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2. DIE MEISTER DER INSEL
ОглавлениеGegenwart 2. August 1290 NGZ
Endlich!«, empfing mich Fürst Ligatem da Traversan mit unwilliger Stimme. Er war ein Mann mittleren Alters, gewiss von hoher Bildung und gutem Charakter, im Augenblick jedoch sichtbar angespannt. Die Hände hielt er tief in den Taschen seines grünen Mantels vergraben. Es schien mir, als habe er sie zu Fäusten geballt.
Sein Blick fixierte mich.
»Du bist tatsächlich Atlan. Man trifft nicht jeden Tag Berühmtheiten dieser Klasse. Bist du wirklich mehr als dreizehntausend Jahre alt?«
»Natürlich.«
»Dann hast du die Imperatoren des alten Reiches alle noch persönlich kennengelernt?«
»Zumindest einige«, schränkte ich ein.
Das Thema war mir nicht angenehm, und der Fürst schien das zu spüren. Ligatem führte mich durch den Palast bis auf eine Aussichtsplattform. Von hier überblickte ich halb Erican; unter anderem den Himmelskrater im Westen der Stadt, der sich als dicht besiedeltes Gebiet erwies.
»Unser Ziel ist die Yssods-Wüste«, erklärte Ligatem. »Dort wurde die Station entdeckt.«
»Um was für eine Station handelt es sich genau?«
»Du siehst es bald«, blockte Ligatem meine Frage ab. »Allerdings ist eine gewisse Vorsicht nötig. Wir haben bereits siebzehn Tote zu beklagen. Mehr müssen es nicht werden.«
Ein undefinierbarer Seitenblick des Fürsten traf mich.
»Leider haben auch deine Camelot-Wissenschaftler nichts bewirkt. Deswegen haben wir einen Unsterblichen zu Hilfe gerufen. Wir hoffen, dass du uns entscheidende Hinweise liefern kannst. Du hast die Meister der Insel selbst getroffen, Atlan. Wir kennen sie nur aus den Geschichtsbüchern.«
Ligatem winkte einen Gleiter heran, ein komfortables, offenbar gepanzertes Fahrzeug für längere Strecken. Bald rasten wir mit hoher Geschwindigkeit über die Trichtertürme der Stadt, südlich in Richtung Yssods-Wüste.
Er hält dich anscheinend für eine Art Wunderheiler, kommentierte mein Extrasinn.
Soll er, antwortete ich trocken. Ligatem wird das Gegenteil früh genug merken.
Wir überquerten einen unbewohnten Landstrich. Kaum eine Pflanze gedieh, offenes Wasser entdeckte ich nirgendwo. Kein Wunder, dass bis dato niemand die Station entdeckt hatte.
Es dauerte eine knappe Stunde, dann sah ich zwischen den Felsen ein ausgedehntes Lager liegen. Ligatem landete das Fahrzeug am Rand der kleinen Zeltstadt.
»Ich habe ein schlechtes Gefühl«, hörte ich den Fürsten sagen, bevor er ausstieg. »Ich weiß, dass es naiv klingt, aber – wir dürften dies hier nicht tun. Es steht uns nicht zu.«
Ich begrüßte die Archäologen, Historiker und Hochenergie-Techniker, deren Gesichter ich von Camelot kannte. Die Leitung hatte Cinthia Taubenflug übernommen, eine dunkelhaarige Terranerin, die seit etwas mehr als zehn Jahren in den Diensten von Camelot stand.
Gemeinsam mit Ligatem führte mich Cinthia durch die Fundstätte. Die Station bestand aus fünf eiförmigen, vierzig Meter hohen Kuppeln. Die seltsamen Gebilde durchmaßen an der Basis zwanzig Meter. Sie waren gleichschenklig fünfeckig angeordnet und schimmerten rötlich. Sie hatten eine ausgesprochen seltsame, rau scheinende Oberfläche.
Angenommen, die Station war wirklich ein Produkt der Meister der Insel, dann mussten die Gebäude mindestens fünfzigtausend Jahre alt sein.
»Diese Wände«, murmelte ich unbehaglich, »sie sehen aus wie Sandstein.«
»Sandstein?«, fragte Cinthia zurück. Sie schien einen Moment lang ernsthaft nachzudenken. »Ich denke, wir können das guten Gewissens verneinen. Es dürfte sich um ein exotisches Metall handeln. Aber das ist nur eines von mehreren Rätseln. Sämtliche Einrichtungen hier erscheinen beispielsweise energetisch vollkommen inaktiv. Andererseits weisen gewisse Details darauf hin, dass einige Geräte dennoch aktiv sein müssen.«
»Erklärung?«
»Keine. Ich gebe zu, dass wir das noch nicht verstehen. Unser technologisches Niveau steht theoretisch sehr hoch über allem, was hier in der Yssods-Wüste existiert. Auf der anderen Seite kommen wir an den größten Teil der Geräte nicht heran, mit allen Tricks nicht. Die Erbauer der Station haben sie so perfekt isoliert, dass man die Leistung nur bewundern kann.«
»Die Erbauer – das führt uns gleich zum Kern. Was bringt euch auf den Gedanken, es könnten die Meister der Insel gewesen sein?«
Cinthia lächelte.
»Du glaubst doch nicht, wir rufen dich umsonst, Atlan?«
Sie führte mich einmal halb um die Anlage. Der Abstand von Kuppel zu Kuppel betrug fünfzig Meter. Es war ein Fußmarsch von einigen Minuten.
»Wir könnten natürlich auch direkt zwischen den Kuppeln hindurchgehen«, erklärte die Archäologin. »Aber Ligatem hat es vielleicht schon erwähnt, wir hatten hier bereits Todesopfer. Die Anlage war von versteckten Thermokanonen beschützt, als sie gefunden wurde. Wir wissen nicht, ob wir alle entdeckt und ausgeschaltet haben. Deshalb meiden wir überflüssige Wege am Altar entlang und natürlich unnötige energetische Vorgänge.«
Cinthia geleitete mich vor eine Platte, die aussah wie eine altägyptische Schrifttafel. Die Schriftzeichen besaßen einen eigentümlichen, seltsam vertrauten Charakter. Ich musterte die Zeichen sorgfältig.
Andromeda, konstatierte mein Extrasinn unhörbar. Erinnere dich an die Lemurer und die Meister der Insel. Das hier ist alt. Sehr, sehr alt. Cinthia hatte recht.
Mein photographisches Gedächtnis ließ mich den Sinn jener uralten Schriftzeichen erfassen:
Die Hoffnung geht nicht verloren.
Das Glück kann man zwingen.
Die Zeit muss nicht ein Gegner sein,
wenn du sie zu deinem Freund machen kannst.
»Was bedeutet das?«, wollte ich wissen.
»Eigentlich war das unsere Frage an dich, Atlan!«, meinte Cinthia Taubenflug.
»Zumindest handelt es sich um einen uralten Dialekt. Damals stand das Reich der Lemurer vor der Vernichtung durch die Haluter. Diese Schrifttafel wurde vermutlich zu einem Zeitpunkt geschrieben, als auch die Sonnentransmitter entstanden. Maximal tausend Jahre danach.«
Ich dachte eine Weile über die Zeilen nach. Dann zuckte ich mit den Schultern, eine typisch menschliche Geste, die ich mir im Lauf der Jahrhunderte unter Terranern angewöhnt hatte.
»Ist das der Altar, von dem du gesprochen hast?«, fragte ich.
»Keineswegs«, meinte sie lakonisch. »Der steht weiter hinten.«
»Zeig ihn mir«, forderte ich sie auf.
Cinthia führte mich in die Mitte der Anlage, zwischen den Kuppeln hindurch. Ich registrierte, dass Fürst Ligatem jenseits der Kuppelgrenze zurückblieb.
Er fürchtet sich, wisperte mein Extrasinn. Ligatem da Traversan ist kein Dummkopf und kein Feigling. Du solltest das ernst nehmen.
Soll ich wieder nach Hause fliegen?, fragte ich unwillig.
Vielleicht wäre das klüger. Cinthia hat ausgesagt, dass ihre Geräte die Geheimnisse der Station nicht enträtseln können. Niemand gibt sich eine solche Mühe, wenn es nicht unbedingt notwendig ist; wenn die Geheimhaltung nicht einen wichtigen Sinn macht. Gehe besser davon aus, dass in der Station noch unentdeckte Gefahren lauern.
Versteckte Waffensysteme?
Kaum anzunehmen, dass es so einfach ist.
Cinthia zeigte auf einen schmucklosen, aus blankem Fels gehauenen Stein.
»Der Altar. Wir haben ihn natürlich nur aus einer Laune so genannt. Seine wahre Funktion dürfte mit Religion nichts zu tun haben.«
Die obere Fläche war eine Plattform. Sie durchmaß acht Meter und wirkte im Gegensatz zu den Seiten wie glattpoliert. Ich fühlte mich an ein gigantisch vergrößertes Mikroskop erinnert, und der Altar diente als Objektträger.
»Der Altar befindet sich exakt im geometrischen Zentrum der Anlage«, erläuterte die Archäologin. »Wir haben das nachgeprüft. Und es gibt keine weiteren Schriftzeichen. So etwas wie eine Funktion ist nicht erkennbar.«
Von Westen fegte ein Windstoß durch die Anlage. Die Luft trug den typischen verbrannten Duft der Wüste mit sich. Sandkörner fingen sich in meinem Haar. Unwillkürlich hielt ich einen gewissen Abstand zum Altar ein. Mit den Meistern der Insel hatte ich schlechte Erfahrungen gemacht. Plötzlich wünschte ich mir, ich hätte einen SERUN mitgenommen und nicht diese Standard-Kombination.
»War das jetzt alles, Cinthia?«, fragte ich.
»Natürlich nicht. Dafür hätten wir dich nicht nach Traversan gerufen. Unser Problem sind die fünf Kuppeln. Wir konnten nur eine öffnen. Und das, obwohl wir mit den modernsten Apparaturen graben. Wir können nicht einmal sicher feststellen, ob die Kuppeln hohl oder massiv sind. – Ich meine, wäre es wirklich Sandstein, dann könnten wir das Material bis auf einzelne Moleküle genau abbilden. Aber hier – gar nichts.«
Als wir gegen die Meister der Insel gekämpft hatten, war von deren Technik nichts geblieben. Die kümmerlichen Reste hatten sich andere einverleibt. Mit einem Mal sah es so aus, als bekämen wir hier eine zweite Chance.
Cinthias Auskunft nährte meine geheime Hoffnung. Wenn es sich wirklich um eine Station der Meister handelte, dann bargen die Kuppeln möglicherweise ein wertvolles technologisches Erbe: Multiduplikatoren, um nur ein Beispiel zu nennen.
Camelot hätte damit den letzten Schritt getan, hin zur führenden Techno-Macht der Milchstraße. Umgekehrt konnten die Geheimnisse der Anlage aber auch Imperator Bostich zum mächtigsten Mann der Galaxis erheben.
»Ich will diese eine offene Kuppel sehen.«
»Dahinten ist der Eingang.«
Cinthia führte mich zu einer Art Schott, das man nicht nebeneinander, sondern nur hintereinander passieren konnte.
»Auf welche Weise habt ihr den Zugang entdeckt?«, wollte ich wissen. Cinthia lachte leise; ein Geräusch, das sich in der Wüste dumpf und kraftlos anhörte.
»Ich weiß, dass das schwer zu glauben ist, aber die Tür stand offen. Als wir es merkten, mussten wir zuerst tonnenweise Flugsand beseitigen. – Sieh es dir selbst an, Atlan!«
Die Kuppel war praktisch leer.
Nicht leer, korrigierte mein Logiksektor, sondern ausgeräumt. Das ist ein Unterschied.
Der eiförmig aufragende Innenraum barg eine Fülle von Regalen. Einige zeigten Schrammen, andere wiesen deutlich sichtbar Standspuren sehr schwerer Gegenstände auf.
»Habt ihr irgendwelche Fundstücke von ihrem Platz entfernt?«
»Nein. Es gab keine Fundstücke.«
In der Kuppelmitte gähnte ein Loch im Boden. Es handelte sich um ein Luk, das den Weg nach unten freigab.
»Besitzt deine Kombination einen Antigrav?«, hörte ich Cinthia fragen.
»Natürlich. Antigrav, Funkgerät und Schutzschirmprojektor.« Ich klopfte auf meinen Gürtel. »Aber was ist mit Licht?«
»Keine Sorge. Es sind überall Lampen angebracht.«
Wir ließen uns schwerelos durch das Loch nach unten tragen. Die Archäologin führte mich durch einen Kammerkomplex. Jedes der Gewölbe, die man von hier aus erreichen konnte, erwies sich als leer.
»Wir glauben, dass hier unten alles mit altlemurischer Hightech vollgestopft war. Wo das Zeug hin ist? Keine Ahnung … Warte, Atlan! Dahinten ist ein kleiner Hangar, in dem wohl ein Kleinraumschiff untergebracht war. Wir haben Verbrennungen an den Wänden entdeckt, vermutlich Spuren eines Korpuskulartriebwerks. Natürlich ist auch dieser Hangar leergeräumt. – Und übrigens, von oben lässt sich das Kavernensystem ortungstechnisch nicht nachweisen. Wir können das Phänomen nicht erklären. Normalerweise orten wir Hohlräume wie diesen auf ein halbes Lichtjahr Entfernung.«
Typisch für die Meister, wisperte mein Extrasinn. Uneinheitlich entwickelte Technologie. Auf der einen Seite ein rückständiges Korpuskulartriebwerk, auf der anderen Seite Zeitmaschinen und Sonnentransmitter.
»Tatsache ist, dass uns vier der fünf Kuppeln verschlossen bleiben. Wir hoffen, dass du uns helfen kannst, Atlan. Wir haben nicht ewig Zeit. Traversan ist arkonidisches Territorium. Wir können nur auf den Faktor Geschwindigkeit setzen.«
Cinthia führte mich hinauf ans Tageslicht. Unwillkürlich kniff ich die Augen zusammen. Travs Stern leuchtete so kräftig wie Sol um die Mittagszeit, grell und kaum erträglich.
Mein Blick fiel zum zweiten Mal auf den Altar. Und diesmal ignorierte ich die instinktive Scheu, die mich eben noch bewogen hatte, Abstand zu halten. Wie in Trance bewegte ich mich auf die Plattform zu. Es war, als habe ein suggestiver Einfluss Macht über mein Handeln erlangt; dies war natürlich ausgeschlossen, da ich durch den aktivierten Logiksektor nicht psionisch beeinflusst werden konnte.
»Atlan? – Atlan! Was ist mit dir?«
Ich nahm Cinthias Stimme als ein leises, entferntes Wispern wahr. Dabei stand sie nur wenige Meter hinter mir.
Bleib stehen, Narr!
Ich schenkte dem inneren Aufschrei keine Beachtung. Der Altar konnte nicht gefährlich sein. Die Archäologen hätten es sonst längst herausgefunden.
Halt, Arkonide! Cinthias Leute hätten nicht einmal die Kavernen gefunden, hätte die Tür nicht offengestanden! Du weißt nichts über dieses Objekt!
Kurz vor Erreichen des Altars verzögerte ich meinen Schritt. Einen Meter weiter, das ahnte ich plötzlich, und eine unsichtbare Grenze wäre überschritten.
Travs Stern brannte von hinten in meinen Nacken. Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter – es war Fürst Ligatem! –, die ich jedoch abschüttelte.
Mit einem weiten Satz sprang ich auf die Plattform.
Nichts geschah. Die Bedenken der anderen schienen mir mit einem Mal kindisch, und ich konnte im Nachhinein nicht erklären, weshalb ich anfangs eine solche Scheu empfunden hatte.
Da erscholl eine Stimme:
»Na Maghan! Na Tha‘genem par atha ke!«
Ich erstarrte. Mit allen Sinnen versuchte ich, den Ursprung der Worte festzustellen. Doch die Stimme schien von überall zugleich zu kommen. Ich ahnte, dass der Altar selbst die Schwingungsmembran eines gigantischen Lautsprechers war.
»Na Maghan! Na Tha‘genem par atha ke!«
Die Sprache war Alt-Tefroda, das sich von der alten lemurischen Sprache kaum unterschied. Ich kannte den Dialekt! Gehört hatte ich ihn ausschließlich in Situationen allerhöchster Lebensgefahr.
Fürst Ligatem und Cinthia fingen an zu schreien. Sie stießen Worte aus, deren Sinn ich nicht verstehen konnte. In ihr Geschrei mischte sich ein umfassendes Dröhnen, das aus den Tiefen der Wüste entsprang.
Es dauerte drei, vier weitere Sekunden, dann verstand ich nichts mehr außer dem Satz in Alt-Tefroda:
»Na Maghan! Na Tha‘genem par atha ke!«
Unwillkürlich übersetzte ich:
»Maghan! Schaltung Sternentau wurde soeben aktiviert!«
Die Botschaft wurde endlos wiederholt. Was bei allen Göttern war unter Schaltung Sternentau zu verstehen? Den Ausdruck Maghan kannte ich jedoch sehr gut; die Meister der Insel hatten sich damals so titulieren lassen. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen hatte mein Sprung auf den Altar einen uralten Mechanismus aktiviert.
Eben wollte ich wieder auf den Boden zurück, wollte den Mechanismus zum Halten bringen, da sackte Cinthia vor meinen Augen leblos zusammen.
Flieh, Narr!
Es war zu spät. Ich konnte mich nicht mehr bewegen.