Читать книгу Der eiserne Gustav - Ханс Фаллада - Страница 27

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Es war Eva eigentlich ganz recht, daß sie von Vater und Bruder getrennt worden war. Sie hatte nichts dazu getan, aber als es geschah, hatte sie sich auch nicht übermäßig angestrengt, die Ihren wiederzufinden. Sie schob sich lachend mit der Menge fort, jetzt in der anderen Richtung, die Linden abwärts, dem Brandenburger Tor zu …

Das Geschwätz der beiden hatte sie bloß gelangweilt, immer nur Erich und Otto, ewig bloß Krieg und Zusammenhalt. Pustekuchen! Jetzt sollten sie wohl noch näher aufeinanderhocken, eine einzige Verwandtschaft und Liebe – sie hatte von den letzten eingezogenen Wochen die Nase wahrhaftig voll! Und überhaupt Krieg – wieso denn Krieg? Dies war erst einmal Mobilmachung – und so viel hatte sie in letzter Zeit auch schon begriffen, daß Mobilmachung kein Krieg war.

Aber wenn Krieg so wurde, wie heute Mobilmachung aussah, dann war er eine großartige Sache! Noch nie hatte sie die Männer so aufgekratzt gesehen, mit so leuchtenden Augen! Ein kleiner Dicker, ein Uralter, sicher schon vierzig, mit Knebelbart, faßte sie plötzlich um die Taille. „Na, Kleene?! Freuste dir ooch? Ick freu mir!“

Und war schon weiter, ehe sie noch protestieren konnte.

„Kriegsbraut gesucht, die mir noch schnell die Socken stopft!“ rief ein junger Mann, krähend. Und alle lachten.

Es war herrlich, sich von diesem Gewoge treiben und wiegen zu lassen, es war Feststimmung!

Eine Hand legte sich von hinten auf ihre Schulter, eine etwas heisere Stimme fragte: „Na, Frollein, immer noch jut zuweje?“

Sie fuhr herum, und erschrocken sah sie in ein Gesicht, das sie einmal kurze Minuten gesehen und nicht vergessen hatte, in ein bräunliches, freches Gesicht mit schwarzem Schnurrbart.

„Was wollen Sie?“ rief sie. „Ich kenn Sie gar nicht – lassen Sie mich gefälligst los!“

Der junge Mann lächelte. Er sah sie an und sagte: „Det macht ja nischt, wenn Se mir nich kennen – denn werden Se mir eben kennenlernen!“

„Lassen Sie mich zufrieden! Oder ich rufe einen Schutzmann!“

„Na, rufen Se doch, Frollein, rufen Se! Ick helf Ihnen jerne rufen. Oder wollen wa zusammen zu einem jehn, wie, wat? Det macht mir jar nischt, so ein Blauer – blau is immer meine Lieblingsfarbe jewesen. Sie haben auch ein hübschet blauet Kleid an, Frollein.“

Eva war immer eine richtige Berliner Göre gewesen, frech und vorlaut. So leicht konnte ihr niemand Angst einjagen. Aber jetzt hatte sie Angst, ihre Frechheit verging vor der Selbstsicherheit dieses Kerls, seiner kalten Großschnäuzigkeit, der unverschämten Art, mit der er ihr Kleid antippte, gerade auf der Brust. Und zwischen den Brüsten hing …

„Bitte, lassen Sie mich gehen“, bat sie schwach. „Es muß eine Verwechslung sein …“

„Natürlich laß ick Ihnen jehn“, antwortete er lachend. „Jehn is bei die Hitze jesund. Kommen Se man, Frollein, ick jeh ooch’n Stückchen.“ Und er faßte sie ungeniert unter den Arm. „Wat die Affen sich haben“, fuhr er überlegen fort, „bringen sich um, vor Bejeisterung, bloß weil se in’n Krieg dürfen. Als wenn se det nich einfacher hätten, det Abschlachten, vorm Spiegel mit’m Rasiermesser. – Nee“, sagte er abschließend, „so was is nischt for uns – wir sind mehr für Lebeschön, wat, wie?“

„Bitte …“, flehte sie eindringlich. „Lassen Sie mich gehen, ich kenn Sie doch gar nicht!“

„Mächen!“ flüsterte er. Plötzlich hatte sich sein lächelndes Gesicht verändert, er sah sie mit einem bösen, kalten Zorn an. „Mach mir keene Zicken! Seit vier Wochen loof ick Berlin ab nach dir, nu find ick dir endlich – denkste, ick laß dir nu wieder loofen?“

Er sieht sie drohend an, und unter dieser Drohung erzittert sie und schweigt.

„Denkste, ick hab dir die Sachen in deine dußlije Marchttasche gesteckt, von der det Bild an alle Litfaßsäulen klebt, damit du se behältst? Nee, Frollein, so doof sind wir nich … Det mußte mir allet fein wieder abliefern …“

Er sah sie an, und sie, gegen ihren Willen, sie nickte …

„Und wenn de abjeliefert hast, denn sind wir noch lange nich fertig miteinander! So eine wie dich ha’ick schon lange jesucht, frisch aus Mutters Mottenkiste, det erleichtert mir mein Jeschäft … Wat denkste, wie fein ick dir anlernen tu! Du wirst noch ’ne janz jroße Nummer – aufm Alex werden se sich dein Bild einrahmen: Det is nämlich die, die mit ’nem Juwelendiebstahl bei Wertheim anjefangen hat!“

„Bitte nicht!“ flehte sie. „Die Leute …“

In ihrem Kopf arbeitete es fieberhaft. Es mußte möglich sein, sich von ihm loszureißen und im Gedränge zu verschwinden … Sie wartete nur auf den Augenblick, wo der Druck seines Armes einmal nachließ …

„Also, wie heißte denn?“

„Eva …“, sagte sie schwach.

„Na, und wie denn weiter, meine süße, kleene Eva?“

„Schmidt!“

„Na natürlich doch, Schmidt! Ha’ick doch jleich jedacht – Meier wäre mir auch zu jewöhnlich jewesen! – Und wo wohnste denn, Frollein Schmidt?“

„In der Lützowstraße.“

„Also in de Lützowstraße, feine Jejend, wie? Und wo haste denn die Dingerchen, die feinen, blanken, glitzrigen, du weeßt schon. Zu Hause, wat?“

„Habe ich auch!“ sagte sie kühn. Sie war jetzt fest entschlossen, ihm, sobald es paßte, mit der freien Hand in die Augen zu fahren, sie würde ihn kratzen, loskommen …

„Also zu Hause“, wiederholte er höhnisch. „Auch ne jute Jejend, bei euch zu Hause, wat, wie? Und wo haste sie denn da? Wohl unterm Kopfkissen, wat?“

„Nein“, sagte sie. „Im Gewicht von der Hängelampe.“

„Im Jewicht von der Hängelampe“, wiederholte er nachdenklich. „Det is jar nich so schlecht, du hast ja Talente für deinen Beruf! Det Vasteck haste dir nich eben erst ausjedacht. Du hast also schon früher jeklaut, wat?“

Sie antwortete nicht, wütend über ihren Fehler.

Und wieder kommt bei ihm dieser plötzliche Übergang von lachendem, grinsendem Hohn zu brutaler, nackter Drohung. Sein dunkles Gesicht nahe ihrem weißen, flüstert er mit heiserer Stimme: „Un nu will ick dir ma erzählen, wat jespielt wird, mein Frollein Schmidt aus de Lützowstraße mit de Hängelampe! Kuschen wird jespielt, Parieren wird jespielt – wenn ick pfeife, kommste, vastanden?! Vastanden – du? Sieh mir an, du – Nutte!“ Sie sieht ihn an, zitternd.

„Du Nutte von einem Dieb, du!“ sagt er zwischen den Zähnen. „Du feinet Frollein – Eva – Hackendahl!“

Er sieht sie triumphierend an, er kostet mit Wonne ihr Entsetzen, als sie merkt, es gibt kein Entrinnen, er kennt ihren Namen. Es gibt keine Flucht …

Er genießt seinen Triumph. Aber da er sie so vollständig unterworfen sieht, nur noch schneeweiß und zitternd, verliert sich sein Zorn. Der Sieger wird großmütig.

„Ja, da staunste“, sagt er lachend. „Mußte dir eben keinen alten Herrn anschaffen, der deinen Namen über de halben Linden tutet! Siehste, ick bin ja nich so, ick tu nich, als könnt ick hexen. Det war doch dein Vater, der so rief …?“

Sie nickt.

„Wenn ick dir wat frage, haste zu antworten! Sag ja!“

„Ja …“

„Sag: ›Ja, Eugen!‹“

„Ja – Eugen.“

„Jut – und nu, wo wohnste wirklich? Aber mach mir nich noch mal Schwindel, ick versprech dir, für jedesmal, wo de mir anschwindelst, schlag ick dir alle Knochen kaputt! Und ick tu’s …“

Sie ist überzeugt, daß er es tun wird, ihr Kopf sucht nach einem Ausweg und findet doch keinen …

„Wo wohnt ihr?“

„Frankfurter Allee.“

„Wo da?“

„Der Fuhrhof …“

Er pfeift durch die Zähne. „Ach, der is det, der mit de Droschken? Den kenn ick doch, die janze Zeit grüble ick: Die Wachtmeisterfresse kennste doch! Aber da krieg ick ja ein feinet Frollein Braut, da krieg ick ja ein prima Vahältnis, det is ja jroßartig …“ Er ist plötzlich sehr aufgeräumt. „Und nu paß uff, Kleene … Evchen …“

Sie zittert wieder.

„Kuck bloß nich so ängstlich. Vor mir brauchste doch keene Angst haben, ick bin der jutmütigste Kerl von janz Berlin, ein wahrer Trottel bin ick – wenn de tust, wat ick dir sage. Also heute abend um neune biste an der Ecke von der Großen und Kleenen Frankfurter Straße. Vastehste?“

Sie nickt, aber als sie eine Bewegung bei ihm sieht, sagt sie rasch: „Ja – Eugen.“

„Die blanken Dingerchen, du weeßt schon, die brauchste nich extra mitzunehmen, weil de se nämlich schon mit hast … So doof mußte nich noch mal sind, ’nem ausjekochten Jungen zu erzählen, se sind im Jewicht von der Hängelampe, wo ick die janze Zeit det Band in deinem Ausschnitt sehe …“

Wieder erblaßt sie.

„Aber ick bin nich so, die Sore nehm ick dir ab, wat willste ooch damit? Tragen kannste die Dinger doch nich, und du fällst bloß rein damit. Aber ick jeb dir mal wat anderes, wat de tragen kannst, ooch schöne Sachen – ick hab es ja dazu …

Und überhaupt, Mächen“, und jetzt drückt er ihren Arm, aber zärtlich, „det wird ’ne janz prima Sache mit uns beiden, da mußte dir nich vor ängsten, wir werden noch manche jute Stunde miteinander haben.“

Er lacht kurz, ihr Arm liegt jetzt still in seiner umspannenden Hand. „Nur eins: Parieren mußte, da hilft dir nischt – un wenn ick oben uff de Siejessäule sage: Spring!, denn springste, sonst kenn ick mir nich vor Wut.“

Er läßt sie plötzlich los, sieht sie prüfend an. „Haste Angst, wie, wat?“

Sie nickt langsam, Tränen in den Augen.

„Det jibt sich, Evchen“, sagt er, oberflächlich tröstend. „Zuerst hat jede Angst jehabt, aber det jibt sich. Un mach mir keene Dummheiten mit Rennen uff de Polizei – da schlag ick dir langsam tot, heute oder in zehn Jahren.“

Er lacht kurz, nickt noch einmal und befiehlt dann: „Marsch, nach Haus!“

Ehe sie sich noch besinnen kann, ist er fort.

Der eiserne Gustav

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