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3. Glaube im Diskurs:
Rede und Antwort stehen

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Dass der Glaube argumentativ seinen Geltungsgrund ausweisen kann, ist somit nicht bloß eine Forderung der Vernunft, sondern auch ein Anliegen des Glaubens selbst. Denn es gereicht ihm zum Nachteil, wenn man meint, sich der Verpflichtung zur vernunftgemäßen Rechenschaft über Inhalt, Vollzug und Motive des Glaubens entziehen zu können. Man kann nur glauben, was man versteht.29 Und nur was man versteht, kann man auch gegenüber anderen vertreten. Verstehbar und vertretbar ist jedoch nur dasjenige, das auch kritisiert und bezweifelt werden kann. Was man gegenüber Zweifel und Kritik immunisiert, wird gerade um die Chance gebracht, seine Vertretbarkeit argumentativ nachweisen zu können. Etwas verstehen und vertreten können heißt ja gerade: gute Gründe gegen Kritik und Zweifel vorbringen können. Was gegenüber jeder Kritik immunisiert wird, ist also weder glaubwürdig noch vernunftgemäß. Der Verzicht auf vernunftgeleitete Selbstkritik und Gewissenserforschung als Bestandteil des Bemühens um Glaubwürdigkeit befördert darum Aberglaube und Unvernunft. Soll der christliche Glaube davon unterscheidbar sein, muss die Fundamentaltheologie gegenüber den Glaubenden die Interessen der Vernunft vertreten und sich dafür einsetzen, dass aus Behauptungen triftige Begründungen werden. Unter dieser Rücksicht praktiziert die Fundamentaltheologie eine doppelte „Interessenvertretung“: Sich die Interessen der Vernunft an Verständigung und Rechtfertigung, an Kommunikation und Reflexion, an Zweifel und Kritik zu eigen zu machen, liegt im eigenen Interesse des Glaubens, will er seinen Geltungsanspruch nicht bloß bezeugen, sondern auch überzeugen.

Verständlichkeit, rationale Vertretbarkeit und Glaubwürdigkeit bedingen einander: Wenn jemand etwas glauben soll, was er/sie nicht vernunftgemäß denken kann, bringt dies ihn/sie um den Verstand und führt dazu, dass sich die Glaubenden selbst nicht mehr verstehen. Ein derart unverständlicher und unverständiger Glaube mag behaupten, er vertrete etwas, das „höher“ sei als jede Vernunft. Er wird aber nicht mehr verständlich machen können, wovon er wirklich und in Wahrheit spricht, wenn es für den Inhalt seines Sprechens nicht ein Kriterium gibt, das ihn von Unvernunft und Aberglaube unterscheidet. Was „höher“ als alle Vernunft ist, muss zwar keineswegs eo ipso wider jede Vernunft sein – es kann sich auch um das „vernunftgemäße Andere“ der Vernunft handeln. Wird aber kein Wert mehr auf den Nachweis der Vernunftgemäßheit bzw. der Nichtunvernünftigkeit des Glaubens gelegt, verliert er jede intellektuelle Plausibilität und jede lebenspraktische Orientierungsfunktion. Auf diesem Nachweis zu bestehen ist Kernaufgabe der Theologie und Ausweis ihrer lebenspraktischen Relevanz. Sie hat sich dafür einzusetzen, dass Christen nicht nur ihren Glauben praktizieren, sondern dabei auch wissen, was sie tun – und warum.

Der Sache des Glaubens ist aber nur dann auf Dauer gedient, wenn die Theologie sich an dem stärksten erreichbaren Format von Rationalität orientiert. Was deren Stärke ausmacht, ist ihre Sensibilität für ihre mögliche eigene Fehlbarkeit, für die neuzeitlichen Pathologien der Vernunft und für die Lehren, die daraus zu ziehen sind. In dieser Hinsicht braucht die Vernunft keine Belehrung oder Nachhilfe von außen. Sie mag gelegentlich an die Notwendigkeit der Selbstkritik und Selbstaufklärung zu erinnern sein.30 Aber der Maßstab der Kritik und der Aufklärung kann nicht außerhalb der Vernunft liegen. Wer dies ernsthaft behauptet, begeht einen Anschlag auf die Autonomie der Vernunft. Diese Autonomie besteht in ihrer Selbstgesetzlichkeit, d. h. die Vernunft folgt einer Gesetzmäßigkeit und Eigengesetzlichkeit, die mit ihr selbst gesetzt ist und ihr inhärent ist. Zum Ausdruck kommen Maßstab und Grundgesetz der Vernunft im logischen Nichtwiderspruchsprinzip.31 Von seiner Beachtung hängen Konsistenz und Kohärenz jeder Weltauslegung und -gestaltung ab. Es schließt zum einen aus, dass bei der Beschreibung von Phänomenen ein Zugleich von einander ausschließenden Gegensätzen auftritt. Insofern in der Realität ein Sachverhalt nicht gleichzeitig und in derselben Hinsicht ein und dieselbe Eigenschaft besitzen und zugleich nicht besitzen kann, muss ein Reden von dieser Realität, wenn es mit dem Anspruch auf Wahrheit auftreten will, ebenfalls logisch widerspruchsfrei sein.32 Und ebenso verlangt es, dass Handlungsorientierungen und -maximen derart ausgelegt sind, dass die Handlungsfolgen auf Dauer und im Ganzen nicht den ursprünglich beabsichtigten Zwecken, Zielen und Werten zuwiderlaufen. Die Kategorie Vernunft bzw. Rationalität umfasst also einerseits das Vermögen des Menschen, den Phänomenen der sinnlich erfahrbaren Welt auf den Grund zu gehen. Dies impliziert, die in Raum und Zeit wahrnehmbaren Phänomene unter Angabe von Kausalbeziehungen („x weil y“) oder Konditionalbeziehungen („immer wenn x dann auch y“) in einen logisch widerspruchsfreien Erklärungszusammenhang zu bringen. Zum anderen bezeichnet sie das menschliche Vermögen, für die Berechtigung menschlichen Tuns und Wollens Gründe anzugeben. Hierbei gilt es, sich das Ensemble menschlicher Handlungsmotive, -ziele und -zwecke vorzunehmen und deren Zuordnung in einem widerspruchsfreien Rechtfertigungszusammenhang auf ihre Verantwortbarkeit hin zu testen.

Eine Fundamentaltheologie, die zeigen will, dass es der Vernunft des Menschen nicht widerspricht, ein religiöses Verhältnis zu seinen Lebensverhältnissen zu haben, weiß auf dieser Basis, was der Vernunft gemäß ist und worin das Maß der Vernunft besteht, wenn diese beansprucht, für das Denken und Handeln des Menschen maßgeblich zu sein. Wie für jedes Vernunftformat ist auch für die Theologie die Verallgemeinerungsregel des Nichtwiderspruchsprinzips maßgeblich. Sie verlangt, dass nur solche Behauptungen und Handlungsmaximen als vertretbar eingestuft werden, die den Test auf ihre Universalisierbarkeit bestehen. Allgemein zumutbar sind Daseinsdeutungen und Handlungsorientierungen nur dann, wenn der Versuch, sich ihnen zu entziehen oder ihnen zu widersprechen, seinerseits logisch widersprüchlich oder auf Dauer und im Ganzen kontraproduktiv wird.33 Ex negativo folgt daraus für das Bemühen um die rationale Vertretbarkeit von Religion und Glaube: Wer sich dem Nachweis auf interne Widerspruchsfreiheit (d. h. logische Konsistenz und Kohärenz) religiöser Daseinsdeutungen und Handlungsorientierungen und auf deren widerspruchsfreie Anschlussfähigkeit an ihrerseits widerspruchsfreie, logisch konsistente und kohärente rationale Weltauslegungen entzieht, liefert den Glauben dem Verdacht der Willkür und Beliebigkeit aus. Wer sich ihm stellt, hat die Chance, es erfolgreich mit der Bestreitung religiöser Wahrheits- und Geltungsansprüche aufzunehmen.

22 In dieser Form ist das Plädoyer durchaus mit dem Ideal intersubjektiver Urteilsbildung verträglich. Denn ein Plädoyer als Element eines Prozesses nimmt nicht ein Urteil vorweg, sondern will für eine Urteilsbildung nur eine möglichst überzeugende Vorlage liefern. Den Urteilsspruch über die verhandelte Sache muss es anderen überlassen. Es kann nur an die Urteilskraft seiner Adressaten appellieren und ihnen eine bestimmte Entscheidung nahelegen (vgl. 1 Kor 10,15: „Ich rede doch zu verständigen Menschen; urteilt selbst über das, was ich sage.“). Nicht mehr, aber auch nicht weniger ist von der Fundamentaltheologie als einer Disziplin zu erwarten, die gleichermaßen durch einen Innen- und einen Außenbezug definiert wird: Nach innen (d. h. im Blick auf die Glaubenden und ihre Glaubenstraditionen) dient sie der Selbsterfassung und Selbstreflexion des Glaubens hinsichtlich des ihn tragenden Grundes. In ihrem Außenbezug (d. h. im Blick auf die Nichtglaubenden) hat sie die Aufgabe, „durch argumentativ verfaßtes Vernunftdenken die Wahrheitsbewandtnis des christlichen Glaubenslogos in die Verstehensräume und in die Vernunftwelten außerhalb des Christentums hinaus- bzw. hineinzuvermitteln“, M. SECKLER, Fundamentaltheologie: Aufgaben und Aufbau, Begriff und Namen, in: HFTh2IV (2000) 386.

23 Siehe hierzu A. LOICHINGER, Ist der Glaube vernünftig? Zur Frage nach der Rationalität in Philosophie und Theologie. 2 Bde., Neuried 1999.

24 Vgl. hierzu auch F. GRUBER, Diskurs und Konsens im Prozeß theologischer Wahrheit, Innsbruck/Wien 1993, 255–332.

25 Vgl. vor diesem Hintergrund das fundamentaltheologische Kontrastprogramm von Th. RUSTER, Glauben macht den Unterschied; DERS., Der verwechselbare Gott. Theologie nach der Entflechtung von Religion und Christentum, Freiburg/Basel/Wien 2001.

26 Vgl. hierzu P. HOFMANN, Die Bibel ist die Erste Theologie. Ein fundamentaltheologischer Ansatz, Paderborn/München/Wien/Zürich 2006; DERS., Die Bibel als erste Erkenntnisquelle der Theologie, in: J. Meyer zu Schlochtern/R. A. Siebenrock (Hg.), Wozu Fundamentaltheologie? Zur Grundlegung von Theologie im Anspruch von Glaube und Vernunft, Paderborn/München/Wien/Zürich 2010, 59–71.

27 Zu diesem Standardeinwand, der die Vergeblichkeit vernunftzentrierter Glaubensreflexion vor Augen stellen will, siehe etwa J. WERBICK, Einfüh-rung in die theologische Wissenschaftslehre, Freiburg/Basel/Wien 2010, 9–32.

28 Vgl. hierzu die instruktiven Studien zur Wahrheitsfähigkeit religiöser Traditionen in I. U. DALFERT/Ph. STOELLGER (Hg.), Wahrheit in Perspektiven, Tübingen 2004.

29 In seinem Spätwerk stellt AUGUSTINUS (354–430) klar, dass es – unbeschadet seines Gnadencharakters – keinen unbedachten, vernunftlosen Glauben geben kann: Glauben ist „nichts anderes, als mit Zustimmung denken“ (De praedestinatione sanctorum liber unus, nr. 2,5/PL 44, 963: „nihil aliud est quam cum assensione cogitare“). Denn niemand vermag etwas zu glauben, von dem er nicht zuvor eingesehen hat, es könne geglaubt werden. Es ist unumgänglich, dass alles, was geglaubt wird, aufgrund eines vorausgehenden Denkens geglaubt wird („necesse est tamen ut omnia quae creduntur, praeveniente cogitatione credantur“). Nicht jeder Denker ist ein Glaubender, aber jeder Glaubende denkt. Er (be)denkt alles, was er glaubt, indem er im Glauben denkt und im Denken glaubt („sed cogitat omnis qui credit, et credendo cogitat, et cogitando credit“). Der Grund hierfür liegt darin, dass der Glaube ein Bewusstseinsinhalt ist und darum den Bedingungen entsprechen muss, die für Bewusstseinsvollzüge gelten, d. h. er muss intelligibel, einsichtig und zustimmungsfähig sein.

30 Wohl nur in diesem Sinne sind der Vernunft etliche Stellungnahmen des kirchlichen Lehramtes zumutbar, wenn diese sich von der Begegnung von Vernunft und Glaube eine „Weitung“ oder „Reinigung“ der Vernunft versprechen. Vgl. exemplarisch BENEDIKT XVI., Glaube, Vernunft und Universität, in: Ch. Dohmen (Hg.), Die Regensburger Vorlesung, Regensburg 2007, 11–26; JOHANNES PAUL II., Enzyklika „Fides et Ratio“ (hg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz), Bonn 1998.

31 Vgl. ARISTOTELES, Metaphysik: „Es ist unmöglich, dass eine Aussage und ihre Leugnung in bezug auf dasselbe zugleich wahr sei“ (Met. IV 6, 1011b, 15–17). Logische Widerspruchsfreiheit korreliert mit ontologischer Widerspruchsfreiheit: „Es ist unmöglich, dass dasselbe demselben und unter derselben Hinsicht zugleich zukomme und nicht zukomme“ (Met. IV 3, 1005b, 19 f.). Siehe hierzu auch A. J. SCHLICK, Über den Satz des Widerspruchs im vierten Buch der aristotelischen Metaphysik, Würzburg 2011.

32 Zur Bedeutung des Nichtwiderspruchsprinzips als Richtmaß jedweden sinnvollen Denkens siehe St. SCHICK, Contradictio est regula veri. Die Grundsätze des Denkens in der formalen, transzendentalen und spekulativen Logik, Hamburg 2010.

33 Für maßgeblich und Maßstäbe setzend bei der Operationalisierung des Nichtwiderspruchsprinzips halte ich im Kontext zeitgenössischer Rationalitätstheorien das Konzept diskursiver Rationalität, welches die Objektivität und Normativität der Vernunft als Intersubjektivität argumentativ gestützter und konsensuell beglaubigter Handlungsgründe rekonstruiert und den Test auf die Universalisierbarkeit von Daseinsdeutungen und Handlungsorientierungen mit der Zustimmung aller von ihrer Umsetzung betroffenen Subjekte als Teilnehmer eines rationalen Diskurses verknüpft. Es handelt sich hierbei um ein Vernunftkonzept, das am ehrgeizigsten sowohl die rationalitätskritischen Lektionen der Moderne verarbeitet als auch eine Begründung der Sache der Vernunft aus unhintergehbaren Ermöglichungsgründen des Denkens und Handelns nicht vorzeitig aufgibt. Zur ausführlichen Erörterung der Relevanz dieses Ansatzes für die Diskussion religiöser Geltungsansprüche siehe H.-J. HÖHN, Zeit und Sinn. Religionsphilosophie postsäkular, Paderborn/München/Wien/Zürich 2010, 73–104.

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