Читать книгу Bier - Gunther Hirschfelder - Страница 14
Das erste Bier:
Zufall oder Erfindung?
ОглавлениеWie und wo genau das erste Bier gebraut wurde, muss offenbleiben. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei diesem komplexen Zusammenspiel von Temperatur, Feuchtigkeit und Bakterien um eine rein zufällige Entdeckung handelte, ist aber recht groß.
„Letztendlich sollte in Erwägung gezogen werden, dass die Natur selbst das erste Bier geschaffen haben könnte. Die Gerstenkörner wurden nach der Ernte vermutlich zur Lagerung in einem Behältnis verstaut. Wenn die Körner Feuchtigkeit ausgesetzt waren, keimten sie. Gekeimte Gerste ist süßer und weicher als ungekeimte Samen und daher genießbarer. Vielleicht wurden die gekeimten Körner für den späteren Verzehr aufbewahrt. Luftübertragenen Hefen und mehr Feuchtigkeit ausgesetzt, gärte die Gerste und erzeugte auf diese Weise Bier. Wir werden wohl nie erfahren, wann irgendeine mutige Seele wirklich diese ‚verfaulte‘ Gerste trank, aber was wir wissen ist, dass es jemand getan hat.“19
Gleichwohl: Kultur kennt keine Zufälle. Innovationen und Entdeckungen geschehen, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Eine Verbreitung erfolgt nur, wenn eine Idee erfolgreich, ein Bedürfnis vorhanden und die Möglichkeit eines kommunikativen Austausches gegeben ist. So musste für den Brauvorgang und die Entdeckung des Bieres eine Reihe von Bedingungen erfüllt sein: Zunächst benötigt die Produktion von Bier einen beträchtlichen Vorrat an Getreide. Es reicht für eine umfänglichere Herstellung nicht mehr, lediglich Grassamen zu sammeln. Die Bierproduktion erfordert das Wissen, Getreide flächig auszusäen und systematisch zu ernten. Zum zweiten bedarf es eines Verfahrens, Malz in Zucker zu verwandeln. Erst dieser garantiert in der Vergärung einen einigermaßen hohen Alkoholgehalt. Das verwendete Korn wiederum muss bereits gekeimt haben, da ungekeimtes Getreide nicht über die Enzyme verfügt, Stärke in Zucker umzuwandeln. Schließlich benötigten die frühen Brauer Hefe für die Vergärung sowie Gefäße, um den Gerstensaft darin in größerem Stil zu produzieren, zu konsumieren und zu lagern. In einer funktionierenden Landwirtschaft liegt der Schlüssel der Bierproduktion: Ohne Überschussproduktion kann sich eine Innovation wie die Entdeckung vergorenen Getreidebreies oder -saftes nicht vollziehen.
Diese notwendigen Voraussetzungen finden wir, unabhängig voneinander, zu verschiedenen Zeiten weltweit in unterschiedlichen frühen Kulturen. Die Kulturgeschichte des Bieres verfügt nicht über den einen zentralen Ursprung. Es handelt sich um keine lineare Geschichte, sondern um eine parallele Entwicklung von zahlreichen Startpunkten aus.
Ein sehr früher Anfangspunkt ist wohl in den Subsaharazonen des östlichen Afrika zu setzen. Hier stoßen wir bereits um 8000 v. Chr. auf vergorene alkoholhaltige Getränke auf einer Grundlage von Hirse und Sorghum, aber auch Mais oder Maniok. Etwa aus der gleichen Zeit stammen Funde aus dem prähistorischen China und Japan, wo sich in Gefäßen Rückstände von bierartigen Getränken auf der Grundlage von Reis fanden. Etwas später wurden auch in Südamerika erste bierartige Getränke, vor allem auf Maisgrundlage, gefunden. In den prähistorischen Anden wurden weitere Pflanzen und Früchte wie Maniok oder Erdnüsse zum Bierbrauen genutzt.20
Etwa um 7000 v. Chr. sind im Vorderen Orient die Voraussetzungen für die Produktion früher Biergetränke gegeben. Nördlich der Alpen treten alkoholhaltige, vergorene Getränke auf Getreidegrundlage noch später, etwa ab 5000 v. Chr. auf. Der russische Brottrunk Kwas erinnert an die frühen europäischen Gerstensäfte.21 Bei den Hethitern, die sich ab ca. 2300 v. Chr. in Zentralanatolien ansiedelten, kam Bier bei Zeremonien zum Einsatz. Das Getränk, wahrscheinlich vor allem auf Gersten- und Emmerbasis, wurde möglicherweise auch mit Honig gewürzt und als medizinisches Präparat genutzt.22
Die notwendige Verzuckerung der Stärke stand in Abhängigkeit zum jeweiligen Grundbestandteil. Die südamerikanischen Maisbiere wurden ebenso wie wahrscheinlich die japanischen Reisbiere oder die frühen afrikanischen Biere auf Grundlage von Maniok durch Speichelamylase verzuckert. Das bedeutet, dass die Umwandlung von Stärke zu Zucker durch Kauen erfolgt. Der menschliche Speichel regt dabei in Kombination mit der Wärme die Verzuckerung an.
Auch die für die Vergärung der so verzuckerten Grundbestandteile nötigen Hefen entstammten unterschiedlichen Quellen. So fanden neben Spontanvergärung durch wilde Hefen auch Früchte Verwendung, auf deren Schalen sich Hefekulturen ansiedelten. Einen frühen Zusammenhang von Brot und Bier – „heute back’ ich, morgen brau’ ich“, wie es im Märchen „Rumpelstilzchen“ heißt – finden wir bei Verfahren aus dem Vorderen Orient, wo die Vergärung mit der Hefe aus angebackenem Brotteig oder entsprechenden, hefehaltigen Flüssigkeiten und Getreidebreien gestartet wurde. In all diesen frühen Techniken stand das Bier am Ende einer landwirtschaftlichen Kette von Arbeitsschritten, die zur Verarbeitung des geernteten Korns dienten. Sein niedriger pH-Wert, der das Wachstum von Keimen und unerwünschten Bakterien hemmt, machte Bier zu einem halbwegs haltbaren Getränk, in dem sich das geerntete Korn in flüssiger Form konservieren ließ.
Wie wohlschmeckend all diese Getränke letztlich waren, wie hoch der Alkoholgehalt und wie golden oder dunkel die Farbe, lässt sich nur schwer rekonstruieren. Anhaltspunkte bieten lediglich Vergleiche mit einigen vergorenen Getreidegetränken der Gegenwart, etwa den trüben afrikanischen Opaque-Bieren, den bespeichelten Chicha-Bieren der Anden, dem vergorenen russischen Brottrunk Kwas oder auch spontanvergorenen, sauren belgischen Geuzes oder Lambics.23 So geht der kalifornische Brauwissenschaftler Charlie Bamforth davon aus, dass die ersten Biere geschmacklich wenig mit jenen der Gegenwart gemein hatten:
„Seit 8.000 Jahren ist Bier in der einen oder anderen Form ein Bestandteil der Ernährung. Der Trinker des 21. Jahrhunderts würde die ersten Biere, welche ein glückliches Ergebnis der spontanen Vergärung schlecht gelagerten Brotes darstellten, nicht als solche erkennen.“24