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Wer waren die Guanchen?

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Schon immer hatte mich die Vergangenheit der Kanarischen Inseln interessiert – die Guanchen seien mein Lieblingsthema, behauptete die Niña –, und nun suchte ich das Museo Canario in Las Palmas auf, in dem mit viel Liebe und Fleiß die wenigen wirklich aufschlußreichen Fundstücke zusammengetragen worden sind, die vom Leben dieser Ureinwohner der Inseln berichten.

Als die Spanier die Insel eroberten, versuchten sie, ähnlich wie auf ihren späteren Eroberungszügen in Amerika, möglichst alle heidnischen Elemente zu vernichten. Dabei ging es freilich nicht ganz so grausam zu wie bei der Einnahme Südamerikas. Möglicherweise war die offene und tapfere Kampfesweise der Guanchen einer der Gründe dafür. Jedenfalls wurden die Ureinwohner nicht mit Stumpf und Stiel ausgerottet, sie fielen auch keiner eingeschleppten Seuche zum Opfer, sondern vermischten sich nach der Eroberung sehr schnell mit den Eindringlingen. Und das ging um so leichter vonstatten, als sie dem Südspanier blutsmäßig verwandt waren und ihre Ehr- und Ehebegriffe sich mit denen der Spanier deckten.

Zur Zeit der Eroberung der Inseln, im 15. Jahrhundert, war es für einen gläubigen Christen eine selbstverständliche Pflicht, die Überlieferungen der Ureinwohner – Zeichen, Schriften oder Kultgegenstände – zu vernichten. So nimmt es nicht wunder, daß man von den Sammlungen des Kanarischen Museums ein wenig enttäuscht ist. Viele Fragen um die Guanchen sind noch ungeklärt und können selbst von den Wissenschaftlern nicht beantwortet werden.

Das bestätigte auch eine Unterredung mit dem stellvertretenden Museumsdirektor. Als Segler interessierte mich natürlich die Frage, warum die Ureinwohner der Kanarischen Inseln keine Seeleute gewesen seien. Ein Achselzucken war die Antwort. Man weiß es nicht. Die Kanarischen Inseln, sagt man, seien die letzten Gipfel des versunkenen Erdteils Atlantis, und Bergbewohner wären eben selten Seeleute. So argumentieren die Vertreter der Atlantis-Theorie1.

Tatsächlich besaßen die Guanchen keinerlei eigene Boote, nicht einmal primitive Einbäume oder Flöße. Wenigstens erklärte mir der Wissenschaftler, man habe bis heute noch keine Bootsreste auf der Insel gefunden. Dem entspräche auch die Tatsache, daß einstmals jede der Kanarischen Inseln ein kleines Reich für sich bildete und daß die Guanchen sich zwar gegenseitig verstanden, jedoch auf jeder Insel einen eigenen „Dialekt“ sprachen.

Meine Frage, ob es irgendwelche Anzeichen dafür gäbe, daß bereits in der vorkolumbianischen Zeit eine Verkehrsverbindung zwischen den Kanarischen Inseln und Amerika bestanden habe, verneinte der Museumsexperte.

„Und woher kamen die Guanchen?“

„Sie wanderten aus dem gegenüberliegenden Marokko, aus der Sahara und dem heutigen Rio de Oro ein.“

Ich erinnerte mich an ein Städtchen auf Gran Canaria, das Mazagan hieß, und dachte gleichzeitig – wenn auch weniger gern – an das Küstenstädtchen Mazagan in Marokko, in dessen Brandung ich auf meiner Einbaumfahrt beinahe mein Boot verloren hätte. Es gibt eine ganze Reihe berberischer Namen auf den Inseln, die auf die Verwandtschaft der Guanchen mit den Berbern schließen lassen. Die Guanchen waren auch – so viel weiß man heute – wendige, schlanke Menschen, die teilweise durch helle Haare auffielen. Sie besaßen eine völlig in sich abgeschlossene Kultur und lebten bis zur Eroberung durch die Spanier noch auf der Kulturstufe der Steinzeit. Während in Europa das Zeitalter der Renaissance anbrach und die im ausgehenden Mittelalter gegründeten Universitäten in voller Blüte standen, kannten die Guanchen weder Eisen noch andere Metalle und hausten in primitiven Höhlen.

Trotzdem hatten sie großes künstlerisches Können entwickelt. Ihre Technik der Einbalsamierung kam der der Ägypter gleich, und ihre Keramik wies einen Formenreichtum auf, der sich bei einem so völlig von aller Welt abgeschlossenen Volk schwer erklären läßt.

Die Guanchen lebten in einem strengen Kastensystem, das nur durch eine Liebesheirat überbrückbar war; ihre Priester, die Faicanes, waren Edle, der Quehevi, das nominelle Oberhaupt, wurde von den Vornehmen des Landes gewählt. Sämtliche Versammlungen und kultischen Feste fanden auf den Gipfeln der Berge statt. Ein solcher Versammlungsort liegt im Nordteil der Insel bei Arncas; er ist unter dem Namen Cenobio de Valerón bekannt.

Beim Aufstieg gelangt man zunächst zu den ehemaligen Wohnstätten der Harimaguadas, Höhlen, bienenstockähnliche, steinerne Eremitenklausen, einst 365 an der Zahl, deren Bewohnerinnen einem seltsamen Schönheitsideal entsprechend „gemästet“ wurden. Die Harimaguadas waren Jungfrauen, die oft mit den Vestalinnen Roms verglichen worden sind. Sie sorgten für die Ausübung und Reinhaltung eines Kultes, in dessen Rahmen Alcoram, dem Allmächtigen, Speise- und Trankopfer dargebracht wurden.

Bis zu sieben Stockwerken türmen sich die Höhlen auf, in denen man noch nicht einmal stehen kann; hier wurden die Damen wie Martinsgänse aufgepolstert. Später haben die Guanchen darin auch Vieh gehalten, Getreide gespeichert und sich im Kriegsfalle verschanzt.

Der eigentliche Versammlungsort der Guanchen mit seinen in den Felsen eingehauenen Sitzen liegt auf dem Gipfel des Berges und wurde einst Baladero „Blutplatz“ genannt, weil man dort bei feierlichen Anlässen Opfertiere verbluten ließ.

Offensichtlich ist es auf die Wohn- und Lebensweise der Guanchen zurückzuführen, daß es auf Gran Canaria viele Höhlenwohnungen gibt; sie sind teilweise recht primitiv, weitaus häufiger jedoch regelrechte „Höhlenvillen“. Es heißt auf der Insel bereits: „Die Reichen wohnen in Höhlen und die Armen in Häusern.“ Diese Höhlenbehausungen sind meist mehrkammerig, im Sommer kühl, im Winter warm, sauber und am Eingang mit einer Fülle von Konservendosen geschmückt, in denen Blumen aller Art wachsen und gedeihen.

Im Höhlendorf Atalaya, das von den Guanchen gegründet wurde, leben noch heute Töpfer, die wie zu Zeiten ihrer Ahnen ohne Rad arbeiten. Fragt man sie nach ihrer Nationalität, dann lautet die Antwort stolz: „Canario“ Das gilt im übrigen für sämtliche Bewohner der Kanarischen Inseln. Obwohl ihre Inseln seit den Tagen des Kolumbus spanisch sind, achten sie doch streng darauf, daß man sie nicht mit den Spaniern in einen Topf wirft.

Die Canarios sind schöne Menschen; sie verdanken ihr angenehmes Äußeres nicht nur den Guanchen und den Spaniern, sondern auch bestem internationalem Seemannsblut. Hawkins und Drake haben sich mit ihren Kumpanen an den Inseln die Zähne ausgebissen, Holländer, französische und arabische Korsaren haben vergebens versucht, auf die Dauer Fuß zu fassen. Die Islas Canarias sind viel umkämpft und umworben worden – selbst Nelson verlor vor Tenerife eine Schlacht und seinen rechten Arm. Die Kanone, die das zuwege brachte, zeigt man heute noch im Hafen von Santa Cruz.

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