Читать книгу Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln - Arved Fuchs, Hannes Lindemann - Страница 32
Falsche Zähne aus dem Meer
ОглавлениеEin wenig Handel treibt man auch am Kap Bojador. Die Einheimischen, die man Mauren nennt, eine Mischung aus Berbern, Arabern, Semiten und Negern, sammeln bei Ebbe Algen, die, getrocknet und zu Bündeln gepreßt, nach Las Palmas verschifft werden.
Seetang wird an vielen Küsten der Welt geerntet, leider jedoch immer noch nicht in genügender Menge. Die Fabriken könnten ihn bei der Herstellung von unzähligen Produkten nutzbringend verwenden: Zahnpasta, falsche Zähne, Speiseeis, Würstchen, Puddingpulver, Schlankheitspillen und kosmetische Artikel. Aus Flugzeugen ließe sich flüssiger Seetang-Extrakt als Düngemittel absprühen, und der Erde könnten auf diese Weise Stoffe zurückgegeben werden, die der Regen ausgewaschen hat: Kalisalze, Stickstoff verbindungen, Phosphate und andere. Erst in jüngster Zeit haben Textilfabriken mit bestem Erfolg Alginsäure zum Appretieren und Imprägnieren von Geweben und Kleidungsstücken verwandt.
Daß ausgerechnet die Wüstenbewohner Meerestang ernten, überraschte mich. Sie tun es aber auch erst, nachdem sie von den Spaniern dazu angehalten wurden, diese ungeheuren Rohstoffreserven für den Menschen zu nützen. 71 v. H. der Erdoberfläche sind Wasser: welch ungenutzte Möglichkeiten! So wie vor der kalifornischen Küste schon Tangbarken und Tangmäher zur Ernte dieser riesigen Seetangwälder eingesetzt werden, so wird man über kurz oder lang auch systematisch die Tangwälder ausbeuten, die den Küsten anderer Länder vorgelagert sind.
Wichtiger noch als der Tang werden eines Tages die einzelligen Algen für die Ernährung der Menschheit sein. Eines der beinahe 20.000 Mitglieder zählenden Algenfamilie, die Chlorella, ist bereits in Laboratorien untersucht worden. Mit ihr hat man in der Kohlenstoffbiologischen Forschungsstation in Essen Versuche unternommen, bei denen man von der Vorstellung ausging, daß Algen zu den besten Sonnenverwertern gehören: fast zehnmal bessere als der allerbeste Sonnenverwerter unter unseren Kulturpflanzen, die Zuckerrübe.
Bei diesen Versuchen findet sogar der störende Rauch der vielen Fabrikschlote des Ruhrgebietes Verwendung: man leitet die Kohlensäure, die im Rauch enthalten ist, in Algenbecken, und die Süßwasseralgen bauen unter Lichteinwirkung aus Kohlensäure und Wasser Zucker und Stärke aus und können sich bei günstiger Temperatur, etwa bei plus 24 Grad Celsius, auf diese Weise einmal pro Tag vermehren. Das bedeutet, daß jeden Tag einmal geerntet werden kann, indem das Wasser zentrifugiert wird.
Das Sediment sieht wie feinste Spinatpaste aus und besteht aus Proteinen, Fetten, Stärke, Vitaminen und Spurenelementen. Man kann sich sogar aussuchen, was für Algen man erzeugen will, vorwiegend fetthaltige, stärke- oder eiweißhaltige. Die einzellige Chlorella hat kaum Abfallprodukte, da sie kein Stützgerüst wie andere Pflanzen besitzt – ein nicht zu unterschätzender Vorzug für die Nahrungsmittelfabriken.
Theoretisch ließen sich auf einem Hektar Wasseroberfläche jährlich 50 Tonnen Chlorella ernten, das ist 25 mal so viel wie der entsprechende Ertrag Weizen auf der gleichen Landfläche. Und dabei steht man erst am Beginn der Forschungen!
Aber zurück in die Wüste, zum Kap Bojador!
Von den Tangballen, die wie ein Haufen trockener Tabakblätter aussahen, schlenderten wir zum Leuchtturm, der von Stacheldrahtverhauen und Laufgräben umgeben ist, vor denen nachts die Schakale umherschleichen. Sobald wir im weiträumigen Hof des Turmes angekommen waren, klopfte man den Leutnant aus dem Bett. Er erschien im Schlafanzug und rieb sich verwundert ein paarmal die Augen, denn seit dem Bestehen des Leuchtturms war ich der erste Besucher. Freudestrahlend bot er mir eine Dusche an und lud mich zur Paella mit frischem Brot, Wein und Bier ein.
Auch die beiden Leuchtturmwärter waren inzwischen aufgestanden und baten mich flehentlich, doch ein paar Tage zu bleiben, sie kämen um vor Langeweile. Ich hätte es gern getan, jedoch die LIBERIA IV eine Nacht lang unbeaufsichtigt zu lassen, das kam mir nicht in den Sinn.
Beim Mittagessen saßen wir mit Mauren zusammen, und alle verhielten sich so, als hätte es nie Spannungen zwischen Spaniern und Mauren gegeben.
„Können Sie sich denn auf die Mauren verlassen?“ fragte ich später den Leutnant.
Er zuckte die Achseln: „Wir hoffen’s – seit dem Überfall auf diesen Turm haben wir hier nie wieder Ärger gehabt.“
„Und wann werden die entführten Leuchtturmwärter nach Ihrer Meinung wieder von den ‚Muros‘ entlassen?“
„Keine Ahnung! Das kann sich noch Jahre hinziehen!“