Читать книгу Primula Veris - Hans-Georg Lanzendorfer - Страница 4
Kapitel 2
Оглавление„Guten Morgen beisammen. Haben wir schon einen Bericht von der Pathologie im Fall Kartause Ittingen?“ Alexander warf die Tageszeitung auf den Schreibtisch.
„Guten Morgen, Alexander, guten Morgen, Marina. Ja, das haben wir. Vor allem aber konsternierte Forensiker“, feixte der Polizeikommandant Rolf Ramseier verschmitzt und blätterte in den Akten.
„Was meinst du damit, Rolf? Ich verstehe ehrlich gesagt kein Wort“, reagierte Alexander mit Unverständnis.
„Lies mal den ersten Bericht!“ Marina reichte ihm lächelnd die Akte und setzte sich an ihren Arbeitsplatz. Ein kleiner brauner Teddybär stand direkt unter ihrem Bildschirm. Er hatte eine riesige Pfauenfeder in seinem Arm und ein kleines Glöckchen um den Hals gebunden. Sein Name war Benny und ein Geschenk ihres kleinen Neffen Luca. Daneben stand eine Ansichtskarte mit einem gestreiften Frischling. Eine aufgeklebte Geburtstagstorte – alles Liebe zu Deinem Geburtstag - war in einer kindlichen Handschrift vermerkt. Liebe Grüße von ihrer Nichte. Drei hellblaue Glaskugeln, ein polierter Kristall und drei Muscheln aus der Nordsee vollendeten das Bild. Das Betrachten dieser Dinge war Marina zu einem allmorgendlichen Zeremoniell geworden. Genauso lange wie der Rechner benötigte, um hochzufahren. Gegenstände von sentimentalem Wert, die ihr wichtig waren. Noch immer las Alexander schweigend in den Unterlagen. Gefesselt blätterte er in den Seiten, dann ging er langsam zu seinem Schreibtisch.
„Na und ...?“, Marina setzte sich neben ihn auf sein Pult, reichte ihm eine Tasse Kaffee, schlürfte genüsslich an ihrem warmen Getränk und wartete ungeduldig auf seinen Kommentar.
„Das ist wirklich unglaublich“, staunte Alexander und griff nach der Tasse.
„500 Jahre! Kein Wunder, dass die Kollegen der Forensik ein bisschen konsterniert sind“, sagte er schmunzelnd.
„Vorausgesetzt, die Untersuchungen der Pathologie stimmen.“
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Ergebnisse nicht korrekt sind. Das können die sich einfach nicht erlauben – stellt euch das mal vor“, opponierte Marina.
„Abgesehen davon, wurde das Gewebe auch nach Zürich an das Institut für Rechtsmedizin weitergegeben. Steht zumindest hier“, warf Alexander ein.
„In diesem dubiosen Fall ist eine Zweitmeinung sicher nicht schlecht“, ergänzte der Kollege Hürzeler.
„Hat es das überhaupt schon mal gegeben, dass sich die Pathologie mit einer Analyse irrte?“
„Meines Wissens nicht, Alexander.
„Zumindest sind sie sich darüber einig, dass der Säugling nicht vorsätzlich getötet wurde.“
„Dann hatte Kappeler also recht mit seiner Diagnose. Diphtherie als Todesursache!“, ergänzte Marina. „Ehrlich gesagt, beruhigt mich der Gedanke, dass die Mutter ihr Kind nicht ermordet hat.“ Marina fühlte eine gewisse Entspannung und las den kurzen Abschnitt zur Todesursache vor:
„Die Hautdiphtherie entsteht durch Übertragung des Diphtheriebazillus auf intertriginöse, ekzematöse oder aus irgendwelchen Gründen der Epidermis beraubten Haut. Entweder erscheinen die wunden Stellen mit einem zarten, schleierartigen Häutchen überzogen, oder es bilden sich oberflächliche, unregelmäßig begrenzte Geschwüre, die konfluieren können. Der Geschwürgrund ist mit einem typischen membranösen, grauen oder grauweißen Belag bedeckt, der fest haftet. Die Umgebung ist häufig ödematös und entzündlich infiltriert, der Rand mitunter leicht unterminiert. Manche Fälle können gangrän- oder selbst nomaähnlich aussehen. In den Membranen ist der Diphtheriebazillus stets nachzuweisen. Im vorliegenden Fall sind Komplikationen nachzuweisen durch die Stärke der Gifteinwirkung. Es sind klare Zeichen eines Übergreifens der Erkrankung auf andere Organe vorhanden. Der Befall von Leber und Nieren liegt vor. Ebenso eine Herzmuskelentzündung. Teilweise ist auch der Befall von Nerven erkennbar, die dann entsprechende Lähmungen an den verschiedenen Muskeln hervorgerufen haben.“
„Der Gassmann von der Pathologie schreibt, dass in der Schweiz der letzte Fall von Rachen-Diphtherie im Jahr 1983 aufgetreten sei. Das ist rund 30 Jahre her“, wandte der Kollege Hürzeler ein.
„Okay, das habe ich ja bisher verstanden. Das ist aber nicht das Problem. Wir haben ein 500 Jahre altes Gewebe, in dem das Kind eingewickelt war. Zumindest schreiben das die Forensiker“, suchte Kommandant Ramseier nach einer Antwort.
„Was machen wir mit einem solchen Befund, Leute? Wir sind Kriminologen - keine Archäologen“, kritisierte Hürzeler.
„Die werden wohl ihren Hochfeldtomographen etwas kalibrieren müssen“, scherzte Sutter.
„Halten wir uns doch an die Fakten“, bat Alexander die Anwesenden um Aufmerksamkeit.
„Wer kam eigentlich auf die Idee der C14-Bestimmung – und warum?“, warf Hürzeler plötzlich in die Runde. Schweigend blickten sich die Kriminalbeamten an.
„Gute Frage. Wer hat das eigentlich veranlasst?“
„Das war ich“, meldete sich Kommandant Ramseier überraschend zu Wort.
"Ehrlich gesagt, hat mich ein Gespräch mit Sibylle Fahrner, unserer Sekretärin, auf diese Spur gebracht. Ihre Cousine und Archäologin Regula Breitschmied hat den eigentlichen Anlass dazu gegeben“, erklärte er weiter.
„Ist das nicht etwas unkonventionell, gleich eine C14-Untersuchung einzuleiten, Chef? Irgendwie haben wir es doch einfach nur mit einer verwirrten Psychopatin zu tun. Mittelalteranlässe sind in unserer Zeit modern. Daskannst du alles im Internet bestellen.“
„Ehrlich gesagt, habe ich mir das am Anfang auch gedacht. Die Archäologin hat mich aber extra in meinem Büro aufgesucht und auf ein paar höchst interessante Details in dem Gewebe hingewiesen.“
„Woher wusste die Breitschmied überhaupt von dem Gewebe?“
„Das habe ich mich auch gefragt. Davon ist ja nichts in der Öffentlichkeit publiziert worden. Offensichtlich hat sie aber mehrere Studienkollegen in unserer Pathologie. Das Ergebnis hat mich aber, ehrlich gesagt, überrascht.“ Ramseier erhob sich.
„Ist eigentlich auch die Kleidung der Mutter dahingehend untersucht worden?“, interessierte sich Alexander.
„Meines Wissens nicht“, mischte sich Marina in die Ratlosigkeit.
„Das müsste doch eigentlich nachgeholt werden. Auf dieses Ergebnis wäre ich äußerst gespannt“, fügte Alexander an.
„Kannst du das in die Wege leiten, Marina?“, bat Ramseier.
„Klar Rolf. Ich werde gleich einen Kollegen von der Spurensicherung nach Münsterlingen schicken. Die sollen die Kleider ins Labor bringen.“
„Also dann, alle an die Arbeit – danke. Alexander und Marina, ihr bleibt dran, okay!“ Ramseier schickte seine Leute los.