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Kapitel 3
Оглавление„So eine verdammte Sauerei!“
Ich hatte gehofft, es vom Dienstwagen aus in die Vorhalle der Dienststelle zu schaffen, bevor der Himmel seine Schleusen öffnete. Doch dieser machte mir einen Strich durch die Rechnung und leerte eine gefühlte Wolke voll kaltem Regenwasser direkt über mir aus, als schien er mir klarmachen zu wollen, dass sich der Sommer nun endgültig verabschiedete.
Der Oktober hatte seine letzten Tage erreicht und der Winter würde nicht mehr lange auf sich warten lassen. Gefühlt stand er bereits vor der Tür und wartete nur darauf, hereingelassen zu werden.
Mit einigen schnellen Schritten rettete ich mich unter das Vordach des Eingangsportals, wo ich meinen klitschnassen Hut mehrfach auf den Trenchcoat über meinem rechten Bein schlug. Das Regenwasser spritzte gegen die Eingangstür des Trierer Polizeipräsidiums, die sich beim meinem Nähern automatisch langsam öffnete. Wie lange dieser Bau uns noch für die dienstlichen Belange zur Verfügung stehen würde, stand in den Sternen. Man hatte Schadstoffe in den Wänden oder wo auch immer vorgefunden und als die ersten Kollegen Anzeichen von Unverträglichkeiten feststellten, hatte man mit entsprechenden Untersuchungen begonnen. Nun warteten wir gemeinsam auf die Ergebnisse und hinter verschlossenen Türen munkelte man schon über einen neuen Dienststellen-Standort.
Ich setzte den Hut wieder auf, öffnete meinen Mantel, zog ihn aus und legte ihn über meinen linken Unterarm.
„Morgen, Julian!“, tönte es mir entgegen. Hinter der kugelsicheren Glasscheibe des Eingangsbereichs winkte mir Walter Ebers kurz zu, in der rechten Hand einen Telefonhörer, offensichtlich mitten in einem Gespräch.
Evers war ein ehemaliger Kriminalbeamter, jenseits der fünfundsechzig, mit gedrungener Figur, glatzköpfig, jederzeit für einen Scherz zu haben. Zahlreiche Operationen an diversen Gelenken seines Körpers hatten einen weiteren Verbleib in der Ermittlungsbehörde unmöglich gemacht. Man schickte ihn in Pension, doch irgendwie konnte er sich nicht trennen. Er bewarb sich auf den Dienst an der Pforte und seit einem halben Jahr verbrachte er nun dort sitzend, auf 400-Euro-Basis, einen Teil seiner Pensionärs-Zeit.
Ich winkte zurück und mein Ärger über das Regenwetter verflüchtigte sich langsam. Ich vernahm das Summen des Öffners der Zwischentür, die gemeinsam mit dem Haupteingang eine Schleuse bildete und nickte Ebers, der sich wieder seinem Telefonat widmete, kurz zu. Dann ging ich zum Aufzug, drückte auf die Vier und fuhr schließlich in die Etage der Mordkommission.
Mein Name ist Julian Thalbach, Kriminalhauptkommissar. Ich bin 56 Jahre alt und leite diese Dienststelle nun schon seit über zwanzig Jahren. Im Großen und Ganzen ist die Stadt in kriminalistischer Hinsicht eher ein ruhiges Fleckchen Erde, vergleicht man sie mit Großstädten wie Hamburg, München oder Frankfurt. Dennoch kann es vorkommen, dass wie aus heiterem Himmel das große Verbrechen seinen Weg auch zu uns findet. Dann ist zumindest für den Zeitraum von der Tat bis zum Ermittlungsergebnis kein wesentlicher Unterschied zu den eben genannten Städten erkennbar.
Die Arbeit und ihre Konzepte sind überall gleich, aber vielleicht haben wir hier den Vorteil, dass wir uns mit einem bereitgestellten Team auf diese Straftat konzentrieren können, während die Großstädte ihre Beamten dann weiterhin in vielfacher Hinsicht beanspruchen müssen.
Was mein Privatleben angeht … was soll ich sagen? Martha, meine erste Frau, starb vor fünfundzwanzig Jahren. Knochenkrebs. Es gab keine Hilfe für sie. Die Metastasen waren überall. Ich brauchte lange, um diesen Schmerz zu verkraften.
Seit fünf Jahren bin ich wieder mit einer Frau liiert. Getrennte Wohnungen, versteht sich. Ich möchte es so. Meine Martha ist immer noch gegenwärtig und ich möchte sie zumindest in meinen vier Wänden mit niemandem teilen.
Antoinette Mouton hat einen französischen Vater und eine deutsche Mutter. Ich nenne sie Nette. Der doppelte Sinn der Abkürzung ihres Namens hat es mir angetan. Nette ist in Deutschland aufgewachsen und spricht beide Sprachen. Akzentfrei. Sie ist ein gutes Stück jünger als ich und ich fühlte mich geschmeichelt, als sie mir sagte, dass sie einen Teil ihres Lebens mit mir verbringen möchte. Sie ist eine starke Frau, die auch mich in meinen schwächsten Lebensmomenten stark macht.
Ich wusste nicht, warum ich gerade jetzt an sie dachte, aber ehrlich gesagt ertappte ich mich tagsüber des Öfteren bei Gedanken an sie. Vielleicht, weil ich sie brauchte, vielleicht, weil sich im Innersten meines Herzens die Angst eingenistet hatte, dass sie mich eines Tages verlassen könnte.
Ich verdrängte all diese Gedanken und merkte, wie es kühl an meinem linken Unterarm wurde. Der kurze Regenguss hatte meinen Mantel durchweicht und ich spürte die Feuchtigkeit, die sich durch den Ärmel meines Sakkos auf meinem linken Unterarm breit machte. Ich fasste den Mantel mit meiner rechten Hand, wie man einen Hund am Genick packt, und hielt ihn vom Körper weg. Sollte er doch zerknittern. Es war mir völlig egal. Der nächste Regenguss würde ihn wieder in seine nasse, schlappe Form bringen.
Ich schaute auf meine Armbanduhr. Montag, 12:15 Uhr. Na klar, es war Mittagszeit. Die meisten meiner Kollegen und Schreibkräfte saßen oben in der Kantine oder machten einen kleinen Stadtbummel. Immerhin gab es ja den Dauerdienst, der sich während dieser Zeit verstärkt um die dienstlichen Belange kümmerte.
Mich beschäftigten wichtigere Dinge. Ein Raubüberfall vor drei Tagen bei einem Juwelier in der Innenstadt konnte bislang nicht aufgeklärt werden, obwohl eine gute Personenbeschreibung durch den Ladeninhaber vorlag. Auch meine Ermittlungen innerhalb der vergangenen Stunden hatten nicht dazu beigetragen, auch nur einen Schritt voranzukommen.
Ich schritt den Gang entlang und öffnete die Tür zum Großraumbüro, von dem aus ich mit meinem Team agierte. Büro 432. Verwundert blieb ich in der Tür stehen und schaute auf meinen Mitarbeiter, der sich mit der Tastatur seines Computers beschäftigte.
„Was ist?“ Ich war verwundert über seine Anwesenheit im Büro. „Keine Mittagspause, Laufenberg?“
Ich warf meinen Trenchcoat über die Lehne eines Stuhles in der Besucherecke und näherte mich meinem Mitarbeiter. Oberkommissar Alexander Laufenberg war schlank und hochaufgewachsen, dennoch war seine Figur kraftvoll und dynamisch. Er war etwa halb so alt wie ich, gerade einmal 27 Jahre alt, vor wenigen Wochen erst zum Kriminal-Oberkommissar befördert worden und bildete mit mir und einer weiteren Kollegin ein verhältnismäßig gutes Team. Mit Laufenberg zusammenzuarbeiten war eine gute Sache. Ich konnte mich in jeder Situation auf ihn verlassen und hatte auch das Gefühl, dass er nicht unbedingt in ein anderes Kommissariat wechseln wollte.
„Moin, Chef“, grinste Laufenberg, stieß sich mit den Füßen vom Schreibtisch ab und rollte mit dem Bürostuhl ein Stück zurück. Er fuhr sich mit der Hand durch die gelockten dunkelbraunen Haare und ordnete sie, als seien sie während der Arbeit am PC in Unordnung geraten.
„Ich habe schon was gegessen“, bemerkte er und kam gleich zur Sache. „Die Beschreibungen des Täters durch den Juwelier könnten doch besser kaum sein. Ich versuche schon den ganzen Morgen, die Person zu identifizieren. Negativ. Alles negativ. Auch die Recherchen beim Bundeskriminalamt und beim LKA.“
„Ein Ersttäter also“, brummte ich. „Wir sollten mit unseren Ermittlungen vielleicht nicht in die Ferne schweifen …“
„… wenn der Täter möglicherweise hier in Trier oder Umgebung zu suchen ist“, ergänzte Laufenberg grinsend.
„Genau. Ist die Pressemeldung eigentlich schon in der Tageszeitung erschienen?“
Laufenberg schüttelte den Kopf. „Das Wochenende, Chef. Wird vermutlich morgen erscheinen.“
„Warum erst morgen?“ Ich spürte, wie sich meine Stirn in Falten legte. „Heute ist der erste Tag der Woche, an dem dieses Blatt erscheint. Machen Sie den Leuten mal Druck. Morgen will ich den Artikel in der Zeitung sehen. Wo ist eigentlich Frau Esslinger?“
Kommissarin Simone Esslinger war die Dritte im Team. Mit ihren 23 Jahren war sie eigentlich zu jung, um in einer Mordkommission eingesetzt zu werden. Indes hatte sie mit ihren Bewerbungen nie locker gelassen und sich mit Intelligenz und flotten Sprüchen irgendwie dann trotzdem ihren Weg hierher geebnet.
„Simone ist zu Tisch, in der Kantine. Heute ist Geflügel-Tag. Sie wissen doch, unsere Kommissarin ist auf dem Weg zur Vegetarierin. Schweine- und Rindfleisch sind bereits passé.“
„Das kann ja heiter werden.“
Ich fühlte mich müde, ließ mich auf meinen Bürosessel fallen und stützte die Arme auf dem Schreibtisch ab.
„Irgendwann wird sie sich nur noch von Grünem ernähren und wir müssen dann ihre Launen ausbaden. Aber Sie werden sehen, Laufenberg“, ich hob vielsagend den Zeigefinger in die Höhe, „das geht vorüber. Die meisten, die mit diesem Vorsatz schwanger gingen, haben zu alten Gewohnheiten zurückgefunden. Frau Esslinger wird es ebenso ergehen.“
„Was wird mir wie ergehen?“
Ich schreckte auf, als ich Simones Stimme hörte und blickte in ihre Richtung. Sie lehnte mit leicht übereinandergeschlagenen Beinen schräg im Türrahmen und stützte sich dabei mit der gesamten Länge ihres rechten Unterarms ab. Mit ihrer linken Hand rieb sie vielsagend ihr Kinn und ihre grau-grünen Augen funkelten im Kontrast zu ihren blonden Haaren.
„Ich habe im Zusammenhang mit meiner Person das Wort ‚schwanger‘ verstanden. Darf man erfahren, was damit gemeint ist?“ Bei dieser Frage wiegte ihr Kopf drohend hin und her.
Meine Blicke huschten über die schlanke Gestalt meiner Kollegin, die sich heute in eine hellblaue Jeans gepresst hatte, über welche locker eine um die Taille verknotete, weiße Bluse hing. „Schwanger? Nein, das betraf Sie nicht.“
„Aha.“
Na ja, ich meinte nur …“
„Das Läuten des Telefons rettete mich aus meiner Erklärungsnot. Ich hob den Hörer auf und sah aus den Augenwinkeln das breite Grinsen im Gesicht Laufenbergs, während dieser seinen Blick in Richtung der weiblichen Erscheinung richtete. Doch sein Gesichtsausdruck änderte sich sofort, als er zu mir herüber sah.
„Wir kommen“, war meine knappe Antwort in den Hörer, bevor ich auflegte. „Wir müssen los“, sagte ich, erhob mich dabei und griff nach Mantel und Hut. „Die WaPo hat eine Wasserleiche aus der Mosel geborgen, an der Staustufe am Ende der Stadt. Offensichtlich eine Frau. Haben wir irgendwelche Vermisstenfälle?“
Ich wartete die Antwort nicht ab. „Frau Esslinger, Sie bleiben hier und klären das. Seien Sie für uns erreichbar, für alle Fälle.“