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„Mann über Bord“

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Der Wind ließ einen Tag auf sich warten, zwei Tage, am dritten Tag schließlich machten wir Ferien vom Boot, so konnten wir unsere Rettungsmanöver im Schlauchboot auch nennen. Die LIBERIA schaukelte wie ein Stehaufmännchen und dümpelte wie ein Betrunkener, so daß die kurze Fahrt im Schlauchboot eine Erholung und willkommene Abwechslung war.

Einige Stunden später – der Wind hatte sich wieder eingestellt – meldete Radio Lissabon einen Zyklon, mit dessen Ausläufern wir rechnen mußten. In der Nacht begann es zu stürmen, die See rohrte und tobte, der Wind pfiff und heulte.

Für Niña kam die Bewährungsprobe. Bei ihrer Abfahrt aus Deutschland hatten die meisten ihrer Freunde die Hände überm Kopf zusammengeschlagen, als sie ihnen eröffnete, sie wolle in einer kleinen Yacht aufs Meer. Es ist wenig bekannt, daß man in einer gut ausgerüsteten Hochseeyacht – und die LIBERIA IV war es – bei vernünftiger Führung ebenso sicher ist, wie auf einem großen Passagierdampfer. Vielleicht sogar sicherer: auf unserer Rückreise von New York nach Cuxhaven erlebten wir auf einem solchen Dampfer einen harmlosen Sturm, in dem es über 25 Verletzte gab!

Auf meiner 14.000-Seemeilen-Fahrt mußte ich mich mindestens einmal im Monat mit einem solchen Sturm auseinandersetzen, und unter solchen Bedingungen habe ich die meisten Seemeilen zurückgelegt, ohne, wie es unser Luxusdampfer tat, beidrehen zu müssen. Nicht einmal blaue Flecken habe ich bekommen! Gefahren für seetüchtige Yachten gibt es fast ausschließlich an den Küsten, nicht auf hoher See.

Für den Fall jedoch, daß Niña im Sturm von einer überkommenden See aus dem Cockpit gerissen werden sollte (was bei Yachten seltener vorkommt als bei größeren Booten), hatte ich ihr gesagt, wie sie sich dann verhalten müsse.

„Was tust du, wenn du über Bord gehst?“ fragte ich sie.

„Ich schreie.“

„Aber nur solange das Boot in unmittelbarer Nähe ist. Wenn ich aber deine Hilferufe nicht mehr hören kann, was machst du dann?“

„Dann schwimme ich dir nach!“

„No, Señora! Du bleibst, wo du bist, und du bewegst dich so wenig wie möglich. Keine Panikstimmung aufkommen lassen! Spare deine Kräfte, wie du nur kannst, du wirst sie brauchen! Leg dich auf den Rücken und spiele toter Mann! Selbst wenn du nicht schwimmen könntest, vermag das Salzwasser dich zu tragen … Und wenn ich dann bemerke, daß du verschwunden bist, muß ich dich auf dem entgegengesetzten Kurs wieder suchen. Finde ich dich nicht und hast du das Boot aus den Augen verloren, dann kannst du dich nur noch nach den Gestirnen oder dem Wind orientieren – aber das hat natürlich nur Sinn, wenn Land in der Nähe ist.“

„Aber Hannes, das ist doch alles graue Theorie!“

„Es gibt Beispiele.“

„Und wenn ein Hai sich für mich interessiert?“ fragte Niña schaudernd.

„Von den rund 350 Haiarten greifen nur sechs oder sieben den Menschen an.“

„Wie beruhigend!“

„Einige Taucher haben schon Hai-Attacken abgewehrt, indem sie den Fischen ihre Kamera auf die Nase stießen; mit einem Schuh kann man es auch versuchen, im Notfall muß die Faust herhalten. Perlenfischer schreien unter Wasser, wenn ein Hai angreift, und sie haben auf diese Weise schon manchen in die Flucht geschlagen.“

„Und die Schwimmweste, die ich auf deinen Befehl hin im Sturm immer anziehen muß, hält die mich wirklich über Wasser?“

„Nicht nur das, sie hält dich zusätzlich noch warm. Auch die Kleidung soll ein Schiffbrüchiger im Wasser nach Möglichkeit immer anbehalten; sie schützt ihn vor Unterkühlung, egal, ob er in nördlichen oder in tropischen Gewässern treibt. Übrigens rettete sich der amerikanische Flieger Carroum auf eine pazifische Insel, nachdem er über drei Tage in seiner Schwimmweste gehangen hatte.“

Viele Segler plädieren für eine Sicherheitsleine, durch die sie während ihrer Wache mit der Yacht verbunden sind. Ich kenne keinen Einhandsegler, der sie auf seiner Ozeanüberquerung benutzt hätte, weiß aber von einem Fall, in dem ein deutscher Arzt trotz der Sicherheitsleine in der Nordsee über Bord gerissen wurde, und seine beiden Kameraden brachten es nicht fertig, ihn aus seiner furchtbaren Lage zu befreien.

Wir hatten uns auf der LIBERIA um das Cockpit eine Griffleiste anbringen lassen, an der wir uns bei Sturm mit einer Hand festhielten, während wir mit der anderen die Pinne4 bedienten. Daher auch der Name „Einhandsegler“; ein Alleinsegler kann nur mit einer Hand das Boot bedienen, weil er mit der anderen für seine Sicherheit sorgen muß.

„Mann über Bord“ wird immer ein Schreckensruf bleiben, doch sollte man sich daran erinnern, daß viele Seeleute noch aus den verzweifeltsten Situationen gerettet worden sind.

Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln

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