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Kapitel 3 - Fürstlicher Besuch in Emden - anno 1379
ОглавлениеDer Dezember brachte Schmuddelwetter und Regen. So kamen nur wenige Besucher auf die Abdena-Burg nach Emden. Die meisten Schiffe befanden sich im Winterlager. Nicht weniger als fünfzig kleine und große Fischerboote lagen auf dem Strand. Die Bootsleute nutzten das offene Wetter, die Schiffe von Tang und Muschelbewuchs zu befreien, das Tauwerk, das sogenannte stehende Werk, zu sichten und, sofern notwendig, zu erneuern. Es roch nach erwärmtem Pech, denn auf der Werft lag ein Hulk zum Kalfatern auf Grund. Überall flatterten Fischernetze im lauen Wind, zum Trocknen über Holzgestelle gehängt. Ein Schwarm von Heringsmöwen umflatterte die Gestelle, um hier und da Fischreste zu ergattern. Frauen flickten zerrissene Netze und hatten nebenbei ein Auge auf ihre spielenden Kinder.
Strandläufer stocherten im seichten Uferrand nach Nahrung.
Einige Spießgesellen übten auf dem Strand an Strohpuppen das fachgerechte Töten.
Bisher hatte der Winter kaum Schnee gebracht, der auch sofort wieder getaut war. Beinahe lind die Luft, fast wie im Frühling, wäre nicht der frische auflandige Wind gewesen.
Das herrliche Wetter hatte wohl alle Kinder der Umgegend herausgelockt, wie Hisko Abdena schmunzelnd feststellte.
Eine Gruppe halbwüchsiger Jungen, bewaffnet mit kurzen Holzschwertern, jagte johlend an ihm vorbei und die nachfolgende Gruppe Buben hätte ihn im Eifer beinahe umgerannt. Sie trugen weiße Mäntel, bemalt mit einem roten Tatzelkreuz. Diese Buben waren offenbar die Malteser in dem überaus beliebten ’Ritter- und Seeräuberspiel’. Hisko machte seinem Ärger Luft und drohte den Jungen die Zuchtrute an. Aber die ließen sich von ihm nicht beeindrucken, lachten nur, und der letzte drehte ihm sogar eine lange Nase. Dann waren die Buben auch schon wieder in dem Gewirr von Taurollen, Fässern, Holzstapeln und Bretterzäunen verschwunden.
Der Wind trieb den alltäglichen Geruch nach Fisch und Salz und Teer landeinwärts. Gewohnheitsmäßig blickte Hisko hinaus auf den Dollart. Weiße Kumuluswolken zogen über den Himmel, und er hob die Hand, um die flirrende Helligkeit des Wassers abzuschirmen.
Auf dem Dollart näherte sich mit dem auflaufenden Wasser ein Hulk, begleitet von einem Schwarm silbern blitzender Möwen. Eine Weile beobachtete der Drost das Schiff. Das geblähte Zeug und das lange weiße Banner, beides geschmückt mit einem schwarzen Kreuz, deuteten auf ein Ordensschiff hin. Ob es nach Osterhusen abdreht? Ja, es scheint so... Nein, doch nicht! Ha, das gibt gute Pfründe! Erfreut rieb Hisko sich die mageren Hände. Nun, darum brauchte er sich nicht zu sorgen.
Seinen Sohn zu sich rufend, machte er sich auf den Weg zu den Speichern am Delft. Fröhlich tollte Ihmel auf seinem Steckenpferd hinter dem Vater her, während der seinen Kajenmeister suchte.
Forschend blickte Hisko um sich. Kein Zipfel von dem Kerl zu sehen. Womöglich treffe ich ihn in der Hafenschenke.
Ein junger Kerl, der ein Heringsfass irgendwohin wälzte, zog ein blödes Gesicht auf die Frage des Drosten nach dem Kajenmeister und rollte sein Fass achselzuckend weiter. Gerade wollte Hisko ihn anraunzen, ob er nicht antworten könne, da sah er den Gesuchten vom Strand heraufkommen.
Der Kajenmeister war ein vierschrötiger Kerl, dem man nicht im Dunkeln begegnen mochte.
Der Wind wehte den Fischgestank seiner Ölkleidung in Hiskos Nase.
Verdrießlich hüstelnd stellte Hisko sich in den Wind und nestelte seine Duftkugel aus dem Wams, sog tief deren exotischen Geruch von Zimt und Nelken, Vanille und anderen Kräutern in sich ein, ehe er den Kajenmeister begrüßte:
„Moin, Meester, ich muss mit dir ein Wort reden.“
Fittje nickte. Er hatte Zeit, zwar keine Lust, aber ihm fiel keine passende Ausrede ein. Da erblickte er den Hulk: „Seht, Herr, ein Hanseschiff.“
Er deutete mit seinen schmutzigen Wurstfingern auf den Hulk, der soeben das Einlaufmanöver einleitete. „Da kommt Arbeit gesegelt.“
Das war Hisko auch recht: „Das ist kein Hansischer, das ist ein Ordensschiff, Fittje. Schau doch richtig hin! - Also gut, so komm am Abend nach getaner Arbeit. Ich erwarte dich. Wir können bei einem Krug Bier die Sache besprechen.“
Der Kajenmeister stimmte wortkarg zu.
Das typische Kullern braunköpfiger Lachmöwen flatterte über ihre Köpfe hinweg. Ein Klacks klatschte auf Hiskos Ärmel. „Schiet! Können sie nicht woanders ihre Gaben verteilen?“
Fittje grinste verhalten, riss sich das Tuch vom Hals und beeilte sich, den Möwenklacks mit seinem Halstuch von Hiskos Ärmel zu wischen. Ging aber nicht, der Fleck wurde nur noch größer und Hisko grollte: „Lass das! Hast nichts anders zu tun, Meester? Fut! Fut! Beeilung!“
Der Kajenmeister zog den kantigen Schädel zwischen die Schultern, verbeugte sich untertänig und eilte, Leichterschiffe auszusenden, um das Löschen der Waren möglichst rasch in Angriff nehmen zu können.
Hisko sah noch eine Weile zu, wie die flachbodigen Emspünten ausschwärmten, ehe er seinen Sohn rief, der sich bereits fröhlich mit den Circsena’schen Buben beim Seilhüpfen vergnügte.
Das mochte Hisko gar nicht leiden, jedoch verkniff er sich dieses Mal die fällige Rüge, die ihm schon auf der Zunge lag: „He, Ihmel, heim geht’s!“
Sein Tonfall ließ keinen Einwand zu.
Schmollend, aber gehorsam, schnappte der Junge sich seinen Pferdestecken und hüpfte hinterher, die schmale, mit Kopfstein gepflasterte Straße entlang, an den Speichern vorbei.
Das widerspiegelnde Wasser warf blanke Lichtreflexe auf die Fachwerkwände der Spieker. Mit dem Kranzug wurden gerade pralle Wollballen in eine Speicherluke gehievt und Hisko tadelte seinen Sohn, er solle nicht unter dem Kran durchgehen.
„Warum?“
„Wie oft habe ich dir das schon gesagt!“
„Warum?“
„Warum! Es könnte wieder herunterfallen.“
„Was?“
„Das, was am Kran hängt, Ihmel! Nun geh endlich auf die Seite!“
„Da ist es so schmutzig.“
„Besser schmutzig als platt.“
„Platt?“
„Ja, ich meine 'tot' damit. Wenn so eine Last herunterfällt, wird sie dich erschlagen.“
„Wieso, das ist doch weiche Wolle.“
„Aber solch ein Ballen hat viel Gewicht, ist schwer. Nun pass aber auf!“
„Tu ich ja.“
Sie waren an der Pfahlbrücke angelangt, die über den Delft führte. Der Brückner grüßte den Drosten untertänigst.
Gleichmäßig im Takt seiner Hüpfsprünge klackerte Ihmels Pferdestecken auf den Holzbohlen.
An den Dalben im Delft hatte ein buntes Sammelsurium kleiner und großer Schiffe festgemacht. Als Hisko vorhin zum Strand hinuntergegangen war, lagen sie zumeist noch im Schilfrand oder im Schlick fest. Jetzt drückte die Tide das Wasser in den Delft und ließ sie zusehends wieder aufschwimmen.
Kurz vor dem Steintor, dort, wo der Seewind nicht so heftig pfiff, hielt Jannicke, ein ringsum bekanntes junges Mädchen, Flussfisch feil.
Hisko warf einen Blick in den Bottich, meinte, dass da ja zu wenig Wasser drin und der Fisch vom gestrigen Tage wäre und kaufte nichts.
Das Mädchen hängte sich an Hiskos Rock:
„Herr, Herr Drost, sie leben ja noch! Nur einen Penning für zehn Fische, Herr!“, rief Jannicke verzweifelt und beteuerte hoch und heilig, ihr Vater habe den Fisch erst vor wenigen Minuten aus der Ems gezogen.
„Weg! Weg! Weg! Ich will keinen alten Fisch!“, nörgelte Hisko sie ungnädig an.
Die Wachen vor dem Steintor merkten auf, der Brückner kam vorsichtig näher heran, um eingreifen und schlichten zu können: „Jannicke, hörst du nicht, dass der Drost deinen vergammelten Fisch nicht will?“
„Aber er ist ganz frisch! Sie japsen ja noch! Seht doch!“
Hisko Abdena warf dem Brückner einen drohenden Blick zu. Der sagte alles. Das verstand der Kerl und deshalb brüllte er Jannicke barbarisch an: „Himmel, Herrgott! Sakra! Wenn der Drost sagt, dass der Fisch vergammelt ist, dann ist er vergammelt!“, und flugs gab er dem Bottich einen wuchtigen Fußtritt.
Das Fässchen holperte rumpelnd über die feuchten Bohlen und taumelte schließlich von der Brücke in den Delft. Glucksend versank es im Wasser.
Die Deern heulte auf.
„Guck mal an, Vater“, juchzte Ihmel und zeigte mit dem Finger ins dunkle Wasser. „Schau nur! Schau nur! Sie schwimmen alle weg.“
„Ja, mit dem Bauch nach oben schwimmen sie weg!“, entgegnete Hisko, ohne jedoch hinunter aufs Wasser zu blicken.
„Nein, Vater, sie schwimmen richtig...“
Patsch, hatte Ihmel einen hanebüchenen Backenstreich kassiert und nun heulte der Bub ebenso laut wie die kleine Jannicke.
„Das ist, weil du mir nicht widersprechen sollst. Verstanden?“
Ihmel hielt sich die rote Wange und nickte weinend. „Und außerdem hab ich dir schon tausendmal gesagt, dass du nicht wie ein altes Weib greinen sollst.“
„Und du, Hein Wichtig, was fällt dir ein!“, herrschte Hisko den Brückner an. „Du zahlst der Jannicke den Fisch und den Bottich dazu! Verstanden?!“
„Ich heiße aber Jan.“
„Bei mir bist du Hein Wichtig, Klugscheißer. Und du zahlst ihr sofort den Schaden.“
„Aber, aber... sie kann den Bottich wieder rausfischen.“
„Nichts da! Du zahlst ihr fünf Penninge, sonst bist du hier die längste Zeit Brückner gewesen!“
Kleinlaut zog der Bursche seinen Geldbeutel hervor, zählte umständlich fünf Geldstücke ab.
„Das ist aber viel zu viel! Ein Kreuzer tät’s auch“, begehrte er auf.
„Mach nur weiter so. Dann wird es noch teurer!“ Hiskos drohender Blick ließ ihn verstummen, und das Fischermädchen machte sich rasch aus dem Staube, ehe der Wächter ihr das Geld wieder hätte abnehmen können.
„Dass mir keine Klagen kommen, Hein Wichtig!“, warnte der Drost noch, ehe er sein plärrendes Söhnchen mit sich zog und das Torhaus in Richtung Burg passierte.
Gleich dahinter schlossen sich die prächtigen Fachwerkhäuser und Kontore der Kaufmannsleute an.
Von allen Seiten grüßte man den Drosten von Emden überaus erbötig, und Hiskos schlechte Laune verrauchte ebenso schnell wie sie gekommen war. Mit dem angenehmen Gefühl, hochgeschätzt und geachtet zu sein, schritt er die Warft hinauf zur Abdena-Burg.
Kaum zwei Stunden später wurde dem Drosten eine „Abgesandtschaft vom Schwarzen Kreuze“ gemeldet. Der Knecht verhaspelte sich vor Aufregung, als er Hisko die Nachricht überbrachte.
„Vom Roten Kreuze, Kerl!“
„Nein Herr, vom Schwarzen Kreuze.“
„Vom roten. Ich sah doch das Schiff!“
„Herr, Herr Drost, gnädiger Herr, ich schwöre!“ Er hob eifrig die Schwurhand. „Vom Schwarzen Kreuze. Der Hochmeister des Deutschritterordens wünscht Euch zu sprechen, Herr.“
Vor Freude schoss Hisko aus seinem Stuhl hoch: „Der Ordenshochmeister?“
„Ja, Herr, so wurde er genannt.“
„Warum sagst du das nicht gleich! So lass ihn ein! Bring ihn her! Nein, warte, führe ihn in den Prunksaal. Ach nein, ich komme mit.“
So konfus hatte der Knecht seinen Drosten selten erlebt, und er grinste vergnügt, was ihm ungerechterweise einen Backenstreich eintrug.
„Hör auf zu feixen, dummer Kerl! Lauf, damit seine Gnaden nicht warten müssen!“
Der Knecht spritzte davon und sein Herr drehte sich auf dem Absatz um, weil ihm eingefallen war, dass seine Kleidung ja keineswegs hoffähig aussah.
Unterdessen hatte Hiskos Seneschall die Besucher in den Staatssaal geführt und unterhielt die ritterlichen Gäste. In Begleitung zweier Ordensbrüder, die in geringem Abstand rechts und links des Hochmeisters standen, traf Hisko Abdena seinen hohen Gast im Gespräch an.
Der Ordenshochmeister war von imposanter Gestalt, die durch seinen eisernen Helm noch um einiges erhöht wurde. Nachdem sein Begleiter rechter Hand ihn als Seine Gnaden, Herrn Winrich von Kniprode, Hochmeister des Deutschritterordens, vorgestellt hatte, nahm dieser bedachtsam den Helm ab und übergab ihn ebenso bedachtsam seinem Knecht zur linken Hand.
Noch immer total durcheinander, faselte Hisko konfus, dass er sich freue, dass sich nun die Hansa in Gestalt des Ordensfürsten bei ihm melde, und dass er den Bischof von Münster um Fürsprache gebeten habe für den Stapelplatz Emden.
Bedächtig strich der Hochmeister sich den blanken Schädel, lächelte maliziös und meinte, hier läge wohl ein grobes Missverständnis vor. Er sei lediglich mit der Absicht hierher gereist, um Zuchthengste und Stuten auszuwählen.
Er habe einen rheinischen Tonfall, bemerkte Hisko angelegentlich, ob er aus dem Rheingau stamme. Da lächelte der Hochmeister belustigt, strich sich den üppigen „Seehundsbart“ bis unters Kinn und erklärte, dass sein Stammsitz Kniprath bei Monheim am Rhein sei. Die Heimat dürfe ihm nicht zur Fremde werden, deshalb halte er mit seiner Familie stets engen Kontakt, weswegen das Rheinische in der Sprache wohl noch gegenwärtig sei.
„Aha, deswegen. Oh, verzeiht, selbstverständlich, Euer Gnaden, Kontakt halten, das ist wichtig“, dienerte Hisko. „Äh ja, mein Neffe wird bald dem Orden beitreten, so hoffe ich.“
Kniprode kam dann nochmals auf die Pferde zu sprechen und Hisko strahlte: „Gern folge ich Eurem Wunsche und stelle Euch meine besten Friesen vor. Aber darf ich Euch zuvor auf ein Mahl bitten? Euch und Eure Brüder? Ich werdet gewiss hungrig sein.“
„Trefflich, doch würden wir zuvörderst gern ein Bad nehmen. Wir sind von der Reise etwas unansehnlich, denke ich. Wenn Ihr uns die Güte erweisen wollt...“
Hisko beeilte sich, eine Entschuldigung zu stottern: „Ihr edlen Herren, verzeiht meine Unachtsamkeit...“ hob er an. Herrgott! Das war nun auch nicht richtig, das hieß ja, dass sie tatsächlich unansehnlich wären. „Ich meine, eine Reise ist stets anstrengend und auf einem Schiff mit Unannehmlichkeiten verbunden. Ein Bad wird die edlen Herren gewiss erfrischen.“
Betreten winkte Hisko dem Altknecht, alles Notwendige zu richten und die Ordensleute zu begleiten.
Sich höfisch verneigend, folgten die Ritter ihm wortlos, Hisko mit dem Gefühl zurücklassend, nicht gerade den allerbesten Eindruck erweckt zu haben, aber sicher würden sie sein Gebaren rasch vergessen.
Somit beschloss er, diese Schmach wieder wettzumachen. Die Teilnahme seiner Familie und des gesamten Gesindes am abendlichen Gottesdienst mochte die Ordensbrüder sicher milder stimmen. Zufrieden ließ er gewohnheitsmäßig seine dürren Finger knacken.
Nach der Messe in der Cosmaskirche, zu welcher die Ordensritter sich ebenfalls eingefunden hatten, schlenderte man gemeinsam durch die dunkle Gasse zurück zur Burg. Zum Glück stand der Vollmond günstig und leuchtete den Weg aus, gerade hell genug, um nicht über die abgestellten Karren zu fallen.
Der Hochmeister fragte eigentümlich, ob Hisko es wohl immer so halte, dass das Gesinde mit ihm gemeinsam dem Gottesdienst beiwohne.
„Ich denke, als Propst ist es meine Pflicht, für den Seelenfrieden meiner Untertanen Sorge zu tragen, nicht wahr?“, entgegnete Hisko geschickt.
Da verwundere es nur, meinte Kniprode, warum er nicht höchstselbst die Messe gelesen habe.
„Das kann ich Euch erklären, Herr Ritter. Zum Propst bin ich berufen, jedoch bin ich kein Priester. Die Investitur erlaubt es bei uns, dieses Amt mit Laien zu besetzen.“
„Mit andern Worten, Ihr habt dieses Amt erworben?“
„Gewissermaßen. Die Bischöfe litten seinerzeit unter Geldmangel.“
Kniprodes schmallippiger Mund verzog sich zu einem galligen Lächeln: „Gewiss, das tun sie doch immer. Man muss viel Holz schlagen, um die Hölle anzuheizen.“
„Nachsicht, Meister. Ich verstehe nicht. Wie meinen?“, brabbelte Hisko irritiert.
„Wie ich es sagte, Probst.“
„Eine erhebliche Anzahl von Gotteshäusern wurde vor gut hundert Jahren errichtet“, fuhr Hisko gekränkt fort. „Verständlich, dass dies mehr Gelder verschlang als Einnahmen zurückflossen. Aus diesem Grunde gingen die Bischöfe dazu über, Erblehen zu vergeben.“
Wissend nickte der Hochmeister.
„Also, diese Erblehen mussten für gutes Geld erworben werden. Der Propst wiederum hat nach wie vor das Erblehen zu verwalten und den Zehnten einzutreiben. Der Dritte gehört dem Propst als Entschädigung für das seinerzeit gegebene Geld. Dazu gehört auch, dass dem Propst das Sendgericht obliegt, in diesem Falle mir. - Aber wem sag ich das! - Erblehen und Amt sind seit Generationen im Besitz meiner Familie und gehen stets auf den Erben über, Herr.
Der Bischof von Münster besitzt landesherrliche Rechte und weltliche Machtbefugnisse in Emden. Diese Funktion als Drost habe ich seit dem Tode meines Bruders nun für den Bischof wahrzunehmen.“
„Euch obliegt somit auch die Führung der Miliz?“, fragte Kniprode nachdenklich.
„Gewiss, gewiss doch, Euer Gnaden, auch die Miliz, die mein Bruder zu führen verpflichtet war.“
Die Ordensleute blickten verstohlen lächelnd auf ihren spindeldürren Begleiter. Hisko bemerkte es in der Dunkelheit nicht und fuhr stockend fort: „Ja, mein Bruder wurde grausam ermordet…“
„Aber Herr Probst, ich hörte, Euer Bruder fiel in den Schlacht bei Loppersum!“, entrüstete sich einer der Begleiter des Hochmeisters. Hisko ignorierte angelegentlich den Einwurf:
„Ich bin sein Erbe. Mein Bruder war Führer der Bürgergarde. Alle Welt nannte ihn deswegen Kampo… sein Name war eigentlich… Oh! Ach! … eine Standesbezeichnung. Verzeiht, ihr Herren…“
Ostentativ wischte Hisko eine Träne fort, was Kniprode kaum übersehen konnte: „Bezwingt Euch, tragt es mit Würde, Propst. Wir wollen den Schmerz Eurer peinvollen Erinnerungen ruhen lassen. Das ist sicher schmerzhaft, aber seht es nur positiv, denn nun haltet ihr nicht nur das Richteramt in Eurer Hand, sondern auch die Gewalt der Sicherheitspolizei. Lebt nach eurem Wahlspruch, Probst: Wie lautete er noch? Ich las ihn in dem Spruchband unter eurem Wappen.“
„Ah ja, unser Wahlspruch – in der Kirche. Er lautet: Solange ich lebe, wird niemand zur Ruhe kommen."
„Soll heißen?“, fragte einer der Ordensbrüder keck. „Erklärt Euch, Herr Probst.“
„Gemeint ist die Rache an unseren Widersachern, Herr. Sie sollen für ihre bösen Taten büßen bis ans Ende ihrer Tage.“
„Ah so! Nach dem Motto ’arrogante Männer fallen schneller’, ha, ha, ha!“
Kniprodes Gefährten wandten sich hastig ab und blickten höchst belustigt in den Burggraben, stellten sie sich wohl den abgezehrten Probst als schlotternden Rächer vor, der beim ersten Schwerthieb aus den Latschen kippte. Der Ordenshochmeister sandte seinen Begleitern einen strafenden Blick zu, während die Gruppe gemächlich die Zugbrücke überquerte.
Im düsteren Wasser spiegelte sich der Mond. Etwas platschte in dem trägen Bächlein. Ein Wasservogel? Ein Fisch?
„Was schaut Ihr, Hochmeister? Das ist nur ein paddelndes Tier“, sagte Hisko. Kniprode aber hielt inne und schaute genauer hin. „Nein, Herr Drost, es ist ein Mensch, ein Kind... schaut doch, die Kleider, ein Kind ist es. Jetzt geht es unter...“ Eine auffordernde Gebärde zu einem seiner Begleiter genügte und dieser warf hastig seinen Mantel von sich, hechtete hinunter in das schwarze Wasser und fischte ein Knäblein heraus. Gerade noch rechtzeitig; es musste wohl beim Angeln von der Böschung ins Wasser gerutscht sein und Hisko äußerte mit verstörtem Blick, dass er den Buben für eine Katze gehalten habe. Der Hochmeister schenkte ihm ein mitleidiges Lächeln und bedeutete, es sei ein eigenartiges Erlebnis gewesen. Dann setzte er mit würdigem Schritt seinen Weg fort, derweil sich zwei oder drei Ordensbrüder mit dem Buben und seinem Retter befassten.
Am Burgtor angelangt, warf Winrich von Kniprode einen Blick ins Torhaus, bemerkte erstaunt die spärliche Besatzung.
Der Hof, hell erleuchtet von den rundum an den Mauern aufgesteckten Fackeln, machte einen relativ sauberen Eindruck. Offenbar waren Pferdeäpfel und anderer Unrat weggeräumt worden, derweil sie dem Gottesdienst beigewohnt hatten, denn vorher hatte der Hof noch einen anderen Anblick geboten.
„Eine... wehrhafte Herrenburg habt Ihr“, meinte der Hochmeister höflich. Dabei wanderten seine Gedanken wohl zu den gewaltigen Burgfesten des Ordens im Pruzzenland, gegen welche diese Burg hier eher lächerlich und unscheinbar wirkte und weniger Sicherheit versprach denn eines der Vorwerke des Ordens.
„Sie ist seit Generationen im Besitz der Abdena. Wiard Abdena, was mein Großvater war, hat sie anlegen lassen“, erklärte Hisko mit stolzgeschwellter Brust, und einer der Begleiter des Hochmeisters, ein hagerer, rotwangiger Mensch mit rotem Backenbart und dem Aussehen eines Wikingers, röhrte lachend: „So sieht sie aus.“
Gezwungenermaßen rang Hisko sich ebenfalls ein Lachen ab, obgleich er sich einigermaßen verspottet fühlte.
Sie waren mittlerweile im Prunksaal angelangt.
Das Gesinde sputete sich, Tafeln und Sitzbänke hereinzutragen. Der Drost sprang über seinen eigenen Schatten, an Speis und Trank wurde heute nicht gespart.
„Ihr edlen Herren, ich bitte Euch, Platz zu nehmen. Mein Weib ist leider ‚unwohl’. So müsst Ihr mit mir vorlieb nehmen“, entschuldigte Hisko seine Frau, die er allerdings mit Vorbedacht fernhielt, da er der Meinung war, dass sie in ihrem schwangeren Zustand wenig ansehnlich sei und eher abstoßend wirke.
Das sei bedauerlich, bedeutete der Wikinger, denn ein junges Weib schmücke jede Tafel: „Bitte, richtet unsere Genesungswünsche aus, Herr Propst.“
Hisko bedankte sich artig. Sicher werde sie sich bald besser fühlen, denn alsbald werde ihre Niederkunft erwartet.
Die Mägde trugen friesisches Bier auf, und Winrich von Kniprode hob seinen Becher und trank auf das Wohl des zu erwartenden Kindes, wünschte ihm schon jetzt Glück und Segen und Gottes Beistand.
„Bedankt, Herr. - Es geht die Runde, dass eine Tagfahrt gegen die Seeräuber in der Ostsee geplant ist?“
Da wisse Hisko mehr als er, lächelte der Hochmeister zurückhaltend: „Nun, die Pruzzen halten zurzeit Ruhe. Wir sind bereit und werden sehen, was Gott uns aufträgt Der Herrgott wird uns helfen - durch seine Kraft und Stärke.“
„Herr Hochmeister, auf ein Wort.“ Zerfahren ließ der Drost seine Finger knacken. „Ich will Emden zum Stapelplatz der Hanse machen. Erwähnte ich das schon? Ihr habt unser schönes Tief gesehen und den Delft. Sicher werdet ihr auch unsere Speicher und Kranhäuser und die Kaufmannsgasse bemerkt haben. Vor einiger Zeit schon bin ich vorstellig geworden bei meinem Bischof, Johann Potho von Pothenstein. Er versprach mir seine Unterstützung beim König. Schließlich ist Münster schon seit langem Mitglied im Hansebund. Darf ich um die Gunst bitten, mein Anliegen zu unterstützen, Euer Hochwohlgeboren?“
„Herr Propst“, hob Winrich von Kniprode an, „fraglos wird Euer Bischof seinen Propst und Drosten protegieren. Wozu braucht Ihr dann meine Hilfe?“
„Ihr als Fürst und Mitglied der Hansa, habt unzweifelhaft höheren Einfluss auf König Wenzel als mein Herr Bischof“, schmeichelte Hisko plump.
„Ihr seid ein Fuchs, Ihr versteht es, Eure Verbindungen zu nutzen“, entgegnete der Hochmeister mit spöttischem Unterton. „Der münster'sche Bischof hat sicher nichts dagegen einzuwenden, in Emden einen Stapelplatz zu bekommen, stärkt es doch seinen Einfluss und bringt zusätzliche Pfründe.“
Gewiss, der Vorteil läge auf der Hand, bestätigte Hisko eiligst. Die Ems begünstige die Verteilung der Waren ins Rheider- und Overledingerland. Dennoch...
Hisko brach plötzlich ab, kam ihm doch schlagartig ein Geistesblitz. Er hob den Becher und brachte den traditionellen friesischen Trinkspruch aus: „Eala frya Fresena (Heil, freie Friesen), wie man bei uns sagt. Ich sehe, Ihr seid mir gewogen. Erlaubt mir, Herr, Euch meine besten Rosse zu verehren. Sie sind den Herren Ordensrittern würdig, haben einen festen Rücken und sind obendrein genügsam wie keine anderen Pferde, willig und gehorsam, dazu schnell und ausdauernd, ausgebildet für den Kampf Mann gegen Mann. Zum Wohl, edle Herren.“