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Mushotoku - Handeln ohne Absicht

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Ob ein Wurf gut gelungen ist, merkt man als Geworfener und meistens auch als der Werfende10 sofort. Mir fällt dazu eine Begebenheit ein, als einmal zwei Schwarzgurt-Aspiranten für ihre Dan-Prüfung trainierten. Man sah dem einen deutlich an, dass er mit seiner Wurftechnik nicht zufrieden war. Während einer Atempause meinte der Geworfene:

"Du zerrst total!"

„Ja, ich merk´ schon ... Aber ich will dich so richtig auf die Matte schmeißen."

„Genau deshalb ist die Technik nicht im Fluss, weil du vor lauter Hinschmeißen zu zerren anfängst."

Der eine wollte seinen Trainingspartner mit Wucht werfen, und doch gelang der Wurf nicht gut. Vor lauter Hinwerfen-Wollen vernachlässigte er die Einleitung der Technik. So hatte der Trainingspartner Mühe, dem Wurf in einer natürlichen Bewegung zu folgen, und fühlte sich gezerrt. Der Werfende hatte sich zu sehr auf sein Ziel fixiert; er hing zu stark an seiner Intention, und so ging die maximale Konzentration auf die Ausführung, auf die Tätigkeit an sich verloren. Die Absicht vereitelte die Handlung. Besser wäre gewesen, er hätte sich ganz auf sein Tun konzentriert.

Das Handeln ohne Absicht finden wir wieder im Zen-Buddhismus. Es lässt sich in der Lehre Gautama Buddhas begründen bis zurück zu deren Ausgangspunkt, dem Leiden. Alles Leiden wird verursacht durch die „Bonnô", die Begierden. Jene ergeben sich als unzählige Spielarten aus den drei menschlichen Grundübeln: Gier, Zorn und Verblendung. Im Buddhismus werden die drei menschlichen Grundübel gerne durch Tiergestalten symbolisiert. Eine Schlange versinnbildlicht die Gier, ein Hahn steht für Zorn, und ein Schwein stellt Verblendung und Unwissenheit dar. Die Bonnô wurzeln in diesen drei Grundübeln. Als Varianten der Gier gibt es beispielsweise Habsucht, Neid, Erwerbstreben, Egoismus, Vorteilsdenken. Als Facetten des Zorns findet man Hass, Verärgerung, Geltungsbedürfnis, Abneigung und Unduldsamkeit. Als Spielarten der Verblendung erlebt man Ignoranz, übertriebenes Selbstwertgefühl, Genusssucht und Überheblichkeit.

Das Leiden wird aufgehoben, indem der Mensch seine Begierden verwirft, aufgibt und restlos ablegt. Nur diejenigen Taten ziehen kein Karma11 nach sich, die nicht durch Begierden motiviert sind, die frei sind von den Grundübeln. Doch, was bleibt dann noch übrig, wenn die Bonnô nicht mehr die Motivation für das Handeln sind, wenn alle Begierden auch in den feinsten Abstufungen ausgemerzt sind? Im Zen ist dies radikal zu Ende gedacht. Aus dem Fallenlassen all dieser Triebfedern folgt letzten Endes ein Handeln, ohne an ein Ziel oder einen persönlichen Nutzen zu denken, die Handlung um ihrer selbst willen.

Einmal nahm ich an einem Zazen-Wochenende mit Nakasawa Rôshi12 teil. Der Meister erklärte in seinem Vortrag, dass man nicht Zazen üben sollte, wenn man nicht das Gefühl hätte, anderen Menschen helfen zu wollen. Man könnte auch Zazen üben, um persönlichen Gewinn für sich selbst zu erzielen, es gäbe sogar Leute, die mit dieser Einstellung Abt geworden wären, aber es wäre nicht richtig. Ich runzelte die Stirn. Genau deswegen war ich damals dort: weil ich dachte, Zen könnte mir selbst nützlich sein und mir Aufschlüsse für mein Aikidô erhoffte.

Die Aussage von Nakasawa Rôshi wird verständlicher, wenn man hört, was der Zen-Meister Seung Sahn seinen Schülern eröffnete:

„Einige von euch wollen Erleuchtung erlangen und (so schnell wie möglich) ein Zen-Meister werden. Solange das eure Motivation ist, werdet ihr nicht das geringste erreichen. ... Zwischen Begehren und Bemühen ist ein großer Unterschied. Schon die Idee, du könntest irgend etwas mit Zen erreichen, ist selbstsüchtig."

Das Bemühen, Erleuchtung zu erlangen sei

„... nicht für mich selbst. Es ist nicht im geringsten ein persönlicher Wunsch, es geht über die Idee von einem Selbst hinaus. Es ist ein Wunsch ohne Begierde." ([4] S.75)

„Du solltest alles Denken und alle Wünsche, die etwas für dich erreichen wollen, abschneiden. So wirst du bald Erleuchtung erlangen." ([4] S.81)

Um die Erleuchtung zu erreichen, muss der Zen-Novize vom ich-bezogenen Handeln Abstand nehmen und Zazen üben, ohne dabei eine Absicht zu verfolgen. Manche, so wird berichtet, erlangten die Erleuchtung erst genau dann, als sie aufgegeben hatten und das Kloster verlassen wollten.

Man mag nun die buddhistische Anschauung teilen oder nicht, den Gedanken des Handelns ohne Absicht kann man mit Gewinn auf die Praxis des Budô übertragen: Die Ausführung einer Technik – auch das ist eine Handlung – sollte absichtslos erfolgen.

Es bedeutet, erstens, nicht an das Werfen denken, sich nicht auf das Zuziehen des Hebels fixieren, nicht in erster Linie siegen wollen, sondern sich ganz auf die Bewegung an sich konzentrieren. Die Erfahrung bestätigt, dass dann die Techniken wesentlich besser gelingen: Denn die Entscheidung, ob ein Wurf oder ein Hebel gelingt, fällt nicht in dem Moment, in dem man den Wurf oder den Hebel ausführt, sondern sehr viel früher in der Bewegung. Trainiere so, dass du die Technik als solche gut ausführst, und du bekommst den Wurf oder den Hebel am Ende geschenkt.

Zweitens: Haben wir eine Absicht, so kann der Gegner sie erraten und vereiteln. Handeln wir dagegen spontan und ohne Absicht, wie könnte er dann unserer Absicht zuvorkommen?

Drittens: Auch im Freikampf (Randori) ist es besser, sich keine bestimmte Technik vorzunehmen (z.B. „Jetzt werf´ ich ihn mit Koshi-Nage!" (einem Hüftwurf)). Die eine mag zwar durchaus funktionieren, aber durch die Dynamik des Angreifers könnte eine andere Technik angezeigter sein. Besser ist, man lässt die Technik einfach geschehen. Dafür ist ein beträchtliches Maß an Übung erforderlich, in der Weise, dass alle Technik-Optionen bereits trainiert wurden und man für jeden Fall gerüstet ist. Hat man das entsprechende Können, so überlässt man die Wahl der Technik seiner geschulten Intuition.

Die Elemente des Zen in der Kampfkunst

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