Читать книгу Adoption - Hannelore Kleinschmid - Страница 11
ОглавлениеGanz unbeschwert war die Zeit bis dahin durchaus nicht.
Immer wieder kam es den Eltern so vor, als ob Winny nicht so leicht zufriedenzustellen sei wie andere Kleinkinder. Auf ihn musste man immer ein Auge haben, es sei denn, er schlief. Selten war vorherzusehen, was er als nächstes ausprobieren würde.
Saß die Familie beim Essen am Tisch, war es empfehlenswert, alles in seiner Reichweite wegzuräumen, das nicht durch die Gegend fliegen oder zu Bruch gehen sollte.
Er wurde schnell trotzig oder wütend, ging es nicht nach seinem Willen. Und er hatte ständig neue Einfälle, die er ausleben wollte.
Beate verdrängte damals den Gedanken, ob es mit ihr zu tun haben könnte, wenn sich Winnys Temperament kaum bändigen ließ. Nur selten ließ sie den Gedanken zu, sich das Zusammenleben mit einem Kind harmonischer vorgestellt zu haben. Nicht so viele Auseinandersetzungen, nicht so viele Kämpfe um Kleinigkeiten!
„Stell bitte die Tasse wieder hin, Winny.“
„Nein!“
„Du verschüttest den Kakao.“
„Nein!“
Er schüttet Kakao auf das Wurstbrot. Nur ein wenig. Aber zielgerichtet.
Beate schimpft: „Lass das! Sofort!“
Er lässt es – sofort -, indem er die Tasse zu Boden fallen lässt und die Mutter groß und direkt aus den dunkelbraunen Augen ansieht.
Beate schreit auf: „Winny!“
Die kleine Jana fängt an zu weinen.
Die Mutter kann sich nicht erklären, warum die Situation eskalierte.
Es gibt eine weitere Variante:
Winny gaukelt mit der Tasse über seinem Abendbrotteller, bis ein See von Kakao auf die Schnitten läuft. Er sieht seine Mutter groß an. Sie tut, als bemerke sie nichts, er protestiert: „Ich will das nicht!“ und wirft das Brot auf den Boden.
Da sich Beate noch immer jede Reaktion verbeißt, fängt er zu weinen an, und seine Schwester weint mit.
Die Mutter weiß, dass ihr Kind Aufmerksamkeit haben will – um jeden Preis. Sie weiß in dem Moment am Abendbrottisch jedoch nicht, wie sie die Situation hätte retten können.
Im Kindergarten sagt die Erzieherin nach einigen Tagen: Frau Grimm. Haben Sie einen Moment Zeit? Ich würde Sie gern etwas fragen.
Unzählige Bitten und Gespräche dieser Art werden folgen. Beate erklärt damit ihre anhaltende Abneigung gegen Kindergärten und Schulen.
Ob sie wisse, fragt die Kindergärtnerin, warum Winny, wenn er morgens hereinkommt, Spielsachen von anderen wegnimmt oder alles über den Haufen schmeißt, womit sie spielen. Oder gar wortlos Ohrfeigen verteilt.
Beate kann sich sein Verhalten nicht erklären. Hat Winny nicht schon seit Monaten verlangt, dass er mit anderen Kinder spielen will?
In den kommenden Wochen wird sie immer wieder von Müttern gefragt, warum sie ihren Sohn nicht hindere, anderen Kindern etwas wegzunehmen und ihnen weh zu tun.
Sie fühlt sich unter dem Generalverdacht, ihrem Jungen nicht beizubringen, dass man das nicht tut. Es ist der Anfang, der Anfang eines Gefühls, das anhält, solange sie für Winston verantwortlich ist. Als Erziehungsberechtigte!
Ihr Sohn hat das Pech, an eine sehr angepasste Mutter geraten zu sein. Sie findet nicht gut, was er macht. Das sagt sie ihm.
Sehr oft.
Zu oft?
Sie selbst gehörte zu den Braven. So fällt es ihr schwer, für ihn einzutreten, wenn er Mist gebaut hat.
Warum kann sie Winny nicht verteidigen, sondern schämt sich für sein Verhalten und redet auf ihn ein, um es zu ändern? Ihn zu ändern!
Andere Mütter behaupten: Mein Kind tut das nicht! So kann es nicht gewesen sein!
Und sie, was macht sie?
Sie beharrt nie darauf, dass Winny das bestimmt nicht getan habe.
Sie versucht, ihr Verhalten zu ergründen.
Ihre Eltern stritten fast jeden Tag furchtbar, furchtbar laut. Danach redeten sie nicht miteinander. Stundenlang. Beate kam es vor wie Tage. Sie fühlte sich schuldig, sah sich als Ursache für den Streit.
Jetzt gelingt es ihr nicht, den kleinen Jungen zu verteidigen, der sich nicht nach ihren Vorstellungen verhält.
Der Konflikt wird sich fortsetzen. Und vertiefen.
Benno kann und will sie nicht verstehen. Er versteht den Sohn. Er ist einer, der denkt: Na und! Was ist schon dabei? So sind kleine Rabauken. Kinder eben.
Er rast, auf dem bunten Plastikauto sitzend, durch den Flur, über den Gartenweg, und bremst rechtzeitig. Meistens.
Als er den „Explorer“ vom Weihnachtsmann bekommt, ist er eineinhalb Jahre alt. Todmüde lässt er sich nach den aufregenden Erlebnissen ins Bett legen. Ein riesengroßes Problem taucht jedoch plötzlich auf. Winny will nicht ohne das Auto schlafen. Tränen kullern. Aber Explorer und Sohn passen nicht gleichzeitig ins Kinderbett. Erst nachdem Winny im Bett der Eltern landet am ersten gemeinsamen Heiligabend, kann er mit dem Auto im Arm zufrieden einschlafen.
Winny ist geschickt und begreift schnell.
Wenn ein Kind weint, versucht er zu trösten.
Aber er lernt nicht zu fragen, ob er mitspielen darf.
Er hört nicht auf, Spielsachen wegzunehmen, zu hauen und Verbotenes auszuprobieren.
Sehr oft tut er das alles schneller, als Erwachsene aufpassen und bremsen können.
So wird er nur selten zu anderen Kindern eingeladen. Sein Ruf eilt ihm voraus, und selbst pädagogisch bewanderte Mütter, die sich einiges zutrauen im Umgang mit Kindern, laden ihn nur einmal ein, bestenfalls zweimal.
Niemand kann gezwungen werden, Winnys größten Wunsch zu erfüllen: im Mittelpunkt einer fröhlichen Kinderschar zu stehen.
Den Eltern kommt der Gedanke nicht, ihr Sohn könnte voller Ängste stecken. Er ist so temperamentvoll, dass er sich nie verkriecht, sondern losrennt, auf die anderen Kinder zu rennt. Er kann sich leicht und schnell verständlich machen, zeigt keine Hemmungen beim Reden.
Rennt ein Kind wie ein Wirbelwind auf eine Hürde zu, weil es sich nicht unsichtbar machen kann?