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Was heisst gut unterrichten?
Оглавление«Erstes und letztes Ziel unserer Didaktik soll es sein, die Unterrichtspraxis aufzuspüren und zu erkunden, bei welcher die Lehrer weniger zu lehren brauchen, die Schüler dennoch mehr lernen; und bei der in den Schulen weniger Lärm zugunsten von mehr Freiheit, Vergnügen und wahrhaftem Fortschritt herrscht.»3
Diese Forderung wurde vor mehr als 350 Jahren aufgestellt. Formuliert hat sie der tschechische Theologe und Erzieher Jan Amos Komenský, der unter seinem lateinischen Namen Johann Amos Comenius Weltruhm erlangte. In seiner 1657 veröffentlichten Didactica magna (Grosse Lehrkunst oder Grosse Unterrichtslehre) wird versprochen, dass allen Menschen das ganze Wissen der Welt vollständig und umfassend gelehrt werden kann. Noch heute faszinieren sowohl Comenius’ pointierte Kritik an den vorherrschenden schulischen Zuständen als auch seine Verbesserungsvorschläge. Mit vernichtenden Urteilen kritisierte er die Unterrichtsorganisation seiner Zeit («Es ist eine Quälerei für die Jugend, sich von Diktaten, Übungen, Auswendiglernen bis zum Überdruss, ja bis zur Geistesverwirrung erdrücken zu lassen»), die Unterrichtsinhalte («Was von Natur verbunden ist, wird nicht zusammen, sondern getrennt behandelt») und die Lehrpersonen («Der Dummkopf lehrt die Kinder nicht so viel, wie sie auch begreifen können, sondern so viel, wie er in die Kinder reinzustopfen vermag»). Demgegenüber forderte Comenius, dass die Lernbereitschaft der Lernenden erweckt werden und erhalten bleiben müsse – und zwar durch angenehme Methoden (wie Gleichnisse, Fabeln, Rätsel, Gespräche) anstelle von Zwang, durch ein Lernen über Gebrauch statt über mechanisch angewandte Regeln sowie durch die Auswahl attraktiver Lerngegenstände. Der Pionier moderner Pädagogik verlangte die Erreichung lebender und abrufbarer Lernergebnisse durch die Betätigung aller Sinne, durch die Verbindung derselben mit dem Intellekt und durch das zusammenhängende Behandeln dessen, was zusammengehört. Überforderung und Lernhemmungen sollten durch eine natürliche Verteilung der Unterrichtszeit und ein natürliches Ansetzen des Schuljahrbeginns vorgebeugt werden, durch die Reduktion und Strukturierung der Stoffmenge, durch den Weg vom Allgemeinen zum Besonderen und durch kompaktes, ungebrochenes Lernen.4
Das Zitat, die Kritik und die Forderungen von Comenius haben unserer Meinung nach in ihrem Kern bis heute ihre Berechtigung. In Übereinstimmung mit vielen weiteren grossen historischen Figuren der Pädagogik wie auch mit namhaften Unterrichtsforscherinnen der Gegenwart plädieren wir für
• eine flexible und kreative Organisation des Unterrichts,
• eine Didaktik, in der Bedeutendes gelehrt und gelernt wird,
• eine Methodik, die Langeweile zu vermeiden versucht,
• und eine Unterrichtsatmosphäre, in der Lernen nicht Blut, Schweiss und Tränen bedeutet, sondern Freude, Lachen und entspannte Konzentration.
Ein Buch mit dem Titel Einfach gut unterrichten birgt allerdings auch die Gefahr von Missverständnissen in sich. Die Meinung, dass Lehrerinnen und Lehrer einfach guten Unterricht halten sollten und dass alles andere nebensächlich sei, erfreut sich im Moment einer gewissen Beliebtheit. Argumentiert wird, dass sich Lehrpersonen am Lehrplan orientieren sollten, an den geschriebenen und ungeschriebenen Regeln ihres Berufs, am bildungspolitischen Mainstream. Wir sind nicht dieser Meinung und teilen die Ansicht von Thomas Kesselring: «Wer so denkt, läuft Gefahr, den Soll-Zustand mit dem Ist-Zustand, das Erwünschte mit dem Bestehenden zu verwechseln.»5
Ein allgemeines didaktisches Buch legt den Fokus zwar auf Fragen des guten Unterrichtens. Die Aufgaben der Lehrpersonen erfordern aber auch eine Auseinandersetzung mit umfassenderen Themen, die über Unterricht im engeren Sinn hinausreichen und von vielen Pädagogen für unsere gesellschaftliche und soziale Rolle als Lehrpersonen als noch bedeutender erachtet werden: Wie kann ich als Lehrerin oder als Lehrer dazu beitragen, dass in meiner Klasse gegenseitige Achtung, Rücksichtnahme und Wertschätzung gelebt wird? Wie kann ich diese Prinzipien befriedigender zwischenmenschlicher Beziehungen auch im Kontakt mit Kolleginnen und Kollegen und mit Eltern realisieren? Was braucht es, damit ich dazu beitragen kann, dass die mir für eine gewisse Zeit anvertrauten Kinder oder Jugendlichen ein erfülltes Leben werden führen können? Dass sie sich den Aufgaben, die das Leben stellt, gewachsen fühlen und dass sie ihr Dasein geniessen werden? All diese Fragen haben selbstverständlich mit gutem Unterricht zu tun, aber ihre Beantwortung erfordert Auseinandersetzungen, die über das in dieser Publikation Erörterte hinausgehen. Und nicht zuletzt erfordern sie Lehrpersonen, die sich für eine Weiterentwicklung der Schule in unserer demokratischen Gesellschaft in einer konstruktiven, zukunftsgerichteten und kritischen Art einsetzen. Ohne ein öffentliches Bildungswesen, das eine offene und weltoffene, demokratisch legitimierte Schule pflegt und weiterentwickelt, ist jeder noch so durchdachte didaktisch-methodische Unterricht nur Stückwerk.
1 Lipowsky: Zur Qualität offener Lernsituationen im Spiegel empirischer Forschung, 2002, S.126
2 Altman: Training foreign language teachers for learner-centered instruction, 1983, S.24
3 Comenius: Grosse Didaktik, 2007
4 Berner: Didaktische Kompetenz, 1999, S.32, 33
5 Kesselring: Handbuch Ethik für Pädagogen, 2012, S.14