Читать книгу Gott - Offenbarung - Heilswege - Hans-Joachim Höhn - Страница 11
§ 2 Streitlust:
Theologie im Format des Plädoyers
ОглавлениеAuch wer sich in der Kunst der Bestreitung übt, ist dem Ideal der Ausgewogenheit verpflichtet und muss daher ausdrücklich Gegenstimmen zulassen und ihnen zu ihrem Recht verhelfen. Es geht hier nicht um Rechthaberei, denn wo eine Partei Recht hat, sollte ihr auch Recht gegeben werden – selbst wenn es die Gegenseite ist. Alles andere führt zu überflüssigem Theologengezänk. Darauf ist von Anfang an zu achten. Streit, ja – Streiterei, nein! Aber dennoch lebt die Kunst der Bestreitung davon, dass man engagiert Partei für das eigene Anliegen ergreift. Diesem Engagement entspricht als Diskurs- und Sprachstil das Plädoyer. Wer ein Plädoyer hält, weiß darum, dass eine Sache zur Entscheidung ansteht. Darum wird mit aller Entschiedenheit und Eindeutigkeit vorgetragen, was für einen bestimmten Ausgang des Streites spricht. Das Plädoyer zielt auf einen Konsens, wo noch ein Dissens besteht. Es wirbt für eine Überzeugung, die noch nicht von allen geteilt wird. Es steht am Ende eines Prozesses der Wahrheits- und Rechtsfindung, aber es beansprucht nicht das letzte Wort. Nach der Beweisaufnahme, der Anhörung der miteinander streitenden Parteien, der Einvernahme von Zeugen und Sachverständigen richtet das Plädoyer einen Appell an Richter und Geschworene, die darüber zu befinden haben, was Recht ist und wer im Recht ist. Ein solches Plädoyer drängt darauf, dass sich seine Adressaten alle Argumente noch einmal durch den Kopf gehen lassen und sich dann ein eigenes Urteil bilden.22 Vorher werden Staatsanwalt und Verteidiger alles in die Waagschale werfen, wovon sie überzeugt sind. Dabei müssen sie alle Register ziehen, an Lebenserfahrung, den abwägenden Verstand und die prüfende Urteilskraft ebenso appellieren wie darauf setzen, dass man sich manche Hinweise auch zu Herzen gehen lassen sollte. Bei einem Plädoyer darf es durchaus temperamentvoll zugehen, an argumentativer Schärfe sollte es ohnehin nie fehlen und pointierte Zuspitzungen sind allemal erlaubt.
Wer ein Plädoyer hält, lässt dies in Sprache und Stil frühzeitig erkennen. Bereits die Grammatik des Vortrages macht deutlich: Hier spricht jemand in der ersten Person Singular. In der Theologie galt dies lange Zeit als unstatthaft. Man argwöhnte, hier wolle sich jemand selbst in den Vordergrund schieben, statt einem Gedanken oder einem Argument Raum zu geben. Wer sich prätentiös als Vordenker ausgibt, schafft ein erstes Indiz dafür, in Wahrheit und Wirklichkeit keiner zu sein. Große Denker erkennt man daran, dass sie hinter ihrem Denken zurücktreten. Sie wollen Nachdenklichkeit erzeugen und dazu beitragen, dass die Angesprochenen ins Nachdenken kommen. Sie setzen darauf, dass die vorgetragenen Gedanken so einleuchtend sind, dass diejenigen, die ins Nachdenken gekommen sind, sie sich am Ende zu eigen machen können. Nicht mit ihrer Persönlichkeit wollen sie imponieren; ihnen geht es vielmehr darum, Bedenkenswertes zu exponieren. Gleichwohl führt kein Weg daran vorbei, dass sich bei einem Plädoyer für die Denkbarkeit des Glaubens auch der Wortführer einer solchen Rede exponieren, d. h. der Nachfrage und Kritik aussetzen muss.
Mit kritischen Nachfragen ist zu rechnen, da bei einem solchen Plädoyer nicht der Glaube, sondern die Vernunft Regie führt. Ihr genügen religiöse Zeugnisse nicht, wenn sie nicht auch denkerisch überzeugen können. Und sie lässt sich nur auf Überzeugungen ein, die sich in Argumentationen übersetzen lassen. Nur was argumentativ vertretbar ist, kann zustimmungsfähig sein. Die Vernunft drängt darauf, dass man sich in der Theologie darüber Gedanken macht, was man unter den Bedingungen der Moderne vernünftigerweise glauben kann.23 Was ist in der Gegenwart glaubwürdig und rational vertretbar als Basis und Kern des christlichen Glaubens? Was ist daran strittig und über welche Inhalte lohnt ein Streit?