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Begegnungen mit Riesenkraken
ОглавлениеEiner der bestbelegten Berichte über Begegnungen mit Riesenkraken wurde 1861 von der französischen Korvette „Alecton“ abgegeben.
Am 30. November jenes Jahres – das Boot lag etwa 50 Seemeilen im Norden von Lanzarote – rief der Wachhabende vom Ausguck: „Zwei Strich backbord voraus ein großer roter Körper, halb über und halb unter dem Wasser!“ Man glaubte, es handle sich um ein Wrack. Neugierig geworden, ließ der Kapitän darauf zuhalten. Voller Entsetzen stellte die Besatzung dann fest, daß das „Wrack“ ein Riesenkrake war. Er hatte einen etwa sechs Meter langen Körper, mehr als acht Meter lange Fangarme und schwarze Stilaugen vom Durchmesser einer Schokoladentorte.
Als das Ungeheuer längsseits vom Kriegsschiff lag, gab der Kommandant den Befehl „Feuer!“ Mit Musketen, Harpunen und Kanonen schoß man auf die Bestie, der es offensichtlich nicht viel ausmachte, ein bißchen gepiekt zu werden. Sie tauchte mehrmals unter, kam aber nach wenigen Minuten immer wieder an die Wasseroberfläche. Der Kommandant hatte Freude an der realistischen Schießübung, und seine Besatzung sandte all ihren aufgespeicherten Haß auf das Seeungeheuer mit den Geschossen mit; selbst die Smutjes kamen aus der Kombüse gelaufen, um sich aktiv an dem Seekampf zu beteiligen. Die See war ruhig, und die Sonne brannte heiß auf die wackeren Krieger hernieder.
Plötzlich traf eine Kanonenkugel den Kopf des Tieres und verwundete es tödlich. Noch im Tode brachen aus dem Ungeheuer dunkle Massen einer entsetzlich riechenden Flüssigkeit, die bald die tapferen Mannen mit pestilenzartigem Geruch einhüllte. Nichtsdestotrotz versuchten sie das noch zuckende Tier an Bord zu hieven. Mit einem parfümierten Taschentuch vor der Nase gab der Kommandant Boyer seine Befehle. Aber trotz der verzweifelten Bemühungen der Besatzung konnte nur ein kleines Stück des Kraken an Bord gezogen werden, das dann auch bald in Verwesung überging und weggeworfen werden mußte.
Als die Korvette in Frankreich eintraf, wurde ihr Erlebnis von Wissenschaftlern als ein Fall von Massenhysterie abgetan.
Eine ganz andere Beobachtung stammt von der Bark „Pauline“, deren Kapitän vor Gericht aussagte, sein Schiff hätte am 8. Juli 1875 an der Meeresoberfläche einen Pottwal gesehen, der sich vergeblich bemüht habe, aus der tödlichen Umschlingung einer Seeschlange zu entkommen. Schließlich sei der Pottwal mitsamt der Seeschlange unter den Augen der Besatzung in die Tiefe gesunken.
Ob es Seeschlangen gibt oder nicht – darüber sind die Meinungen geteilt. Es ist jedoch durchaus möglich, daß es sich um einen Riesenkraken gehandelt hat, einem Tier, das die Pottwale vorzugsweise zu jagen scheint.
Die fiktiven Kämpfe der Riesenkraken sind viel bekannter als jene, die von Fischern oder Seeleuten wirklich erlebt wurden. Das kann man auch verstehen, wenn man die hochdramatische Schilderung Jules Vernes’ vom verzweifelten Kampf des Kapitäns Nemos mit dem Kraken mit der beiläufigen Schilderung dreier Fischer aus Neufundland vergleicht, die aus dem Jahre 1873 stammt.
Diese Fischer hatten eine undefinierbare Masse auf dem Wasser flooten sehen und waren neugierig herangepullt. Sie untersuchten sie mit einem Enterhaken – jedoch die Masse liebte dieses Gefühl gar nicht und erwachte plötzlich zum Leben. Ehe sich die drei Fischer versahen, glitten zwei Riesenfangarme übers Boot und suchten offensichtlich nach einem Festschmaus. Einer der Fischer schlug jedoch dem Ungeheuer mit einer Axt die beiden Tentakel ab, so daß es sich unter Ausspritzung einer üblen Sauce in die Tiefen verzog. Die Fischer benutzten einen Teil der Fangarme als Köder und setzten ihre Arbeit fort.
Als sie an Land ihre unglaublich klingende Geschichte zum besten gaben, zeigten sie stolz einen Tentakel, der immer noch etwas über sechs Meter lang war. Sie gaben unter Eid an, daß sie bereits zwei Meter davon beim Angeln „verbraucht“ hätten und daß weitere drei Meter dem Tier noch verblieben waren.
Wer alle Berichte über Riesenkraken aufzeichnen will, wird leicht ein ganzes Buch damit füllen können. Noch aus dem Jahre 1946 stammt die überzeugende Meldung des norwegischen Kapitäns Grönningsäter, wonach mehrere etwa 20 Meter große Riesenkraken versucht hatten, einen 15.000-Tonnen-Tanker anzugreifen. Man erinnert sich unwillkürlich der Seemannsgeschichten, in denen sich Kraken einen Mann aus dem Krähennest3 angeln!
Auch ich hatte ein ungewöhnliches Erlebnis mit einem Tier, das sehr gut ein Krake gewesen sein kann: auf meiner ersten Atlantiküberquerung sah ich am 3. November 1955 morgens eine große, rotbraune Masse auf der Wasseroberfläche treiben. Als ich auf der Höhe des Wasserbergs anlangte, bemerkte ich auf dem vorderen Teil des braunen Etwas zwei große dunkle Flecke – ich hielt sie für Augen –, an deren Rändern die Sonne reflektierte. Am Ende des größeren Achterteils schäumte es, ein Zeichen, daß das Gebilde sich dort bewegte. Ich warf sofort das Ruder herum, holte die Kamera hervor – aber nichts war mehr zu erkennen. Das Wesen zeigte keinen Sinn für Publicity, sondern verschwand schneller, als ich knipsen konnte.
Wie groß mag es gewesen sein? Auf dem Meer ist es schwierig zu schätzen, jedoch glaube ich, daß es gut und gerne 20 Meter maß. Von Tentakeln oder Fangarmen war nichts zu sehen.
Mein Erlebnis hatte mit dem der „Alecton“ manches gemeinsam: den Kanarenstrom als Handlungsort, den Monat November als Zeitpunkt, den grellen Sonnenschein und die ruhige See.
Ob mein Meeresungeheuer in Wirklichkeit aus zwei Tieren bestand: einem Krakenmann und einer Krakenfrau, die sich ein galantes Stelldichein gaben? An und für sich soll man sich ja nicht in das Privatleben anderer Leute einmischen, aber das Liebesleben der Tintenfische ist zu aufregend, als daß man mit einem diskreten Lächeln darüber hinweggehen könnte.
Was sich jede Frau ersehnt: stundenlang von ihrem Liebsten hofiert zu werden, das tut der Tintenmann mit einer beneidenswerten Ausdauer, und rot spielt bei ihm wie bei den Menschen als Liebesfarbe eine große Rolle.
Bei der Paarung steigern sich einige Tintenfischarten in einen regelrechten Liebesrausch hinein, auf dessen Höhepunkt einer der umgestalteten Arme des Tintenmannes, der Hektocotylus, in die Mantelhöhle des Weibchens kriecht und dort die Befruchtung, vornimmt. Mit diesem Arm weniger entschlüpft dann der feurige Liebhaber dem achtarmigen Liebesnetz des Weibchens.