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Kapitel 12 - Bericht aus Balga
ОглавлениеDer Abend war warm und mild, einer jener wunderschönen Abende im April, die den nahen Sommer spüren lassen. Arm in Arm gingen Foelke und Ocko unterhalb der Burg spazieren. Lautlos kräuselte die leichte Brise das Wasser im Kolk, in dem kupfern die sinkende Sonne glänzte. Ein unbeschreiblich schönes Bild, wie sich die Strahlen der untergehenden Sonne auf dem Wasser spiegelten. Ringsum Stille - Abendfrieden - nur Tierlaute und leises Plätschern. Alles so frisch und rein. Hier und da in der Ferne die Reitdächer der stolzen Höfe.
Im Geiste bestieg Ocko ein Schiff in seinem neuen Hafen zu Füßen des Doms von St. Marien, glitt auf die Leybucht hinaus, an Norden vorbei, sah die See vor sich, unendlich, bis Himmel und Meer sich vereinigten… Von irgendwoher schwangen die sanften Töne einer Weidenflöte herüber, der Ruf des Kuckucks klang aus dem nahen Hain.
„Schau, Ocko, da kommt ein Boot.“
Foelkes weißer Arm wies aus dem schwarzen Mezzaro heraus auf den Kolk. Ocko zuliebe trug sie den Schleier, wobei - eigentlich war es ein sehr angenehmes Kleidungsstück, das Foelke gern nutzte. Es schützte vor den lästigen Insekten, die hier am Rande des Moores reichlich brüteten. Ockos Schwestern, die sich den Mezzaro aus Neapel mitgebracht hatten, trugen ihn auch hin wieder. Andere Häuptlingsfrauen hatten auch schon neidvoll nachgefragt, wo man dieses ausgefallene Kleidungsstück her habe.
„Wer mag das sein?“, fragte Ocko nachdenklich.
Langsam näherte sich das kleine Schifflein. Der Bootsführer steuerte geradewegs auf sie zu, aber man konnte ihn im Gegenlicht nicht erkennen.
„Warten wir's ab und verkürzen uns die Zeit“, sagte Foelke und rief übermütig: „Kuckuck, wie viele Kinder werde ich haben?“
Der Kuckuck schrie aber nur zwei Mal.
„Ocko, jetzt musst du was fragen.“
„Was denn?“
„Wie viele Kinder du haben wirst.“
Er tat ihr schmunzelnd den Gefallen und machte sich einen Spaß daraus: „Kuckuck, quanti bambini werd ich haben.“
„Warum fragst du italienisch? Das versteht er doch nicht.“
„Doch, das tut er. Hörst du?“
Und der Kuckuck rief ein-, zwei-, dreimal.
„Ha! Er weiß es. Ha, das passt. Wir werden zwei Kinder haben, mit Widzelt sind es drei“, triumphierte Foelke und nahm Ockos Hand. Der drückte sie kurz.
„Frag noch was.“
„Was denn?“
„Na, wie alt du wirst?“
„Ach, das ist doch dummerhaftig. Wie soll ein Kuckuck das wissen!“
„Er weiß es eben! Frag!“
„Kuckuck, wie alt werde ich?“
Da schrie der Kuckuck in einem fort und sie konnten gar nicht so schnell mitzählen.
„Das war verkehrt, Ocko. Du musst anders fragen.“
„Wie anders?“
„So! - Kuckuck, wie viele Jahre leb ich noch?“, Foelke zählte und vertüderte sich, so viele waren es. „Ach, das ist allemal genug. Jetzt musst du.“
Ocko tat es belustigt und nach dem elften Schrei schwieg der Kuckuck still.
Erschrocken schaute Foelke zu Ocko auf: „Elf Jahre? Dann sind unsere Kinder ja noch ganz klein!“
„Unsinn! Er hatte keine Lust mehr, unsere dusseligen Fragen zu beantworten“, lachte Ocko.
Voluminös blähte der Wind den leichten, schwarzen Schleier. Foelke raffte ihn mit einer Hand und schmiegte sich weich gegen Ockos Brust.
Unterdessen hatte das kleine Boot den Strand erreicht, lief knirschend auf den Sand. Ein Bote sprang patschend ins Wasser, wedelte mit einer Schatulle: „Ritter Ocko! Seid gegrüßt, Herr! Eine Nachricht. Ich bringe Nachricht aus dem Ordensland!“
„Her damit!“ - Unschlüssig blieb der Bote stehen. - „Was noch?“
„Ocko!“
„Ach ja, verstehe“, er nestelte einen halben Flindrich aus seinem Gürtelbeutel, „da hast du. Gehab dich wohl.“
So viel! Der Bote dankte untertänigst.
„Von wem ist er? Ist er von Widzelt?“, fragte Foelke neugierig.
„Ja, das ist er. Komm“, Ocko hakte Foelke unter, „komm, wir gehen hinein.“
Foelke winkte noch einmal dem Boten, der aber schon wieder in seinem Boot saß und sich kräftig in die Riemen legte.
„Lies vor“, bat Foelke aufgeregt und zog Ocko mit sich in die Winterstube.
„Neugierig, mein Schatz?“ Schmunzelnd setze er sich neben Foelke auf die Truhenbank. Knisternd brach das rote Siegel. „Das ist also der dritte Brief von Widzelt aus dem Ordensland. Oh, ist der Brief lang“, bemerkte Ocko, nachdem er das Pergament geglättet hatte. „Widzelt hat plötzlich Spaß am Schreiben bekommen, denke ich. Also hör' zu, was er zu berichten hat. Widzelt schreibt:
‚Meine Lieben, er schreibt ’meine Lieben’, Foelkedis. Ist das nicht schön? Das hat er noch nie gemacht.“
„Ja, er hat wohl Heimweh. Aber weiter, weiter!“
„Nun bin ich schon eine Weile auf der Feste Balga. - Er schreibt von der Burg ’Balga' -
Die Ordensritter heißen sie ’Balga’, weil sich im Haff zwei Strömungen kreuzen, die Wolitte und das Mühlenfließ. So kommt es zu kabbeligem Wasser im Frischen Haff. Die Pruzzen nannten Balga früher ’Honeda’, was ’Wasserburg’ bedeutet. Die Burg ist gewaltig. Dagegen ist unsere Olde Borg klein. Balga steht regelrecht auf einer Insel. Ich glaube, die steile Küste ist fast so hoch wie der Turm von St. Marien. Vom Haff aus führt ein Schiffsgraben direkt zum Ordenshaus, damit die Schiffe dort entladen werden können. Außerdem sind sie da gegen Überfälle geschützt. Das ist eine großartige Sache. Auch wir sollten die Abelitz vertiefen und einen Hafen bei unserer Burg bauen, wo größere Schiffe einfahren können.“
Widzelts Eifer amüsierte den Ritter. Wusste er tatsächlich nichts von Ockos Plänen?
„Lies weiter, Ocko. Was noch?“, forderte Foelke gespannt.
„Das Hochschloss besteht aus einem dreiteiligen Hauptflügel, schreibt Widzelt. Hör nur, wie begeistert der Junge ist. Ich glaube, dass es doch gut ist, dass er das erleben darf. Er schreibt so... leidenschaftlich.“
Foelke nickte ungeduldig: „Weiter!“
„Wenn ihr das sehen könntet! Den wunderbaren Kapitelsaal, den Remter und die wunderschöne Kapelle. Noch nie zuvor habe ich so herrliche Gewölbe gesehen. Aber der Komtur meinte, die Marienburg sei noch viel schöner. Das kann ich aber nicht glauben, liebe Eltern. Der Kreuzgang läuft im Innern des Hochschlosses direkt am Hauptflügel entlang. Diese massiven Pfeiler müsstet ihr sehen!
Im Hauptgeschoss wohnen nur hohe Ordensbeamte. Zu dem Gemach am Turm, wo der Großkomtur wohnt, wenn er denn da ist, führt von außen eine Treppe hoch. Dieser Turm hat ein Erdgeschoss und fünf! Obergeschosse. Im Mittelraum sind ein Saal und dann noch einige Wohnungen für die Vikarien. Dort ist auch die Schäfferei. Ich durfte da schon Schreibdienste erledigen. Das ist eine große Ehre!
Dann ist da noch der Haff-Flügel. Er ist an beiden Seiten flankiert von schönen Warttürmen. Dieser Flügel schließt unmittelbar an das Hochschlosstor an. Im Haff-Flügel schlafe ich mit den anderen Brüdern, denn da sind die Schlafsäle untergebracht. In der Nacht hört man die See rauschen. Dann muss ich immer an euch denken. Vom Haff-Flügel aus ist auch die Danzkeranlage direkt in das Haff hinein gebaut. Das sieht sehr schön aus, wenn man mit dem Schiff ins Haff hineinfährt, denn die Bogen des Danzkerganges ruhen auf zwei sehr schönen Pfeilern. Der Komtur hat mir erzählt, dass der Name ’Danzker' daher rührt, weil solch ein Turm zuerst auf der Marienburg gebaut worden ist, der in Richtung Danzig sieht. So hat man diesen Namen für den 'locus nature necessarius', für jedes heimlich Gemach (Toilette) übernommen, das so gebaut ist. Unter den Schlafsälen, im Erdgeschoss, sind Küche und Brauerei.“
„Schlafsäle!“ echote Foelke schnippisch. „Der Arme muss mit weiß Gott wie viele andern Männern in einem Schlafsaal schlafen!“
„Das ist halt so in jedem Orden, weißt du das denn nicht?“, entgegnete Ocko brummig und fuhr fort: „Die Speicher sind über den Schlafsälen. Manchmal hört man Mäuse da oben trappeln und quieken. Dann ist es fast wie zu Hause.
Der Brunnen ist natürlich in der Mitte des Schlosshofes. Rings um das Haupthaus ist ein Parcham (Garten) angelegt. Er wird von Schloss und Burggraben begrenzt. Zwischen Haff-Flügel und Wartturm verläuft dann die mächtige Wehrmauer.
Im Norden führte eine äußere Zugbrücke zur Vorburg. Das Vorburgtor schließt sich unmittelbar an. Am Steilufer, auf dem Gelände der Vorburg, sind noch Wohngebäude mit Gästekammern.
Die Komturei ist sehr groß. Sie erstreckt sich ganz bis zur Grenze nach Polen. Der Komtur von Balga ist nicht nur der höchste Verwaltungsbeamte in der Komturei, er ist auch Vogt von Natangen und der oberste militärische Befehlshaber. Ihm unterstehen zwölf Ordensritter mit eigenen Ämtern.
Ich glaube, Balga ist uneinnehmbar. Die Festung ist natürlich von einem Wassergraben umgeben, wie Broke auch. Außerdem ist sie noch von einem Sumpfgürtel geschützt, der die Höhen von Balga, Kahlholz und Schneckenberg umzieht. Auch das ist bei uns ja ähnlich, nur dass unsere Burg nicht auf einem so hohen Bergrücken sondern auf dem Steilufer steht.
Wenn du als Angreifer unterhalb dieser Burg stehst, wo überdies noch das Sumpfgelände einen geordneten Angriff erschweren und eine Flucht vereiteln würde, ist es tatsächlich kaum möglich, diese Burg zu erobern. Um Balga einzunehmen, müssen Wasserläufe und Sümpfe überbrückt werden. Der Wald, der hinter dem Sumpf anschließt, aber birgt die Gefahr, von hinterrücks überfallen zu werden.
Ihr müsst euch vorstellen, was alles an Waffen und Gerät mitgeführt werden muss! Wenn man das alles bedenkt, kann man davon ausgehen, dass Balga nicht in tausend Jahren erobert werden kann.“
Ocko nickte und einen Augenblick lang wanderten seine Gedanken zu den Kriegszügen in Italien. Ja, was man alles mitführen muss! Ein kleiner Staat auf Wanderschaft… Aber es wird neue Waffen geben, größere Waffen, gewaltigere Waffen und dann…
„Warum liest du nicht weiter, Ocko? Bitte, lies weiter. Es ist so spannend“, warf Foelke aufgeregt ein, und Ocko küsste leicht ihre Lippen und lachte: „Gib mir die Gelegenheit dazu. - Ich muss noch sagen, dass ich nun endlich vom Marschall in die Waffenkunst des Ordens eingeführt worden bin. - Das habe ich gemerkt“, schmunzelte Ocko leise und fuhr fort: „Jetzt habe ich genug geschrieben. Mir tun schon die Finger weh. Wie ihr seht, geht es mir gut. Winrich von Kniprode schickt einen Rosenkranz aus weißem Bernstein. Dieser Bernstein ist besonders wertvoll, sagte er mir. Gern möchte ich bis Jahresende im Ordensland bleiben, wenn ihr noch auf meine Anwesenheit verzichten könnt. Ich kann ja noch so unendlich viel sehen und lernen! Morgen schiffen wir uns nach Marienburg ein. Ich freue mich schon darauf. Wenn ich in der Waffenkunst fertig ausgebildet bin, dann darf ich mit auf Heerfahrt ziehen hat der Großmeister mir versprochen. - Ach, wusstet ihr, dass es hier nur eine Nipptide gibt, die kaum zu spüren ist? Springen bei euch schon die Lachse? Ich vermisse euch. Widzelt.“
Zu Tränen gerührt, schmiegte Foelke sich an Ockos Schulter. „Ich glaube, er hat Heimweh, Ocko.“
„Ich bin nicht sehr erfreut darüber, dass er da noch länger bleiben will, Foelke.“
„Ich auch nicht.“
„Ich fürchte, Widzelt könnte in seinem jugendlichen Unverstand dem Deutschritter-Orden beitreten wollen.“
„Meinst du? Ich glaub’s nicht, Ocko. Man spürt doch das Heimweh in seinem Brief.“