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Kapitel 9 - Widzelts Aufbruch

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Alles ist sehr gut vorbereitet, denkt Widzelt, während er ins Haus eilt. Es ist alles ganz leicht, viel zu leicht eigentlich. Sie werden Augen machen! Er lacht leise in sich hinein.

In der Schreibstube wartet er ab, bis die Schritte auf dem Flur verstummt sind.

Eine Nachricht! Er muss eine Nachricht hinterlassen. Am besten hier, auf der Schreibtafel.

Der Griffel rutscht Widzelt aus der Hand. Die Aufregung hat seinen ganzen Körper erfasst. Die Buchstaben auf der Schiefertafel gelingen etwas unregelmäßig, geben seine Aufregung wieder.

Nun aber fort, ehe es zu spät ist.

Rasch läuft Widzelt in die Küche. Spärlicher Schein von Herdfeuer flackert unter der eisernen Feuerstulpe, erhellt kaum den Raum. Rixte, die Magd, liegt zusammengerollt auf einem Lager aus gehäckselten Binsen und Stroh vor dem Feuerloch. Sie schläft immer dort, weil sie darauf achten muss, dass das Feuer nicht versehentlich ausgeht.

Leise tappt Widzelt durch die Küche. In der hintersten Ecke hat er schon am Vorabend sein Bündel mit den wenigen, notwendigen Habseligkeiten versteckt. ‚Kling' macht es wie heller Glockenton, als Widzelt im Dunkeln irgendetwas anstößt. Das leise Schnarchen der Magd verstummt plötzlich. Widzelt verhält wartend den Schritt, wagt kaum zu atmen.

Ich bleibe ja nicht für immer. Ich werde ein guter Schüler sein! Ich werde ihn nicht enttäuschen. Warum will er mich nicht weglassen? Es ist mein größter Wunsch und er weiß es! - Das Schnarchgeräusch lebt wieder auf. - Wenn ich zurück bin, ist viel Zeit vergangen. Er wird mir verzeihen, und er wird stolz auf mich sein. Also weiter. Ich muss mich beeilen.

Seinen warmen Hirtenmantel trägt er bereits, ebenso die Pelzstiefel. Das erleichtert die Sache. Endlich! Da, mein Bündel. Jetzt rasch wieder hinaus, ehe die dumme Magd aufwacht.

Die Burg scheint menschenleer. Bis auf den Turmwächter ist niemand zu sehen. Sein dunkler Schatten verschwindet regelmäßig hinter den Zinnen. Er dreht seine Runden.

Nur den richtigen Zeitpunkt abpassen. Jetzt! Los!

Mit sechs, sieben Sprüngen ist Widzelt an der Burgmauer. In ihrem Schatten kann der Wächter ihn nicht sehen. Zudem schaut er ins Land hinaus und nicht in den Burghof. Widzelt hält sich dicht an der Mauer.

Die Leiter! Wo ist sie? Gestern habe ich sie doch hier versteckt...

Widzelt lässt sein Bündel fallen, wühlt suchend mit den Händen im trockenen Laub, das sich am Mauersockel häuft. Ein Nachtvogel schreit. Er hält inne, lauscht... Kein Geräusch, nur leises Rascheln einer Maus in dürren Blättern. Erneut beginnt er seine Suche nach der verwünschten Leiter. Nichts! Verdammt! Weg! - Er hat an alles gedacht: dass er über die Mauer klettern muss, dass er den Burggraben überwinden muss, möglichst, ohne nass zu werden, dass er ein Pferd braucht, um schnell nach Emden zu gelangen. Nur, dass jemand die Leiter wegstellen würde, daran hat er nicht gedacht. Suchend schaut er sich um, tapst ein Stück an der Mauer entlang.

Vielleicht habe ich sie woanders versteckt? Ich sehe die Hand vor Augen nicht. Stockdunkel ist es hier.

Sein Blick wandert zum Himmel. Der Mond versteckt sich hinter schwarzen Wolkenbänken, sein bleiches Licht bildet einen hellen Saum am Rand der Wolken.

Was tun? Aufgeben? Heimlich zurück ins Haus gehen?

Noch einige Schritte schleicht Widzelt sich weiter an der Mauer entlang. Während sein Blick angestrengt auf den Boden gerichtet ist, lässt er seine Hand an den Backsteinen entlangwandern. - Was ist das? Seine Finger ertasten Holz, einen Stecken. Die Leiter! Dem Herrn sei Dank! Widzelt atmet auf, schnappt sich die Leiter und trägt sie an jene Stelle, die er als Übergang ausersehen hat, die Mauer zu überwinden.

Kaum merklich wird die Nacht heller, die Wolken, die über die Mondsichel fliegen, schütter und durchsichtig.

Widzelt schaut zum Turm hinauf. Die unscharf sich abzeichnende Silhouette des Wächters ist dort zu erkennen. Wendet er Widzelt den Rücken zu? Der Junker muss abwarten, bis der Kerl sich wieder bewegt, den Rundgang fortsetzt. Endlich nimmt er seinen Weg wieder auf, verschwindet für Sekunden hinter einer Zinne, taucht wieder auf, verschwindet wieder...

Behutsam lehnt Widzelt seine Leiter an die Burgmauer, ruckelt sie in der weichen Erde zurecht, damit sie nicht plötzlich seitwärts mit einem Holm im Boden versinkt und er womöglich hinunter purzelt. Gerade, als er sich bückt, sein Bündel aufzunehmen, bimmeln Glocken. Widzelt fährt erschrocken zusammen, ehe ihm einfällt, dass dies die kleinen Glocken der Burgkapelle sind, die zur ‚Prim' rufen. So muss es bereits fünf Uhr sein. Widzelt sieht, wie der Turmwächter langsam zum flackernden Feuerbecken geht, um sich aufzuwärmen.

Jetzt ist es günstig! Hurtig die Leiter 'rauf! - Das ging gut, sehr gut sogar. Nun flach auf die Mauerkrone robben... Suchend tastet Widzelts Hand auf der Grabenseite die Mauerkante entlang.

Feuchtes Moos…, eine Schnecke… glitschig… Wo ist meine zweite Leiter? Da! Sie steht noch da, wo ich sie vorsorglich aufgestellt habe. Das passt! Ein wenig vorrobben. - Ein forschender Blick zum Turmwächter. - Ab geht's! Tempo! Tempo! - Auf der andern Seite wieder ‘runter, Leiter wegziehen, über den Graben legen. Ein bisschen knapp. Na ja, wird schon gehen. Das Bündel hinüberwerfen. Mantel aus - Stiefel? Auch ausziehen. Besser ich werfe sie nach drüben. Hoffentlich kullern sie nicht ins Wasser.

Mit kräftigem Schwung schleudert Widzelt das Bündel auf die andere Grabenseite.

Ha, gelungen! Loskriechen. Vorsicht, die Leiter sackt am anderen Ufer in die Böschung. Verflucht! Sie kippt auf die Seite. Jetzt das Gewicht verlagern, mehr nach links, mehr nach links. Nur nicht in den Graben fallen! Oh Gott, sie sackt weiter ab. Gleich... Nur noch drei Sprossen, dann... Mist! Die Leiter dreht sich... Das geht schief! Platsch... Alles nass! Gut, dass ich ein paar trockene Sachen habe...

Sein Pferd hat der Junker beim Waffenschmied auf die Weide gestellt. Das ist völlig unverfänglich und zudem nicht weit von der Burg entfernt im Wald. In schnellem Lauf rennt Widzelt den Sandweg hinunter zum Waldrand. Ohne Unterbrechung dringt er in den Wald ein. Das Mondlicht spielt zwischen den Zeigen. Irgendwo knackt es im Gehölz. - Vermutlich Wild, das durchs Dickicht bricht. Der Weg wird beschwerlicher, feucht und tief, stellenweise matschig, voll von lang gestreckten Pfützen.

Keine Zeit zum Rasten. Ich muss das Ordensschiff erreichen, ehe es ablegt. Ich muss! Ich will es erreichen und ich werde es erreichen! Wenn nur mein Pferd da ist! Alles Weitere ist ein Kinderspiel.

Als sie zu Bett gehen, schmiegt Foelke sich ganz fest an ihren Mann. Seine Arme umschlingen sie; Foelke biegt den Kopf zurück, und er sucht ihren Mund, küsst sie voller Leidenschaft. Ein Strudel von Erwartung und Wonne, Glücksgefühl durchströmt ihren Körper, lässt sie leise aufstöhnen.

Sein Gesicht in die duftende Seide ihrer Haare grabend, küsst er Hals, Nacken, Schultern, den Ansatz ihrer Brüste... und schweigt. Foelke erbebt, und sie weiß, es ist das Verlangen, das sie beide wie ein warmer Hauch umweht.

Sekundenlang betrachtet Ocko seine Frau, küsst zart ihren weichen Leib, den Venushügel... Unter dem Himmel aus Samt, umgeben von weißem Leinzeug und duftigen Spitzen, scheint sie ihm betörender als jede andere Frau, die er je besessen hat. Sie zieht ihn in ihren Bann, und es ist ihm unmöglich, ihren Körper nicht mit Küssen zu bedecken.

Selig trinkt Foelke die Liebkosungen seiner Hände, die unendliche Sanftheit der Berührung, betrachtet, wie das Licht der matten Öllampe auf seinen Schultern reflektiert, wie seine Haut sich weich und glatt über mächtigen Muskeln spannt.

„Komm“, flüstert Foelke, „komm.“ Kaum kann sie es erwarten, ihm anzugehören mit Leib und Seele. Ocko löscht die Lampe, sagt kein Wort, muss er auch nicht. Da ist eine überwältigende Ausstrahlung von Liebe und Zärtlichkeit. Ja, er liebt sie...

Überwältigt von seinem großen Gefühl, nimmt er sie und Foelke gab sich ihm hin, erwiderte in Liebe und Leidenschaft seine zärtlichen, fordernden Küsse...

In ihrem Kopf scheint sich alles zu drehen wie in einem großen Wirbel. Und sie befindet sich inmitten dieses Sturmes der Liebe, aus dem es kein Entrinnen gibt.

Mit weit geöffneten Augen schaut Foelke auf zu dem mit Rosen übersäten Betthimmel. Sie fühlt die straffe Muskulatur seines Leibes, genießt die Liebkosungen seiner Hände... Da ist nichts mehr als sie beide und diese wundervolle Glut der Gefühle. Alles andere ist bedeutungslos! Foelke erliegt abermals der Anziehungskraft seiner Hände - wie schon so oft, dieser herrlichen, zaubernden Hände, unter denen sie erbebt, in die sie sich willig schmiegt. In alle Ewigkeit wird sie ihn lieben und nichts wird es je geben können, das diese Liebe zu ihm zerstören kann, dessen ist sie sich sicher. Glückselig schmiegt Foelke sich in seinen Arm.

Aber Ocko kann noch lange keinen Schlaf finden. Seine Gedanken sind wie ein einziges Gebet der Dankbarkeit.

Was für eine Frau! Herr, ich danke dir! Du hast mir in deiner unendlichen Gnade das größte Glück auf Erden geschenkt. In meinem Arm ruht Foelkedis. Seit ich wieder daheim bin, ist sie das Ziel meiner Wünsche gewesen. Ich bin glücklich, und ich liebe sie... Und sie liebt mich, liebt mich mit der ganzen Kraft ihres Herzens. Und dabei fürchtete ich zu Anfang, sie würde mir nicht einmal die Hand geben wollen, weil ich mich in den vielen Jahren als Heerführer mit Blut besudelt habe. -

Aber warum nur genügt es mir nicht, dieses Ziel erreicht zu haben? Warum strebt mein Sinn weiter? Nach mehr Macht, nach Ausdehnung meiner Herrschaft? Ist es Geltungsdrang, Machthunger, Ehrgeiz, schlichte Gier?

Nein, das ist es nicht, das wäre Hochmut - sündhafter Hochmut. Ich möchte die Friesen vereinen. Ich will ein Ende der ewigen Querelen und Machtkämpfe unter den Häuptlingen. Niemand weiß es besser als ich, dass solch ein Frieden nur zu erreichen ist, wenn alle einem Herrn untertan sind, einem Herrn Gefolgschaft leisten...

Ich sehe, dass die Gemeinschaft der Hansekaufleute zu große Macht erringt. Ich sehe, dass die Hansa die Häuptlinge gegeneinander ausspielt, dass sie dadurch unseren Wohlstand und Besitz schmälert. Nur gemeinsam sind wir stark. Nur eine starke Gemeinschaft kann der Hansa die Stirn bieten.

Bin ich nicht auserwählt und berufen, den Wohlstand zu erhalten, Frieden zu bringen? Ja, das bin ich, denn ich allein wurde ausersehen, mit dem Ritterschwert gegürtet zu werden... Darin besteht eine ernste Verpflichtung, genauso, wie ich es an heiligem Altar geschworen habe: Gottes Vorsehung hat mich mit dem Ritterschwert umgürten lassen, damit ich die Unmündigen und Waisen schütze. Damit ich sie mit der Schärfe des Schwertes mannhaft gegen alle verteidige, die da trachten, ihnen Unrecht zuzufügen. Und Unrecht, das geschieht meinen Untertanen auch durch die Hansa. - Zweifel überkommen Ocko plötzlich, ob er Widzelt nicht doch hätte ich ziehen lassen sollen. - Wenn ich jetzt zu ihm gehe - er könnte das Schiff noch erreichen…

Foelke murmelt etwas im Halbschlaf. Angenehm fühlt Ocko die Wärme ihres Körpers, der halb über ihm liegt, und das kühle Streicheln ihres Atems auf seiner Brust. Wenn ich jetzt aufstehe, wird sie wieder wach und sie will nicht, dass Widzelt fort geht. Ach nein, es ist besser so…

Zuerst fiel es niemandem auf, dass Widzelt nirgends auftauchte, denn so etwas kam häufiger vor. Foelke vermutete dahinter eine Geliebte.

Im Laufe des Tages aber wurde Foelke unruhig. Als sie Widzelt bis zum Abend noch nicht gesehen hatte, kam ihr ein Verdacht und sie ließ nach ihm suchen. Nein, Widzelt blieb verschwunden.

Ob er eine Nachricht hinterlassen hat? Wenn ja, wo könnte das sein? In der Schreibstube vielleicht. Woher plötzlich diese Eingebung? Mit fliegenden Händen warf Foelke das Schultertuch um sich, eilte in die Schreibstube.

Da, das Pult, die Pergamente... nichts... Die Nachricht muss hier sein!

Enttäuschung. - Im Umwenden stieß Foelke die am Pult baumelnde Schreibtafel an. Ein quietschendes Geräusch auf dem Schiefer. Der an einem Band hängende Griffel gab das von sich. Behutsam, ja angstvoll, nahm Foelke die Schiefertafel auf, legte sie vor sich hin auf das Stehpult. Widzelts Handschrift… Zittrige Buchstaben - dabei hat er ein so schöne Handschrift...

„Verzeiht, wenn ich euch Kummer mache. Ich muss ins Ordensland. Sicher versteht ihr das. Ich gebe euch Nachricht von dort. Gott sei mit euch. Widzelt“

Foelke erschrak. Ein kalter Schauer rann über ihren Rücken.

Widzelt widersetzt sich Ockos Wünschen! Ocko wird böse sein, sehr, sehr böse… Einer muss es tun, muss es ihm sagen...! Besser ich als irgendeine Magd.

Einen Moment flackerte etwas - Stolz? - in Ockos Augen auf, dann schoss wilder Zorn in ihnen hoch: „Er widersetzt sich mir!“, stieß er verärgert hervor.

Foelke, sanft: „Ja, Lieber, aber… hast du es anders gemacht? In deiner Jugend, meine ich? Hast du nicht auch deines Vaters Burg verlassen? Bist du nicht auch in die Fremde gegangen? Bist du nicht auch heimlich verschwunden?“

Ockos Zorn verrauchte so rasch, dass es Foelke fast unheimlich schien. Beinahe hätte er laut aufgelacht: „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Er wird es zu was bringen.“

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