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Es war ein erregter Tag gewesen, für Gustav Hackendahl, eigentlich war es ein großer, ein stolzer Tag gewesen!

Am Morgen der stattliche Auszug mit den zweiunddreißig Pferden zur Musterung, die Gesichter der Leute, die sich nach dem hellen Geklapper der Eisen auf dem Pflaster umgedreht hatten. Dann die Musterung selbst, der Oberleutnant, der seine Pferde gelobt hatte. Selbst an das etwas unerwartet verlaufene Abenteuer mit dem Spion konnte man mit ein wenig Stolz zurückdenken. Dann war der Nachmittag gekommen. Man hatte zu den Allerersten gehört, die für das Vaterland einen Sohn in den Krieg schickten, und ein zweiter Sohn würde auch schon in den allernächsten Tagen Uniform tragen …

Jawohl, es war ein stolzer Tag gewesen, vielleicht gab es heute nicht viele Männer in Berlin, die soviel für ihr Vaterland gegeben hatten wie er.

Aber dann war man nach Haus gekommen, in Haus und Hof, die immer sein Stolz gewesen waren, und es war so seltsam gewesen, öde, leer …

Eine ganze lange Zeit hatte er bei Rabause im Stall gestanden und hatte sich mit ihm unterhalten, genauer, er hatte ihm von allem, was er am Tage erlebt hatte, erzählt. Rabause hatte tüchtig zu tun gehabt, der ganze Stall mußte ja umgekrempelt werden, statt zweiunddreißig Pferden standen jetzt hier fünf.

Rabause schuftete und rannte, er sah seinen Chef ein wenig spöttisch von der Seite an, und ein paarmal hatte Hackendahl denn auch mit zugegriffen. Aber es war ihm schwer geworden.

Ihm fiel ein, wie lange es wirklich her war, daß er ernstlich körperlich gearbeitet hatte. Jetzt würde er wieder ein bißchen mit zufassen müssen. Es würde sich wieder lernen lassen, wahrscheinlich tat es dem Herzen sogar gut.

Aber es war ja gar nicht nötig – bei fünf Pferden war nicht einmal genug Arbeit da für einen Futtermeister. Rabause hatte ähnliches gedacht. „Für den Winter ist der Stall aber für die paar Gäule zu kalt, Herr Chef“, meinte er nachdenklich. „Da müssen wir wohl ’ne Trennwand ziehen.“

Hackendahl grunzte, er war gegen alle Bauerei, mit der man nur Geld los wurde. „Zum Winter ist der Krieg schon lange alle, da kriege ich meine Pferde von der Militärverwaltung zurück.“

„Daß der Krieg schon vor Winter alle is, das wollen wir man lieber nich behaupten, Herr Chef“, hatte Rabause widersprochen. „Siebzig hat er auch übern Winter gedauert, und da hatten wir bloß einen Feind.“

„Reden Sie nicht, Rabause“, hatte Hackendahl ärgerlich gesagt. „Was wissen Sie denn vom Krieg und Militär?!“

Aber er war dann gleich aus dem Stall gegangen, die Aussicht, lange Monate nur mit fünf Pferden zu arbeiten, hatte ihn gewaltig gekränkt. Das ist ja kein Lohnfuhrunternehmen mehr, hatte er gedacht. Das ist ja auch nicht viel mehr als eine Tag- und eine Nachtdroschke. Da kann ich mir ja wohl noch selber den Lackpott aufstülpen und an den Warteplätzen lauern!

Unschlüssig hatte er auf dem Hof gestanden. Wenn jetzt wenigstens die Droschken heimkämen! Dann könnte ich mit ihnen abrechnen, ich hätte doch was zu tun!

Aber gleich fällt ihm wieder ein, daß es ja bloß fünf Droschken sind, da ist das Abrechnen nur ein Klacks mit der Wichsbürste, und Nachtdroschken sind auch nicht abzufertigen …

Da steht er, er hat nie an sich gezweifelt, und er zweifelt auch jetzt nicht an sich, aber wie leer ist er geworden! Hat er nur durch die anderen gelebt, statt, wie er meinte, die anderen durch ihn? Er weiß es nicht, er denkt auch nicht darüber nach, er weiß nur, das Leben gefällt ihm plötzlich nicht mehr. Ja, Kinder …, denkt er. Sie gehörten ihm bisher, er belehrte und erzog sie, er gewöhnte sie an Pünktlichkeit, Fleiß, Gehorsam. Er grobste sie an, und er war nett mit ihnen, ganz, wie Stimmung und Anlaß es mit sich brachten, aber nun waren sie fort! Sie kamen ohne ihn zurecht. Da war noch Bubi, aber mit Bubi war schwer herumzukommandieren, er war ein sehr selbständiger Pennäler, er erzählte nie etwas von der Schule.

Dann war da noch Eva … Eva! Plötzlich fällt Hackendahl ein, daß er Eva versprochen hat, heute noch mit ihr zu reden. Sofort macht er kehrt und steigt eilig die Treppe hinauf. Er hat eine Aufgabe gefunden, eine Beschäftigung, er ist nicht mehr leer!

Aber oben erlebt er eine Enttäuschung, Eva ist weggegangen, sie ist nicht im Haus. Auch darüber muß er mit ihr sprechen, daß ihm dieses ständige Fortlaufen nicht paßt! Ein Kind hat zu sagen, wenn es fortgeht, wohin und warum, das ist Ordnung. Aber er kann jetzt nicht mit ihr darüber reden, sie ist fort. Wieder steht er leer da.

„Was machst du jetzt, Bubi?“

„Lateinisches Scriptum, Vater.“

Hackendahl sieht das Heft etwas hilflos an. „Kannst du nicht besser schreiben? Das ist ein schreckliches Geschmier, Bubi!“

„Och, Vater … Unser Lateinpauker schmiert noch viel mehr, der kann seine eigene Schrift nicht lesen. Wir helfen ihm immer raten!“

„Ganz egal, Bubi. Du mußt sauber schreiben.“

„Jawohl, Vater!“

Erledigt, aus. Nichts weiter zu sagen. Hackendahl wirft noch einen Blick auf das, was Heinz nun schreibt. Die Schrift scheint nicht wesentlich gegen die bisherige verändert. Aber es wird keinen Sinn haben, mit Bubi deswegen zu disputieren …

Hackendahl geht in die Küche.

In der Küche sitzt Mutter beim Kaffee. Hackendahl schnuppert, natürlich ist es der für den Alltag verbotene Bohnenkaffee, statt des angeordneten Malzkaffees! Hackendahl hat es schon hundertmal gesagt, und er sagt es mit Blitzen und Donnern zum hunderterstenmal, daß er dies nicht haben will, daß er sein Geld nicht auf, der Straße findet …!

Und zum hunderterstenmal hat Frau Hackendahl mindestens ein halb Dutzend vollgültige Entschuldigungen für die Übertretung des Verbotes: daß Otto weggefahren ist, daß sie Kopfschmerzen von der Hitze hat, daß ihr das Gejachter zur Bahn nicht bekommen ist, daß sie nur fünf Bohnen in den Malzkaffee genommen hat und so weiter. Und so weiter.

Blitz und Donner, gut. Ein wenig erfrischt geht Hackendahl in sein Zimmer. Auf dem Schreibtisch liegt die Mappe mit den Papieren der Musterungskommission. Hackendahl fällt ein, daß darin die Zahlungsanweisung der Militärverwaltung auf eine erhebliche Summe liegt. Er sieht auf die Uhr: Jawohl, es ist noch Zeit, er kommt noch auf seine Bank. Die Mappe unter dem Arm, marschiert Hackendahl los …

Auf der Bank sieht es ein wenig leer aus hinter den Schaltern, aber noch begrüßt der gewohnte Angestellte Herrn Hackendahl mit der gewohnten nüchternen Höflichkeit: „Na, Herr Hackendahl, bißchen Geld holen?“ Und hinter der Hand geflüstert: „Es ist eben reingekommen: Die Einlösungspflicht für Banknoten ist aufgehoben.“

„Was heißt das?!“ fragt Hackendahl, ein wenig ärgerlich. (Er ist immer ärgerlich, wenn er etwas nicht gleich versteht.)

„Es gibt für die Banknoten kein Gold mehr. Das Gold wird aus dem Verkehr gezogen.“

„Nun, es wird schon richtig sein“, sagt Hackendahl. „Alles, wie es die Regierung anordnet. Ich habe meine Gäule auch abliefern müssen.“

Und er schiebt die Zahlungsanweisung über den Tisch.

Der Angestellte sieht sie an. „Ein schöner Betrag“, sagt er anerkennend. „Aber es waren sicher auch schöne Pferde? Auf Kontokorrent, Herr Hackendahl? Vorläufig – natürlich, ich verstehe schon. Vielleicht später ein paar Papiere kaufen, ich glaube, gute Papiere werden bald billig zu haben sein, die Leute verkaufen!“

„Ich werde es mir überlegen“, sagt Hackendahl. Und ganz plötzlich: „Vielleicht kaufe ich mir lieber ein paar Autotaxen …“

Es war ihm plötzlich so eingefallen. Nicht, daß solcher Kauf etwa wirklich in Frage kam. Aber man konnte ja einmal hören, wie solch ein Bankmensch darüber dachte …

Natürlich war der Mann Feuer und Flamme. „Ausgezeichnete Idee, Herr Hackendahl!“ sagte er beifällig. „Sie sind ein wirklich fortschrittlicher Mann. Das Pferd ist tot, ein Auto ist viel schicker!“

„Wenn das Pferd tot wäre, hätte die Militärverwaltung wohl nicht soviel dafür bezahlt, junger Mann!“ sagte Hackendahl ein wenig grimmig. „Warum sind Sie denn eigentlich noch nicht bei den Soldaten?“

„Vorläufig bin ich noch von meiner Bank reklamiert“, antwortete der junge Mann wichtig, „Unabkömmlich!“

Er sagte das „Unabkömmlich“ recht geschwollen, fand Hackendahl.

„Na denn Mahlzeit!“ sagte Hackendahl und ging.

Ekelhafter Kerl! dachte er. Wichtigtuer! schalt er.

An die Litfaßsäulen klebten sie schon die Bekanntmachung, daß Banknoten nicht mehr in Gold umgewechselt wurden. Es war bestimmt gleichgültig. Er hatte nie daran gedacht, mit seinen Scheinen zur Reichsbank zu gehen und auf Umwechslung zu bestehen. Er hatte bisher der Reichsbank vertraut und der Regierung. Und er würde es weiter so halten … Kein Gedanke an Unruhe. Geld war Geld, ob aus Papier oder Gold …

Hackendahl geht jetzt durch die Kleine Frankfurter Straße. Ihm fällt ein, daß hier ein Lokal ist, wo oft Pferdehändler sitzen. Er wird einmal nachsehen, ob jemand da ist. Er kann dann hören, wie es mit Pferden steht. Ein paar Pferde mehr im Stall wäre nicht schlecht …

Die kleine Kneipe ist gesteckt voll, und Hackendahl, der eiserne Gustav, wird mit Hallo empfangen.

„Dich haben sie heute schön in der Mache gehabt, Gustav! Gaul auf Gaul, aber du hattest auch Pferde wie die Puppen!“

„Wird eine Stange Gold kosten, die wieder zu kaufen! Da wirst du tüchtig was drauflegen müssen, Gustav!“

„Gibt’s denn Pferde zu kaufen?“

„Heut nicht, aber vielleicht in zwei, drei Wochen. Ich denk, ich kriege in Ostpreußen einen Transport zusammen.“

„Ich geh nach Holland …“

„Die Dänen haben auch ganz hübsche Pferdchen …“

„Pferde wird’s schon wieder geben, aber was sie kosten werden …!“

„Red doch nicht! Gustav ist doch der Mann, der zahlen kann!“

„Wenn sie mir zu teuer werden …“

„Mensch, Gustav, red nicht! Wie können die denn zu teuer werden? Deinen Stall hast du, deine Droschken hast du, also mußt du auch Pferde haben! Wie können da die Pferde zu teuer sein!? Du mußt sie doch haben!“

„Oder er macht seinen Laden zu!“

„Der Gustav? Daß ich nicht lache! Der läßt noch Droschken fahren, wenn mir kein Zahn mehr weh tut! Der ist doch eisern, der Gustav! Nicht wahr, das bist du doch, Gustav? Eisern!“

Es tat gut, in soviel Anerkennung und Bewunderung zu sitzen. Die erkannten an, was er geleistet hatte. Es war keine Kleinigkeit gewesen, aus dem verlotterten Betrieb vom Schwiegervater solchen Musterstall zu machen! Das hatte Arbeit gekostet, Nachdenken, Sorgen – dreißig Kutscher in Ordnung halten, die immer mal gerne einen über den Durst trinken, das war schon eine Sache! Zu Haus fanden sie alles immer selbstverständlich. Hier erinnerten sie sich: „Und weißt du noch, Gustav, wie dir der alte Kublank den Fuchs aufreden wollte? Dem er Arsenik zu fressen gegeben hatte? Und du wolltest durchaus nicht …?“

Geschichten von Pferden, die lange tot waren, von Händlern, die in keiner Gewerberolle mehr standen – uralte Geschichten. Aber man wurde warm dabei. Hackendahl blieb viel länger sitzen, als er gewollt hatte, aber was sollte er zu Haus?

Sie aßen alle zusammen am Biertisch ihr Abendbrot, kalte Buletten oder warme Würstchen mit Kartoffelsalat. Dann gingen sie sogar noch weiter. Einer wußte ein kleines Bier-Varieté in der Nähe. Sie saßen um einen großen Tisch, neugierig, beifällig, unverwöhnt sahen sie zu der kleinen Bühne, auf der eine Chansonette schrill schrie, ein kümmerlicher Zauberer kümmerliche Kaninchen verschwinden ließ und zum Schluß Kartenkunststücke zeigte, die die Pferdehändler besser auszuführen wußten. Dann warf eine Tänzerin ihre spitzenbesetzten weißen Röcke in die Höhe und drehte sich zum Schluß rasend im Kreise, daß man ihre Hosen sah. Die Männer klatschten rasend Beifall.

Aber es kam noch etwas, eine Zugabe. Der Unternehmer ging mit der Zeit. Auf der Bühne standen zwei Mädchen, die eine durch Gewehr und Helm als Soldat, die andere durch Säbel und Monokel als Leutnant gekennzeichnet. Der Soldat sollte exerzieren, aber der Soldat wollte nicht. Der Leutnant klirrte mit dem Säbel, er schnarrte viele Ähs, verlor sogar sein Monokel – aber der Soldat blieb dabei: Er wollte nicht exerzieren.

Nicht mehr. Rasch stellte es sich heraus, daß der Soldat meinte, er könne genug, er wollte nach Paris! Nach Paris! Der Leutnant war begeistert von diesem Gedanken. Er faßte seinen Soldaten um, gemeinsam walzten die beiden den Siegeswalzer nach Paris – aus der Kulisse wurden schwarzweißrote Fähnchen geschwenkt, bengalisches Licht flammte auf.

Das Klavier trommelte: „Heil dir im Siegerkranz“, stehend sang das Publikum mit, alle waren ernst und begeistert.

Erst beim Nachhausegehen merkte Hackendahl, daß er nicht nur begeistert gewesen war. Man konnte es den beiden Mädchen nachsehen, daß ihr Griffekloppen nicht geklappt hatte. Davon verstanden Mädchen nichts. Aber man sollte so etwas doch lieber nicht machen. Siegeswalzer nach Paris – das sah ja so aus, als brauchte man nur einfach hinzutanzen, als könne es gar keine Kämpfe geben, als sei all die schwere Friedensarbeit am Militär ganz überflüssig gewesen! Nein, so nicht!

Hackendahl versprach sich, nicht wieder in dieses Lokal zu gehen. Auch bei den Händlern würde er sich so bald nicht wieder sehen lassen. Die sollten erst einmal arbeiten, Pferde heranholen. Ein Mann, der auf sich hält, trinkt nicht mehr, als er vertragen kann.

Er kommt auf seinen Fuhrhof, gewohnheitsmäßig geht er erst in den Stall. Nur eine Stallaterne brennt, Rabause ist nicht da. Logisch, es lohnt sich nicht, wegen fünf Pferden eine Stallwache zu bezahlen.

Hackendahl tritt in den Stand des Schimmels; das Pferd steht müde da, mit tief hängendem Kopf. Es hat noch Heu genug in der Raufe, aber es hat ein paar Strohhalme von der Streu ins Maul genommen – und sie zu kauen vergessen. Da steht das Tier, abgetrieben, die Strohhalme spießen aus seinem Maul, es sieht jämmerlich aus. Es hat die Wettfahrt nicht überwunden, es hat sich damals überjagt. Hackendahl sagt sich, daß der Schimmel nie wieder zurechtkommen wird.

Aber er braucht kein Stroh zu fressen, auch kein Heu; Hackendahl hat für seinen Schimmel etwas Besseres. Als sie vorhin zum Abschluß im Varieté eine Tasse Kaffee tranken, hat der Kellner eine Dose mit Zucker auf den Tisch gesetzt. Natürlich haben alle Pferdehändler in die Dose gegriffen, Hackendahl mit. Sie haben die Dose geleert, nicht für ihren Kaffee, nein, für die Pferde, die jeder von ihnen zu Haus stehen hat. In Lokalen, in denen Pferdehändler regelmäßig verkehren, stellt man keine Zuckerdose auf den Tisch, da zählt man die Zuckerstückchen zu – die Dosen werden zu schnell leer!

Hackendahl hält seinem Schimmel den Zucker hin. Der Schimmel dreht das trübe blaue Auge im gelblichen Weiß nach seinem Herrn. Er schnuppert mit den Lippen an der Hand, am Zucker – und läßt den Kopf wieder sinken.

„Willst du nicht?“ sagt Hackendahl im plötzlichen Ärger. „Dann läßt du’s eben bleiben!“

Aber er hat nun keine Lust mehr, den Zucker an die anderen Pferde zu verteilen. Ärgerlich geht er aus dem Stall. Er steigt die Treppe zur Wohnung hinauf. Während er das tut, überlegt er, wie er sonst eigentlich die Treppe hinaufgeht, nachts, ob laut oder leise oder mit seinem gewöhnlichen Schritt. Aber er kommt nicht darauf. Jedenfalls wird er nicht extra leise gehen: Er hat nicht mehr getrunken, als er vertragen kann!

Oben steht er einen Augenblick überlegend still. Natürlich muß er seinen gewohnten Rundgang wie alle Abende machen; keiner soll ihm anmerken, daß er was getrunken hat.

Als er die Tür zum Schlafzimmer der Jungen öffnet, ist er überrascht, wie dunkel es darin ist. Er kann nicht erkennen, ob sie in ihren Betten liegen und schlafen. Dann fällt ihm ein, daß er heute ja seinen Gang viel später als sonst macht, darum ist es schon so dunkel. Es ist ja schon Nacht, wieviel Uhr eigentlich? Na, jedenfalls schon Nacht, und sonst ist Abenddämmerung.

Vorsichtig, auf den Zehenspitzen tastet er sich in den Raum. Er fährt mit der Hand über das Kopfende des Bettes, er fühlt noch einmal nach: Er hat richtig gefühlt, es stimmt, das Bett ist leer. Er steht nachdenklich da. Das war eben nicht richtig, es stimmt ja grade nicht! Das Bett sollte nicht leer sein, der Junge sollte darin liegen.

Er überlegt, was er nun tun muß. Soll er mit dem Bengel schimpfen? Aber er kann nicht mit dem Bengel schimpfen, der Bengel ist ja nicht da! Soll er mit den anderen schimpfen? Natürlich soll er das! Die anderen können auch aufpassen, immer, wenn er nur einen Augenblick fort ist, passiert so etwas!

Er ist schon im Begriff loszubrechen, als ihm einfällt, daß er erst nachsehen will, ob die anderen da sind. Er tastet nach dem zweiten Bett, er befühlt das Kopfende: Siehst du, auch das Bett ist leer.

Ein Lächeln breitet sich über sein schweres Gesicht aus: Es ist doch gut, daß er noch nachgesehen hat. Nun hat er schon zwei erwischt. Wenn nun auch noch der dritte fort ist – denen wird er es aber zeigen, was Ordnung heißt in seinem Hause!

Aber der dritte ist da. Heinz liegt ruhig im Bett und schläft. Der Vater tastet nach dem Gesicht, bekommt die Haare zu fassen und zieht. „Du! Bubi!“

„Hmm!“

„Bubi!!“ – Schon sehr viel kräftiger.

„Ich schlafe …“

„Bubi – wo sind die anderen?“

„Wer?“

„Otto!“

Bubi richtet sich auf, schlaftrunken starrt er auf den schattenhaften Vater. „Otto …?“

„Ja, frag noch! Otto!“

„Vater! Du hast doch Otto selbst zur Bahn gebracht!“

„Ich …? Otto …?“

„Ja, er ist doch bei den Soldaten!“

Der Vater ist verwirrt, daß er das vergessen hat! Er versucht seine Verwirrung zu bemänteln. „Ich mein doch Erich!“ sagt er.

„Erich …?“ fragt Bubi dagegen, um Zeit zu gewinnen. „Ja, Erich! Wo ist denn Erich?“

„Erich …?“

„Ja, frag noch Erich! Erich, wo Erich ist, will ich wissen!“

„Erich!“ Bubi hat jetzt des Vaters Zustand klar erkannt. Sofort macht er sich daran, Erichs Abwesenheit zu vertuschen. „Erich – Erich hat doch Mutter geholfen, die Droschken kassieren. Du warst doch nicht da! Wo warst du denn, Vater?“

„Ich war auf der Bank …“, sagt der Vater mürrisch. „Aber Erich …“

„Die Banken machen doch um fünf zu, Vater. Wo warste denn noch, erzähl doch! Warste beim Schloß?“

„Ich hab nach Pferden rumgefragt. Wir müssen doch neue Pferde haben. Aber Erich …“

„Kriegen wir neue Pferde? Au fein, Vater!“

„Jetzt gibt’s doch keine Pferde in Berlin! Aber es kommen frische. Da kriegen wir welche!“

„Pyramidal! Du, Vater …“

„Ja? Was ist denn?“

„Wülste dich hier nich ein bißchen aufs Bett legen? Da störste Mutter nich, Mutter schläft schon lange.“

„Das stört Mutter nicht, wenn ich komme. Das hört Mutter gar nicht. Ich werde mich doch nicht auf Erichs Bett legen. Wo ist Erich überhaupt?“

„Erst hat er Muttern geholfen, die Droschken kassieren. Warte, Vater, ich helf dir die Schuhe ausziehen. Dann können wir hier noch ein bißchen quatschen. Im Bett quatscht sich das fein!“

„Ich leg mich doch nicht auf Erichs Bett!“

„Ottos Bett ist ja auch frei, Vater, und Ottos Bett ist bequemer als Erichs Bett. – Wart, Vater, ich hänge deine Jacke hier hin – wir brauchen gar kein Licht zu machen. Das soll keiner merken …“

„Was soll keiner merken?“

„Der Hoffmann sagt, morgen wollen se aber nich offene Taxe fahren, morgen wollen se mit Gepäckdroschke los. Da liegt ein großes Geschäft, meint Hoffmann.“

„So ein Stuß!“ brummelt der alte Hackendahl. „Gepäckdroschke! Wer soll denn jetzt verreisen?“

„Aber sie kommen doch alle zurück, Vater, aus der Sommerfrische! Die reißen dort jetzt alle aus und wollen schnell nach Haus, weil keiner an den Krieg geglaubt hat. Zu Hunderten sind sie an den Bahnhöfen mit ihren Koffern – und kein Fuhrwerk zu kriegen! Hoffmann sagt …“

„Ach, Hoffmann …!“ Hackendahl zieht die Decke über sich. „Das muß ich mir erst überlegen, Gepäckdroschke, und dann die abgetriebenen Gäule!“

„Du, Vater!“

„Was denn noch?“

„Das war wohl schwer mit den ollen Pferdehändlern?“

„Wieso schwer? Alles Geschäft ist schwer. Aber sie hatten gar keine Pferde.“

„Nee, ich meine auch bloß – so mit dem Trinken. Du hältst dich großartig, Vater, aber gut ist doch, daß Mutter nichts merkt.“

„Nicht was merkt?“

„Na, ein bißchen hast du doch geladen, Vater!“

„Ich! Nee! Gar nichts. Das kommt dir bloß im Dunkeln so vor. Ich war eben noch im Stall.“

„Und in welchem Bett liegst du jetzt, Vater?“ kichert Heinz.

„In welchem Bett? Dämlicher Bengel! Als wenn ich das nicht wüßte!“

„Sag doch! In Ottos oder in Erichs Bett?“

„Bubi! Otto ist doch im Kriege, das hast du doch eben selber gesagt!“

„Na – und?“

„Dann liege ich also in Erichs Bett!“

Bubi schüttelt sich vor Lachen, er kriecht ganz in seine Kissen hinein. Aber des Vaters Stimme erreicht ihn doch: „Bubi!“

„Was denn, Vater?“

„Ich hab bei den Mädels noch nicht nachgesehen. Hilf mir mal raus aus dem Bett. Ich muß erst bei den Mädels nachsehen, ob sie zu Hause sind.“

„Die Mädels, Vater?“

Gereizt, ungeduldig: „Ja, hilf mir aus dem Bett. Mir ist ein bißchen schwindlig.“

„Aber die Sophie wohnt doch im Krankenhaus, Vater. Doch schon lange!“

„Ja, ist das eine Sache? Im Krankenhaus, ich will das aber nicht haben! Fünf Kinder hat man – und keines ist da!“

„Ich bin doch da, Vater!“

„Und wo ist Eva?“

„Eva ist schon vor einer ganzen Weile ins Bett gegangen, Vater.“

„Ich will nachsehen!“

„Laß mich nachsehen, Vater – du weckst sie ja bloß. Nachher erzählt sie es noch Muttern …“

Bubi schlüpft aus dem Bett und geht ins Nebenzimmer. Der Vater hockt halb in seinen Kissen.

Ich hätte selber gehen sollen, denkt er. Auf Bubi ist auch kein Verlaß.

Dann kommt Bubi zurück.

„Eva schläft, Vater.“

„Ist das auch bestimmt wahr?“

„Eva schläft ganz bestimmt. Sie schläft auf der Seite, sie schnarcht.“

„Na, denn is gut. Denn wollen wir auch schlafen. Gute Nacht, Bubi.“

„Gute Nacht, Vater! Schlaf auch schön.“

Der eiserne Gustav

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