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ОглавлениеDie zwölf Merkmale guten Unterrichts lassen sich drei Themenkreisen zuordnen: Lernatmosphäre, Motivation und didaktisch-methodisches Know-how. Damit lehnen wir uns an einen Vorschlag von Wolfgang Beywl an.2 Dieser hat eine Gesamtschau zu den Positionen von drei Autoren vorgelegt, die wir als besonders hilfreich erachten: Die folgenden Merkmale sind den Publikationen Lernen sichtbar machen für Lehrpersonen von John Hattie,3 Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität von Andreas Helmke4 und Was ist guter Unterricht? von Hilbert Meyer5 entnommen.
Jedes Merkmal wird jeweils nur mit ein paar wenigen Stichworten charakterisiert – unsere knappen Ausführungen können die Differenziertheit der Originalpublikationen nicht vollumfänglich wiedergeben. Trotz der vereinfachenden Kürze bietet die Gesamtheit der Darstellung zu den zwölf Merkmalen eine sehr gute Orientierung für die Unterrichtsgestaltung, und es lassen sich daraus brauchbare Hinweise und Handlungsmöglichkeiten für die Praxis ableiten. Bei sehr breiten und für einen erfolgreichen Unterricht besonders relevanten Themen empfehlen wir aber ein intensiveres Studium; deshalb geben wir bei einzelnen Merkmalen entsprechende Literaturhinweise. Nach unserer Erfahrung hat eine ernsthafte und andauernde Auseinandersetzung von Lehrpersonen mit den nachfolgend besprochenen Merkmalen äusserst positive Auswirkungen auf den Unterricht – und damit auch auf die Berufszufriedenheit von Lehrerinnen und Lehrern.
Zur besseren Orientierung werden die zwölf Merkmale guten Unterrichts vorab in einer Tabelle dargestellt und gleichzeitig den übergeordneten Themenkreisen zugeordnet. Zudem wird in der Tabelle auch auf die Anmerkungen zu Lernzielen und Kompetenzen verwiesen.
Da wir grösstmögliche Transparenz bezüglich der Herkunft der Gedanken, Ideen und Befunde anstreben, werden wir bei jedem der zwölf Merkmale auf wichtige Beiträge einzelner Autorinnen und Autoren und auf Befunde aus Hatties bekannten Metaanalysen hinweisen. Wir nennen die Autoren jedoch nur dann, wenn wir der Auffassung sind, dass sie zu einem Merkmal einen spezifischen Beitrag leisten können, der eine Hervorhebung rechtfertigt.
1 Unterrichtsklima
Helmke und Meyer sprechen bei diesem Merkmal von einem lernförderlichen Klima. Darunter verstehen sie, dass im Unterricht gegenseitiger Respekt wichtig ist, dass Regeln verlässlich eingehalten werden, dass alle Beteiligten Verantwortung übernehmen und dass Gerechtigkeit und Fürsorglichkeit gelebt werden. Der Umgangston soll freundlich, die Atmosphäre von Herzlichkeit und Wärme geprägt sein; Lachen und Humor sollen Platz haben. Zentral ist eine konstruktive Leistungskultur, die nicht auf ständigem Druck basiert: Es soll so viele nicht mit Leistungsbewertung verbundene Lernsituationen wie möglich geben und nur so viele Leistungssituationen wie nötig (vgl. Kapitel 8). Auch bezüglich des Arbeitstempos soll sich eine entspannte Atmosphäre ausbreiten: Toleranz gegenüber Langsamkeit und angemessene Zeiten des Wartens bei Schülerinnen- und Schülerantworten werden als wichtig für das Unterrichtsklima erachtet. Diese Charakterisierung eines lernförderlichen Klimas im Unterricht zeigt sich bei der Hattie-Studie in den hohen Effektstärken bei der Lehrer-Schüler-Beziehung, beim Klassenzusammenhalt und bei der Angstarmut. Spezielles Gewicht legt Hattie darauf, dass sich ein optimales Klassenklima durch eine Atmosphäre des gegenseitigen Vertrauens auszeichnet, in der es in Ordnung ist, Fehler zu machen, weil diese zum Prozess des Lernens gehören.
2 Klassenführung
Die Klassenführung – oder umfassender: das Classroom Management – wird von Lehrpersonen, aber auch von Schulleitungen und Schulbehörden oft als das entscheidende Merkmal eines gelingenden Unterrichts genannt. Helmke erachtet die funktionierende Klassenführung als notwendige Voraussetzung für erfolgreiches und anspruchsvolles Unterrichten. Die Basis einer modernen Klassenführung bilden gemeinsam mit den Lernenden erarbeitete Regeln. Sinnvoll ist es, Störungen durch Strategien der Aufmerksamkeitslenkung (das heisst durch Anweisungen und organisatorische Massnahmen, welche die Aufmerksamkeit steuern sollen) präventiv zu begegnen. Wenn Störungen auftreten, sollten sie diskret-undramatisch und zeitsparend behoben werden. Gemäss Hatties Metaanalysen hat eine effiziente Klassenführung einen hohen Effekt auf gelingende Lernprozesse. Weil Klassenführung gemeinhin als wichtig, oft aber auch als nicht immer einfach erachtet wird und weil sie viel mehr bedeutet als die Vermeidung von Störungen, soll exemplarisch auf zwei Vertiefungsmöglichkeiten aus der grossen Anzahl Publikationen hingewiesen werden: Störungen in der Schulklasse von Hans-Peter Nolting,6 das auf dem eher lerntheoretisch ausgerichteten Klassiker von Jacob Kounin7 aufbaut, ist ein weit über Kounin hinausgehender Leitfaden zur Klassenführung. Das Werk zielt auf eine optimale Verhaltenskontrolle und -lenkung ab und bietet leicht umsetzbare und trainierbare Hinweise zum Classroom Management an. Disziplin und Selbstdisziplin in der Schule von Jürg Rüedi8 hingegen ist eher tiefenpsychologisch orientiert und legt bei der Klassenführung den Akzent auf die Gestaltung der Lehrer-Schüler-Beziehung. Aus unserer Sicht lohnt sich das Studium dieser Publikationen nicht nur für angehende Lehrpersonen, sondern für alle Lehrerinnen und Lehrer, die ihre Klassenführung optimieren möchten.
3 Echte Lernzeit
Dass die gesamte Unterrichtszeit einen möglichst hohen Anteil an echter Lernzeit beinhaltet, ist für Meyer ein wesentliches Merkmal guten Unterrichts. Erreicht werden kann das durch gutes Zeitmanagement, durch Pünktlichkeit und vor allem durch das Auslagern von organisatorischen Fragen aus der eigentlichen Unterrichtszeit. Auch wenn die anderen Autoren keine Befunde dazu vorlegen, scheint es doch hilfreich, seinen Unterricht daraufhin zu befragen, wie viel Zeit mit Aktivitäten verloren geht, die nicht dem Lernen zuzurechnen sind.
4 Motivierung
Eine vielfältige Motivierung ist ein weiteres wichtiges Qualitätsmerkmal von Unterricht. Im Unterricht sollten nach Helmke drei unterschiedliche lernrelevante Motivgruppen beachtet werden. Zum einen gilt es, die intrinsische Lernmotivation der Lernenden, die sich in deren Sach- und Tätigkeitsinteresse manifestiert, zu berücksichtigen. Zum anderen lassen sich Möglichkeiten extrinsischer Motivierung nutzen: Die Wichtigkeit und Nützlichkeit des Lernstoffs, Anknüpfungspunkte zur Lebenswelt der Lernenden sowie auch Neugier- und Leistungsmotive. Schliesslich übertragen sich das Engagement und die Freude der Lehrperson am Fach und am Unterrichten über den Prozess des Modelllernens auf die Motivation der Lernenden.
Wie Hatties Untersuchungen interessanterweise ergeben haben, hat eine hohe Sicherheit von Schülerinnen und Schülern bezüglich ihrer eigenen Leistungsfähigkeit mit Abstand die stärkste Wirkung auf ihren Lernerfolg. Offenbar besteht ein Zusammenhang zwischen der Motivation, sich mit schulischen Inhalten zu befassen, und diesem in Hatties Studie so herausragenden Befund. Auch die sozialkognitive Lerntheorie von Albert Bandura und die ergänzenden stärker auf den deutschsprachigen Raum bezogenen Publikationen von Matthias Jerusalem mit dem Konzept der Selbstwirksamkeit (efficacy beliefs) kommen zu sehr ähnlichen Resultaten. Guter Unterricht ist also eindeutig so zu gestalten, dass die Selbsteinschätzung, die Selbstwirksamkeit – oder umgangssprachlich: das Selbstvertrauen – der Lernenden gestärkt wird. Für ein vertiefteres Studium dieser Zusammenhänge verweisen wir auf den Klassiker von Albert Bandura Self-efficacy9 und auf die Zeitschrift für Pädagogik, die eine Sondernummer zu diesem Thema publiziert hat; darin wird unter anderem das Konzept der Selbstwirksamkeit von Matthias Jerusalem und Ralf Schwarzer differenziert eingeführt und mit permanentem Bezug zur Schule genau diskutiert.10
5 Leistungserwartung
Es besteht in der Erziehungswissenschaft ein Konsens darüber, dass hohe leistungsbezogene Erwartungen und eine optimistische Einschätzung der Zielerreichung von Eltern und auch von Lehrpersonen von grösster Wichtigkeit für den Schulerfolg von Kindern und Jugendlichen sind. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass Hattie, Helmke und Meyer mit grosser Übereinstimmung auf die Bedeutung von herausfordernden und transparenten Leistungserwartungen hinweisen. Die Erwartungen der Lehrpersonen sollen sich an Richtlinien oder Bildungsstandards orientieren und durch ein dem Leistungsvermögen der Lernenden entsprechendes Lernangebot erreicht werden. Dabei sollen nicht nur fachliche, sondern auch überfachliche Kompetenzen angestrebt werden. Ohne förderorientierte Rückmeldungen zum Lernfortschritt sind Leistungserwartungen jedoch nur bedingt hilfreich (vgl. Kapitel 8). Helmke betont, dass dazu ein Fokus auf die nachweisliche und nachhaltige Wirkung des Unterrichts gelegt werden muss, was eine regelmässige Überprüfung des Lernfortschritts unabdingbar macht – allerdings ohne das Element «nur so viele Leistungssituationen wie nötig» aus dem Merkmal Lernatmosphäre zu neutralisieren. Schliesslich bleibt zu erwähnen, dass Hatties Metaanalyse zum gleichen Resultat kommt, jedoch noch das Engagement der Lehrperson für ihr Fach als wirksames Element von Leistungserwartung und auch von Motivation hinzufügt. Herausfordernde Leistungserwartungen sollen nicht zur Überforderung von Lernenden führen; aus unserer Sicht ist dieses Problem in den Schulen gut erkannt. Mittlerweile besteht sogar eher die Gefahr, dass die hohe Leistungsfähigkeit von Lernenden unterschätzt wird – und diese nicht mit Aufgaben konfrontiert werden, die ihre effektiven Möglichkeiten widerspiegeln.
6 Klarheit in Inhalt und Struktur
Auch die Klarheit wird mit grosser Übereinstimmung von allen drei Autoren als äusserst wichtiges und wirksames Merkmal guten Unterrichts bezeichnet. Zum einen geht es um die Klarheit der (Lern-)Ziele und der zu behandelnden Inhalte (vgl. Kapitel 9). Zum andern sollen die Methode des Arbeitens plausibel und die Organisation des Lernprozesses nachvollziehbar sein. Die Aufgabenstellung ist einsichtig und verständlich zu formulieren, und es sollen nach Möglichkeit Lernerleichterungen mittels strukturierender Hinweise (Vorschau, Zusammenfassung, «Advance Organizer» usw., vgl. Kapitel 2, S.64) gegeben werden. Zu diesem Merkmal zählt auch die zu verwendende Sprache. Sie soll in Wortschatz und Fachsprachlichkeit angemessen und inhaltlich korrekt sein; sprachliche Prägnanz, klare Diktion, angemessene Rhetorik, korrekte Grammatik, überschaubare Sätze und akustische Verstehbarkeit sind für die Klarheit in der Kommunikation von grosser Bedeutung. Schliesslich ist Klarheit und Verbindlichkeit auch in der Ergebnissicherung bedeutend.
7 Rhythmisieren und Artikulationen
Die Forderung abwechselnder Aktivitäten im Unterricht, die der Konzentrations- und Aufnahmefähigkeit der Lernenden Rechnung tragen, der Eintönigkeit entgegenwirken und eine Angebotsvariation realisieren, scheint unbestritten. Speziell sorgfältig sollten die Stundenanfänge und -abschlüsse beachtet werden (vgl. S.36f.). Hattie hat vor allem darauf hingewiesen, dass rhythmisiertes gegenüber geballtem Üben einen deutlich höheren Effekt hat. Die anderen Autoren postulieren kein eigenes Merkmal für Rhythmisierung des Unterrichts und für dessen Artikulation (Artikulation=zeitliche Gliederung des Unterrichts in Phasen). Beides ist aber in anderen Merkmalen (z.B. im vorangehenden Merkmal Klarheit) enthalten: Neben einer eher erfahrungsbasierten Gliederung des Unterrichts, wie sie Grell und Grell vorschlagen,11 mit der für fast jede beliebige Unterrichtsstunde ein sinnvoller Ablauf entwickelt werden kann, gibt es auch wissenschaftlich erarbeitete Konzepte, wie zum Beispiel dasjenige von Hans Aebli,12 das mit dem Akronym PADUA bezeichnet wird und einen Ablauf für ganze Unterrichtseinheiten vorzeichnet (vgl. S.38). Ergänzend kann auch das AVIVA-Modell13 hilfreich sein, das ebenfalls fünf Phasen guten Unterrichts darstellt und vor allem für ältere Schülerinnen und Schüler bis ins Berufsschulalter entwickelt wurde.
8 Angebotsvariation und Methodenvielfalt
Angebotsvariationen und Methodenvielfalt können als Ergänzung des vorangegangenen Merkmals verstanden werden. Meyer und Helmke sprechen sich für eine schüler-, fach- und lernzielangemessene Variation von Unterrichtsmethoden und Sozialformen und für eine Ausbalancierung methodischer Grossformen aus. Ein Reichtum an Inszenierungstechniken und eine Vielfalt von Handlungsmustern bei Lehrpersonen ist zu begrüssen, aber zu starke Variationen scheinen genau so problematisch zu sein wie eine didaktische «Monokultur». Aus der Sicht von Hattie ist beizufügen, dass das Konzept des reziproken Lernens einen speziell hohen Lerneffekt aufweist und dass metakognitive Strategien und Lerntechniken, also eine Berücksichtigung der Metaebene des Lernens, zusätzlich positiv wirkt: Dass im Unterricht zur Sprache kommt, wie man am besten lernt und wie man das eigene Lernen wahrnehmen, überdenken und verbessern kann, ist für den Lernerfolg wichtig (vgl. Kapitel 3 und 4).
9 Schülerorientierung und Unterstützung
Das Merkmal der Schülerinnen- und Schülerorientierung und der Unterstützung der Lernenden wird sowohl von Helmke als auch von Hattie als wirksam erachtet. Es geht darum, dass Lehrpersonen nicht nur fachliche, sondern auch persönliche Ansprechpartner für Lernende sein sollen und dass sie die Lernenden in ihren Äusserungen und Fragen ernst nehmen. Idealerweise sollen die Lernenden in angemessenem Rahmen Struktur und Inhalt des Unterrichts mitbestimmen und zum Unterricht befragt werden. Schülerinnen- und Schülerfeedback gehört aus unserer Sicht zu einer modernen Reflexionskultur von Unterricht dazu (vgl. Kapitel 10, S.317).
10 Heterogenität und individuelle Förderung
Im Zentrum dieses Merkmals steht ein sensibler Umgang mit heterogenen Lernvoraussetzungen und Persönlichkeiten von Schülerinnen und Schülern, wobei es insbesondere darum geht, Unterschiede im sozialen, sprachlichen und kulturellen Bereich zu erkennen und zu respektieren. Um angemessen auf Heterogenität zu antworten, müssen der Schwierigkeitsgrad und das Tempo an die jeweiligen Voraussetzungen der Lernenden oder ganzer Schülergruppen angepasst werden. Das bedingt individuelle Lernstandsanalysen und abgestimmte Förderpläne, eine innere Differenzierung von Unterricht, Variationen der fachlichen und überfachlichen Ziele und Inhalte, insbesondere aber eine Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Risikogruppen. Im Zusammenhang dieses Merkmals spricht Helmke von Passung und Meyer von Individualisierung. In Hatties Studie kann die Wirkung von individueller Förderung nur als Teil anderer Effekte erschlossen werden – was insofern interessant ist, als Individualisierung von vielen Pädagoginnen und Pädagogen als der Weg zu gutem Unterricht verstanden wird.
11 Konsolidierung und intelligentes Üben
Als gedächtnispsychologische Voraussetzung für die Beschäftigung mit anspruchsvollen Aufgabenstellungen sollen durch Üben auf der einen Seite basic skills beherrscht und Fertigkeiten automatisiert werden. Auf der anderen Seite geht es aber auch darum, eine Vielfalt an Aufgaben, bei denen nicht bloss mechanisch, sondern «intelligent» geübt wird, in den Unterricht einzubauen. Passgenaue Übungsaufträge, gezielte Hilfestellungen, gute Rahmenbedingungen und eine hohe Variation von Übungsmöglichkeiten gehören zu diesem Merkmal, das von allen drei Autoren gleichermassen als bedeutend eingeschätzt wird. Für die Formulierung lernförderlicher Aufgaben in allen Schulfächern hat die Fachdidaktik zentrale Bedeutung. Hattie betont schliesslich, dass Üben die Möglichkeit erhöht, nicht nur das Können, sondern auch die Gewandtheit in einem Themengebiet zu verbessern.
12 Selbsttätigkeit und Lernaufgaben
Mit Bezug zum bekannten Unterrichtsforscher Franz Weinert bringt Helmke dieses Merkmal ganz knapp auf den Punkt: Guter Unterricht ist ein Unterricht, im dem mehr gelernt als gelehrt wird. Dazu müssen unterrichtliche Angebote für selbstständiges, eigenverantwortliches Lernen gemacht werden; alle Lernenden brauchen vielfältige Sprech- und Lerngelegenheiten, wobei Spielräume statt Engführung und authentische Fragen statt Pseudofragen die Leitgedanken sein sollten. Jochen und Monika Grell liefern in ihrer Publikation Unterrichtsrezepte14 mit dem Kapitel «Das Rezept Lernaufgabe» eine angemessene, praxisorientierte Vertiefung dieser Forderungen. Schliesslich eignen sich auch Hausaufgaben dazu, das selbsttätige Arbeiten zu fördern.
Ergänzende Anmerkungen: Lernziele und Kompetenzen
Lernziele
Seit vier Jahrzehnten hat die von Christine Möller entwickelte lernzielorientierte oder curriculare Didaktik15 eine grosse Bedeutung für die Ausbildung zur Lehrperson und wirkt stark in die Unterrichtspraxis hinein. Möller fordert, dass der Zielsetzung von Unterricht, der Auswahl von Zielen und speziell auch der Formulierung von Lernzielen in der Unterrichtsplanung eine herausragende Rolle zukommen muss.
Gemäss der lernzielorientierten Didaktik sind richtig gesetzte Ziele unerlässlich, wenn das Lernen der Schülerinnen und Schüler in diejenige Richtung gelenkt werden soll, die der Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schule vorgibt. Die Ziele müssen gleichzeitig herausfordernd und erreichbar sein. Sie sollen begründet und für alle an der Schule Beteiligten transparent sein. Ausgewogene Zielsetzungen dürfen sich jedoch nicht nur auf das Erreichen gewisser Standards in den Schulfächern beziehen, sondern müssen auch überfachliche, personale und soziale Aspekte betreffen. Nur wenn auch die Vermittlung von Lernstrategien, die Förderung der Selbstwirksamkeit oder die Ermutigung zur Zusammenarbeit als Ziele formuliert werden, können wir erwarten, dass im Unterricht auch tatsächlich und planmässig darauf hingearbeitet wird. Eine lernzielorientierte Didaktik wendet sich mit der Forderung, der Formulierung von Lernzielen spezielle Beachtung zu schenken, gegen Zufälligkeit, Beliebigkeit und Planlosigkeit im Unterricht.
Mit ihren Forderungen steht die curriculare Didaktik keineswegs isoliert da. Auch andere allgemeindidaktische Theorien weisen auf die zentrale Bedeutung16 der Lernziele hin. Speziell zu erwähnen ist Wolfgang Klafki. Mit seinem populären Postulat der kategorialen Bildung vertrat er die Auffassung, dass sich guter Unterricht durch eine ausgewogene Verbindung von materialen (inhaltlichen) und formalen (auf die Entwicklung der Person bezogenen) Zielen auszeichnen muss.
Kompetenzen
Mit Beginn des 21. Jahrhunderts rückt der Begriff des Lernziels in der schulpädagogischen Diskussion etwas in den Hintergrund und wird zusehends vom immer dominanter werdenden Begriff der Kompetenz abgelöst. Im Zuge grosser empirischer Schulleistungsstudien und im Verbund mit Standardisierungsbemühungen ist Kompetenz zum Trendbegriff und zum Slogan von Bildungsreform und Bildungspolitik geworden.
Kompetenz ist ein mehrdeutiger Begriff mit einer komplexen Geschichte. Ursprünglich wurde er in der Linguistik von Noam Chomsky im Sinne derjenigen Kenntnis verwendet, die eine Sprecherin oder Hörerin von ihrer Sprache hat. Die Aktualisierung dieser Kenntnis im Sprechakt bezeichnete Chomsky dagegen als Performanz, und erst diese machte für ihn sichtbar, was in der Kompetenz nur latent vorhanden ist. Auch bei Heinrich Roth, der den Kompetenzbegriff in der Pädagogik einführte, beinhalten Sachkompetenz, Selbstkompetenz und Sozialkompetenz nur bedingt einen Handlungsaspekt, sondern bilden Voraussetzungen für die Selbstbestimmung, die bei Roth das zentrale Erziehungsziel ist.
In den letzten zwanzig Jahren hat sich in der Erziehungswissenschaft jedoch ein Kompetenzbegriff durchgesetzt und etabliert, der ebendiesen Handlungsaspekt deutlich einbezieht und zumeist mit Bezug auf Franz E. Weinert und Eckhard Klieme verwendet wird. Als Kompetenz bezeichnet Weinert «die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können».17 Klieme stellt Kompetenz in einen Zusammenhang mit Bildungsstandards und hält fest, dass diese «anders als Lehrpläne und Rahmenrichtlinien – nicht auf Listen von Lehrstoffen und Lerninhalten zurückgreifen, um Bildungsziele zu konkretisieren. Kompetenzen spiegeln die grundlegenden Handlungsanforderungen, denen Schülerinnen und Schüler in der Domäne ausgesetzt sind.»18 Diese Definitionen lassen die Zielrichtung der aktuellen Kompetenzbewegung klar hervortreten: Es geht gegen «totes Wissen» und um die Frage, «wie man andere Menschen (oder sich selber) dazu bringen kann, Vorstellungen, Ideen oder eben Wissen effektiv anzuwenden bzw. in konkrete Taten umzusetzen…».19
Als Kompetenz wird heute also das bezeichnet, was in der Linguistik von Chomsky als Performanz definiert wurde, nämlich die Fähigkeit, situativ geprägte Anforderungen zu bewältigen, oder aktuell oft formuliert, Handlungen zu erbringen, die sichtbar und messbar sind. Damit kommt der Kompetenzbegriff der gegenwärtigen Bildungsreform entgegen, welche die Leistungen der Schule nicht über den Input steuern, «sondern – wie in einem Wirtschaftsbetrieb – am tatsächlich bei den Schülerinnen und Schülern erreichten Lernertrag, dem Output»,20 messen will.