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Kapitel 6

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Das Klappern des Schlüssels im Schloss der Tür drang in der Stille des Raumes wie das Rasseln schwerer Ketten zu Vera herüber. Der Lichtschein unter der Tür wurde ständig durch schlurfende Bewegungen der dahinter befindlichen Person unterbrochen.

Die Angst kroch in Vera von den Zehenspitzen bis zur Stirn empor und ihre Augenlider begannen vor Erregung zu flattern. Wer immer auch dort draußen stand, er führte nichts Gutes im Schilde. Das hier war kein Krankenhaus und weder ein Arzt noch Bedienstete einer Klinik verschafften sich dort auf solche Art und Weise Zugang zu irgendwelchen Räumlichkeiten.

Die Gedanken begannen erneut durch ihren Kopf zu schießen. Wie komme ich hierher? Was ist meine letzte Erinnerung? Vera presste die Augen zusammen und versuchte in ihren Gehirnwindungen die Gedanken in ein geordnetes System zu bringen.

Langsam hellte sich ihr gedanklicher Horizont etwas auf. Das Theater! Dort war sie gewesen, das fiel ihr jetzt wieder ein. Aber wann war das? Gestern? Vorgestern? Oder heute? Wie lange lag sie schon so hier, auf dieser eiskalten Ablage? Sie erinnerte sich an eine Gesangsprobe. Ja, sie sang in einem Chor des Stadttheaters Trier. Sie war Mitglied des Projektchors.

Gott sei Dank, die Erinnerungen kamen wieder. Sie hatte am Abend ihre Wohnung verlassen, um sich zur Gesangsprobe ins Stadttheater zu begeben.

Das Gesicht ihres Ehemannes tauchte vor ihr auf. Frederik!

Frederik Brunner war Arzt, Chirurg in der städtischen Klinik. Sie hieß Vera Brunner. Warum sie sich ihren Namen in Gedanken bestätigte, das wusste sie selbst nicht. Es gehörte zur Findung der Situation dazu wie die Frage nach den Ereignissen der letzten Tage.

Aber was war geschehen? Sie versuchte, die Strecke, die sie zur Probe genommen hatte, wieder aufleben zu lassen. Von ihrer Wohnung bis zum Stadttheater waren es nur einige hundert Meter. Sie nahm diesen Weg stets zu Fuß und verband dies mit einer Bewegungseinheit, wie sie es nannte. Doch genauere Erinnerungen blieben ihr in den nachforschenden Gedanken fremd. Irgendetwas war geschehen auf dem Weg dorthin, jedoch fiel ihr jetzt absolut nichts mehr dazu ein.

Sie leckte sich mit der Zunge über die Lippen. Sie verspürte Durst. Im gleichen Moment begann ihr Magen zu knurren. Wann hatte sie zuletzt gegessen und getrunken? Sie wusste es nicht.

An der Tür wurden die Schlüsselgeräusche lauter.

Dann, plötzlich, ein schnappendes Geräusch. Die Verriegelung hatte nachgegeben. Langsam öffnete sich die Tür und gleißendes Licht blendete ihre Augen, die sich, wie durch einen geheimen Mechanismus, schlossen.

Krampfhaft öffnete Vera die Augen wieder. Das gleißende Licht war schwächer geworden. Die Ursache dafür stand in Form einer menschlichen Gestalt als Silhouette mitten im Türrahmen. Veras Augen weiteten sich, denn die Gestalt setzte sich langsam in Bewegung und kam auf sie zu. Die Aura des Lichts hinter der Person nahm an Helligkeit und Größe ab. Vera riss den Mund auf und setzte zu einem Schrei an. Jäh wurde sie daran erinnert, dass irgendetwas mit ihrer Kehle geschehen war. Der Schmerz jagte wieder einmal vom Hals ausgehend durch ihren Körper.

Die Gestalt hatte sich ihr nun so weit genähert, dass sie mehr als nur die Konturen erkennen konnte. Sie trug einen Kittel. Einen dunklen Kittel, keinen weißen, das konnte Vera erkennen.

Das ist kein Arzt, dachte sie. Als sie ihren Kopf anhob, um in das Gesicht der Gestalt zu sehen, blickte sie in ein dunkles Loch in der Öffnung einer Kapuze. Das Licht im Hintergrund und die Dunkelheit des Raumes verhinderten auch nur annähernd die Identifizierung dessen, was hinter der dunklen Öffnung lag.

Die Gestalt blieb am Fußende stehen und beugte sich leicht nach vorne. Vera wollte sich nach hinten wegbewegen, doch die Fesseln an den Füßen machten jede Bewegung in diese Richtung unmöglich.

„Ich sehe dich sprachlos“, flüsterte die Gestalt und beugte sich ein kleines Stück weiter nach vorne. Ein leises Lachen begleitete die zynische Bemerkung und Vera konnte immer noch nicht erkennen, ob es sich bei der Gestalt um einen Mann oder eine Frau handelte. „Glaub mir, es tut dir selbst gut, wenn deine Stimme nun zur Ruhe kommt.“

Der Atem der Person begann schneller zu werden. „Hast du mit dieser Stimme deine Kinder eingeschüchtert, deinen Mann angeschrien? Wer alles würde es mit Genugtuung sehen, dass deine Anstrengungen, auch nur ein Wort herauszubekommen, kläglich scheitern? Du wirst niemanden mehr anschreien, niemanden mehr beschimpfen.“

Die Stimme wurde lauter, erhob sich zu einem heiseren Krächzen.

„Ich besitze deine Stimme, mir gehört dein Schrei, dieser Ausdruck deiner Wut.“

Die Gestalt richtete sich langsam auf und bewegte sich rückwärts auf die Tür zu. Der helle Hintergrund vergrößerte sich erneut Stück für Stück.

Die Stimme war wieder zu einem Flüstern hinab gesunken. Vera sah das Gesicht der Gestalt im Gegenlicht immer noch nicht. Dennoch hatte sie das Gefühl, dass die unsichtbaren Augen die ihren wie eine Feuerlanze durchbohrten. Sie riss an den Fußfesseln, versuchte erneut zu schreien. Und wieder durchflutete ihre Kehle ein brennender Schmerz. Doch sie hörte unter der Kapuze nur ein mitleidiges Lachen.

„Bemühe dich nicht“, raunte die Stimme. „Deine Worte sind für immer von dir gegangen.“

Lautlos

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