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Biergenuss:
Zwischen Luxus und der Lust am Rausch

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Bier hat viele Funktionen – die wichtigste ist der Genuss. In allen Epochen und Gesellschaftsordnungen war und ist der Hedonismus eine entscheidende Triebfeder für das Biertrinken. Sein Alkoholgehalt, die Lust am Rausch und nicht zuletzt seine geschmacklichen Qualitäten sicherten ihm einen festen Platz bei öffentlichen und privaten Feiern, bei ausgelassenen Wirtshausrunden, Hochzeiten oder Studentenpartys.11 Lieder über das Bier gibt es zahllose. Ebenso umfangreich sind die Darstellungen von Bier in der Kunst und die symbolischen Überhöhungen des Getränks in der materiellen Kultur, etwa durch spezielle Trinkgefäße oder im Rahmen von Ornamentik und Ikonographie. Auch die Werbung betont seit ihren Anfängen den Lustgewinn, den ein goldenes Bier mit perfekter Schaumkrone beschert.

Heute zählt Bier nicht mehr zu den überlebenswichtigen Grundnahrungsmitteln. Ein Leben ohne Bier ist möglich – und wäre für manchen sogar gesundheitsförderlich. Bier oszillierte über weite Phasen seiner Geschichte zwischen seinen Funktionen als Grundnahrungs- und Genussmittel. Einen Spitzenplatz unter den universellen Genussmitteln hat es sich allein schon durch die Konstanz gesichert, mit der es über weite Phasen der Geschichte produziert wurde, sowie durch seine breite Verfügbarkeit.

Die Bedeutung des Bieres als „luxury food“ hat mit der aufwendigen Herstellung zu tun. Die Produktion von Qualitätsbier ist an eine Reihe teils komplizierter Arbeitsschritte gebunden, die mit langen Reife- und Ruhephasen einhergehen. Unter den schwierigen Bedingungen der vorindustriellen Arbeitswelt konnte das heimische Bierbrauen nur gemeinschaftlich bewerkstelligt werden. Außerdem erforderte es Ressourcen, die nur zu bestimmten Zeitpunkten vorhanden waren. Das Braugetreide konkurrierte mit jenen Getreidemengen, die für die Herstellung von Brot, Suppen oder Breigerichten unverzichtbar waren. Daher hatte das Brauwesen vor allem dann Konjunktur, wenn überschüssiges Getreide verfügbar war. Die zahlreichen süddeutschen Reinheitsgebote des Mittelalters zielen weniger auf den Schutz vor schädlichen Würzstoffen als vielmehr darauf, bestimmte Getreidesorten in Zeiten schlechter Ernten vom Bierbrauen auszunehmen. Der Stellenwert des Bieres als „luxury food“ wird schließlich in zahlreichen Rechtsverordnungen und handelspolitischen Instrumenten manifest. Bereits aus den frühen Stadtkulturen Mesopotamiens hat sich ein breites Verwaltungsschriftgut überliefert, das Bierproduktion und -handel zum Gegenstand hat. Wenngleich diese Quellen nur spärliche Einblicke in die Herstellung und den Konsum von Bier gewähren, zeigen sie doch, dass das Produkt schon in den frühen öffentlichen Verwaltungssystemen eine Rolle spielte, denn auf die Herstellung und den Handel mit dem Gebräu wurden Steuern erhoben. Bier stand über die Jahrhunderte außerdem im Fokus der Behörden, weil sie – oft vergebens – nach Instrumenten suchten, um den Konsum der Bevölkerung zu reglementieren. Beispiel hierfür sind die skandinavischen Prohibitionen der 1910er- und 1920er-Jahre und besonders die Alkoholverbote, die im Amerika der Jahre 1920 bis 1933 galten.

Ein Jahrhundert zuvor war der Alkoholkonsum schon einmal in den Blickpunkt der Wissenschaft und bald auch der Behörden gerückt. Anlass war ein schmales Buch mit dem Titel Die Trunksucht und eine rationelle Heilmethode derselben aus der Feder Carl von Brühl-Kramers. Der Moskauer Arzt führte darin den Begriff Trunksucht ein und äußerte die revolutionäre Ansicht, dass selbst gelegentlicher Konsum von Bier (oder Wein) zur Sucht führen könne. Trinken war fortan nicht mehr nur Genuss, sondern wurde auch mit dem Aspekt Krankheit in Verbindung gebracht.12 Die Diskussionen über den vermeintlich falschen oder richtigen Bierkonsum und seine Bedeutung – je nach Position – als Droge oder als nährstoffreiches Allheilmittel halten an und werden wohl auch in Zukunft erbittert geführt werden.13

Die Problematik eines Lebensmittels aus der Kategorie der Genussmittel wird in diesen kontroversen Betrachtungsweisen deutlich. Je nach Zeit, Raum, Wirtschaftslage und sozioethischem Kontext wandelte sich die kulturelle Wertigkeit des Bieres. Während die Abstinenzbewegung im Europa des späten 19. Jahrhunderts das Bier als Suchtmittel dämonisierte, betonten zur gleichen Zeit Ärzte die positiven und heilsamen Effekte seines Konsums gegenüber anderen Getränken wie Kaffee oder Wasser.14 Die Funktionen des Bieres sind vielschichtig: War es während seiner gesamten Geschichte, und insbesondere in Zeiten klimatischer Umwälzungen, Nährstofflieferant und Nahrungsmittel breiter Bevölkerungsteile, so diente es zugleich in anderer Form dem demonstrativen Konsum einzelner Eliten.

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