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Kein Ort für Priesterinnen:
Die Bierschenken des alten Mesopotamien

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Der Altorientalist und Ernährungshistoriker Lance Allred erklärt sich diese Diskrepanz durch die Art der Arbeitsteilung in den großen Produktionsstätten der altbabylonischen – und vorher wohl auch der sumerischen – Gesellschaften. Die massenhafte Produktion von Bier erforderte zunächst hohe Ressourcen. Dafür war finanzielles Kapital erforderlich, aber auch soziales Kapital in Form von Handelsnetzwerken. Beides stand in den Gesellschaften Mesopotamiens eher den Männern offen, die so zugleich auch über die höhere Autorität verfügten, Großbrauereien mit Dutzenden von Arbeiterinnen und Arbeitern zu leiten. Es sind diese „Brauereiobmänner“, die als männliche Brauer in den Dokumenten der Zeit verzeichnet sind. Das Heer der untergebenen Bierbrauerinnen, die in den Produktionsstätten den eigentlichen Brauprozess leiteten, taucht darin nicht auf.35

Wie die Regularien des Codex Hammurapi zum Tavernenwesen zeigen, standen die Kneipenwirtinnen und Bierschänkinnen in nicht allzu hohem Ansehen. Überhaupt galten die zahlreichen Kneipen in den Städten Mesopotamiens eher als zwielichtige Etablissements. Da es Priesterinnen unter Todesstrafe verboten war, sie zu betreten, ist davon auszugehen, dass neben exzessivem Bierkonsum dort auch anderen Ausschweifungen gefrönt wurde. Mit langen Strohhalmen tranken die Zecher hier das trübe, durch Spelz verunreinigte Bier. Ein großer Krug konzentrierten Bieres, das die Trinkenden mit reichlich Wasser verdünnten, kostete dabei laut „Bierpreisbindung“ im Codex Hammurapi den Drittel eines Monatslohnes eines Bauern. Auch wenn das Gesetz eine Bezahlung in Form von Gerste erlaubte, war der Kneipenbesuch daher wohl nur den Begüterten möglich. Die Bierschenken Sumers und Babylons waren Orte des Frohsinns und des weltlichen Überschwangs inmitten einer unsicheren Welt, das Bier der Treibstoff von Gelagen und Feiern. So seufzt bereits Gilgamesch bei seiner Begegnung mit der Schankwirtin Siduri: „Nun, Schenkin, habe ich Dein Antlitz erblickt – möchte ich den Tod, den ich fürchte, nicht sehen!“

In der Zusammenschau eröffnen die Quellen für den keineswegs kulturell homogenen Zeitraum des 3. und 2. vorchristlichen Jahrtausends Schlaglichter auf eine frühe Bierkultur. Unbestritten ist dabei die weite Verbreitung des Bieres im Alltag der Gesellschaften zwischen Euphrat und Tigris vom Beginn der schriftlichen Überlieferung an. Mit den ersten Stadtkulturen begann sich der Konsum und die Produktion von Bier auszudifferenzieren. Als Überschussprodukt der frühen Landwirtschaft war es ein statusbezogenes Lebensmittel mit festen Mengen- und Qualitätszuschreibungen. Es entstanden feste Rollen und Reglements im produktionstechnischen, aber auch sozialen Bereich. Bier begann sich die Gesellschaft zu formen.

So standen der Frau als Schankwirtin und Heimbrauerin im ländlichen Kosmos die manufakturmäßig produzierenden männlichen Brauer in den Städten gegenüber. Bier wurde am Beginn der Gastronomie in eigenen Tavernen ausgeschenkt. Als Zahlungsmittel wurde es eine ökonomische Größe in den frühen städtischen Wirtschaftssystemen des Vorderen Orients. Die Funktion von Bier als sozialer Kitt im Rahmen von Festen, Kulten und Feiertagen nimmt hier bereits literarische und rituelle Formen an. Die Trunkenheit vom Bier dient als Erzählmoment zahlreicher Geschichten, mit teils warnendem, teils humorvollem Unterton. Noch nicht einmal die Götter sind gegen die berauschende Kraft des Bieres gefeit. Bier bildet so in den mesopotamischen Kulturen erstmals einen integralen Bestandteil der materiellen, aber auch der geistigen Kultur.

Bier

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