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Zum erstenmal seit langen Wochen hatte die Familie Hackendahl wieder einmal vollzählig um den Abendbrottisch gesessen, und der alte Vater hatte so wenig eisern in die Runde geschaut, wie es ihm nur möglich war. Alles war wirklich vergeben und vergessen, keinerlei unangenehme Fragen waren gestellt worden. Was der Friede veruneinigt hatte, der nahende Krieg hatte es zusammengeführt.

Sophie war auch heimgekommen, vom Krankenhaus war sie auf einen Sprung herübergelaufen, zu erfahren, welche Veränderungen der Krieg der Familie Hackendahl bringen würde.

„Also Otto rückt schon morgen früh ein“, berichtete Vater Hackendahl zufrieden, „und Erich werden sie wohl auch gleich dabehalten, wenn er sich freiwillig stellt. Und Sophie, du denkst also auch bald an die Front zu kommen, wenn du auch erst Lehrschwester bist?“

„Und ich“, rief Bubi. „Du sagst nein, Vater, aber ich sage, sie nehmen mich doch. Jetzt wird jeder Mann gebraucht.“

Alle lachten, und Hackendahl meinte: „Es wäre schlimm um uns bestellt, wenn wir schon Kinder wie dich brauchten! Das haben wir Gott sei Dank noch nicht nötig. – Aber, hört mal, denkt ihr denn gar nicht an mich?!“

„An dich, Vater? Wieso?“

„Na, ich werde mich doch natürlich auch freiwillig melden.“

„Aber, Vater, du bist doch ein alter Mann!“

„Ich alt? Ich bin erst sechsundfünfzig! Was ihr könnt, kann ich noch allemal!“

„Aber dein Geschäft, Vater – die Droschken!“

„Was geht mich das Geschäft an? Jetzt geht das Vaterland vor. Nein, Kinder, das ist ausgemacht, ich gehe mit.“

„Immer hat Vater gesagt“, jammerte die Mutter, „er kann sich nicht einen Tag freinehmen, das Geschäft geht nicht ohne ihn. Und jetzt plötzlich kann er ganz einfach in den Krieg!“

„Wirst du dich eben um das Geschäft kümmern, Mutter!“ Wieder lachten sie.

„Ich meine das im Ernst. Wer, denkt ihr denn, soll jetzt all die Arbeit von den Männern machen, die ins Feld ziehen? Doch nur ihr Frauen! Das wird schon gehen, Mutter. Eva hilft dir. – Was ist mit dir, Eva, du sitzt so blaß da und redest keinen Ton …?“

„Ach, nichts, Vater. Es ist wohl nur die Hitze und das Gedränge beim Schloß gewesen …“

„Vater“, fing Heinz wieder an. „Ob ich wohl noch mitkomme? Wie lange, denkst du denn, kann der Krieg dauern …?“

Wieder lachte der Vater. „Du Grünschnabel! Sechs Wochen, höchstens bis Weihnachten – dann bist du immer noch dreizehn! Nein, Weihnachten feiern wir schon wieder zu Hause. Bei den modernen Kampfmitteln …“

So ging die Unterhaltung. Aber Vater Hackendahl merkte gar nicht, daß es eigentlich nur er war, der sprach, daß die anderen alle recht seltsam schwiegen.

Mit gesenktem Kopf saß Erich am Tisch, jawohl, nun war er wieder zu Hause, es war alles vergeben und vergessen. Das Geld war zurückgezahlt worden, morgen würde er zum Direktor gehen und sich wegen Zeugnis und Abschlußprüfung erkundigen – und dann zu den Soldaten! Wie eh und je saß er in der Familie, sie trugen ihm nichts nach – aber schon jetzt, nach einer kurzen Stunde, lag es wie ein Druck auf ihm, es würgte ihn im Halse. Diese altgewohnten, diese bis zum Überdruß gesehenen Gesichter, das ewige Jammern der Mutter, die Art, wie der Vater das Messer benutzte, der ständige Pferdestallgeruch um Otto – ach, es war eine Kette, die sich an sein Bein legte!

Als er beim Anwalt gewesen war, hatte er einfach nicht verstehen können, daß er, Erich, ein gemeiner Hausdieb gewesen war, feige Geld gestohlen hatte, um damit zu Alkohol und Weibern zu laufen … Nun saß er wieder hier, und schon verstand er es. Man tat hier ja alles, nur um aus dieser Umgebung herauszukommen, aus diesem Mief und Muff jämmerlichster Kleinbürgerlichkeit! War das derselbe Krieg, von dem Vater jetzt so platt und dumm daherredete („Wir werden sie schon dreschen, die Rothosen!“), und der Krieg, von dem er zum Anwalt gesprochen hatte? Nein, es war ein ganz anderer Krieg! Dies hier, dies Heim, diese Menschen waren nicht zu verteidigen, so etwas mußte man einreißen, das war nicht Deutschland!

Eva, die Stumme, die Blasse, Eva aber, die sonst immer mit dem Munde vorweg war, saß vor ihrem Teller, sie stocherte mit der Gabel, das Essen quoll ihr im Munde. Von ferne hörte sie die anderen reden. Das war so weit weg, aber sie mußte um neun Uhr an der Ecke von der Großen und der Kleinen Frankfurter Straße sein – und der Vater erlaubte nie, daß sie nach dem Abendessen noch fortging.

Aber, wenn sie an eine Ausrede denken wollte, verwischte sich gleich alles. Sie konnte ihre Gedanken nicht festhalten. Das bräunliche Gesicht mit dem kleinen schwarzen Schnurrbart und den bösen schwarzen Augen schob sich dazwischen. – „Du Nutte!“ hatte er gesagt. Keiner hatte je so zu ihr gesprochen, aber wenn es einer getan hätte, sie hätte ihn bloß ausgelacht. Wenn sie es auch mit den Männern nicht so genau nahm, das hatte sie noch nie getan, und so war sie auch keine Nutte. Er aber nahm sie von Anfang an so, und in seinen Händen würde sie immer so sein, er würde sie dazu machen …

Unausweichlich, unentrinnbar stieg ihr Schicksal vor ihr auf. Flüchtig muß sie daran denken, daß ihr Erich kurz vor dem Abendessen „ihr Geld“ wiedergegeben hat, mit einer verlegen gemurmelten Entschuldigung – sie muß daran denken, wie groß sie jetzt dastände, fast fünfhundert Mark und so viel kostbaren Schmuck … Aber an der Ecke der Kleinen und Großen Frankfurter Straße flackert die Gaslaterne im Sommerabend, Eugen – Eugen! – pfeift, und sie kommt. Eugen sagt: Lad ab!, und sie lädt ab. Eugen befiehlt: Leg dich hin!, und sie legt sich hin!

Aber das dritte Kind? Aber der Otto? Er ist der einzige von den sieben Personen, die um den Abendbrottisch sitzen, der sein Schicksal für die nächsten Tage genau kennt, in diesen Tagen, da alles allen so ungewiß ist. Er stellt sich morgen, er wird eingekleidet, verladen …

Er steigt die Treppe hinauf, er drückt zweimal auf den Klingelknopf – und dann? Und dann?!

Der Gustäving, der Junge, der wird dann schon schlafen, aber nur um so schlimmer! Allein, ohne Ablenkung, werden sie einander gegenüberstehen, und sie wird fragen: Und dein Versprechen? Die Papiere? Die Trauung? Gustäving …?

Sein Hirn arbeitet langsam, es überlegt, daß die Papiere wohlgeordnet in des Vaters Schreibtisch liegen, für jedes Kind gibt es eine Mappe. Morgen früh, direkt, ehe er in die Kaserne geht, wird Vater den Schreibtisch aufschließen und ihm geben, was er haben muß: den Militärpaß also, den Geburtsschein, den Taufschein … Ja, braucht er die denn …?

Und sein Kopf verliert den Weg über dieser Frage: Was braucht er für Papiere? Was braucht er für Papiere für das Militär, und was für Papiere für den Pastor? Aber er hat ja gar keine Zeit für den Pastor, direkt, wenn er die Papiere hat, muß er in die Kaserne. Ein Pastor aber braucht viel Zeit, Traukutsche und Orgel, Rede und Hochzeitszeugen – und sie haben ja noch nicht einmal Ringe!

Hilflos sieht er hoch. Er schaut in die Gesichter von Geschwistern und Eltern, er bewegt die Lippen, fast erlöst denkt er bei sich: Das werde ich ihr sagen: Wir haben ja noch keine Ringe! Und wer keine Ringe hat, den kann man doch auch nicht trauen, das verstehst du doch, Tutti?

„Was redest du denn, Otto?!“ ruft Bubi übermütig. „Ich glaube, der redt mit dem Mann im Mond!“

Alle lachen, und der Vater sagt: „Der Otto ist schon gar nicht mehr bei uns. Der sagt sich schon die Felddienstordnung her. Oder die Kriegsartikel. Nicht wahr, Otto?“

Otto murmelt etwas, und die anderen vergessen ihn gleich wieder, wie sie ihn immer gleich vergessen. Nein, denkt er, es ist unmöglich, den Vater schon heute abend um die Papiere zu bitten, und wenn es möglich wäre, so hätte es keinen Zweck, denn nachts wird man nicht getraut, und morgen früh ist keine Zeit mehr …

Der alte Vater Hackendahl, der eiserne Gustav, sitzt so recht behaglich am Abendbrottisch der wiedervereinten Familie und fühlt: Es ist alles noch wieder gut geworden, alle sind wieder heimgekehrt, wie es sich gehört.

Aber er irrt sich, er fühlt sich nur darum so behaglich, weil er nichts weiß von seinen Kindern. Alle denken sie fort, alle empfinden den Familienzwang lästig, allen brennt der Boden unter den Füßen. Aber Hackendahl merkt nichts von alledem, und er ist darum baß erstaunt, als sich seine Familie sofort nach dem Mahlzeit-Sagen zerstreuen will.

„Aber, Kinder!“ ruft er vorwurfsvoll. „Ich denke, wir sitzen alle noch ein bißchen gemütlich zusammen. Bubi holt eine Kanne Bier und ein paar Zigarren, und wir quatschen noch ein bißchen! So jung kommen wir doch nicht wieder zusammen!“

Sophie aber muß sofort ins Krankenhaus und Otto zum Rappen mit der Nasenblesse, der ein heißes Bein hat und gekühlt werden muß. Erich aber will unbedingt noch zum Schloß, ob es Neues gibt, und Eva möchte ihn ein Stück begleiten – sie denkt, ihre Kopfschmerzen gehen in der Abendluft fort.

So bleibt nur Bubi – und der muß natürlich ins Bett. Da er aber heftig protestiert, so gibt dies willkommenen Anlaß zu einem gewaltigen militärischen Befehlsaufwand. Bubi wird nach allen Regeln der Kunst „gestaucht“, und als das vorüber ist, als Bubi heulend im Bette liegt, entdeckt Hackendahl, daß seine anderen Kinder indessen verschwunden sind.

Nur die Mutter sitzt behaglich im Korbsessel am Fenster, sieht in den sinkenden Abend und jammert zufrieden: „Das war mal wieder ein schönes Abendessen, Vater. Aber der gekochte Schinken hatte einen kleinen Stich von der Hitze – hast du das gemerkt, Vater? Und zu fett war er auch. Ich sage Eva immer, sie soll gekochten Schinken bei Hoffmann holen, aber sie hört ja nicht.“

Vater Hackendahl geht in den Stall, wird er wenigstens mit Otto noch ein bißchen schwatzen können!

Der eiserne Gustav

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