Читать книгу Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln - Arved Fuchs, Hannes Lindemann - Страница 15
Miesmuscheln hüten Silberschatz
ОглавлениеAls wir in der Bucht umherkreuzten, wurden wir in der Enge von San Simon auf eine Gruppe von Frauen aufmerksam, die auf einem quadratischen Holzfloß einer geheimnisvollen Beschäftigung nachgingen. Da unsere Neugier geweckt war, legten wir kurz entschlossen bei ihnen an. Die Frauen sahen in ihren abgetragenen, schmutzigen Kleidern wie arme Bäuerinnen aus; sie waren jeglichen Alters, und sie schauten kaum von ihrer Arbeit auf, als wir auf ihr Floß kletterten. Als wir sie ansprachen, begannen sie schließlich verlegen zu lächeln.
Ja, es waren Bäuerinnen, Miesmuschelbäuerinnen sozusagen, sie sortierten ganze Berge dieser frischgeernteten Schalentiere. Ob sie wohl wußten, daß ihre Miesmuscheln, die sie an vielen im Wasser pendelnden Tauen züchteten, direkt über dem Silberschatz schwebten?
Die blauen Mies- oder Pfahlmuscheln finden wir auch bei uns im Norden. An Dalben, Pfählen, Felsen und Brückenfundamenten sitzen sie, und wenn ein Schiff zu lange: im Hafen liegen bleibt, kleben sie sich mit ihren Byssusfäden an die Giftfarbe des Dampfers und nehmen gar keine Rücksicht auf die Reputation der Patentfarbe und deren Herstellerfirma.
Sie haben Ähnlichkeit mit Austern. Wie schnell sie sich vermehren, bewiesen sie uns in den Niederlanden. Dort hatten während des letzten Krieges die abziehenden deutschen Truppen die Insel Walcheren unter Wasser gesetzt, indem sie die Deiche zerstörten. Und wer eroberte die Insel? Die Alliierten? Das Wasser? Ja, auch die und das! Aber festgesetzt und niedergelassen haben sich dort die Miesmuscheln.
Das fanden die Holländer heraus, als sie nach einem Jahr die Deiche wiederherstellten und das Wasser auspumpten. Überall klebten die Muscheln, an Häusern, an Wegweisern, an zurückgebliebenen Autos und zerstörten Tanks. Selbst auf die Bäume waren sie geklettert! Doch nie über die Wasserlinie hinausgedrungen.
Muscheln über Muscheln! Bis zu 30.000 Stück pro Quadratmeter!
Sie sind Kleinerzeuger einer klebrigen Masse, die an ihrem Fuß entlanglßuft und im Wasser sofort zu Fäden gerinnt. Mittels dieser Fäden hängen sie sich an irgendeinen Gegenstand – beispielsweise an die Taue der Miesmuschelbäuerinnen. Wollen sie „Höhensonne“ genießen, spinnen junge Muscheln ihre Fäden nach oben und seilen sich mit einem Klimmzug daran empor – eine peinlich langwierige Methode, aber Muscheln haben’s halt mit der Ruh’. Nahezu die Hälfte des Tages sind sie damit beschäftigt, sich frisches Wasser zuzuwedeln, damit ihre Kiemenbögen aus dem sie durchströmenden Wasser planktonischen Kleinkram herausfiltern können.
Viel werden sie da nicht schaffen? O doch: in einer einzigen Stunde fächeln sie sich mehrere Liter durch ihren Filterapparat! Und jeder Kubikliter Wasser enthält Tausende von pflanzlichen und tierischen Zellen.
Nicht in allen Teilen der Welt verzehrt man die Miesmuscheln mit solchem Genuß wie in England oder Barcelona oder auch auf unserem Boot. Das mag daran liegen, daß der Genuß von Muscheln, die in giftigen Abwasserbereichen leben, zum Tode führen kann.
Viele Feinde haben diese Tiere nicht. Ein Gegner ist die Möwe, die schwache Schalen zerbeißen kann, sich bei härteren jedoch eines Tricks bedient: sie steigt in die Luft, äugt, ob unter ihr felsiger Boden liegt und läßt die arme Miesmuschel fallen, die dann mit einem Knall zerplatzt, der für die Möwen der Umgebung zum Startschuß für den üblichen Streit wird.
Weil die Miesmuschel sich so eisenfest mit ihren Fäden an alles klammert, was von frischem Wasser umspült wird, glaubte sie, der Fuß sei wichtiger als der Kopf, und darum hat sie heute fast keinen Kopf mehr und keine Augen, ganz im Gegensatz zu ihren Vorfahren, die all diese Dinge noch besaßen und frei im Wasser umherschwammen.
Der Aufseher auf dem Muschelfloß schenkte Niña zu ihrer großen Freude einen halben Sack voller Muscheln. Offensichtlich dachte er beim Anblick ihrer schlanken Figur, sie werde bei mir nicht satt. Die folgenden Tage verzehrten wir dann mit großem Genuß in Rotwein und Zwiebeln gekochte Miesmuscheln.
Schließlich nahmen wir von Vigo Abschied; sein großzügig angelegter Yachtclub, der architektonisch den Aufbauten eines Dampfers gleicht, lag bald hinter uns; vor uns erhoben sich aus dem Dunst des Atlantischen Ozeans die Felseninseln Cies.