf die Dosis an. Sie selbst kannte all diese Pflanzen nicht so genau, aber für solcherlei taugte eine ihr vertraute Kräuterfrau, die so etwas perfekt zu mischen verstand. Angesichts ihrer erzwungenen Hochzeit war das geradezu eine beruhigende Vorstellung für Foelke.
Noch wurden die Sühneverträge im Angesicht der Gäste geschlossen, die hier mehr oder weniger als unfreiwillige Zeugen fungierten. Das Anbringen der Siegel war eine zeitraubende Prozedur. In ehrwürdigem Schweigen nahm man teil an diesem feierlichen Akt. Und jeder fühlte es, jeder wusste es: Nichts würde mehr sein, nichts würde wieder so werden wie vor der Schlacht bei Loppersum.
Foelkes Blick traf denjenigen von Hisko Abdena, dem Propst und Drosten von Emden. Sein starres Gesicht zuckte angelegentlich. Was ging in ihm vor? Sie hätte etwas darum gegeben, jene Gedanken lesen zu können, die hinter dieser steinernen Maske kreisten.
Folkmar Allena schüttelte stumm den Kopf als er seinem Bruder Ayelt, der fortan das Amtssiegel von Osterhusen führen sollte, das Kästchen mit dem Typar übergab. Seines Bruders Hände flatterten so heftig, dass Foelke schon fürchtete, er werde die Utensilien fallen lassen. Er tat's aber nicht und die Brüder schauten einander in stiller Zwiesprache in die Augen. Alle Pein blieb unausgesprochen und doch fühlte jeder, dass Folkmar Allena diesen schwarzen Freitag nicht ungesühnt sein lassen würde. Als Folkmar den Blick von seinem Bruder wandte, streiften seine düsteren Augen Foelke ein letztes Mal. Bedauern, Mitgefühl, der Wunsch nach Vergebung schienen sich darin zu spiegeln. Er zwang sich zum Schweigen, presste trotzig die Lippen aufeinander, und die tiefen Runen seines bleichen Gesichts schienen sich noch tiefer einzugraben.
Foelke nickte ihm freundlich zu. Ja, sie glaubte, ihn gut zu verstehen. Es war zweifellos seine eigene Schuld, dass Ocko ihm von der Insel Manslagt aus der “ritterlichen Haft“ hatte entfliehen können. Seine Schuld war es auch, dass Foelke zum Spielball der Politik geworden war. Lastete es auf ihm, dass sie wegen seiner Versäumnisse heute Ritter Ocko tom Brook angetraut wurde?
Der Ritter lächelte mokant: „Gute Reise, mein Lieber! Wir sehen uns bald wieder.“
„Selbstverständlich, ich werde kommen, in vier Wochen, den Jahreswirtschaftsbericht von Kloster Dykhusen zu prüfen“, stimmte Folkmar Allena zu. „Ich komme wieder, obwohl du mich des Landes verwiesen hast. Und glaube mir, ich werde mich rächen oder darum tot sein.“
Dann schloss er sich abrupt seiner Frau an, den Saal zu verlassen.
„Denk mal einer an! Das kann leicht passieren, mein Freund. – So gehabt Euch vorerst wohl“, rief Ocko ihm anzüglich nach.
„Bedankt. Das werde ich. - Ich schwöre, wenn ich wiederkomme, werde ich dich totstechen oder du musst mich totstechen.“
„So eilig hast du es, ins Gras zu beißen? Fürchtest du, dein Hass könnte sonst vergehen?“, fragte Ritter Ocko voller Häme.
„Du sollst so tief hinabstürzen wie du dich hoch auf den Stuhl gesetzt hast“, gab Folkmar angriffslustig zurück.
Seit seiner Niederlage in der Schlacht von Loppersum hatte Folkmar sich in seinem Verhalten stark verändert. Fast “satanisch“ war seine Einstellung zu Ritter Ocko geworden.
Seine Drohungen sollte Ocko wirklich ernst nehmen, dachte Adda Folkmarsna und blickte ihren Ehemann zärtlich an. Ihr und den Kindern gegenüber war Folkmar allerdings seither weicher. Das Zusammensein mit ihm war manchmal sanft wie ein Frühlingswind, zärtlich wie duftender Blütenstaub. Seine Liebe zur Familie war zweifellos erblüht wie ein sprießender Rosenbusch.
Reisefertig stand Adda in der geöffneten Flügeltür. Unterstrichen von ihrem schlichten braunen Kleid mit dem bescheidenen Spitzenkragen, wirkte sie trotz des hohen Leibes wie ein unschuldiges Mädchen. In ihrem bleichen Gesicht brannten verquollene Augen. Auch jetzt kämpfte sie mit den Tränen, während angesichts Folkmars bissiger Bemerkungen Aufruhr im Saal brodelte. Nein, Adda konnte es nicht ertragen, länger hier zu verweilen, wollte möglichst rasch fort.
Unterdessen lüpfte Kapitän Riemenschneider sein rotes Piratenkopftuch, verbeugte sich höfisch vor Ocko: „Auch wir sehen uns wieder, Ritter, wenn ich beim Grafen mein Glück gemacht habe.“
Ocko nickte gefällig. „Nur zu! Ade.“
Riemenschneider zog sorgfältig sein Tuch über die Reste seiner abgeschnittenen Ohren. „Wenn Ihr erlaubt, Ritter, werde ich den roten Adler bergen.“
„Bergen? Das Schiff ist von Eisschollen zerschmettert. Aber..., aber wenn Ihr glaubt, das bewerkstelligen zu können, bitte sehr.“
Riemenschneider grinste zufrieden in die Runde. Sein Blick blieb an Hauptmann Angelo haften. Der Italiener hob fragend die Brauen, sagte aber nichts. Freischarführer Angelo war seit einiger Zeit aus Ritter Ockos Diensten entlassen worden. Er musste sich einen neuen Herrn suchen. Schepper (Schiffer) Riemenschneider deutete mit einer Kopfbewegung an, dass Angelo ihm folgen möge. Der nickte und eine ölig schwarze Haarsträhne fiel ihm ins Gesicht, so dass Ocko nur noch eines seiner Kohleaugen sehen konnte. Das aber blitzte auf. Ja, Holland kam Angelo gerade recht. Er hatte schon in einem halben Dutzend Armeen gedient. Warum sollte er nicht in Holland anheuern? Die Schieringer (Zisterzienser-Orden) würden sich über Verstärkung ihrer Verteidigungskraft nur freuen. Seit langem standen sie in heftigem Streit mit dem Prämonstratenser-Orden, den Vetkopern. Ritter Ocko ahnte Angelos Absichten. Er musste versuchen, dagegen einzuschreiten:
„Hauptmann Angelo, Ihr werdet doch meine Hochzeit nicht versäumen wollen?“, fragte er liebenswürdig.
Angelos sinnliche Lippen zuckten, als hätte er eine scharfe Antwort auf der Zunge, aber er schwieg und legte bedeutungsvoll seine verkrüppelte Hand auf den Schwertgriff.
Der Italiener zeigte sich stets elegant gekleidet, so auch heute. Als Foelke ihm zum ersten Mal am Emder Hafen begegnet war, trug er ebenfalls ein glattes schwarzes Lederwams, überaus üppig besetzt mit glänzenden Silbernieten und darunter ein dunkelrotes Seidenhemd mit puffigen, geschlitzten Ärmeln. Offenbar seine Festtagskleidung, denn auch die weinrot eingefärbten Beinkleider trug er heute. Und wie damals steckte sein zerquetschter Fuß in einem schwarzen Halbstiefel, ein Klumpen, der eher anmutete wie ein Pferdefuß, wohingegen er an dem anderen, dem gesunden Fuß, einen modischen Schuh mit weit ausladender Spitze und Silberkettchen trug.
Der Hauptmann schüttelte die ölige Haarsträhne zurück. Seine Kohleaugen saugten sich an Foelke fest, dieser schönen starken Frau, die er so sehr begehrte. Was ging ihn der Ritter an? Sie wollte er haben und Ocko stand ihm dabei im Wege! Ob da nicht doch etwas zu machen war? Auf dem Boden von Groningen würde er Verbündete gewinnen. Kaum konnte er‘s erwarten, mit den Schieringern einen Vertrag zu schließen.
Der Ritter bedeutete seinen Türstehern, die Flügeltüren zu öffnen.
Feierlich wurde der neue, von Papst Gregor XI. genehmigte, Tragaltar hereingebracht. Dieses überaus kostbare Stück rief große Bewunderung hervor. Christus als Weltenrichter zwischen Maria und Johannes dem Täufer zierte das silberne Relief auf der Vorderseite, gefasst in edler Stickerei aus Juwelen, Korallen und Perlen. Da ging ein Rauen der Begeisterung durch den Saal.
Ocko lächelte mokant und winkte Foelke heran: „Wollet bitte zu uns treten, edle Frau.” Das war keine Frage, sondern eine direkte Aufforderung, gleichsam ein Befehl.
Herkommen? Ich? Er soll mich gefälligst holen! Ärger keimte in ihr auf. Sie schluckte, wollte eine harsche Bemerkung machen, aber dann sah sie ihren Bruder Habbo, der ihr entgegenkam. Hoheitsvoll reckte sie sich auf, legte die Fingerspitzen auf seine dargebotene Faust. Ganz von selbst bildete sich eine Gasse für das Paar und alle Augen folgten ihnen zu Ritter Ockos Thronsitz.
Während Ocko sich erhob, beobachtete Foelke, dass er den einen Fuß leicht nachzog. Merkwürdig, das hatte sie bisher nie bemerkt. Eine Verletzung aus der Schlacht von Loppersum? Höflich hauchte der Ritter einen Kuss auf ihre Hand und flüsterte: „Seid willkommen, meine Teure.“
Musikanten drängten in den Saal. Der Ritter hatte keine Kosten gescheut.
Ocko erging sich in Schmeicheleien: „Seid gegrüßt, edle Frau! Eure Gegenwart gereicht uns allen zur Ehre. Bezaubernd - wie könnte es anders sein? Ich werde Acht geben müssen, dass mir niemand solch Anmut im letzten Augenblick entreißt.”
„Si, si! Molto bene“, murmelte Angelo.
Foelke aber schürzte abweisend die Lippen. Wenn das Neckerei sein soll? Darüber kann ich nicht lachen... Zum Henker mit den Kerlen!
Ritter Ocko griente schalkhaft. „Weiter im Geschäft“, bekundete er nüchtern und schob seinem Herold ein Dokument hin. Den Vertrag hatte der Ritter verfasst und all seine Forderungen durchgesetzt.
Durch den unteren Urkundenrand waren bereits mehrere leere Pergamentstreifen zur Aufnahme der Siegel gezogen. Um ein Einreißen des Pergaments durch die schweren Amtssiegel zu vermeiden, war der Rand sorgfältig mehrfach umgefaltet worden.
Gelderen, der Herold, verlas mit klarer Stimme das Dokument und endete: „...Datum in Oisterhuisen anno Domini dusent drehundert negen und soventich den derden dach na St. Andreas apostoli dach.“ (Osterhusen, anno Domini 1379, der 3. Tag nach Sankt Andreas, also der 2. Dezember)
Junker Widzelt überreichte nun das Sandelholzkästchen mit den handtellergroßen Siegelteilen und dem Petschaft. Feierlich entnahm der Ritter dem Kästchen das elfenbeinerne Typar, hob es in die Höhe, blickte mit einer Spur von Arroganz über die Köpfe hinweg in die Runde. Auf dem Ebenholzknauf des Siegelstempels prunkte in Gold geprägt der Königsadler, Ritter Ockos Wappentier.
Unterdessen legte Widzelt sorgfältig die Pergamentstreifen zwischen zwei runde Wachsklumpen. Der untere Teil hatte eine bernsteingelbe Farbe, der obere Teil, die Platte, war dunkelrot eingefärbt. Nachdem beide Siegelhälften, Schale und Platte, sorgfältig übereinander gelegt waren, drückte der Ritter sie eigenhändig mit dem Petschaft zusammen und Foelke schien es, als brenne Ocko ihr sein Signum in die Schulter.
„Doni Ockonis Militis in Brokes“ las Habbo laut vor. Das waren jene Worte, die Ockos Siegel umrandeten.
Ein Raunen ging durch den Saal: „Militis?“
„Ja, das ist ’Ritter’.“
„Welcher Orden denn?“
„Cavalieri del Nodo.“
„Nel Dodo? Was heißt das?“, wisperte jemand neugierig. „Hat unser Priester Dodo von Norden einen Orden gegründet?“ - Unschickliches Flüstern. -
„Nein, nicht Dodo! Del Nodo! Das heißt ‚Vom Knoten’.“
Gekicher ringsum.
„Ruhe bitte!“, schnarrte Ockos gebieterische Stimme.
Foelke betrachtete unterdessen das Wappen, den italienischen Schild mit dem Adler unter dem veralteten Kübelhelm und die dreifach gekrönte Helmdecke... Oder soll es ein Mantel sein? Vielleicht das Signum des Ritterordens, dem Ocko angehört? Doni - das heißt, dass er einem Orden angehört, dem er vermutlich sich selbst und einige seiner Güter übereignet hat. Welche Güter wohl? Ach, sicher welche in Italien, die er erobert hat... Ein prachtvolles Siegel allemal, ein Siegel wie es Königen zukommt! Ein König der Moore hat Folkmar Allena mal gelästert. Er, der selber ziemlich viel Moor besitzt. Er behauptet, sein Besitz wäre von seinen Vorfahren über ihn gekommen, den sächsischen Pfalzgrafen. Und einer davon, Folcmarus, ist Bischof von Utrecht gewesen und Kanzler von Kaiser Otto II.
Adda musste lächeln, obwohl Ritter Ocko gerade jetzt ihrem Bruder Habbo den Sühnevertrag hinschob. Die Reihe war nun an ihm, die rechtsverbindliche Willenserklärung zu besiegeln, mit der er gelobte, Ocko fortan zu dienen und ihm seine Schwester zur Ehe zu geben.
Foelkes Herz schlug Purzelbäume als ihr Bruder sein Typar in den Klumpen Wachs drückte.
Nun klebte es da, sein Siegel, befohlen von Ritter Ocko. Wie bescheiden sich unser Signet neben Ockos Siegel ausnimmt! Und doch, wie schwer wiegt es für mich!
Enno von Groothusen, wie auch Foelkes Bruder Vizedekan von Hinte, beurkundete als solcher gleichfalls die Ehe, wobei er Habbos Siegel ’in fremder Sache' mitbenutzte.
„Ayelt Allena, Sohn des Allo! Die Reihe ist an dir!“, forderte der Ritter im Befehlston.
Aber Ayelt Allena stand wie gelähmt da, hielt fassungslos das Amtssiegel seines Bruders in der Hand. Ein erneuter Aufruf und Ayelt schritt mit wankenden Knien zum Schreibpult, nickte und brabbelte eine diffuse Entschuldigung. Dann siegelte er derart umständlich, dass jedermann ihm deutlich anmerkte, welch große Überwindung ihn das kostete.
Als das honigfarbene Wachs die Siegelschlaufen verband und langsam unter dem Petschaft hervorquoll, schien es Foelke als wäre das Folkmar Allenas nackte, zerquetschte Seele. Und diese gequälte Seele baumelte an dem Sühnevertrag, der sie, Foelke Kampana, dazu ausersah, Teil dieses schmählichen Vertrages zu sein.
Foelkes einstiger Schwager Hisko Abdena, jetzt Amtsträger seines Bruders Kampo, den Ocko auf dem Schlachtfeld getötet hatte, beurkundete mit dem Emder Drostensiegel. Dann kam Ockos Schwager Haro Ayelts, der Häuptling von Faldern, an die Reihe. Weitere Siegel folgten: Affo Beninga, Häuptling von Berum, Pilsum und Norden...
Während das Beurkunden seinem Ende entgegen ging, zitterte Glockengeläut von der nahen Kirche durch den Saal. Der Tragaltar war mittlerweile korrekt platziert worden, die Honigkerzen darauf flackerten im leichten Lufthauch. Ihr süßer Balsam durchwehte den Saal wie Sommerduft.
Auf Ockos Zeichen nahmen sieben Fanfarenbläser Aufstellung, gleich neben dem Schreibpult, seitlich des Altars.
Gelderen, der Wappenherold, trat vor. Prächtig sah er aus mit seinem roten Tappert, worauf der mit Goldfäden gestickte Adler der tom Brook seine Schwingen ausbreitete. Nun schmetterten die Fanfaren, dass die bunten Glasscheiben in den Fensterrahmen klirrten und der Herold verkündete in wohlgesetzten Worten das ohnehin schon bekannte Ereignis.
Freischarführer Angelo trat aufbegehrend einen Schritt vor, reckte sein Kinn, ehe er ärgerlich den Kopf in den Nacken warf. Unverkennbar, der ‚schwarzrote’ Hauptmann konnte sich nur schwer damit abfinden, dass Foelke damit für ihn unerreichbar blieb. Wie gern hätte er sie einfach gepackt und weggeschleppt!
Foelkes Augen streiften festliche Gewänder, kostbaren Schmuck, erwartungsvolle Gesichter.
Der Priester in feierlichem Ornat, begleitet von zwei Messknaben, trat einige Schritte näher. Foelke erkannte in ihm nun auch Ritter Ockos Oheim Dodo, den Bruder seines verstorbenen Vaters. Ihr fiel ein, dass Ockos Schwester Doda sein Patenkind war. Deswegen lächeln sie einander so innig zu.
Als Pfarrer in Norden hatte Dodo allerhand Mühen aufgewendet, um - etlichen Hindernissen zum Trotz - die Trauungszeremonie übernehmen zu können. Dodo trug ein Messgewand, gefertigt aus einem der schönsten Kleiderstoffe, die Foelke je gesehen hatte. Wohl aus dem persischen Reich, dachte sie, denn sie hatte erst kürzlich an einer Messe im Dom von Münster teilgenommen. Das Messgewand des Bischofs trug damals ein ähnliches Webmuster, nämlich Pelikane, Hirschkühe und Blütenranken, und dieser Stoff, so hatte sie erfahren, stammte aus Persien.
Ein erneuter Fanfarenstoß! Das Zeichen für den Beginn der Zeremonie zur Brautübergabe. Ritter Ocko trat hinter dem Schreibpult heraus, richtete sich zu imposanter Größe auf. Foelke blickte vor sich hin auf den Boden, schloss halb die Lider, faltete die Hände vor dem Leib.
Irgendwo wurde eifrig geflüstert. Das waren Doda und Elbrig, Ockos Schwestern. Foelke erkannte ihre Stimmen.
„Sssst“, machte Edzard Circsena und Gelderen, der Herold, fühlte sich bemüßigt, „Silentium“ zu zischeln.
„Habbo von der Westerburg! Schwört Euren heiligen Eid!“, hörte jeder Ockos gebieterische Aufforderung.
Foelke blinzelte durch ihre langen Wimpern, ohne jedoch das Kinn anzuheben. Habbo zuckte zurück und sie hegte die absurde Hoffnung, dass ihr Bruder sie im letzten Augenblick doch nicht mit dem Ritter vermählen würde.
Warum eigentlich? Ist er nicht ein Titan von einem Mann? Nein, kein Gott, ein Krieger... ein hinreißender Krieger... mit einem urwüchsigen, großartigen Gesicht. Nicht unbedingt schön, aber... beeindruckend.
Bei jeder Bewegung strömte ein Hauch seines Körperduftes zu ihr herüber. Hm, wie er riecht! Nach Sandelholz und... Foelke schluckte hart und riss die Augen auf. Ihre Blicke trafen sich unerwartet. Ein vertrauliches Lächeln - von oben herab, aber dennoch wohlwollend - zuckte um Ockos Lippen, ehe er Foelkes Bruder erneut aufforderte, den Eid abzulegen. Der Waffenmeister streckte Habbo bereits seit geraumer Zeit auf einem Samtkissen eine Schwertscheide mit goldenen Adlerbeschlägen entgegen, aus welcher ein Schwertgriff herausragte.
„Schon gut“, murmelte Habbo heiser und zog sehr langsam das Schwert aus der rindsledernen Scheide, die offenbar unter stundenlangem Polieren mit Krapp gerötet worden war. Vom Scheidenfutter fiel dabei ein Büschel Ziegenhaare auf die Fußbodenfliesen.
Gespannte Stille im Saal, tropfendes Wachs, Holzknistern, Torfpuffen.
Ockos Paladin erhob sich, knurrte drohend. „Sitz!“ Das Kalb, wie Foelke den Hund insgeheim nannte, folgte gehorsam Ockos Befehl, grollte aber weiterhin. Das Tier war fast so groß wie ein kleines Pferdchen, stammte wohl aus Irland. Mit blutunterlaufenen Augen saß der riesige Hund da und drohte, Habbo an die Gurgel zu springen, sobald er seinen Herrn berührte. Keine Frage, dieser Hund bedeutete Schutz genug, mehr brauchte der Ritter nicht.
Foelkes Bruder räusperte sich, hielt gleichsam abwehrend das blinkende Schwert auf Ockos Herz gerichtet. Kein weiteres Schwert gab es im Saale, denn der Burgherr hatte von den Gästen verlangt, alle Waffen abzulegen, ehe sie den Prunksaal beträten. Das befolgte jeder Gast widerstandslos und übergab seine Waffe botmäßig der Obhut des Waffenmeisters, ohne auch nur ein Wort der Einrede zu erheben. Habbo von der Westerburg blickte für einen Atemzug fragend zur Seite, begegnete dem Blick seiner Schwester, sah ihre aufgerissenen Augen, in denen sich Furcht spiegelte. Alles hielt den Atem an und einen Moment lang überlegte Foelke: Er zögert... ein Schritt, ein Stoß... und die rasiermesserscharfe Klinge wird mühelos Ockos Lederkoller durchdringen wie die Schale einer reifen Frucht... der Vertrag ist nichtig... ich muss Ocko nicht zum Manne nehmen... Herrgott im Himmel, bitte nicht, das würde Habbo den Kopf kosten...
„Habbo von der Westerburg! Euren Eid!“ Ockos knarrende Stimme verlangte Unterwürfigkeit.
Foelkes Bruder zog nun einen rehledernen Handschuh aus seinem Gürtel, zögerte abermals und Foelke hielt voller Spannung den Atem an: Will er dem Ritter den Handschuh vor die Füße werfen? Sicher nicht. Habbo ist doch kein Narr. Ocko ist ein großer Mann. Ihm ist es gelungen, die Häuptlinge zu vereinen, was niemandem zuvor gelungen ist. Sie schaute auf Ockos muskulöse Waden. Rubine und Perlen schmückten die sorgfältig gewickelten braunledernen Riemen. Fest umspannten sie die grüne Seide der Wadenwickel.
Der Ritter trat einen Schritt näher an Habbo heran, das heißt, eigentlich schlurfte er heran. Merkwürdig, war nicht der eine Schuh größer als der andere? Jetzt funkelten die Edelsteine, mit denen die modischen Schnabelschuhe besetzt waren. Regenbogenfarben sprühten im flackernden Kerzenlicht über die Fliesen.
Foelke schaute auf. Kleinmut stand nicht in den Augen ihres Bruders. Im Gegenteil, für einen Moment glaubte sie sogar, das Aufblitzen von Feindschaft zu erkennen. Die Blicke der Männer kreuzten sich ingrimmig, während die Schwertspitze fast Ockos Leib berührte. - Zwingend Ritter Ockos Blick. - Die Zeit schien einen Wimpernschlag lang stillzustehen. Endlich senkte Habbo die Augenlider, ehe er das Schwert unter den linken Arm wendete und auf den Unterarm legte, den Griff Ocko darbietend. Dieses Schwert, mit dem Ocko in der Schlacht bei Loppersum gegen ihn gekämpft hatte. Foelke erkannte es an dem großen goldgelben Stein, der als Knauf auf dem Griff saß. Sieht aus wie edler Bernstein, Glas ist es sicher nicht, überlegte sie. In der blitzenden Klinge funkelte flüchtig roter Kerzenschein wie damals das Blut und sie schaute unwillkürlich auf den Boden, ob etwas vom Schwert hinunter tropfte…
Dann sprach Habbo mit eben jener, von Ritter Ocko geforderten, Unterwürfigkeit den heiligen Eid. Oh ja, ihr Bruder verstand sich auf dererlei Perlusion, er beherrschte das virtuos, gehörte die Kunst der Heuchelei doch zum Handwerk eines jeden Häuptlings. Ein flüchtiges Lächeln wehte wie ein zartes Leuchten über Foelkes Gesicht, wusste sie doch, erzwungene Eide taugen nicht viel. Habbo hielt Eide für gewöhnlich für albernen Schickschnack, weil ein Eid häufig nur solange von Dauer ist, wie er nützt. „Politik! Das ist Erpressung, Lügen und falsche Versprechungen.“ Wie oft hatten sie das als Kinder vom ihrem Vater gehört! Vermutlich hatte Habbo soeben auch diese Lebenserfahrung seines Vaters im Kopf gehabt, als er sie bitter anlächelte. Sie ertrug den Gedanken nicht, schüttelte abwehrend den Kopf, während Habbo devot den Eid leistete:
„So gelobe ich vor den hier anwesenden Zeugen, dass ich Euch, Häuptling Ocko Kenisna tom Brook, meine Schwester Foelke zum Weibe gebe. Ich übergebe sie Euch und ihr Gut mit der Treue, mit der Ihr sie zum Weibe annehmen wollt. Und ich übergebe Euch zum Zeichen des Rechts über Leib und Leben das Schwert und den Handschuh. So nehmet nun diese Pfänder und behaltet sie.“
In feierlichem Ernst nahm Ocko den Handschuh entgegen, streifte ihn bedächtig über die Hand. - So kann er sich wenigstens nicht schneiden, dachte Foelke infantil.
In diesem Augenblick aber legte nun Foelkes Bruder sein Leben in Ockos Hand, und dies nicht nur symbolisch. Wie einfach, ihn kurzerhand vom Leben zum Tod zu befördern! Doch Ritter Ocko zog das Schwert sehr behutsam unter Habbos Arm heraus, um ihm nicht die Kleider mit der Klinge durchzutrennen. Dann legte er das Schwert, ebenso wie Habbo es zuvor getan hatte, auf den linken Unterarm und zog sich gemessen den Ring vom kleinen Finger seiner linken Hand. Sorgsam platzierte er sodann den aus drei goldenen Strängen gewundenen Ring auf dem Kreuz des Schwertgriffs.
Als er nun Foelke den Schwertgriff mit dem Ring entgegenstreckte, lag ein seltsames Strahlen in seinen Augen, das Foelkes Herz umfing wie eine weiche, zärtliche Woge. Er freut sich, er ist glücklich... er liebt mich... und ich? Ich sollte nun auch glücklich sein.
Feierlich fragte nun Habbo: „Bist du hier, Ocko tom Brook, Sohn des Keno Kenisna tom Brook, auf dass du meine Schwester, Foelke Kampana, zu deinem Eheweibe und deiner Bettgenossin haben willst?”
Mit fester Stimme antwortete Ocko: „Ja, bei Leib und Seele, ich nehme dieses Weib gerne.”
Jeder hörte, dass diese Worte tiefster Seele entsprangen und beinahe konnte man Ockos Gedanken sogar ablesen aus dem Tonfall seiner Worte:
Ich bin kein junger Springinsfeld. All die Jahre nur Kampf und Schmerz, allezeit einsam und allein, aber nun bin ich es nicht mehr... Nun bin ich glücklich und mit ihr werde ich es immer sein… Ewig werde mich an diesen Tag erinnern und ich werde die Erinnerung pflegen wie ein kostbares Kleinod…
„Bist du hier, Foelke Kampana, auf dass du Ocko, Sohn des Keno Kenisna tom Brook, zu deinem Ehemann und Bettgenossen haben willst?” wandte Habbo seine Frage nun an Foelke.
Ihr schossen Tränen in die Augen. Nicht weinen, nur nicht weinen, das bringt Unglück, schoss es durch ihre Gedanken, ehe sie kaum vernehmbar wisperte: „Ja, gebt ihn mir.”
„So übergebe ich dir, Ritter Ocko tom Brook, meine Schutzbefohlene deiner Treue und deiner Gnade und bitte dich bei der Treue, mit der ich sie dir gebe, dass du ihr gerechter und gnädig Vogt sein wirst und kein schlechter Schützer wirst. - So empfange sie und behalte sie.” Sacht nahm Habbo den Ring vom Schwertgriff, schob ihn auf Foelkes rechten Zeigefinger.
Weich, nahezu zärtlich, sprach nun Ocko die altüberlieferten Worte: „Wie dieser Ring deinen Finger fest umschließt, so gelobe ich dir feste und stete Treue. Die gleiche sollst du mir bewahren... oder mit... deinem Leben büßen.”
Das war nicht nur so dahergesagt... Er passt wie angegossen... der Ring... Ob auch du mir treu sein wirst, Ocko tom Brook? - Foelke warf einen Blick in die Runde. - Er ist der begehrteste Mann weit und breit. Die Weiber verschlingen ihn mit den Augen. Alle sind hingerissen von ihm. - Welch schmale Hüften er hat, welch breite Schultern! Der Rittergurt unterstreicht das noch, ebenso wie die Lederwickel seine langen Beine betonen... Alle finden ihn schön in seinem edlen Gewand mit den vielen Goldknöpfen. Und reich ist er! Ja, so manche Frau würde etwas darum geben, ihn zu gewinnen. Für sie ist er der wunderbarste Mann auf Erden.
„Up ewig ungedeeld“ (auf ewig ungeteilt), hörte sie Ocko sagen, und in seinen Augen blitzte es: Siehst du? Nun habe ich dich doch bekommen.
Jeder Zoll an ihm wirkte begehrlich, zeugte aber auch von jener Wachsamkeit, die der Bezwingung vorausgeht. Gemächlich schob er das Schwert in die Scheide seines krapproten Schwertgurtes und jeder sah, dass Schnalle und Endstücke genau zu den goldgetriebenen Adlern der Scheidenbeschläge passten. Edel auch der goldverzierte Schwertgriff mit dem sonnengelben Stein im Knauf. Gold! Das muss natürlich sein. Ein golden glitzernder Stein in goldverziertem Knauf und lauter goldene Adler, wohin man schaut, stellte Foelke abschätzig fest, während Ritter Ocko triumphierend den Blick hob und Foelke als Schutzversprechen seinen Mantel mit dem eingewebten goldenen Adler um die Schultern legte. Dazu raunte er versöhnlich an ihrem Ohr: „Hab ich's nicht gesagt? Es gibt kaum etwas, das sich nicht korrigieren lässt.”
Foelke hätte sich den Beginn des gemeinsamen Lebens mit ihm allerdings anders gewünscht, trotz allen Prunkes und Glanzes. Dieser Mantel schien ihr wie eine große Bürde, schwer war er, dieser Mantel aus venezianischem Brokat, kostbar und schwer. - Kein guter Anfang für eine Ehe, wenn auch seit Jahrhunderten so gepflegt. Werden nicht seit ewigen Zeiten die Frauen zur Friedensstiftung missbraucht?
Ritter Ocko schob sorgfältig die Kordel mit dem Knoten aus weißer Seide, dem Emblem seines Ritterordens, über Foelkes Herz, damit er exakt über dem mit Goldfäden eingestickten Flammenbündel platziert war. Das Flammenbündel - aufsteigend von der Flur - war als Referenz an den Heiligen Geist gedacht war; dies in der gleichen Weise wie der Stern des Ritterordens von Johann dem Guten.
Sacht fuhr Ockos Zeigefinger über den Schriftzug auf dem Knoten „Se Dieux plaist“ (Zum Gefallen Gottes). Er liebte dieses Ordenszeichen und erlebte erneut seine Erhebung zum Ritter. Es hatte etwas Wunderbares, etwas Mystisches und Gewaltiges gehabt.
Neapel brodelte. Ein farbenreiches Volksfest ohne gleichen lief dort ab. Die Neapolitaner sangen und tanzten auf den Straßen. Da war kein Durchkommen. Er und seine beiden Gefährten betraten von See aus die Stadt. Mit einem kleinen Boot landeten sie bei Cancun an. Der mächtige Palast der Königin leuchtete im rotgoldenen Schein der untergehenden Sonne. Über dem Vesuv stand die ewige Rauchwolke, kaum bewegt, wie auch das Meer - schimmernd in lichter Farbigkeit. In geringer Distanz eine venezianische Galeere und einige Segler in der Ferne. Eine Gruppe von Fischersleuten bei Musik und Tanz. Sie hatten auf hölzernen Gestellen ihre Netze zum Trocknen und Flicken ausgehängt.
Vom Strand aus ging es zum Platz Gottes et-Notre-Dame am Fuß der dunklen Grotte von Virgile (heute Conduminio le Grotte di Napoli), um den Ritterschlag zu empfangen. Es wurde der Knoten der Fürsorge für Hilfsbedürftige entflammt. Die in den Ritterstand erhobenen Männer gelobten Mut. Sie schworen, alles zur Stärkung des Ansehens des Ordens zu tun, denn sie gehörten nun zu einer moralischen Gemeinschaft, die nicht nur edles Vorbild sein wollte, sondern die auch das Ziel verfolgte, Jerusalem für die Christenheit zu erobern.
Ockos Gedanken schweiften ab zum Kreuzzug anno 1365. Trotz päpstlicher Unterstützung waren sie nicht erfolgreich gewesen. Die Armada umfasste nicht weniger als 165 Schiffe, darunter die großen Galeeren der Venezianer und Johanniter. Die ägyptische Hafenstadt Alexandria war als Tauschobjekt für Jerusalem eingenommen worden. Welche Freude! Welcher Kreuzfahrer sah sich nicht schon siegessicher einziehen in der prachtvollen Stadt Jerusalem oder in einer der beeindruckenden Kreuzritterburgen wie Margat an der syrischen Küste, Montreal in Transjordanien, Crac des Chevaliers bei Tripolis oder Montfort bei Haifa in Israel. Aber die Inbesitznahme des Heiligen Landes und des Heiligen Grabes war dennoch gescheitert.
Hatte König Peter I. von Zypern trotz vollmundiger Versprechungen versagt? War es unglücklichen Umständen zuzuschreiben gewesen?
Die Ansprüche des Königshauses von Zypern waren nach dem Verlust des Heiligen Landes kaum mehr als eine leere Hülle…
Der Ritter zupfte immer noch gedankenverloren den weißen Seidenknoten auf dem Mantel zurecht, den er Foelke umgelegt hatte. Philipp von Braunschweig hat in das zyprische Königshaus eingeheiratet. Er führt seither den Titel „Connétable (Seneschall) des Königreichs Jerusalem“ und besitzt die damit verbundenen Ansprüche. - Das erste Fest der ritterlichen Tafelrunde auf dem Schloss del'Ceuf. Überwältigend feierlich! Der Herzog Otto von Braunschweig war zugegen und sein Bruder Philipp… Wir saßen an der Tafel und...
Ockos Oheim, Dodo Wilhelmi, der frisch gekürte päpstliche Pfarrer von Norden, räusperte sich mehrmals diskret, ehe er den Bräutigam leise anrief. Der zuckte kaum merklich zusammen und wandte sich seinem Oheim zu.
Dodo kann ihm wohl dankbar sein, wähnte Foelke. Ohne seine Fürsprache und Intervention bei Papst Gregor wäre er kaum so rasch aufgestiegen. Das hat Ocko sicher einen Batzen gekostet.
Würdevoll erteilte Dodo Wilhelmi, der Pfarrer von Norden, nun seinen Segen und bot Ocko den geweihten Trunk dar.
„So gebe ich euch zusammen auf friesischer Erde, dass keiner den andern lassen soll um Lieb noch um Leid, das Gott an ihm geschaffen hat oder noch mag schaffen werden”, sprach Ockos Verwandter feierlich.
Aus Dodos fragilen Priesterhänden empfing Ocko den vergoldeten Pokal, nahm einen kleinen Schluck, reichte ihn an Foelke weiter. Gemessen hob sie das Gefäß an die Lippen und nippte ebenfalls kurz, ehe der Pfarrer es wieder an sich nahm.
Sanft hob Ocko ihr Kinn, beugte sich zu ihr und küsste ihre Lippen, sehr fest, sehr bestimmt... Sie fühlte seine warme Hand am Ellenbogen und ließ sich in die Mitte des Saales führen, wo die schön geschnitzten Häuptlingsstühle bereit standen.
Ein merkwürdiges Wohlgefühl überkam sie. Oh, sie hätte Schnurren können vor Behagen. Allein mit ihm unter zahllosen Gästen. Aber doch irgendwie allein...
Zuvorkommend half Ocko seiner jungen Frau mit dem goldenen Schersson, das beim Niedersetzen mehr als nur hinderlich war, ehe er selbst in seinem Häuptlingsstuhl Platz nahm. Fast gleichzeitig hob der Brautgesang an.
Jeweils vier kräftige Kerle hievten die Brautleute mitsamt den schweren eichenen Stühlen in die Höhe. Das Brautpaar wurde nun kräftig ‚gehögt'.
Das fand Foelke weitaus weniger lustig als die Gäste und sie klammerte sich krampfhaft an die Armlehnen, um nicht herunterzupurzeln. Ganz duselig wurde ihr von dem heftigen Auf und Ab. Endlich stellte man die Stühle wieder zurück auf den Boden. Foelkes Beine gaben nach, und sie griff nach Ockos Unterarm. Welch starke Muskeln...
Nun folgten die Glück- und Segenswünsche. Händeschütteln, umarmen, küssen, plaudern, lachen, danken, zuprosten. Keiner fehlte in dem Reigen der Vornehmen und Mächtigen. Sie alle überbrachten ihre Glückwünsche und unzählige Geschenke.
Jemand klopfte dem Ritter auf die Schulter: „Madonna an Tafel führen, bella Madonna?“
Das war Hauptmann Angelo. Seine melodische Stimme bebte leicht. Höflich hielt er Foelke die Faust entgegen. „Ich wünschen Fortuna, multo bene. Schönste Madonna von Okzident”, holperten Angelos Worte artig fort. „Alle Mann machen ’Puff!' vor Neid um deine schöne Weib, Ocko.” Der Hauptmann entblößte diabolisch grinsend seine makellos weißen Zahnreihen, aber in seinen Augen stand Pein.
Abwehrend hob Ocko beide Hände. Angelos dunkles Gesicht verlor äußerst plötzlich an Farbe und es schien Foelke bedrohlich, dass sich die Flügel seiner scharf geschnittenen Adlernase blähten. Sein Kiefer spannte sich, geräuschvoll sog er den Atem ein. Da merkte sie, dass ihr frisch vermählter Ehemann den Hauptmann unmöglich zurückweisen konnte, ohne ihn tödlich zu beleidigen.
Missvergnügt runzelte Ocko die Stirn und sagte mit drohendem Unterton: „Ich überlasse sie dir ungern, Angelo. Dennoch übergebe ich mein Weib deiner Fürsorge, jedoch nur bis zur Tafel...“
Angelo grinste zufrieden.
Federleicht legte Foelke ihre Finger auf den schwarzledernen Stulpenhandschuh. Angelos versehrte Hand ruhte immer noch auf dem Schwertgriff. Doch hatte Foelke trotzdem diese Hand vor Augen, wie sie in ihren Ausschnitt griff, diese Hand wie aus dem Höllenfeuer, schwarz behaart mit brandroter Narbe, wie sie ihr Kleid zerriss...
„Bella! Allerschönste Madonna, mit Augen wie Edelstein, wie grüne Smaragd, wie tiefe Meer!“ Angelo zog schwerfällig seinen Pferdefuß nach. Dennoch, er führte Foelke überaus galant zu ihrem Ehrenplatz, rückte den Hochstuhl zurecht, wedelte mit seinem federgeschmückten Barett in höfischer Manier über den Boden. Er lächelte gewinnend, dieser italienische Erzengel, dieser Luzifer, der Angst und Schrecken verbreitete, wo er nur auftauchte. „Ich Euch verehren, Ihr wissen. Ich brechen kaput, so traurig. - Malade.“
Ocko trat hinzu und fragte belustigt: „Na, raspelt er Süßholz?“
„Süsolz? Was das?“
Ocko legte seine Finger leicht auf Angelos Arm: „Schon gut, Freund. Süßholz, das sind diese kleinen Stangen, aus denen du den süßen Saft so gern heraus kaust. Lasst uns speisen. Riecht Ihr auch den köstlichen Duft von Gebratenem und Gesottenem? Ich habe ein vorzügliches Mahl für uns alle bereiten lassen. Die festlich geschmückte Tafel erwartet Euch, sie biegt sich unter der Last der Speisen. Alles ist aufgetischt, was Speicher und Kammern hergaben, die leckersten Köstlichkeiten aus aller Welt. Reichlich Fisch und Schalentiere, auch Fleisch von Wildbret, Geflügel, Rind und Schwein. Und es fehlt auch nicht an gutem Wein aus deiner Heimat, Angelo. Überdies gibt es reichlich friesisches Bier, Wacholder und Kornbrannt.“
„Ocko, du meinen, Essen und Vino mich trösten?“
„Wenn nicht das, so vielleicht die köstliche Nachspeise aus geschlagener Sahne und Wildbeeren“, lächelte Ocko spöttisch, wusste er doch, wie sehr Angelo steif geschlagene Sahne liebte.
Noch einmal wedelten die Straußenfedern von Angelos Barett über den Fußboden, ehe er sich hinkend zurückzog.
Die Musikanten verschönten die Stunden mit ihren Weisen und spielten lustig auf mit Zimbeln, Schalmeien, Trommeln, Dudelsack und irgendwelchen fremdartigen Zupfinstrumenten, die allem Anschein nach nicht nur Foelke völlig unbekannt waren. An ihrem Ohr wisperte Ocko etwas, sehr leise, sehr freundlich. Aber sie verstand seine Worte nicht, hörte nichts als den Lärm der Musik und das Brausen ihres Blutes. Ihr war so, als stünde sie auf dem Deich und ringsumher hörte man nichts als das gewaltige Rauschen der Brandung. So viel wollte sie ihm sagen, und nun wusste sie nichts mehr, nur, dass ihr Herz viel zu laut und zu schnell pochte... Sie musste plötzlich daran denken, dass sie vergessen hatte, ihm nach alter Sitte und Brauch auf den Fuß zu treten, um die Herrschaft in der Ehe inne zu haben. Ach, was liegt daran? Sie musste unvermittelt darüber lachen und mit einem Mal hörte sie Ocko fragen: „Foelke, warum lachst du?“ Sie sah in sein Gesicht, den lächelnden, etwas zu breiten Mund, die bezaubernden Grübchen in den Wangen. Verlegen erzählte sie ihm von der Sitte. Da drückte er sie sanft an sich und meinte mild, dass ihr das ohnehin nichts nützen würde. Ja, nickte sie, das wisse sie wohl und sinnierte für sich: Wie ein Schutzengel hält Ocko seinen Arm um mich. - Als ich noch mit Kampo verheiratet war, war es da nicht mein inständigster Wunsch gewesen, sein Weib zu werden?
Wie sehr sehnte Ocko sich nach ihr, ihrer Wärme, ihrer Zärtlichkeit, ihrer Liebe! Hatte er nun nicht alles erreicht? Waren nun nicht seine geheimsten Wünsche in Erfüllung gegangen? Ach, wenn ich doch dein Herz gewinnen könnte! Schon immer hat mein Herz dir gehört, Foelkedis. Ich habe dich vermisst... sinnierte er innig und ... schwieg. Sein Blick fiel auf die Musikanten. Ihre Musik war angenehm. Aber tanzen? Sein Bein schmerzte, sein Fuß ebenfalls. Es wurde Zeit, dass er sich setzte.
„Du hast gute Spielleute ausgesucht“, sagte Foelke und beugte sich ganz nah an sein Ohr. - Oh, wie sie duftet! - „Es quiekt und quäkt nicht so fürchterlich wie üblich und auch Pauken und Becken machen nicht solch grauenhaften Lärm. Alles klingt irgendwie harmonisch. Wie hast du das nur gemacht?“
„Das nehme ich als Kompliment. Schön, dass es dir gefällt. Der alte Barde hat nachher noch eine Überraschung für uns.“
„Was denn?“
„Warte es ab.“
Foelke nickte ergeben und blickte zufällig zu Angelo hinüber. Sie sah die Bordmagd seinen Becher neu füllen, sah wie ihre Hand Angelos Handschuh leicht berührte. Für einen Wimpernschlag trafen sich ihre Augen. Angelo steckte anzüglich zwei Finger in seinen Becher mit Schlagsahne, lutschte sie genussvoll ab und wiederholte das Spielchen noch einmal. Dann tauchte er aber nur einen Finger in die Sahne, den er von der jungen Frau abschlecken ließ. Hm, der Hauptmann hat eine Eroberung gemacht.
Welch ein Fest! Wie üblich, führten die Spielleute zur allgemeinen Gaudi deftige mimische Darstellungen auf. Die meisten Gäste belustigten diese Frivolitäten, wobei mancher Frau allerdings das Blut ins Gesicht schoss, was wiederum nicht unerheblich zum Amüsement beitrug.
Zu fortgeschrittener Stunde ließ der Barde sich großartig mit Pauken und Fanfarenstoß ankündigen. Er sei der letzte seiner Zunft, hieß es. Unter „Oh!“ und „Ah!“ ließ er verlauten, dass er den alten Stabreim beherrsche, jenes Versmaß, das man noch kenne aus den Epen, den heroischen Heldenliedern des Nordens.
Fackeln wurden gelöscht, die Kerzen in den großen Kandelabern ausgeblasen, bis eine geradezu unheimliche Atmosphäre entstand. Im Saal flackerten nur noch die Feuerbecken und die Holzscheite im Kamin, deren zuckender Schein dämonisch über die Gesichter geisterte.
Ein runder Binsenteppich wurde ausgerollt, ein kleiner Tisch in dessen Mitte gestellt. Der Sänger ließ sich mit gekreuzten Beinen darauf nieder und schlug die Saiten an. Dann empfahl er, man möge die Plätze so tauschen, dass eine „bunte Reihe“ entstehe, abwechselnd Mann und Weib. Es gab Widerspruch. Dann müsse man ja die Gedecke umwechseln und so sei es nach der Gewohnheit am besten möglich, sich zu unterhalten.
„Sich unterhalten!“ Das gerade wollte der Barde verhindern, dass man durcheinander plappert während seines Vortrages. So man also den wohlgemeinten Rat verwerfe, bedauere er das unendlich. Damit werde die Gesellschaft sich selbst eines besonderen Genusses berauben, gab er zu bedenken. Da man jedoch mit friesischem Eigensinn auf der Sitzordnung bestand, verkündete seine Begleiterin mit heller Stimme, dass er nun denn eine Mär aus uralter Zeit vortragen werde - das alte Atlilied. Mit einer Kerze leuchtete sie dem Barden und sein Gesicht geriet zur schrecklichen Fratze im flackernden Licht.
Unter lärmendem Beifall spielte er nun einige Präludien auf seinem Zupfinstrument, ehe er richtig loslegte. Sodann nahm die Geschichte ihren schauerlichen Fortgang:
Gudruns Gemahl, der Hunnenkönig Attila, schickt zu seinem Schwager Gunnar ins Burgunder Reich und lädt ihn und dessen Bruder Högni zu einem Besuch ein. Gudrun aber ahnt böse Absichten dahinter. Sie liebt ihre Brüder und schickt ihnen deshalb eine Warnung und zwar einen Ring, den sie mit Wolfshaar umwunden hat. Die Brüder erkennen zwar die Gefahr, reisen dessen ungeachtet aber dennoch zu ihrem Schwager Attila.
Dort angekommen, lässt Attila Gudruns Brüder unverzüglich gefangen setzen. Der Hunnenkönig will die Herausgabe des Kriegsschatzes von den Burgunden erzwingen. Als die jungen Recken sich weigern, lässt er Gudruns Bruder Högni foltern. Er kommt dabei ums Leben, ohne jedoch das Geheimnis preiszugeben, wo sich der Schatz befindet. Auch Gunnar weigert sich, das Versteck des Schatzes preiszugeben. Da er unbeugsam bleibt, lässt der Hunnenkönig ihn in den Schlangenhof werfen. Gunnar spielt auf seiner Harfe, in der Hoffnung, die Schlangen zu beruhigen. Das gelingt aber nicht und so findet auch er den Tod.
An bestimmten Stellen untermalte dumpfes Grollen der Pauken die Geschichte, ganz leise beginnend und unheimlich anschwellend im Halbdunkel des Saales, so dass den Frauen manch grauslicher Schauer über den Rücken lief. - Jetzt offenbarte sich für viele der Zuhörer des Barden Anspielung auf den „besonderen Genuss“. Schade, dass Frauen und Männer einander nach höfischer Sitte gegenüber saßen, sonst hätte wohl manche Hand „unsittliche Wege“ suchen können. Als die Mär in einem Blutbad gipfelte, wäre manche Frau gewiss gern in die Arme ihres Begleiters gesunken.
Gudrun aber ist erfüllt von dämonischem Hass gegen ihren Gemahl. Sie sinnt auf Blutrache und - oh Gott - in unmenschlichem Blutdurst tötet sie ihre beiden Kinder. Nicht genug damit, bereitet sie daraus ein Mahl für Attila, der somit seine eigenen Kinder verspeist.
Danach ersticht sie den betrunkenen Attila, verschenkt all ihre Schätze und zündet den Palast an, nachdem sie die Hunde freigelassen und die Knechte geweckt hat. Alle anderen kommen in den Flammen um.
Ocko bemerkte, wie Foelke ihre Hände ins Tischtuch klammerte, wie ihre Augen in Tränen schwammen. Sie war bis ins Innerste berührt. Grauenhaft! Wie kann eine Mutter das tun? Ihre eigenen Kinder töten, um sich an ihrem Mann zu rächen? „Das ist doch nicht wahr?“, fragte sie Ocko schniefend. Der reichte ihr ein Schnupftuch und legte behutsam seinen Arm um sie: „Es ist nur eine Geschichte, Foelkedis..., nur eine Mär. Welche Mutter mordet ihre eigenen Kinder, die sie unter Schmerzen geboren hat? Keine Mutter kocht ihre Kinder, um sich an ihren Mann zu rächen. Tatsächlich nicht das Richtige für eine Hochzeit...“
Der Barde war unterdessen von seinem Tisch gesprungen und verneigte sich. Ocko entlohnte ihn großzügig, versäumte jedoch nicht, ihn zu tadeln und seine Unzufriedenheit über die Themenwahl auszudrücken. Inzwischen wurde schon zum Tanz aufgespielt. Das enthob den Sänger der Notwendigkeit, eine langatmige Entschuldigung von sich zu geben, aber die Rüge hatte gesessen. Er machte sich eilends mit seiner Truppe davon und ward nicht mehr gesehen.
Das Grauen war schnell verflogen als wieder Fackelglanz den Saal erhellte und der Tanzmeister zum Reigen aufrief. Welch buntes Treiben! Viel zu schnell verrann die Zeit.
Winterliche Dunkelheit lag über dem weißen Land. Schneesturm fegte heulend um die Burg. Mächtiger und mächtiger brauste es und schüttete die weiße Last hinunter auf die Welt. Es knackte und knirschte im Gebälk, und wenn die Windsbraut Atem schöpfte, hörte man von Ferne das Heulen der Wölfe.
Ein Fanfarenstoß ließ die angeregte Unterhaltung der Gäste verstummen.
„Die Brautkammer ist bereitet“, verkündete der Herold lautstark.
Plump, ja, penetrant und peinlich klang das in Foelkes Ohren.
Schon standen die Brautjungfern bereit, schauten sie mit erwartungsvoll glänzenden Augen an.
Es missfiel Foelke, dass die altgermanische Sitte, das Beschreiten des Ehebettes vor Zeugen, in friesischen Landen immer noch zum Hochzeitsbrauch gehörte. Eine unbestimmte Unruhe überkam sie plötzlich. Waren es die bösen Erfahrungen an Kampos Seite, die sie mit Furcht erfüllten? Der Augenblick, den sie am meisten fürchtete, jetzt stand er unmittelbar bevor.
Erneut setzte Musik ein, geleitete Braut und Hochzeitsgesellschaft zur Brautkammer. Durch die geöffnete Tür fiel spärliches Licht auf den Flur. Kerzenschein tauchte den Raum mit dem großen Hochzeitsbett in seiner Mitte in Dämmerlicht. Man schob Foelke ins Brautgemach. Behutsam schlossen die Brautjungfern die Tür hinter ihr. Wollten sie ihr nicht helfen? Foelke schaute hilfesuchend um sich. Ach, da standen sie ja. Gott sei Dank! Nie hätte sie sich allein entkleiden können mit all dem Schmuck, dem Schersson und den Goldgehängen an ihrem Kleid. Das goldene Schersson stand ja schon für sich alleine wie eine Stellage im Raum.
Draußen hatte das ’Niedersingen’ begonnen. Nicht mehr lange, und die Festgäste würden den Hochzeitstrunk kredenzen. Eilig schälten die Hände der Brautjungfern sie aus ihren Kleidern. - Nicht eben warm in der Kammer. Foelke zitterte vor Kälte, ehe sie hüllenlos unter das Federbett schlüpfte. Dort aber war alles gut angewärmt mit Bettpfannen und heißen Backsteinen.
Knicksend verschwanden die Mädchen. Foelke zog den Bettvorhang zu, ganz dicht, als könne sie damit ihr Schicksal abwehren.
Nach einer Weile hörte sie den Türdrücker klicken und die Tür in den Angeln quietschen.
„Bist du da?“ Ockos Stimme hatte den merkwürdigen Beiklang von Unsicherheit. Foelke zögerte, ehe sie hochmütig erwiderte: „Natürlich, wo sonst sollte ich sein?“
„Keine Angst, ich werde dich nicht lange belästigen.“
Oh, das hätte ich nicht sagen dürfen, bereute Foelke.
Metallisches Klirren..., der Ritter legte sein Schwertgehänge ab. Dumpfes Poltern..., er warf die Schuhe auf die Dielen. Unregelmäßige Schritte, Ocko zog den Bettvorhang auf, erwiderte sparsam Foelkes Lächeln.
Völlig bekleidet schlüpfte er zu ihr unter die Decke und sie fühlte weich sein Samtwams an ihrer nackten Schulter. Wortlos zog Ocko das Federbett hoch bis zum bärtigen Kinn.
Der Gesang auf dem Flur verstummte. Erneut öffnete sich die Kammertür. Lärmend schwappte die Hochzeitsgesellschaft herein. Unter Ockos gebieterischem Blick senkten die Musikanten die Lautstärke ihres Spiels. Dann defilierten die Gäste um das Brautbett herum. Hundert Augenpaare starrten sie beide an. Endlich verschwanden als letzte die Brautjungfern im Dunkel des Flures und schlossen leise die Tür hinter sich.
„Da wir beide von einer Decke beschlagen sind, gilt die Ehe damit als vollzogen“, brummelte Ocko missgestimmt, stand unverzüglich auf und zog den Vorhang hinter sich zu. Sie hörte, wie er sein Schwertgehänge wieder anlegte, die Schuhe zusammensuchte und hineinschlüpfte. Dann verließ er ohne weitere Erklärung das Zimmer.
Verwirrt er ließ Foelke zurück. - Jetzt lag sie in dem riesigen Hochzeitsbett hinter zugezogenen Vorhängen. Über sich ein blausamtener Himmel, bestickt mit silbernen Sternen. Bei jedem Lufthauch funkelte das Gestirn. Der üppige Spitzenbesatz an den Kissen unterstrich Ritter Ockos Reichtum. - Draußen fielen weiße Flocken und deckten alles mit ihrem dicken, weichen Flaum zu. Foelke kuschelte sich tiefer in die warmen Kissen, fühlte einen heißen Stein an ihren kalten Füßen. Kommt er zurück, seine Rechte wahrzunehmen? Ihr grauste davor. Nach den entsetzlichen Erfahrungen mit Kampo, ihrem ersten Ehemann, und den schrecklichen Kriegserlebnissen schauderte es Foelke, einem Mann angehören zu müssen. - Weiß er das? Schont er mich deshalb? Warum sonst lässt er mich im Ungewissen? Warum lässt er auf sich warten? Die Gäste werden ihn aufhalten... Die Kirche wünscht Enthaltsamkeit in der Hochzeitsnacht. Bleibt er deswegen fort? Weil sich's nicht lohnt? Möglich, aber sein Fernbleiben verstößt gegen Sitte und Brauch... Doch was scheren ihn Sitte und Brauch!
Foelke dämmerte vor sich hin, Stunde um Stunde, halb schlafend, halb harrend... Die Musik der tanzenden Hochzeitsgäste ging ihr nicht aus dem Kopf; es war wie ein Rad, das sich ständig drehte und drehte und drehte... Es war zauberhaft und sogar liebenswert - irgendwie, aber auch lästig.
Gewiss, ihr Gemahl hatte auf allen Plätzen und Märkten seine Eheschließung verkünden lassen, und auch von jeder Kanzel war diese Nachricht am heutigen Tage verbreitet worden. Das musste ja auch sein, aber trotzdem... Haftete dieser Ehe nicht trotzdem ein eigentümlicher Beigeschmack an?
Wo blieb ihr Recht, den Ehemann frei wählen zu dürfen? Man trat es mit Füßen! Im Brokmerbrief stand es geschrieben. Küre 7 verbriefte dieses Recht ausdrücklich jeder Frau und war sie noch so geringen Standes. Wehrlos fühlte Foelke sich, ausgeliefert der Willkür der Männer.
Sie wusste, Ritter Ocko ließ nicht mit sich handeln. Ihr Bruder hatte es versucht und war hoffnungslos gescheitert. Er musste sie „opfern“, um den Familienbesitz zu retten, hielten Ockos Bewaffnete doch ohnehin alles besetzt. Dass Ockos Drohungen keine leeren Worte waren, ließ sich leicht nachvollziehen, denn er pflegte sein Wort zu halten, im Guten wie im Bösen. Habbo hätte das gleiche Schicksal ereilt wie Folkmar Allena und dessen Familie. Der Ritter hätte ihn aus dem Land gejagt. Musste Foelke da nicht dieses ’geringe' Opfer bringen?
Wie lieb Habbo sie zu trösten versuchte! Oh ja, er meinte es gut mit ihr, zählte ihr sogar die Vorteile dieser Ehe auf. Doch die waren ihr ganz und gar gleichgültig.
Andererseits - wo hätte sie hingehen sollen? Vielleicht den Schleier nehmen und ins Kloster Dykhusen zu ihrer Schwester Hebe übersiedeln? Als Braut Christi? Nein, nichts für sie! Welch abwegige Vorstellung für Foelke! Ohnehin war Foelke für ein Leben im Kloster nicht gefügig genug und da sollte sie sich mit einem imaginären Gatten zufrieden geben? Ihr Herz wünschte sich einen Mann aus Fleisch und Blut, einen Mann wie... Folkmar Allena.
Seit langem schon litt sie unter ihrer Kinderlosigkeit. Eigene Kinder! So entzückende Rangen wünschte sie sich, wie jene, mit denen Adda Folkmarsna gesegnet war. Foelke bezweifelte, dass es ihr je gelingen würde, diesen heißen Wunsch aus ihrem Herzen zu verbannen. Und selbst, wenn es ihr gelänge, darauf zu verzichten... Oh Gott, solche Gedanken machten alles nur noch schlimmer.
Von Kindesbeinen an war ihre Schwester im Kloster erzogen worden und dafür bestimmt, Äbtissin zu werden. War nicht selbst ihr Name danach ausgewählt worden? ‚Hebe’, das heißt eine ‚Gottesgabe', die aus den übrigen durch Emporheben abgesondert wird.
Foelkes Name bedeutete ‚die vom Volk geliebte Frau’. Sie war zur Heirat auserkoren, sollte das Geschlecht zu irdischem Ruhm führen. Und doch - als Witwe hätte ihr die Wahl nun offengestanden, erneut zu heiraten oder sich in ein Kloster zurückzuziehen.
Wie lange hatte sie darüber nachgedacht? Sogar das Beginenkloster bei Jemgum hatte sie in Erwägung gezogen. In dieser Frauenvereinigung lebten Frauen und Mädchen gut behütet ohne Ordensregeln, arbeiteten und beteten. Auch diese Möglichkeit schien Foelke vernunftwidrig für eine Frau ihres Standes.
Und recht besehen, war Ocko tom Brook ihr noch nicht einmal gleichgültig. Hatte sie ehedem nicht mit Sehnsucht seine heimlichen Briefchen erwartet? Hatte sie sich nicht geschmeichelt gefühlt, das Ziel seiner Wünsche zu sein? Und als er auf dem Turnierplatz für sie sein Leben eingesetzt hatte, wünschte sie ihm da nicht zu jeder Zeit den Sieg? Gewiss - und dennoch, das Racheschwert eines Gottesurteils hing damals über ihr. - Die Steinigung! - Diese grauenhafte Angst!
Brautnacht... In der Erinnerung sah sie Kampo von Emden vor sich, sein hochrotes Gesicht mit den schwabbelnden Hängebacken. In besinnungsloser Volltrunkenheit hing er zwischen zwei Kerlen, die ihn ins Brautgemach schleiften. Völlig bekleidet stopften sie Kampo an ihre Seite unter die Decke. Bald darauf erbrach er seinen ganzen Mageninhalt in die Kissen des Brautbettes...
Der Torf im Kamin puffte und knisterte, erwärmte mäßig das Zimmer. Das Feuer malte - wie damals - unbeständig verzerrte Schatten an gekalkte Wände. Foelke erinnerte sich, wie sie die Brautnacht im Lehnstuhl vor dem Kaminfeuer zugebracht hatte, eingewickelt in eine wollene Decke.
In wirren Träumen wirbelten ihre Gedanken durcheinander.
Auf dem kleinen Tisch neben ihrem Bett, die Weinkanne - leer. Schade, der Wein tat der Seele gut. Müde schloss sie die Augen und endlich breitete der Schlaf seine sanften Schwingen aus.