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Kapitel 6 - Der Ordenshochmeister

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Widzelt kehrte vergnügt zurück. Hinter ihm trat ein ganz in weiß gekleideter, hoch gewachsener Herr ein, gegürtet mit einem außergewöhnlich langen Schwert in reich verzierter Scheide, so wie man dies aus dem Orient kannte. Unter der linken Achsel hielt er seinen Topfhelm eingeklemmt, über der Schulter einen leicht angeschmutzten weißen Mantel. Das Wappen auf seiner Brust zeigte eine Reihe weißer watschelnder Gänse und ein schwarzes Ordenskreuz. Gänse, das wusste Foelke, versinnbildlichten den Heiligen Liudger. Viele Adelshäuser hatten deswegen eine oder mehrere Gänse in ihr Wappen aufgenommen, besonders in jenen Gauen, in denen Liudger missioniert hatte, so gab es auch etliche flandrische Adelshäuser, die Gänse im Wappen aufgenommen hatten. Ob dieser Ritter einem dieser Adelshäuser angehörte? Sie erinnerte sich an die Legende, dass der Heilige Liudger während einer großen Dürrezeit in seinem Land, Gänse dazu veranlasst habe, so lange mit den Füßen zu scharren, bis sie auf Wasser stießen, so dass man dort einen Brunnen bauen konnte. Das mochte wohl mehr als 600 Jahre her sein, aber den Brunnen hatte sie mit eigenen Augen im Münsterland gesehen. So musste die Legende wohl der Wahrheit entsprechen.

„Schaut, wen ich mitgebracht habe!“, strahlte Widzelt begeistert.

Der Ritter mochte etwa sechzig Jahre alt sein oder auch älter. Foelke fuhr bang zurück: der kahle Schädel, der grauweiße Seehundsbart, dessen Spitzen fast bis auf das weiße Manteltuch reichten, das zerfurchte Gesicht mit der entstellenden roten Narbe...

Hocherfreut sprang Ocko auf und beeilte sich, den Gast zu begrüßen:

„Winrich!“, rief er. „Mein lieber Freund! Du bist grau geworden. Was verschlägt dich zu uns ins Brookmerland? Jetzt, um diese Jahreszeit, wo es stürmt und schneit?“

Der Mann lächelte warm: „Schneien tut es grad nicht.“

In höfischer Manier erwies er Foelke seine Referenz. Den Geistlichen grüßte er mit einem knappen, jedoch freundlichen Kopfnicken.

Ocko stellte seinen Gast als Winrich von Kniprode vor, erklärte, dass sie sich am Hofe der Königin von Neapel kennen und schätzen gelernt hätten.

„Grau? Du meinst den Bart, Ocko? Ansonsten..., ich brauche keinen Kamm mehr.“ Seine freie Hand fuhr über den kahlen Schädel.

Er macht sich lustig über sich selbst, erkannte Foelke. Welch angenehmer Wesenszug.

„Das ist die ruhigste Jahreszeit, Ocko. Du hast mich rufen lassen, mein Freund. Schon vergessen? Da bin ich! Nun, ich komme eben von England her, hatte Verhandlungen wegen des Englandhandels. Du wirst es wissen. Da droht wieder einmal eine Handelssperre mit der Hanse. Das kommt uns nicht sehr gelegen, kann man wohl sagen.“ Freundliches Schmunzeln überzog sein bärtiges Gesicht: „Nun, ich freue mich, dich gesund wiederzusehen. So haben meine Gebete für dich bei unserem Herrn Gehör gefunden. Ich erinnere mich, dass du auf dem Weg in die Schlacht gewesen bist, als ich dich zuletzt in Neapel sah.“

Beide Männer umarmten einander männlich steif, aber herzlich und Foelke drängte den überraschenden Gast, Platz zu nehmen, bot ihm einen warmen Trunk und Speise an. Auf ein warmes Bier freue er sich, erwiderte der Hochmeister, die Speise lehnte er jedoch höflich mit dem Hinweis ab, dass er momentan nicht hungrig sei.

„Dich so rasch hier zu sehen, Winrich, damit habe ich nie im Leben gerechnet. Schließlich wusste ich nicht, wo du dich gerade aufhältst. Ich hatte lediglich zur Hansa nach Bremen geschickt, mit dem Auftrag, falls du dort eintreffen solltest, eine Nachricht von mir zu überbringen.“

Kniprode nickte und reichte Ocko seinen durchnässten Mantel. Der hängte ihn sorgsam an einen Wandhaken. Beeindruckt bemerkte Foelke das aufgenähte schwarze Kreuz unterhalb der linken Schulter. Erregt begriff sie: Ein Deutschritter! Zuerst hatte sie an einen Malteser gedacht, weil sie wusste, dass diese im Mittelmeer als Ordnungshüter fungierten. Aber das Ordenszeichen der weißen Maltesertracht war das rote Tatzelkreuz.

Winrich von Kniprode. Foelke überlegte, denn der Name war schon häufiger gefallen. Ist das nicht der Gebieter des Ordens, der Hochmeister?

Sie tauchte ein in die geheimnisvolle Welt der Ordensritter:

Die magische Pracht sonnendurchfluteter Remter, in denen Ordensbrüder an langer Tafel ihr anspruchsloses Mahl einnehmen; gewaltige unterirdische Gewölbe, durchdrungen vom mystischen Klang liturgischer Gesänge, die im Kreuzgewölbe sich brechend, hundertfach widerhallen. - Kühne Ordensritter, bereit, für den Glauben das eigene Blut zu vergießen, das Leben zu opfern. Wallende weiße Ordenstrachten mit dem schwarzen Ordenskreuz auf der Schulter. Tapfere Recken, den Schild in der einen, das Schwert in der anderen Faust. Im Geiste sah sie die Ritter einen heftigen Kampf bestreiten, hörte gar das Klirren der Waffen, das Wiehern und Stampfen der Pferde...

In ihre Wachträume hinein vernahm sie Ockos Frage: „Winrich, was tust du hier, mein lieber Freund?“

„Eigentlich ist es nicht meine Aufgabe, aber da ich gerade hier bin… Ich will Pferde einkaufen, und man sagte mir, dass der Herr von Brookmerland die beste Zucht besitzt.“ Das asketische Gesicht des Hochmeisters verzog sich zu einem verzerrten Lächeln, wobei er schief seine beschädigten Zähne entblößte. Anders konnte er wohl nicht lächeln, denn ein Schwerthieb mochte vormals Wange und Oberlippe gespalten haben, die nun etwas unzulänglich wieder zusammengewachsen waren, wie die bläulich rote Narbe deutlich zeigte. Möglich auch, dass es ihn schmerzte, das Gesicht zu verziehen. Vielleicht war die Verletzung ja noch verhältnismäßig frisch.

Da habe man ihn gut beraten, erwiderte Ocko nicht ohne Stolz. Bei ihm stünden Rosse im Stall, die jedes Reiterherz höher schlagen lassen würden. Er besitze einen unübertrefflichen Zuchthengst aus dem spanischen Hochland.

„Angeber“, lachte der Hochmeister und wandte sich ganz nach höfischer Art an Foelke, die bisher still ihren Gedanken nachgehangen hatte: „Schönste Dame, ich bitte Euch, verzeiht mein Eindringen. Ich darf Euch versprechen, dass ich Euren Gemahl nicht lange in Anspruch nehmen werde.“

Foelke errötete bei dieser direkten Ansprache und sputete sich, ihm zu versichern, dass er keineswegs störe und sie sich außerordentlich geehrt fühle und sich freue, den Fürsten beherbergen zu dürfen. Weil er nicht darauf antwortete, glaubte sie sich genötigt, noch irgendetwas hinzuzufügen. Wie es in seinem Ordensstaat gehe, fragte sie nach und wäre am liebsten vor Scham im Boden versunken, weil ihr diese Frageform einfach zu dumm vorkam.

Jedoch, der Hochmeister griff das Thema freudig auf: „Wie es bei uns zugeht? Nun, der Bernsteinhandel floriert. Euer Gemahl wird Euch erzählt haben von unserem Staat?“, fragte er behutsam zurück. Seine Stimme klang ausdrucksvoll und barg etwas Beschützendes in sich.

„Ja, nein, ein wenig“, verhaspelte Foelke sich beschämt, denn davon hatte Ocko so gut wie nichts verlauten lassen und das wollte Foelke eher verschweigen. Es gab wohl noch etliche Dinge, die Ocko bisher nicht angesprochen hatte. Ob aus fehlender Gelegenheit oder anderen Gründen.

Ah ja, das sei unerheblich, da werde er lediglich etwas weiter ausholen müssen, damit sie die Zusammenhänge verstehen könne. Oh, das war sein Lieblingsthema. Ocko wusste das schon. Da war Hochmeister Kniprode von nichts und niemandem zu bremsen.

Die Gründung des Deutschritterordens während des 3. Kreuzzuges, hob er an, das sei das großartigste Ereignis überhaupt gewesen. Kaufleute aus Bremen und Lübeck hätten anno 1090 im Lager von Akkon die Brüderschaft ins Leben gerufen. Daraus resultiere auch die enge Verbindung des Ordens zur Hansa, die Ocko wohl nutzen möchte, wie er sich denken könne.

Ockos zustimmender Blick bestätigte das.

Die Bruderschaft sei ursprünglich zur Pflege kranker Kreuzfahrer und Pilger im Heiligen Land gedacht gewesen, führte der Hochmeister aus: „Um der Liebe Christi Willen erbarmte sich die Bruderschaft der mannigfachen Gebrechen und Siechen im Heere. Unter dem Segel eines Schiffes errichtete sie ein Spital, brachte die Kranken dort mit großer Andacht unter und pflegte sie fleißig. Die verbriefte Bezeichnung lautete zu Anbeginn ‘Orden der Ritter des Hospitals St. Marien in Jerusalem’.

Unser Auftrag ist die Gründung und Erhaltung von Siechenhäusern. Eine weitere Bestimmung obliegt dem Orden im Kampf gegen die Ungläubigen nach dem Vorbild des Templer-Ordens. Als unser Orden im Jahre des Herrn 1198 zum Ritterorden umgewandelt wurde, erhielt er ähnliche Ordensregeln wie Johanniter und Templer. - Das Erzählen macht durstig, darf ich noch um einen weiteren Becher dieses köstlichen Gebräus bitten?“

Der Ordensritter strich sich den gepflegten Bart und wollte sich behaglich in seinem Korbsessel zurücklehnen, jedoch hinderte ihn das Kettenhemd, das er unter seinem weißen Gewand trug, eine bequeme Haltung einzunehmen. Ocko, dies bemerkend, schlug vor, er möge sich zuvörderst die Kammer anweisen zu lassen, damit er sich des lästigen ‚Eisens’ entledigen könne.

Gern folgte Winrich von Kniprode dem Vorschlag, jedoch nicht, ohne pfiffig zu bemerken, dass er sich hier auf der Burg wohl sicher fühlen dürfe.

Foelke nutzte die Abwesenheit des Gastes, Benedikt nach den Ordensregeln der Deutschritter zu fragen. Oder ob dies ein Geheimnis sei?

Als Benedikt lehrmeisterlich und mit leicht maliziösem Unterton antwortete, konnte er sich eine leise Anspielung nicht verkneifen: „Weibliche Neugier? Das sei erlaubt. Nein! Nichts Geheimnisvolles gibt es dabei, Burgfrau. Der Orden vereint klösterliche Frömmigkeit, Askese und Keuschheit mit selbstloser Gemeinnützigkeit und heldenhaftem Waffendienst. Diese Tugenden sind allen groß und heilig. Nicht ohne Grund lautet die Losung der Deutschritter ‚In Treuen fest’! Der Orden besitzt die Privilegien der Geistlichkeit und die Schlagkraft weltlicher Fürsten. Das macht ihn stark! Drei Regeln sind die Grundfesten eines jeglichen geistlichen Lebens: das erste Gebot ist die ewige Keuschheit...“

In Foelkes Ohren klang das fast wie ein Vorwurf an ihre Person.

Eine Zeit ließ er seine Worte lang wirken, ehe er bedacht fortfuhr: „Das zweite Gebot ist der Verzicht auf den eigenen Willen, das bedeutet Gehorsam bis zum Tode.“

Foelke machte runde Augen, fand diese strenge Regel schlechterdings übersteigert. Das hieß ja Sklaverei! Aber sie schwieg klugerweise. -

„...das dritte ist das Gelübde der Armut. Wer diesen Orden empfängt, soll ohne Eigentum leben. Nun, das gilt auch für andere Orden, zum Beispiel die Zisterzienser. Sie dürfen nur von ihrer Hände Arbeit leben.

Obendrein aber haben die Ordensmitglieder die Verpflichtung zum Kampf gegen Teufel und Heiden und für Gott und die Kirche. - Eine blutige und zuweilen ekelerregende Schuldigkeit, wenn Ihr mich fragt.“

„Der Kampf gegen den Teufel?“, erkundigte sich Foelke irritiert.

„Der Kampf gegen die Heiden, hohe Frau. Das kann man sich wohl denken, dass da viel Blut fließt, nicht wahr?“ Er untermalte seine Ausführungen mit sprechenden Händen. „Aber hört nur: Hinzu tritt als weiteres Gebot die dienende Nächstenliebe in Form von mildtätigen Aufgaben.“

Benedikt leckte sich die schmalen Lippen und schwieg.

Dieses Thema bewegte Ocko sehr, gehörte doch auch er einer ritterlichen Bruderschaft an, nämlich dem Ordre de Cavalieri del nodo, dem Orden des Ludwig von Tarent, der diesen als Gemahl von Königin Johanna von Neapel gegründet hatte. Dies zum Gedenken an die Krönung und die glückliche Heimkehr aus dem Exil von Avignon nach Neapel. Um seine Ergriffenheit zu verbergen, räusperte sich Ritter Ocko und fuhr mit der Hand über die Stirn. Er musste unangenehme Gedanken fortwischen, denn nicht Freude und Glück allein brachte der „Orden vom Knoten“, dem er angehörte. Nicht anders als bei anderen Bruderschaften auch, gab es viele böse Elemente. Ocko hatte unendlich viel Gewalt und Tod gesehen, Blut, Not und Pein, unbeschreibliche Qualen… Diese Alpe überfielen ihn bisweilen. Dagegen halfen weder Gebete noch Selbstgeißelung. Die einzige Arznei, die ihm half, diese Dämonen zu vertreiben, war Foelkedis, seine geliebte Frau.

Ritter Ocko knüpfte an das Gespräch an, indem er darauf zu sprechen kam, dass der Zusammenschluss der Dobriner Schwertbrüder mit dem Deutschen Orden den Machtbereich des Deutschritterordens von der Weichsel bis zur Düna erweitert habe.

Widzelt hörte aufmerksam zu und warf schließlich ein, er habe gehört, dass man die Ordensritter als Staatsführer bezeichne, welche den christlichen Glauben alleinig dazu nutzen, ihre ureigensten Interessen zu verfolgen.

„Diese Ansicht ist in meinen Augen etwas konfus, aber dennoch nicht ganz von der Hand zu weisen. In den vergangenen hundertfünfzig Jahren hat der Orden etliche Niederlassungen gegründet“, bestätigte Ocko Widzelts Äußerung.

Benedikt hingegen zog ein unwilliges Gesicht und rügte ihn schamlos: „Ha, das soll wohl ein Witz sein! Lasst Euch sagen, Ritter: diese Auffassung wird dem Ordensstaat nicht gerecht. Tatsächlich hat der Orden Großes geleistet und leistet es noch. Niemals darf man den religiösen Charakter des Deutschritterordens außer Acht lassen, denn diese Flamme gibt dem Ordensstaat Beweggrund und Triebkraft zu seinem außergewöhnlichen Werk.“

Just in diesem Augenblick, als Ocko den Priester zurechtstutzen wollte, trat der Hochmeister wieder ein. Wohl mochte er Benedikts letzte Worte noch gehört haben, denn er bemerkte deutlich: „Zu dem außergewöhnlichen Werk, das wir vollbringen, verhilft uns unser Heer, die stärkste Säule des Ordensstaates, ergänzt durch Pilger und andere Kreuzzugsteilnehmer. Wenn wir auf Heerfahrt ziehen, haben wir selbst wohl nur tausend Mannen unter Waffen, während unsere Gäste häufig mehr als das Doppelte ausmachen.“

Beeindruckt äußerte Widzelt seine Bewunderung. Umso erstaunlicher sei es für ihn, wie es dem Orden gelingen konnte, mit dieser zusammengewürfelten Streitmacht die Pruzzen zu unterwerfen.

„So erstaunlich nun wieder nicht“, belehrte der Hochmeister ihn. „Die Brüder sind ihren Gebietigern zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet. Dies führt zu absoluter Selbstbeherrschung, nicht nur in der klösterlichen Zucht, sondern eben auch im militärischen Bereich. Daraus erklärt sich die Kraft unserer Ritterbrüder. Und glaubt mir, dass ich dafür Sorge trage. Ich bin ja nun schon seit fast 30 Jahren Hochmeister des Ordens. Gewiss hat ein weltlicher Geist in unserem Orden Einzug gehalten, das ist richtig, aber ich bekämpfe diesen. Seit längerem habe ich verfügt, dass innerhalb der mittleren und höheren Ordensämter ein Wechsel der Amtsleute stattfindet. Das ist so ähnlich wie der jährliche Wechsel des Rates bei Euch. Ich fand diese Lösung bei Euch gut, habe sie abgeguckt und übernommen.“ Er lachte schief und sagte mit verhaltener Stimme, dass er bei der Amtsübergabe sehr streng prüfen lasse, ob das Amt gut geführt worden ist. Jeder Amtsinhaber müsse Rechenschaft ablegen beim Amtswechsel. Und - das sei wichtig - in den einzelnen Komtureien würden unangemeldet Visitationen stattfinden. Des Weiteren habe er Maßnahmen zur Festigung von Disziplin und Ordnung der Ordensmitglieder ergriffen, so zum Beispiel habe er eine verschärfte Kleiderordnung erlassen. Gehorsamkeit sei der Anfang und das Ende!

Dem pflichtete Ocko bei, denn Gehorsamkeit in Kriegsheeren sei eher unüblich und kaum vorhanden. Er könne ein Lied davon singen, welch Plackerei es sei, Einordnung und Unterordnung zu erzwingen.

Mit einem weißen Tuch wischte Kniprode seinen kahlen Schädel ab, auf dem sich Schweißperlen gebildet hatten.

„Geht es dir gut, Winrich?“, fragte Ocko besorgt.

Freilich, antwortete der, und eher zu Foelke als zu Ocko gewandt, erklärte der Ordenshochmeister, dass ihm wohl nur deshalb heiß sei, weil er das ungewohnte warme Bier genossen habe.

Ja, das Leben der Ordensgemeinschaft sei völlig durch die Ordensgesetze und Ordensgewohnheiten geregelt, fuhr er fort. Platz für heißes Bier gäbe es da nicht. Sei schon die Aufnahme in den Orden exakt geregelt, so führten diese Regeln fortan die Brüder durch das ganze Ordensleben hindurch bis ins Grab hinein. Er selbst wisse nicht, wo es noch eine Lücke geben könne und wenn, dann werde sie flugs geschlossen werden, lachte er schief. Das tat ihm wohl recht weh mit der schlecht vernarbten Wange, denn rasch zuckte seine Hand dorthin.

Benedikts Frage nach der Anzahl der Ordensbrüder konnte Winrich nicht genau beantworten, weil sie ständig divergiere. Er schätze etwa dreitausend Mitglieder mit Priestern, Rittern und dienenden Brüdern.

Benedikt hakte penetrant nach. Aus wie vielen Brüdern denn der Konvent bestehe, fragte er, aber es schien Foelke, als wüsste er es schon. Der Hochmeister strich sich den grauen Bart, ehe er nüchtern erklärte, dass jeder vollständige Konvent mindestens ein Dutzend Brüder umfasse. Nach einer Weile des Schweigens fügte er eine lustige Anekdote an:

„Ihr kennt unser Ordenssiegel?“ Allgemeines Kopfnicken. „Gut, so lasst euch erzählen: Der Orden war zu Anfang so kümmerlich, dass zwei Ritter sich ein Pferd teilen mussten. Das ist zu unserem Siegel geworden: zwei Reiter auf einem Pferd.“

Der Hochmeister lachte wieder und Ocko mit ihm. Nie hatte Foelke ein so heiteres Lachen in Ockos Augen gesehen. „Hermann von Salza“, fuhr Kniprode fort, „Hermann von Salza, wurde von seinen Brüdern zum Meister gewählt. Das ist allgemein bekannt. Er betete nun mit heißem Flehen, dass er 10 Ritterbrüder wappnen könne. Wie es sich nun fügte, hat der Herr ihn offenbar erhört. Während nämlich Hermann von Salza des Ordens Meister war, nahm der Orden an Reichtum und Kraft so zu, dass man nach seinem Tode wohl tausend Brüder zählte. All diese aus deutscher Abstammung und von auserwählter Manneskraft.“ Ehe Kniprode weiter sprach, machte er eine Kunstpause, um seine Worte wirken zu lassen: „Eigentlich ist es aber so, um bei der Wahrheit zu bleiben, dass diese beiden Reiter auf einem Pferd eine andere Bedeutung haben, nämlich dass der Orden die Hilflosen und Armen beschützt und mit sich nimmt.“

Jetzt griff Ocko in das Gespräch ein: „Winrich, du sprachst soeben von eurem Hochmeister Hermann von Salza. Ich weiß, dass ihn eine enge Freundschaft mit Kaiser Friedrich II. verbunden hat. Er hat ihm als hervorragender Berater zur Seite gestanden. Wohl ist das lange her, fast drei Generationen. Ich wüsste jedoch gern, wie es heute mit Eurem Verhältnis zu unserem König Wenzel steht.“

„Nun, der Deutsche Ritterorden ist naturgemäß an die deutsche Nation gebunden, anders als viele andere Orden, die Johanniter beispielsweise oder auch die Templer, deren Güter Philipp der Schöne von Burgund konfiszierte, nachdem er alle Templer verhaften, foltern und hinrichten ließ. - Das war für alle Orden ein überaus grauenvolles und abschreckendes Ereignis.“

„Widerwärtig! Bösartig und abscheulich! Verrucht und verabscheuungswürdig! Mit einem Wort: ekelhaft!“, ereiferte Benedikt sich. „Entschuldigt meine Empörung, jedoch… ich habe nie begriffen, warum der Papst dem Unrecht zugestimmt hat. Ich bin damals noch ein Knabe gewesen und gerade ins Kloster eingetreten, aber ich sehe noch heute das Entsetzen in den Augen unseres Priors. Diese Machenschaften des Herzogs von Burgund lösten in allen Ordensgemeinschaften Angst und Grausen aus.“

„Gewiss, und das alles aus Gier, weil der Herzog von Burgund sich die Reichtümer der Templer einverleiben wollte“, warf Ocko ein.

„So ist es. Er selbst war bankrott und suchte nach ‚neuen Einkünften‘. Die Templer verfügten in ganz Europa über riesige Ländereien und großen Reichtum. Der Orden hatte sich zu einer Einrichtung entwickelt, die nicht nur von Kaufleuten, sondern auch von den Großen dieser Welt genutzt wurde, um nahezu risikolos große Geldsummen zu bewegen. Der Templer-Orden war teilweise sogar mit der Betreuung des königlichen Schatzes beauftragt. - So betrachtet, hängt über meinem Orden auch ein Damoklesschwert.“

„Weil ihr Geldgeschäfte tätigt, Hochmeister? Weil ihr Geldleihe betreibt gegen Zinsabgaben, obwohl doch der Papst dies als Sünde bezeichnet?“, fragte Benedikt gallig.

Das belustigte Kniprode einigermaßen: „Der Orden hat im Kampf gegen Zinswucher den zulässigen Höchstzins von 12,5 % auf 10 % gedrückt, und das bei Verlust des Kapitals bei Zuwiderhandlung. Das ist doch was, oder gibt es dagegen etwas einzuwenden? Und ja, der Orden besitzt dieses päpstliche Privileg. - Unter meiner Führung erreichte der Orden bislang seinen Höhepunkt. Der Deutsche Orden herrscht jetzt über ein zusammenhängendes Gebiet von der Neumark bis Estland. Indes, wir müssen stets auf der Hut sein und immer wieder die Polen zurückdrängen. Ihr müsst bedenken, diese Aufgabe ist nicht leicht zu bewältigen angesichts der Wildnis tiefer, dunkler Wälder, ausgedehnter Seen und Sümpfe. Auch schweben die Siedler in ständiger Gefahr, von Pruzzen überfallen zu werden. Diese gilt es zu schützen. Glaubt mir, es ist ein hartes Los.“

Hm, eine ausweichende Antwort, überlegte Ocko. Meine Frage nach seinem Verhältnis zu König Wenzel hat er nicht beantwortet. Ich werde nochmals nachhaken müssen.

Bewegt fragte Foelke, wo der Hochmeister zu Hause sei, wo er lebe, wenn er nicht auf Reisen sei, wenn er nicht die Pruzzen bekämpfe.

Winrich von Kniprode überlegte, fuhr mit seinen kräftigen Händen mehrmals über den kahlen Schädel, ehe er antwortete. Er sei eine Zeit lang Komtur von Balga gewesen, ehe man ihn zum Hochmeister gewählt habe. Dort fühle er sich zu Hause, auf der Feste Balga.

Verunsichert griff Foelke nach ihrem Bierbecher, entschuldigte sich für ihre Unwissenheit, ehe sie mutig nachforschte, wo das sei, die Feste Balga.

„Nun, Balga ist eine feste Ordensburg an der Ostsee, am Frischen Haff. In unserer Region gibt es viele Ecken, die uns wie Legenden mit der Vergangenheit verbinden. So zum Beispiel Balga, gegründet 1239 als erster Stützpunkt unseres Ordens im Pruzzenland. Hier entstand eine mächtige Burganlage. Alles auf der Anhöhe einer Landzunge, von der aus man einen freien Blick auf das Frische Haff hat und den Flug der Seeadler.

Durch diesen Stützpunkt werden der Zugang zur See und der Seeweg zum Baltikum geschützt. Balga stellt die Verbindung zu den wichtigen Hansestädten Lübeck und Bremen sicher. Wer die Burg Balga besitzt, ist Herr über das Frische Haff und dessen Küsten mit der Pregelmündung. Der Besitz dieser Festung wiegt schwer, bedeutet Sieg und Macht. Der Verlust Balgas würde unseren Untergang bestimmen...

Vor hundert Jahren war Balga Ausgangspunkt zahlreicher Eroberungszüge nach Warmien, Natangen und Samland. Diese Gebiete wurden inzwischen mit deutschen Einwanderern besiedelt, so auch Litauen. Der Orden hat Kämpfe geführt, Kämpfe, nichts als Kämpfe. Nun muss das aufhören, nun muss endlich Ruhe einkehren...“

Der Hochmeister nahm einen Schluck aus seinem Becher und stellte ihn heftig zurück auf die eichene Tischplatte. Er sprach rasch und flüssig, mit sicher gewählten Worten. Man spürte, dass er oft mit den Mächtigen des Reiches Verhandlungen führte.

„Zu Anfang dieses Jahrhunderts haben wir etliche Niederlassungen in Natangen, Barten und Masuren gegründet. Vor rund fünfzig Jahren - im Jahre des Herrn 1326 - teilte der Hochmeister Werner von Orseln die Landschaft Barten unter die drei Komture Königsberg, Brandenburg und Balga auf. Unsere Komturei Balga erhielt den größten Anteil an der ‚Großen Wildnis’. Daraufhin haben wir dort Rastenburg, Johannisburg, Leunenburg und die Burgen Barten und Seehesten errichtet. Von Balga aus wurden die Städte Kreuzburg, Schippenbeil und andere neu gegründet. Auch heute ist der Plan noch nicht vollendet. Wir bauen gerade jetzt die Burg Rhein.“

„Oh, so kannst du mir sicher Rat und Hilfe geben“, fiel Ocko begeistert ein.

Foelke horchte auf. Ocko will eine neue Burg errichten? Das hat er mir bisher noch nicht gesagt. Ach nein, dafür fehlen uns die Mittel, sicher will er nur anbauen oder umbauen.

Gern wolle er das tun, versicherte der Hochmeister: „Ich hörte, dass du deinen Machtbereich entscheidend vergrößert hast. Die Hansischen sind darob in Sorge. Du könntest ihnen zu mächtig werden, Ocko. Wie hältst du es mit den Gesetzen?“

„Mit den Gesetzen? Meine Untertanen haben unsere Brokmerbriefe...“

Klug sei das, lobte der Hochmeister. „Lass ihnen ihre eigenen Gesetze. Umso besser werden sie dir gehorchen. Lass deine Untersassen, die ein Amt einnehmen, alljährlich Rechenschaft ablegen. So behältst du die Zügel fest in den Fäusten.“

Ocko bestätigte, dass er das ohnehin so halte. Er wolle damit Willkürhandlungen entgegenwirken. Sein Ziel sei es, das Friesenvolk zu einen, Zwietracht und Zerrissenheit zu beenden. „ Im Augenblick ist Friesland...“ Er öffnete die Hände und drehte die leeren Handflächen nach unten. „…ein Nichts. Wir sind zum Spielball der Großen und Mächtigen geworden. - Aber es ist in mir, in den Gesetzen, den Bräuchen und Legenden, in meinen Gedanken. Vielleicht weiß ich noch zu wenig, um es friedlich zu einem mächtigen Land formen zu können...“

Niemand wisse genug, warf der Hochmeister ein. Aber zu wissen, was die Untertanen bewegt, das sei der Schlüssel zur Macht.

„Die Schatten der Zwietracht“, fuhr Ocko sinnend fort, „ich sehe sie bei Tag und Nacht, im gleißenden Mittagslicht wie in der Dunkelheit... Manchmal sehe ich des Nachts all das Schäbige, die Armut und Knechtschaft, Verrat und Einsamkeit noch krasser als am Tage.“

Winrich von Kniprode beugte sich seufzend vor: „So geht es nicht nur dir, mein Freund. Sie lebt, diese irre Sehnsucht nach Gerechtigkeit. Der Mensch allein ist fähig zur Vernunft und doch - wie selten nutzt er diese Fähigkeit!“

„Manches Mal glaube ich, dass nicht der Mensch das Maß aller Dinge ist, sondern Geld und Gut.“

„Wenn es darum geht, wird fast jeder Mensch zum Barbaren“, lachte schallend der Hochmeister und griff erneut nach dem Becher. „Hm, köstlich...“

„Ist der Mensch unersättlich, Winrich? Ich weiß es nicht. Ich sehe mit Schmerz, wie Friesland zerfällt. Friesland ist einst reich gewesen. Ich meine, nicht nur reich an Besitz, auch an Vorbildern, an Sittenhaftigkeit, Ehrgefühl, Tugend, wenn du so willst. Ich sehe nun Zersetzung, Fäulnis, Moder, zunehmende Armut. Die See hat unser Land zerrissen, sie hat viele Menschen in unsagbare Not gestürzt. Das Land wird zerfleischt von Händeln der kleinen und großen Machthaber. Hier halte ich nun die größte Macht in Händen. Das verpflichtet mich, Friesland der Finsternis zu entreißen. Aber habe ich auch die Stärke?“

Der Hochmeister lehnte sich zurück, schloss nachdenklich die Augen. Als er sie wieder öffnete, schaute er Ocko fast mitleidig an: „Denke dir, Friesland sei ein feuchter Tonfladen, aufgeteilt in viele Stücke, die locker zusammenhängen. Womit kann man sie fester zusammenfügen?“

„Mit Flüssigkeit“, sagte Foelke leise.

„Richtig, mit Flüssigkeit. Diese Flüssigkeit ist vorhanden. Was ist dicker als Wasser? Was klebt besser?“

„Blut“, Ocko atmete tief.

„Treffend, Friesenblut...!“

Foelke schlug die Hand vor den Mund. „Herr! Ihr meint Krieg!“

„Das Ziel ist der Friede. Denn das ist der Sinn des Krieges, nicht umgekehrt. Mancher Herrscher begreift das nicht. Er kann Kriege führen, aber nicht den Frieden festigen. Man muss das Nötige tun und das Nützliche, Burgfrau. Wer nicht bereit ist, sich friedlich zu einigen, muss gezwungen werden. Wenn es sein muss, mit eiserner Faust.“

„Du meinst, ich muss wieder Krieg führen, Winrich?“ Der Ritter rümpfte die Nase.

„Ich meine, sichere deine Grenzen, Ocko, versuche das Volk mit Verträgen zu einen, wenn es sein muss, tue dies mit List, Gold und Überredungskunst.“

„Überredungskunst?“ Foelke hüstelte leicht. „Ihr meint Erpressung, ja?“

„Nennt es, wie Ihr wollt, schöne Frau.“ Der Hochmeister blinzelte erheitert. „Gelingt dies nicht, so schmiede eine scharfe Waffe, Ocko, eine sehr scharfe Waffe. Denn, wenn du unterliegst, wird man dich in Stücke reißen.“

Freilich, er sei lange genug Heerführer in Italien gewesen, um das zu wissen, lächelte Ocko schief. Dort würden die Ziele mit unvorstellbarer Grausamkeit verfolgt.

Die Macht zu erhalten, sei schwer, sagte der Hochmeister, denn man müsse auch in der Stunde der eigenen Schwäche stärker sein als der Gegner. Macht zu erobern, sei dagegen relativ leicht, man müsse den Gegner nur in einem Augenblick der Schwäche angreifen: „Schmiedest du aber aus den Trümmern ein neues Staatsgebilde, dann schlägst du damit deinen Gegnern die Waffen aus der Hand. Salute!“ Winrich von Kniprode nahm einen Schluck aus dem Becher, setzte ihn diesmal behutsam zurück auf die Tischplatte.

„Salute!“ Ocko trank dem Hochmeister zu. Dennoch, flog der Schatten eines Zweifels über sein Gesicht.

„Dir sagt mein Rat nicht zu? So widersprich mir! Vielleicht findest du dann den rechten Weg.“

Ocko erhob sich, ging einige Schritte auf und ab, setzte sich wieder, starrte zum Fenster und auf die durchscheinende Schweinsblase, die ins Fenster gespannt worden war.

„Ich werde darüber nachdenken“, antwortete er matt. „Krieg! Ich will keinen Krieg mehr!“

„So kommt es auf geschickte Diplomatie an, Freund. Sei gewieft und listig, hinterlistig, wenn es sein muss, durchtrieben und fintenreich, ausgekocht und schlau.“

Ocko brach in raues Gelächter aus: „Fällt dir noch mehr ein?“

„Ja, schließe Bündnisse. Bündnisse sind nicht für die Ewigkeit gemacht. Sie sollen nützen, gelten nur bis zum Erreichen deines Anliegens.“

Ocko schwieg, seine hellen Augen richteten sich unverwandt auf den Hochmeister, aber seine Miene war wild bewegt. „Du zweifelst, Ocko?“

„Die Sicherung der Grenzen, Verträge und Vertragstreue... Bei uns sind Verträge heilig, Winrich, die werden nicht gebrochen...“

„Man kann Verträge auf Zeit schließen, man kann sie aufkündigen und neue schließen. Das weißt du doch aus Neapel, Ocko. Folge meinem Rat: binde dir nicht die Hände mit Verträgen, die dich hindern, Friesland zu einigen und zu heilen. Ist es tadelnswert, deinem Land zu nützen, dein Ziel zu verfolgen, Ocko?“

Der seufzte: „Ich will etwas Neues, etwas Gewaltiges! Ein einiges Friesland! Schluss mit den Kleinkriegen, mit Missgunst und Neid und dem Feilschen um ein paar Mark.“

„Ein ehrenhaftes Streben. Ich sehe, du hast die Zeichen der Zeit erkannt, Ocko. Du möchtest ein neues Zeitalter in Friesland schaffen? So etwas bedarf mehr als einer scharfen Waffe, mehr als eines Vertrages, das braucht deine Seele!“

Ein kalter Hauch fuhr in die Kemenate. Foelke fröstelte plötzlich und erhob sich aus ihrem Korbsessel, um Torf nachzulegen. Der Blick des Hochmeisters folgte ihren Bewegungen, sie spürte das in ihrem Nacken.

Weiße Dampfschwaden kräuselten in den Rauchfang, und Foelke stocherte verunsichert in den Torfsoden herum.

Ocko nutzte die Gelegenheit, Widzelt zu bitten, die Magd zu rufen, um noch heißes Bier bringen zu lassen. Und sie möge eine kleine Stärkung und den Genever nicht vergessen.

Erleichtert bat Foelke, sich zurückziehen zu dürfen. Sie verspüre Müdigkeit, der Tag sei lang und anstrengend gewesen.

Er verzichte nur unter größtem Bedauern auf ihre Gegenwart, versicherte Winrich von Kniprode und sei voller Erwartung, sie anderntags wieder zu sehen. Segnend schlug er das Kreuz über Foelke. - Und während Foelke das Blut in die Wangen stieg, lachte Ocko amüsiert: „Du bist ein Mann von Welt, Winrich, du hast dich keine Spur verändert.“

Das wolle er nicht unterstreichen, jedoch, der Anblick eines herrlichen Weibes sei ihnen - bei aller Keuschheit - erlaubt. Er sei ein Labsal und erquicke die Seele.

Bevor Widzelt ging, der Bordmagd die Wünsche seines Vaters aufzutragen, verabschiedete er sich, und auch er empfing den priesterlichen Segen des Hochmeisters.

„Du hast ein makelloses Weib errungen, Ocko! Und sie duftet wie eine Rose. Da kann man dich nur beglückwünschen“, stellte Winrich nicht ohne Bewunderung fest.

„Errungen“ sei der richtige Ausdruck, bemerkte Ocko. Er habe Foelkes Gemahl ins Jenseits befördern müssen, ehe er sie heimführen konnte. Mit schmerzhaft verzogenem Gesicht schlug er die Beine übereinander. Sein verletzter Fuß peinigte ihn „wie Hund“.

„Ihren Gatten hast du ermordet?“ Das klang zweifelnd.

„Nein, nein, nicht so plump. Im ehrlichen Zweikampf“, erklärte Ocko aufrichtig. „Es geschah während der Schlacht bei Loppersum.“

Beifällig nickte Benedikt, was der Ordenshochmeister zurückhaltend verzeichnete. Winrich wusste von jener Schlacht. Hisko Abdena hatte nicht versäumt, ihm ausführlich darüber zu berichten. Allerdings hatte Hisko von einer verwerflichen Bluttat gesprochen.

„Ich hörte davon, Ocko. Hisko Abdena erzählte einige Einzelheiten darüber. - Du musst wissen, unser Ordensschiff liegt im Emder Hafen. - Wie kam es zu dem Krieg?“

Ocko zögerte: So ist Winrich von Kniprode zuvor bei Hisko Abdena gewesen?

Benedikt nutzte rasch die sich bietende Gelegenheit, einzugreifen. Spitzzüngig erzählte der Geistliche, dass Ocko sachfällig geworden sei, dass er gerichtlich verurteilt worden war, das Erbe seiner Brudertochter herauszugeben. Weil er sich aber geweigert habe, dem Urteil Folge zu leisten, hätten seine Widersacher zum Krieg gerüstet. Sie wären wohl aufgrund der Überzahl der Überzeugung gewesen, Ocko besiegen zu können, nur hätten sie nicht geahnt, dass Ritter Ocko in der Kriegführung bewanderter ist. Dies habe sie den Sieg gekostet.

Ritter Ocko schaute betroffen auf den Geistlichen. Dessen zerfurchtes Gesicht schien eher ausdruckslos. Warum spricht er in dieser abfälligen Weise von mir? Was bedeutet das? Ist Benedikts Gesinnung nicht aufrichtig? Steht er nicht treu auf meiner Seite?

Kniprodes Augenpartie legte sich jedoch in freundliche Fältchen. Es sei eben immer verhängnisvoll, seinen Gegner zu unterschätzen, konstatierte er amüsiert. So beruhe Ockos Sieg also auf der Dummheit seiner Gegner. Nicht übel!

Mit Vergnügen hörte Benedikt die Erwiderung des Ordenshochmeisters, kannte er doch die Niederträchtigkeit des Drosten von Emden. Für ihn gab es kaum einen Zweifel, dass Hisko den Ritter als Abschaum der Menschheit geschildert hatte.

Gleichmütig lehnte Ocko sich in seinen Korbsessel zurück. Ihm sei keine Wahl geblieben, erklärte er und spielte mit dem Becher in seinen Händen. Er habe den Krieg nicht gewollt! „Gott ist mein Zeuge. Hätte ich mehr Zeit gehabt, ich wäre dem Urteilsspruch gefolgt. Nur fehlten mir die Mittel, das Erbteil auszuzahlen. - Kurz zuvor die entsetzliche Sturmflut. - Die Deiche weggeschwemmt, Mensch und Tier ertrunken, Gebäude, Vorräte und Getreide zerstört. Die Deiche sind es noch heute zum größten Teil. Du wirst es gesehen haben, Winrich. Ich frage dich, was ist wichtiger, das Land mit Dämmen zu schützen oder eine Erbschaft auszuzahlen?“

„Die Antwort fällt nicht schwer, denke ich. Du hast richtig gehandelt, Ocko. Und als Beigabe hast du obendrein ein schönes, tugendhaftes Weib gewonnen. Das nenne ich Gottes Vorsehung, manche nennen es auch Glück.“

„Ja, jede Münze besitzt zwei Seiten. Ich habe mir leider gleichzeitig die Erschwernis eingehandelt, das eroberte Gebiet - und nicht nur das - gegen meine Widersacher verteidigen zu müssen. Die geschlagenen Häuptlinge werden die geringste Schwäche nutzen, um ihren verlorenen Besitz zurückzuerobern. Bevor also das neue, große Friesland wachsen kann, muss ich mich um so ‚kleinliche' Dinge wie meinen Besitz kümmern. Ich will nur ungern mit eiserner Faust regieren. Mit meiner Gesundheit steht es momentan nicht zum Besten. Die Jahre des Kampfes gehen nicht spurlos vorüber, verstehst du?“

Kniprode konnte das leicht nachvollziehen. Wie oft schon hatte er nach erbittertem Kampf erschöpft im Morast des blutgetränkten Feldes gestanden. Winrich von Kniprode stützte sein bärtiges Kinn in die linke Hand, schien nachzudenken, ehe er sein Verständnis für Ocko bekundete, fügte jedoch hinzu, es gäbe ein simples Mittel zur Verteidigung.

Ocko möge feste Burgen bauen und starke Besatzungen einlegen: „Setze dir ergebene Vögte ein. Willst du noch mehr wissen?“

Gerade zu der Zeit kam Stine, die Bordmagd, um Genever, Bier, Dörrobst, Mettwurst und Brot zu bringen. Sie hatte die Hände so voll, dass sie die Türe nicht öffnen konnte. Behutsam stellte sie ihren Bierkrug ab und geriet dabei mit dem Ohr so nahe an die Tür, ganz unabsichtlich, versteht sich, dass sie den Fremden sagen hörte: „...nüchtern betrachtet, musst du ohne Zaudern ein Bündnis mit einem hohen Herrn anstreben. Das ist der schnellste Weg. Es ist unübersehbar, dass du dein Besitztum, das mit dem Blut deiner Männer errungen worden ist, zu schützen hast, besonders in unserer Zeit des politischen Chaos, national wie auch kirchenpolitisch.“

Zaghaft pochte Stine. Offenbar hatte sie niemand gehört. Um so besser konnte sie verstehen, was der Fremde sagte: „Wenn dein Werk dauerhaften Bestand haben soll, so ist es notwendig, dass du deine Grenzen sicherst, Burgen baust, dass du einen starken Schutzherrn suchst, ja dass du durch eigene Münzprägung unabhängig wirst, so wie Hermann von Salza es einst getan hat, als er unser Ordensreich gegründet hat.“

„Nun, wir haben seinerzeit darüber gesprochen. Ich erinnere mich...“

Die Magd pochte erneut, nun kräftiger. Prompt rief der Häuptling, einzutreten. Dieses Unterfangen gestaltete Stine arg umständlich, um das Gespräch weiterverfolgen zu können. Jedoch schwiegen die Männer nun und warteten ab, bis sie den Raum wieder verlassen hatte.

Zu dumm, auch das Horchen hinter der geschlossenen Tür nutzte nichts. Die Männer hatten sich offenbar über Speise und Trank hergemacht. Nun denn, Stine hatte auch genug erfahren...

„Köstlich, diese Früchte!“, schwärmte Winrich von Kniprode. „Das bekommt man nicht alle Tage. Dazu den guten Genever. Mich dünkt, ich wär' im Paradies.“

„Nicht übertreiben, mein Lieber, sonst glaube ich dir nicht“, lachte Ocko verschmitzt und knüpfte an die letzten Worten des Hochmeisters an: „Du rätst mir also, neue Münzen schlagen zu lassen?“

„Hm, so du das Münzrecht hast?“

„Sicher.“

„Ach, im Übrigen, weißt du, dass Hisko von Emden neue Münzen prägen lässt?“, fragte Winrich von Kniprode gespannt.

„Wie das? Hat er das gesagt?“

„Er zeigte mir eine neue Münze mit dem Emder Löwen darauf. Der sieht spaßig aus mit seinem geringelten Steert.“

„Merkwürdig, das kann er doch gar nicht. Münzhoheit hat der Bischof von Münster - ah ja, es sind des Bischofs Münzen. - Ich danke dir trotzdem für diesen goldwerten Hinweis, Winrich. - Ich werde auch neues Geld in Auftrag geben, das ‘moneta de broca’ “, antwortete Ocko gelassen. „Der Häuptling Edo Wiemken von Rüstringen prägt ebenfalls neues Geld - Jeversche Witten und Turnosen, wie ich hörte. Das greift fast wie eine Krankheit um sich. Da will ich nicht zurückstehen.“ In seinem gequetschten Fuß stach es wie mit Messern. Mann, das tat weh! Das brachte Ocko fast um den Verstand. Er entschuldigte sich dieserhalb und nahm rasch hintereinanderweg ein paar „Schlucke“.

Der Hochmeister äußerte volles Verständnis für Ocko. Kriegsverletzungen kannte er zur Genüge. Ein weites Gebiet, worüber es viel zu erzählen gab. Aber Kniprode wollte sich gerade jetzt nicht von dem wichtigen Thema “Geld“ ablenken lassen und gab zu bedenken, dass eventuell Schwierigkeiten beim Geldumtausch auftreten könnten.

Der Genever mochte wohl etwas betäubend wirken, jedenfalls war der größte Schmerz plötzlich verschwunden und Ocko konnte wieder normal denken: „Ihwo“ verneinte er, „Geldumtausch ist eine lang erprobte Vorgehensweise. Sicher will Hisko Abdena mehr ‚moneta de broca’ haben für sein Emder Geld, aber davor sind die Geldwechsler. Die werden den Markt einrichten, damit sie nicht zu kurz kommen. Ich sage dir, Winrich, nicht Machtsucht, ist meine Triebfeder in allen Dingen, sondern bittere Notwendigkeit. Im Übrigen... ist es nicht ohnehin allgemein üblich, durch vollendete Tatsachen, Verträge neu zu verhandeln und umzugestalten?“

„So ist, das wird so bleiben bis zum Jüngsten Tag. Ah, der Entschluss ist gereift? - Man muss die Leute provozieren, ehe sie aufwachen. - Nur, bedenke dabei, dass gute Vorbereitung vonnöten ist und es dennoch manchmal ins Auge gehen kann, lieber Freund.“

Benedikt war offensichtlich gut informiert über den Deutschen Ritterorden. Er verwies sofort auf das Debakel in Ungarn, wo der Orden seinerzeit das Land verlassen musste, weil Hermann von Salza begonnen hatte, Burgen zu bauen und eigene Münzen zu prägen.

„Nun ja“, stimmte Winrich zu, „das war eine Verfehlung. Wir besaßen dort kein Münzrecht. Unser Hochmeister Hermann von Salza hat es aber verstanden, diesen Mangel in Pruzzen von vornherein auszuschließen, indem er sich die Schenkung des Landes anno 1226 von Kaiser Friedrich II. in Rimini bestätigen ließ. Der Kaiser ermächtigte den Orden ausdrücklich, sich der Unterwerfung und Bekehrung der Heidenvölker zuzuwenden, damit Gottes Name in dieser Welt verherrlicht und der Glaube unter den Heidenvölkern verbreitet werde.

Zudem verlieh der Kaiser dem Orden für das Kulmerland und alle künftigen Eroberungen sämtliche Hoheitsrechte wie sie jedem Fürsten im Römischen Reich zukommen.“

„Wie man hört, hat der Orden von seinen Privilegien reichlich Gebrauch gemacht“, bemerkte der Kaplan mit einem Gesichtsausdruck, als müsse er sich augenblicklich übergeben.

Leicht brüskiert zog der Hochmeister eine Augenbraue hoch: „Wie meint Ihr das?“

„Ich hörte, Ihr habt neue Silbermünzen ausgegeben, der Schilling zu 12 Pfennig, der Halbschoter zu 16 Pfennig und das Vierchen zu 4 Pfennig.“

„Ja und? Ist etwas daran verwerflich? Wir haben das preußische Münzsystem endgültig wie folgt festgelegt: 1 preußische Mark = 60 Schillinge = 720 Pfennige.“

Benedikt zog eine bittere Miene. „Nun, ich erinnere nur an die Heerfahrten“, entgegnete er arglistig.

„Benedikt! Mäßigung!“, maßregelte Ocko den Kaplan verärgert. „Was erlaubt Ihr Euch?“

Aber Benedikt ließ sich aber nicht ins rechte Maß bringen: „Was die Pruzzenfahrten anbelangt, so freut sich darüber selten ein Weiser. Sie sollen um unserer Lieben Frau Willen geschehen, doch im Lande des Pruzzenfahrers sind arme Leute, Witwen und Waisen in Not. Sie finden weder Recht noch Gut. Würde ein Ritter dort Hilfe leisten, das wäre Recht! Damit erwürbe er sich ebensoviel Verdienst wie auf einer Pruzzenfahrt. Er sollte daheim die Armen vor Schaden bewahren, an denen es über genug gibt. Wer den Armen an Leben und Gut Übles tut, der ist ein rechter Heide. Diese Art sollte man zuerst totschlagen und danach gegen die Heiden ziehen. Will einer um des Himmelreichs Willen fechten, so mache er nur daheim alles richtig, was Unrecht ist. Er wird genug zu fechten haben, wenn er bei Gericht jedermann die Wahrheit ins Gesicht sagt. Man würde ihn deswegen in kurzer Zeit erschlagen und er wäre mit dem Streit heiliger als mit einer Preußenfahrt. Wer daheim die unbehütet lässt, die unter seinem Schutz stehen und hoffärtig übers Meer zieht, der ist ebenso „pflichttreu“ wie einer, der Freitag nicht fastet, dafür aber am Samstag.“

Benedikt hatte sich in Eifer geredet. Ockos Versuch, ihn zum Schweigen bringen, missglückte gehörig. Der Kaplan wollte sich partout nicht zügeln lassen: „Und nun zu den guten Rittern: Brächten sie doch gute Sitte, etliche Tugend oder gutes Gericht in ihr Land zurück, so wäre es mir nicht so leid; sie führen aber nur die Pfennige aus dem Land in die Heidenschaft. Nichts anderes bringt die Ritter zu der unnützen Mühsal der Pruzzenfahrten, als dass man von ihnen redet und sagt: Hei, hat der eine Fahrt getan!“

„Es ist genug, Herr Kaplan! Ihr beleidigt den Hochmeister!“

„Lass ihn nur, Ocko. - Ihr seid ein Gottesmann, Herr Kaplan. Habe ich nicht soeben den Sinn dieser Heerfahrten verdeutlicht? Erklärte ich Euch nicht, dass Kaiser Friedrich uns ausdrücklich ermächtigt hat zur Unterwerfung und Bekehrung der Heidenvölker, damit der Name Gottes in dieser Welt verherrlicht und der rechte Glaube unter den Heidenvölkern verbreitet werde? Gleiches erwartet der Heiliger Vater von uns. Es ist unsere Pflicht, Heerfahrten zu bieten, Herr Kaplan.“

„Natürlich, die Kardinalfrage ist nur, ob die Bekehrung durch derart grauenvolle Kriege erfolgen muss“, beharrte Benedikt hartnäckig.

„Jeder Krieg ist grauenvoll. Der Erfolg gibt uns Recht, Herr Kaplan. Wir folgen lediglich unserem Auftrag.“

Resignierend stellte Benedikt fest, dass er mit seiner Auffassung, die Pruzzenfahrten seien ein Unrecht, keine Unterstützung fand. Wortkarg verabschiedete er sich daraufhin unter dem Hinweis, dass die Nacht schon weit fortgeschritten sei. Ocko bedauerte seinen Aufbruch, fügte aber hinzu, dass Winrich von Kniprode sicher gewillt sei, die Frühmesse zu übernehmen. Angetan stimmte der Hochmeister zu, während der neue Kaplan enttäuscht von dannen zog, denn viel lieber hätte er die Frühmesse selber zelebriert.

Der Abend wurde mit breitem Gedankenaustausch über mannigfache Möglichkeiten der Kriegsführung noch lang. Winrich von Kniprode, als Ordenshochmeister, war in allen Kampfesweisen hervorragend bewandert, so dass Ocko sich freute, ihm manche Kriegslist entlocken zu können.

Chroniken der tom Brook

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