Читать книгу Rebellen gegen Arkon - Hans Kneifel, Paul Wolf - Страница 15
7. DER STOLZ VON TRAVERSAN
ОглавлениеVergangenheit 5772 v. Chr. / 12.402 da Ark
Nert Kuriol da Traversan musterte den Fremden lange und gründlich. Er hoffte, dass sein aktivierter Extrasinn ihm Hinweise gab. Kuriol gewann unwillkürlich den Eindruck, dass der andere ihm überlegen war. Einen solchen Gedanken hatte er in seinem Leben nicht sehr oft gehegt.
Atlan war ein sehr beeindruckender Mann. Obwohl er sich in einer wenig beneidenswerten Lage befand, machte er einen gelassenen, stets überlegten Eindruck. Diese Qualitäten besaßen nur ausgesuchte Leute.
Auf sein Gefühl konnte er sich verlassen; hätte er die Möglichkeit besessen, er hätte Atlan sofort in seine Dienste genommen. Und wäre es nur für die wenigen Stunden, maximal Tage gewesen, die bis zum Eintreffen der Strafexpedition übrigblieben. Dann musste mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Atlan sterben.
Ein zweites Mal ließen sie den Fremden seine Geschichte erzählen. Und diesmal, mit dem Wissen um die Wahrheit, klang der Bericht erstaunlich plausibel.
Kuriol fielen die Blicke auf, die Atlan mit seiner Tochter tauschte. Dass Tamarena einen Mann dieser Sorte offensichtlich interessant fand, schien dem Fürsten nicht ungewöhnlich.
Tamarena war daran gewöhnt, mit fähigen, teils auch charismatischen Männern umzugehen; doch Männer von Atlans Sorte waren nicht oft darunter.
Kuriol bemerkte ihre Maske aus Überheblichkeit sehr genau. Aber auch Atlan reagierte auf sie; der Fremde schien irgendetwas an Tamarena höchst interessant zu finden.
Ist es nicht tragisch, kommentierte sein Extrasinn, dass diesen beiden keine Zeit mehr bleiben wird?
Kuriol hob die Hand. Er vermerkte mit einem Lächeln, dass die Blicke der zwei sich wieder ihm zuwandten.
»Ich habe eine Entscheidung getroffen«, sprach der Nert. »Atlan, Sie werden ab sofort freigelassen. Nach allem, was ich weiß, stellen Sie keine Bedrohung für uns dar. Sie können sich frei auf diesem Planeten bewegen.«
»Danke, Nert.«
Der hochgewachsene Fremde richtete sich aus seiner hockenden Position an der Wand langsam auf. Man musste bedenken, dass er vor knapp sechs Stunden von einer Paralysatorsalve erwischt worden war. Kuriol konnte nicht verstehen, weshalb er schon wieder auf seinen Beinen stand. Normalerweise hätte er bis zum kommenden Sonnenaufgang reglos auf dem Boden liegen sollen.
Atlan sagte:
»Ich habe jedoch einige Bitten an Euch zu richten, Nert. Die Zeitmaschine, mit der ich gekommen bin, ist ohne Energie. Ich benötige Hilfe, um diese Energiereserven wieder aufzufüllen. Außerdem ist der Steuerchip beschädigt, mit dem die Energiezufuhr der Station geregelt wird. Ohne eine gut ausgerüstete Forschungswerkstatt kann der Chip höchstwahrscheinlich nicht wieder repariert werden.«
Kuriol zeigte bedauernd seine leeren Handflächen.
»Traversan wäre gewiss bereit, Sie bei dem Problem zu unterstützen. Aber das ist nicht möglich. Ich muss Ihnen leider die Mitteilung machen, Atlan, dass wir alle sterben werden. Wir erwarten stündlich eine Strafexpedition des Sonnenkurs Pyrius Bit, vom nahe gelegenen Flottenstützpunkt BRY 24 aus. Bit wird Traversan vermutlich vernichten lassen.«
Atlan ließ sich nicht anmerken, ob er schockiert oder verstört war.
»Aus welchem Grund, Nert Kuriol?«
Er schien daran gewöhnt zu sein, selbst in der verfahrensten Lage noch einen Ausweg zu suchen.
»Ich möchte es als eine Frage der Ehre bezeichnen. Und eine finanzielle Frage, nicht zu vergessen. Die ganze Geschichte wäre jetzt zu lang. In diesen Stunden lasse ich den Planeten Traversan gegen einen Angriff aus dem All befestigen. Meine Anwesenheit ist an anderen Orten dringender erforderlich.«
»Wartet, Nert!«
Kuriol hatte sich bereits vom Stuhl erhoben. Der drängende Tonfall, in dem Atlan sprach, ließ ihn jedoch innehalten.
»Worauf, Atlan?«
»Ihr sagt, Traversan steht die Vernichtung bevor. Ich bin allerdings vollkommen sicher, dass das nicht geschehen wird.«
Der alte Nert machte eine wegwerfende, müde Geste.
»Was für eine naive Vorstellung. Pyrius Bit wird unsere Provokationen niemals hinnehmen. Er hat vor einem halben Tag im Orbit von Traversan zwölf Schlachtschiffe eingebüßt.«
»Trotzdem!«, beharrte der Fremde. »Ihr vergesst wahrscheinlich, dass ich aus der Zukunft stamme. Oder Ihr habt den Gedanken noch nicht konsequent verarbeitet.«
»Vater!«, rief Tamarena plötzlich.
Sie fasste Kuriol aufgeregt an der Schulter. Ihre Augen fingen zu tränen an, Zeichen einer heftigen Erregung.
»Begreifst du, Vater, was er uns sagen will? Er kommt aus der Zukunft – das bedeutet, dass er die Vergangenheit kennt! Er weiß, wie die Schlacht um Traversan ausgegangen ist!«
Nert Kuriol sah dem Fremden aus der Zeitmaschine gerade ins Gesicht.
»Stimmt das?«
»Bedauerlicherweise nein«, erklärte Atlan. »Ich konnte nicht wissen, in welche Lage ich geraten würde. Vor der Katastrophe habe ich mich mit der traversanischen Geschichte nicht beschäftigt. Allerdings habe ich Erican und die Yssods-Wüste gesehen, wie sie in zehntausend Jahren aussehen.«
»Nämlich wie?«, fragte Kuriol scharf.
»Ich sah einen blühenden Planeten. Das Große Imperium wird in den kommenden Jahrtausenden untergehen; es wird aufgehen im Vereinten Imperium, sich zeitweise auflösen und dann als Kristallimperium wiederauferstehen. Aber Traversan existiert immer noch. Hätte es einen verheerenden Krieg an der Oberfläche des Planeten gegeben, die Narben wären auch in zehntausend Jahren nicht verheilt.«
Nert Kuriol da Traversan empfand eine alles beherrschende Verwirrung. Das Große Imperium konnte nicht untergehen; in einer Million Jahren nicht.
Auf der anderen Seite hatte Prinzessin Tamarena die Echtheit des Zeitreisenden Atlan bestätigt. Und was Tamarena sagte, das musste zwangsläufig die Wahrheit sein.
»Traversan … geht nicht unter?«
»Keineswegs, Nert.«
»Wie sollen wir dann …« Den Rest ließ er offen.
»Ich weiß nicht, wie die Krise aussieht, die Traversan erfasst hat. Ihr sagt, Pyrius Bit ist ein Sonnenkur. Das bedeutet, dass das Imperium hinter ihm steht. Aber selbst wenn Bit mit hunderttausend Schlachtkreuzern des Imperiums kommt, er kann Traversan nicht vernichten. Die Geschichte beweist es.«
Nert Kuriol ließ sich auf den Stuhl sinken. Er hatte es nicht mehr eilig.
»Ich benötige Ihre Hilfe, Atlan«, bekundete er. »Ich halte es für möglich, dass Sie der unvorhergesehene Faktor sind, der uns noch einmal rettet. Sie kommen aus der Zukunft. Mit Ihnen konnte niemand rechnen.«
Atlan dachte ein paar Sekunden lang angestrengt nach. Er schien auf eine innere Stimme zu horchen. Kuriol hätte sich keineswegs gewundert, hätte der Fremde ebenso wie er oder Kapitän Irakhem einen aktivierten Logiksektor besessen.
»Ich würde gern helfen, Nert. Aus Gründen der Kausalität ist jedoch kein Eingreifen von meiner Seite möglich. Wie Ihr bereits sagtet, meine Anwesenheit ist nicht vorgesehen.«
»Erklären Sie das!«
»In dem Augenblick, da meine Handlungsweise die Vergangenheit ändert, könnte sich auch die Zukunft verändern. Im Klartext bedeutet das: Solange ich mich still verhalte, ist Traversan vor der Vernichtung sicher – weil die Geschichte immer ihren Gang geht. Wenn ich aber beginne, die Vergangenheit zu verändern, dann könnte das Traversan der Zukunft durchaus ein toter Planet sein. – Versteht Ihr mich? Ich muss mich nur still verhalten. Dann bin ich Eure Lebensversicherung, Nert.«
Kuriol versuchte, die Argumente des Fremden nachzuvollziehen.
Er hat recht!, kommentierte sein Logiksektor. Allerdings ist es nicht immer möglich, die Gesetze der Zeit in arkonidische Logik zu zwingen. Außerdem sagt Atlan lediglich aus, dass die Oberfläche dieser Welt intakt bleibt. Er sagt nichts über die Bevölkerung und unsere Raumschiffe.
Kuriol gab sich einen Ruck. Seine Entscheidung fiel nicht aufgrund logischer Erwägungen, sondern durch einen zutiefst unlogischen, emotionalen Impuls.
»Ich bin nicht bereit, auf Ihre Hilfe zu verzichten, Atlan!«, sprach er. »Sie werden mich als Berater in den Palast von Erican begleiten. Prinzessin Tamarena wird Ihnen als Adjutantin zur Verfügung stehen.«
Er drehte sich um und wollte die Zelle verlassen – da stoppte ihn ein Ausruf seiner Tochter.
»Vater!«, protestierte sie.
Tamarena hatte sich hoch aufgerichtet, sie war blass geworden und starrte mit blitzenden Augen den Fremden an.
»Ich werde nicht die Adjutantin dieses Mannes sein! Ich bin doch keine … keine …«
Sie schien nach Worten zu suchen.
»O doch, mein Kind! Ausnahmsweise wirst du tun, was dein Vater dir befiehlt. Atlan ist möglicherweise von entscheidendem Wert für uns. Und du bist die beste Helferin auf diesem Planeten, die ich ihm zur Seite stellen kann.«
Die Prinzessin wartete mit verschlossenem Gesicht ab, bis alle anderen die Zelle verlassen hatten. Ich konnte ihren mühsam beherrschten Zorn dennoch sehen. Sie war stolz, und es passte nicht in ihr Weltbild, einem hergelaufenen Fremden als Helferin zu dienen.
Ich musterte sie voller Bewunderung. Sie war die beeindruckendste Frau, der ich seit einer sehr langen Zeit begegnet war.
Narr! Verliebe dich nicht in eine Prinzessin, die seit zehntausend Jahren tot ist!
»Also, Atlan«, brachte sie voller Verachtung hervor, »was willst du nun tun? Was sind deine ersten Wundertaten?«
Mir war klar, dass ich sie als Erhabene anzusprechen hatte. Als Tochter eines Nert besaß sie Anspruch auf einen ganzen Satz höflicher Ausdrucksformeln, die ich samt und sonders ignorierte. Schließlich hatte sie selbst mit dem Duzen angefangen, das im alten Arkon-Imperium alles andere als üblich war.
»Zuerst möchte ich mit dir reden, Tamarena.«
Ob sie den Mangel an verbalem Respekt registrierte oder nicht, war schwer zu erkennen.
»Reden?«, fragte sie heftig. »Würde es ein klarer Befehl nicht auch tun?«
»Nein! Keine Befehle. Ich kann nichts für die Entscheidung deines Vaters. Ich erteile dir keine Befehle, sondern ich bitte dich um deine Unterstützung.«
Ich verschwieg ihr mit voller Absicht, dass ich ein Unsterblicher war und dass ich so etwas wie eine Fremdenführerin durch die Vergangenheit eigentlich nicht benötigte.
»Unterstützung – bei was?«, wollte sie wissen. In ihre Stimme legte sie einen kräftigen Schuss Verachtung.
»Wenn ich das selbst wüsste! Mir ist die Lage auf Traversan völlig unbekannt. Nach wie vor bin ich der Meinung, dass ich euch durch Untätigkeit am besten helfe.«
»Dann bleibe untätig«, erwiderte sie ungerührt.
»Ja. Aber zuerst möchte ich dir eine Frage stellen.«
»Welche?«
Sie tat, als wolle sie meine Zelle verlassen und auf den Korridor hinaustreten.
»Du hast mich als Fremden von Camelot bezeichnet.«
Tamarena blieb plötzlich stehen. Sie drehte sich um und fixierte mich aufmerksam. Ich glaubte, in ihrem Blick wieder jenen alles durchdringenden Ausdruck zu sehen, der mir zuvor bereits aufgefallen war.
»Und?«
»Camelot wird erst in zehntausend Jahren entstehen«, setzte ich sie nüchtern in Kenntnis. »Du kannst von Camelot also nichts wissen. Ich habe den Ausdruck nicht genannt, aber du kanntest ihn. Woher?«
»Du wirst dich getäuscht haben«, wich die Prinzessin mir unbehaglich aus.
»Nein. Tamarena, bist du eine Telepathin?«
Ich hörte ihr lange zu. Die Prinzessin sprach von einer abgelegenen Dagor-Abtei in der Masskyr-Hochebene, von Jahren der Isolation, ohne Kontakt zur Außenwelt, von schonungslosen Lektionen für Körper und Geist. Bei einer Meditations-Schulung hatte sie ihr telepathisches Talent entdeckt. Die Gabe war im geheimen ausgebildet und gefördert worden.
Ich erinnerte mich, dass parapsychische Fähigkeiten im Großen Imperium nicht so selten vorgekommen waren; jedenfalls nicht wie in der Gegenwart, die kaum einmal Mutanten hervorbrachte.
Tamarenas Geschichte schien mir nachvollziehbar. Die extremen Anforderungen der Dagor-Schule forderten alle Reserven, die ein Wesen besaß. So auch die Telepathie – sofern sie vorhanden war.
»Ich weiß genau, Atlan, dass dein Extrasinn durch die ARK SUMMIA aktiviert ist«, berichtete sie. »In einem solchen Fall sind die Gedanken einer Person für Telepathen nicht erreichbar. Allerdings hast du zweimal für wenige Augenblicke deinen Monoschirm vernachlässigt. Ich hatte jeweils einen kurzen Einblick. Daher weiß ich, dass du wirklich aus der Zukunft kommst – oder dass du es zumindest selbst glaubst! – und dass du dich selbst als einen Cameloter bezeichnest.«
»Was noch?«
»Sonst nichts.«
Die Prinzessin machte plötzlich einen schuldbewussten Eindruck. Es schien ihr peinlich zu sein, dass sie in meinen Gedanken geschnüffelt hatte.
Mein Logiksektor behauptete lautlos: Sie lügt.
Der Meinung bin ich auch, erwiderte ich unschlüssig. Aber was kann sie sonst noch wissen? Und warum gibt sie es nicht zu?
Offensichtlich deshalb, weil ihr Wissen auf einen noch unbekannten Aspekt der Lage einen wichtigen Einfluss hätte. Vielleicht will sie noch abwarten, ob sich für sie ein Vorteil ergibt.
Das wunderschöne Gesicht der Prinzessin riss mich aus der Versunkenheit. Sie war näher an mich herangerückt.
»Ich könnte dir Erican zeigen«, bot sie an. »Willst du unsere Hauptstadt sehen? Manche sagen, es ist die Perle des ganzen Raumsektors.«
»Ich bin höchst interessiert. Aber zuerst habe ich Durst und Hunger. Exakt in dieser Reihenfolge, beides nicht zu knapp.«
Sie führte mich hinaus in den Korridor, dann meinte sie schnippisch:
»Ich weiß wirklich nicht, ob das Servieren einer Mahlzeit in meiner Adjutantentätigkeit eingeschlossen ist …«
Über Erican ging soeben die Sonne auf. Es war ein wunderbares Schauspiel aus gleißendem, beinahe überirdisch scheinendem Licht. Die Tautropfen, die sich im Lauf der Nacht auf den Dächern und in den Gewächsen abgesetzt hatten, streuten millionenfach Reflexionen ins Halbdunkel der Stadt.
Erican befand sich in einer gemäßigten Klimazone des nördlichen Kontinents, 1300 Kilometer von der weiter südlich gelegenen Yssods-Wüste entfernt. Trichterbauten und Parklandschaften bestimmten die Landschaft. Im Gegensatz zum fernen Arkon, das ich sehr gut kannte, fanden sich hier jedoch dicht besiedelte Wohngebiete, die beinahe an ihre terranischen Gegenstücke erinnerten.
»Einen Rundflug gefällig?«, fragte Prinzessin Tamarena.
»Gern!«
Sie ließ den Gleiter hoch in den blauen Himmel über dem Palast steigen. Es handelte sich um ein offenes Modell ohne Kanzel, nur mit einer Panzertroplonscheibe gegen den Zug, und der Flugwind ließ meine Haare in alle Richtungen flattern.
Tamarena steuerte den Gleiter auf eine Flughöhe von etwa einem halben Kilometer. In einem weiten Bogen umkreiste sie den Palast, dann hielt sie westwärts Richtung Stadtrand.
Zu einem beachtlichen Teil stimmte das Erscheinungsbild der Stadt mit dem überein, was ich zehntausend Jahre später gesehen hatte; gemeinsam mit Fürst Ligatem, von einer Terrasse des Palastes aus.
Mein Blick fiel auf die Stelle, an der sich der Himmelskrater hätte befinden sollen.
Statt der zwanzig Kilometer durchmessenden Senke, an die ich mich gut erinnerte, erblickte ich einen Park. Und statt der dichten Besiedelung zählte ich nicht mehr als ein Dutzend Trichterbauten. Der Park schien eine Art Erholungszentrum zu sein. Im Mittelpunkt des Geländes ragte ein Gebäudekomplex auf, den ich anhand eines charakteristischen Parabolspiegels als ein Observatorium identifizierte.
Tamarena wies mich mit lauter Stimme auf verschiedene Sehenswürdigkeiten hin. Die zentrale Energiestation, weit hinter dem Park gelegen, einige Kilometer östlich das Viertel der Adligen, daneben eine Ausbildungsakademie für Wissenschaftler.
An mehreren Stellen der Stadt flammten halbkugelförmige Kraftfeldkuppeln auf. Erican wurde auf einen Angriff aus dem Orbit vorbereitet. Die Glocken aus Energie wurden durchgemessen, justiert und wieder abgeschaltet. Im Ernstfall boten sie Schutz gegen Angriffe aus der Luft. Sie konnten binnen zehn Sekunden hochgefahren werden.
Aus der Höhe waren die Anstrengungen, die am Boden unternommen wurden, schwer zu bewerten. Ich wusste jedoch, wie die Arkoniden des Großen Imperiums sich zu sichern pflegten: Die Maahk-Kriege hatten mehr als einen Planeten verwüstet, eine Erfahrung, die aus dem Gedächtnis des Volkes nicht so leicht zu tilgen war.
Tamarena steuerte in einem weiten Bogen westlich.
Am Stadtrand waren kaum noch Trichterbauten und Parks zu sehen. Stattdessen erblickte ich weitläufige Gebäudekomplexe. An manchen Stellen reichten Transportschächte tief in die Erde.
»Das sind unsere Industriegebiete!«, erklärte sie mit lauter Stimme gegen den Flugwind. Ich hörte deutlich ihren Stolz heraus. »Du wirst nirgendwo im Brysch-Sektor einen Planeten finden, der ähnlich hoch entwickelt ist.«
»Ich dachte, Traversan lebt hauptsächlich von seiner Landwirtschaft?«
»Das ist auch richtig. Aber als reichste Welt des Sektors ist Traversan praktisch Selbstversorger, industriell und agrartechnisch. Traversan besitzt sogar eine eigene Raumflotte! Sie wird von Kapitän Irakhem geführt. Du wirst Irakhem möglicherweise noch kennenlernen. Er ist ein sehr fähiger junger Offizier. Der ranghöchste des Systems.«
»Kommandeur der Flotte?«, fragte ich. »Ein Admiral?«
»Kein Admiral«, erklärte sie tonlos. »Ein Pal‘athor, Kapitän zweiter Klasse.«
»Das scheint mir nicht sehr viel zu sein.«
»Bis heute hat es immer ausgereicht. Irakhem ist sehr jung. Er steht noch am Anfang seiner Karriere.«
Ich machte mir klar, dass jener Mann namens Irakhem für die Rettung des Planeten zuständig sein würde. Wie ein junger Kerl das anstellen sollte, wusste ich nicht, doch die Geschichte bewies, dass er es irgendwie geschafft haben musste.
Nicht sein Rang war ausschlaggebend, sondern sein Talent. Auf der anderen Seite wusste niemand besser als ich, dass bestimmte Fähigkeiten mit einer bestimmten Ausbildung verbunden waren. Ich erinnerte mich sehr genau, wie schwer es war, den Sprung zum Admiral zu schaffen. Ein Pal‘athor konnte im Grunde keine Flotte führen.
Die Prinzessin zwang den Gleiter in eine enge Kurve, deren Wucht mir beinahe den Atem raubte.
Sie will dich nur beeindrucken, Arkonide.
Und das gelingt ihr auch vorzüglich, antwortete ich dem Logiksektor, innerlich lachend.
Sie deutete auf einen mächtigen Kugelraumer, eine 500 Meter durchmessende Einheit, die auf dem siebzig Kilometer entfernten Raumhafen gelandet war.
»Das ist die TRAVERSANS EHRE, Irakhems Flaggschiff. Sobald die Strafexpedition von BRY 24 angekommen ist, wird das Schiff starten. Und dann werden wir es niemals wiedersehen. Es sei denn …«
»Vergiss es!«, antwortete ich barsch. »Ich weiß genau, was du andeuten willst. Aber diese Art Hilfe kann ich euch nicht geben. Ich besitze keine Raumflotte, und ich bringe keine Wunderwaffen mit!«
»Du denkst nicht einmal nach, wie du uns helfen kannst!«
»Völlig richtig. Weil es nichts nachzudenken gibt!«
Ich warf einen Seitenblick auf die Prinzessin. Ihr platinblondes Haar war wesentlich kürzer geschnitten als meines, so dass ich ihr Gesicht gut erkennen konnte. Die Lippen waren zusammengepresst.
»Das reicht!«, rief ich ärgerlich. »Ende des Rundflugs.«
Die Prinzessin drehte den Gleiter in der Luft, gab Gegenschub und hielt mit hoher Geschwindigkeit auf den Palast zu.
»Tamarena!«
»Was?«
Ich deutete auf den Park westlich des Stadtkerns, an dem sich in zehntausend Jahren der Himmelskrater befinden würde. Vor meinem inneren Auge sah ich einen Moment lang den Himmel über Traversan erglühen; ich sah eine feindliche Flotte über Erican; und ich sah eine Bombe, die zu Boden fiel.
»Gibt es für diesen Park einen Namen?«
»Wir nennen ihn den Garten der Sonne. Mein Vater hat darin das größte Observatorium des Brysch-Sektors errichten lassen. Die Forscher reisen zum Teil mehr als hundert Lichtjahre weit, um hier zu arbeiten.«
»Dieses Gebiet muss evakuiert werden«, hörte ich mich sagen. »Sieh zu, dass vor dem großen Gefecht niemand im Garten der Sonne zurückbleibt.«
Tamarena sah mich merkwürdig an, so als habe sie ein seltenes Tier vor sich. Sie sagte nichts, sondern steuerte den Gleiter wortlos zum Palast zurück.
Mein Extrasinn kommentierte sarkastisch:
Der erste wirklich schwere Fehler, Arkonide! In diesem Moment hast du zum ersten Mal in größerem Ausmaß die Vergangenheit verändert.
Den ganzen Tag lang blieb es ruhig. Im Palast des Nert wurde stündlich mit dem Eintreffen eines schlagkräftigen Verbandes gerechnet.
Fürst Kuriol erklärte mir die Lage. Demnach verfügte Arkons Statthalter, der Sonnenkur Pyrius Bit, über zweihundert Kriegsschiffe. Für einen Sektor mit 212 besiedelten Planeten war das keine hohe Zahl. In einem Zeitalter zunehmender Unruhe ließ sich mit weniger als einem Schiff pro besiedelten Planeten kein sicherer Friede garantieren.
Imperator Reomir IX. erhielt aus dem Brysch-Sektor allerdings vergleichsweise geringe Steuerabgaben, so dass eine größere Flottenpräsenz nicht lohnend war.
Schon Arkons alte Ökonomen haben mit spitzer Feder gerechnet, bemerkte mein Logiksektor. Dies könnte sich zu deinem Vorteil auswirken.
Man musste außerdem bedenken, dass die Flotte der Traversaner offiziell zum Imperium gehörte. Traversan verfügte über arkonidische Technik; die Kapitäne waren auf der Galaktonautischen Akademie von Arkon III ausgebildet; der Pal‘athor namens Irakhem unterstand im Normalfall nicht nur Kuriol, sondern dem Flottenzentralkommando.
Reomirs Strategen hatten nicht damit kalkuliert, dass sich Traversan gegen den Statthalter von BRY 24 wenden würde. Das, was man auf der Erde den menschlichen Faktor nannte, hatte man offensichtlich vergessen.
Kein Wunder bei einem Imperium, das 50.000 Kolonial- und Fremdvölker in sich vereint.
Niemand hatte mit einem Statthalter namens Pyrius Bit gerechnet, den ich zwar nicht kannte, der aber keinerlei diplomatisches Geschick zu besitzen schien. Und niemand hatte geglaubt, dass der Stolz von Traversan größer war als die Angst vor imperialen Truppen.
Die halbe Nacht verstrich ereignislos. Ich legte mich schlafen, und ich konnte nichts dagegen tun, dass in meinen Träumen Prinzessin Tamarena eine erhebliche Rolle spielte. Die Berührung ihrer Hände elektrisierte mich. Sie trug ein weißes Gewand, das mehr entblößte als verhüllte, und sie bewegte sich an meiner Seite durch einen dunklen Wald, der nicht enden wollte.
Mit ihren Augen berührte sie meine Seele. Die Kraft ihrer Gedanken flößte mir eine umfassende Ruhe ein. Jede ihrer Bewegungen präsentierte Eleganz. Sie besaß den Stolz des arkonidischen Adels, doch sie trat nicht als degenerierte Schlange auf, sondern als eine fähige Frau, die mir gewachsen war.
Kurz vor Einbruch des Morgengrauens gellte eine Alarmsirene.
Die Traumbilder platzten wie Seifenblasen. Der Wald existierte nicht, und die Prinzessin war nicht bei mir, sondern weilte irgendwo im Palast.
Ich war sofort wach.
Der Bildschirm neben meinem Lager flammte auf. Am anderen Ende erkannte ich das Gesicht des Nert: Kuriol musste die Nacht hindurch gewacht haben.
»Atlan! Es ist soweit!«
Kuriols Gesicht war blass, und seine Stimme zitterte gerade so sehr, dass ein Mann wie ich es heraushören konnte.
»Pyrius Bit hat eine Flotte geschickt. Ich erwarte Sie im Kommandosaal. Prinzessin Tamarena wird Sie in wenigen Minuten abholen.«
Kuriols Gesicht verblasste, der Nert hatte abgeschaltet.
Die Strategen der anderen Seite mussten sich ausgerechnet haben, wann Erican im Schlummer lag. Danach hatten sie ihren Zeitplan ausgerichtet. Der Schockeffekt war auf diese Weise größer, auch wenn es zu einem echten Überraschungsangriff natürlich nicht kommen konnte. Zwischen der Ankunft und dem Erreichen des Ziels mit Unterlichtgeschwindigkeit verstrichen in der Regel einige Stunden. Der Gegner hatte immer noch Zeit, sich zu formieren.
Stellte sich nur die Frage nach dem Kräfteverhältnis. Es konnte zwei zu eins sein oder tausend zu eins, abhängig davon, ob Pyrius Bit Hilfe von Arkon angefordert hatte.
Irakhem war gerade eingeschlafen, als der Alarm ertönte. Es war das durchdringendste Geräusch, das die billige Bauart der Flottenlautsprecher erlaubte; buchstäblich geeignet, um Tote zu wecken und Schlafende aus einem noch so tiefen Traum zu reißen.
Seine Kabine an Bord der TRAVERSANS EHRE schien ihm plötzlich wie eine dunkle, muffige Gefängniszelle. Er streifte seine Uniform über und stürmte auf den Korridor hinaus. Endlich! Irakhem hatte die Spannung kaum noch ausgehalten.
Das Laufband auf dem Hauptkorridor trug ihn zum zentralen Antigravschacht.
Eine Gruppe von Arbtanen blockierte seinen Sprint. Er stieß sie beiseite und katapultierte sich förmlich in die abwärts führende Röhre. Flüche und Verwünschungen folgten ihm – bis die Arbtane erkannten, wem sie da soeben begegnet waren, und abrupt verstummten.
An ihrer Bestrafung besaß er kein Interesse. Die Männer hatten nichts falsch gemacht, sondern lediglich im Weg gestanden. Irakhem war sich darüber im Klaren, dass er seinem Ruf als ungeduldiger Heißsporn auf diese Weise Nahrung gab. Aber besser das, als am Ende zu viel Zeit zu verlieren.
Der Schacht trug ihn wenige Stockwerke weit. Eines der Privilegien, die er genoss, war die relative Nähe seiner Unterkunft zur Zentrale. Kommandanten mussten rasch an Ort und Stelle sein.
»Pal‘athor! Hier!«
Irakhem wandte sich direkt zum Ortungsstand. Der leitende Orbton winkte ihm aufgeregt.
»Nun?«, fragte er knapp.
Der Ortungsoffizier ließ ein großformatiges Display erscheinen. Irakhem erkannte eine unüberschaubare Anzahl roter Punktreflexe am Rand des Trav-Systems.
Er spürte, wie einen Moment lang die Farbe aus seinem Gesicht wich. Seine Augen fingen zu tränen an; bei Arkoniden ein sicheres Indiz übermäßiger Erregung.
»Wie viele sind es?«
»Nicht so viele, wie es scheint, Pal‘athor! Wir haben exakt hundert Einheiten gezählt.«
»Schlachtschiffe der Imperiumsklasse?«
»Keine«, behauptete der Orbton. »Dafür orten wir dreißig 500-Meter-Schlachtkreuzer der Fusufklasse. Der Rest entfällt auf vierzig Schwere Kreuzer und nochmals dreißig Leichte Kreuzer.«
Irakhem fühlte sich auf der einen Seite erleichtert; Pyrius Bit hatte nicht seine ganze Streitmacht geschickt, sondern nur etwas mehr als die Hälfte. Auf der anderen Seite wusste er, dass die Erleichterung völlig irrational war. Denn sie würden diesen hundert Einheiten zweifellos unterliegen.
Er vergaß nicht eine Sekunde lang, dass er mit neunzig Schiffen gegen nur zwölf Einheiten von Pyrius Bit angetreten war. Trotz der Unterlegenheit hatte der Verband des Sonnenkurs zwanzig Raumer von für Traversan mit in den Untergang genommen.
Diesmal sah das Verhältnis anders aus: siebzig Schiffe für Traversan, hundert für den Sonnenkur.
Nach allem, was er über Pyrius Bit wusste, saß der aufgeschwemmte Fettsack sicher in seinem Stützpunkt auf BRY 24. Die Kastanien ließ er von anderen aus dem Feuer holen.
Irakhem trat in die Mitte der Zentrale. Er blickte die Männer an, die seine Besatzung bildeten, vom Feuerleitstand bis zu den Spezialisten an der Positronik. Aus zahlreichen Augen las er Entschlossenheit, aber auch Furcht. Beides konnte er gut verstehen. Im Gefecht würde nur noch die Entschlossenheit übrigbleiben.
»Kraftwerke hochfahren!«, ordnete er an.
Ein Vibrieren im Infraschallbereich schüttelte den Raumer durch. Irakhem spürte es bis in seine Schädelknochen.
»Impulstriebwerke in den Leerlauf schalten!«
Irakhem schwang sich in den Kommandantensessel auf der Empore in der Mitte der Zentrale. Er überlegte, weshalb Bit wieder nicht seine ganze Streitmacht geschickt hatte, sondern nur die Hälfte.
Nicht, dass die hundert Schiffe nicht genug gewesen wären; doch der Sonnenkur hätte leicht tausend Schiffe zusätzlich vom Imperator erhalten können.
Pyrius Bit stand möglicherweise unter Druck. Vielleicht wollte er nicht zugeben, dass er mit seinen Schwierigkeiten im Brysch-Sektor nicht allein fertig wurde. Oder er wollte nicht riskieren, dass das Flottenzentralkommando einen zusätzlichen Admiral schickte. Dann wäre Bit seine Befehlsgewalt los gewesen. Grund genug, dachte Irakhem, die Sache allein zu regeln.
Hinzu kam eine weitere Überlegung. Pyrius Bit konnte nicht sicher sein, dass die Flotte von Traversan sich offen zum Kampf stellen würde.
Bit rechnet offenbar mit einem Gegenangriff, bestätigte sein Logiksektor. Wenn er BRY 24 vollständig entblößt, ist er bei einem Racheakt ein toter Mann. Deshalb behält er die Hälfte seiner Flotte zurück.
Irakhem kommandierte:
»Startmanöver durchführen! Position im Orbit ansteuern!«
In der TRAVERSANS EHRE brach höllischer Lärm los. Das Schiff erhob sich auf den Strahlen seiner Impulstriebwerke.
Irakhems Blick wanderte zur Panoramagalerie, die wie durch ein Fischaugenobjektiv die abtauchende Hauptstadt Erican zeigte. Er machte sich klar, dass er nicht wiederkehren würde. Sie alle würden innerhalb der nächsten zwanzig Stunden ihr Leben verlieren.
Und dann kam Traversan an die Reihe. Irakhem hoffte, dass die Flotte des Sonnenkurs es bei der Vernichtung der aufständischen Einheiten belassen würde; vielleicht noch ergänzt durch die Vernichtung des Palastes, durch die Auslöschung des Da-Traversan-Adels und seiner Familienmitglieder.
Der Planet selbst würde vielleicht noch einmal davonkommen, auch wenn die Wahrscheinlichkeit dafür nicht sehr groß schien.
Irakhem formierte seine Kräfte eine Lichtstunde jenseits der Planetenbahn.
Kurz darauf kam ein Funkspruch herein. Irakhem sah auf dem Schirm das Bild eines unscheinbaren, kahlköpfigen Mannes mit verkniffenen Augen erscheinen. Er trug die Uniform der Imperiumsflotte. Seine albinotisch roten Augen zeigten, dass er ein reinrassiger Arkonide war, trotz des fehlenden Haupthaars.
»Vere‘athor Troimus ruft unbekannten Befehlshaber. – Vere‘athor Troimus ruft …«
»Hier Pal‘athor Irakhem. Traversanische Raumflotte.«
Der Kahlköpfige setzte einen väterlichen Blick auf.
»Pal‘athor, ich überbringe den Kapitulationsbefehl von BRY 24. Sobald sich die Familie des Nert und die Kommando-Offiziere in Pyrius Bits Hand befinden, wird der Sonnenkur seine neuen Bedingungen nennen.«
Irakhem antwortete höflich:
»Es tut mir leid, Vere‘athor, Ihr Ersuchen ablehnen zu müssen. Wir ziehen es vor, zu kämpfen.«
Der väterliche Ausdruck in Troimus‘ Gesicht verschwand, stattdessen erblickte Irakhem nur noch Zorn.
»So sei es denn, Pal‘athor! Welch eine Verschwendung!«
Die Flotte von BRY 24 näherte sich mit fünfzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit. Damit verbuchte Troimus bereits den ersten strategischen Vorteil; denn Irakhem musste nicht nur seine eigene Flotte schützen, sondern in erster Linie den Planeten Traversan gegen durchgebrochene Einheiten sichern.
Bewegten sich zwei Schiffe mit halber Lichtgeschwindigkeit aufeinander zu, dann betrug die heiße Gefechtsphase nur drei oder vier Sekunden. Davor und danach waren die Kontrahenten außer Schussreichweite. Irakhem konnte sich ausrechnen, dass drei oder vier Sekunden zu wenig waren. In dieser Zeit konnte er die Flotte von BRY 24 nicht aufhalten. Troimus würde mit seinen Einheiten unbehelligt Traversan erreichen – und konnte nach Vernichtung des Planeten in aller Ruhe die Verteidigerflotte auslöschen.
Irakhems Schiffe nahmen Fahrt auf.
Sie beschleunigten auf knapp dieselbe Geschwindigkeit wie Troimus‘ Verband und achteten darauf, zusätzlich dieselben Kursvektoren zu halten. Der Abstand zwischen beiden Flotten zehrte sich zusehends auf.
»Zeit bis Feuerreichweite?«, fragte er laut.
Der Orbton an der Positronik antwortete:
»Neunzig Sekunden, Pal‘athor!«
Zehn seiner Schiffe sandte er einige Millionen Kilometer weit voraus, allesamt Leichte Kreuzer. In die eigentliche Schlacht konnten sie damit nicht eingreifen. Ihre Aufgabe bestand darin, eventuell durchgebrochene Einheiten aufzuhalten, bevor sie Traversan erreichten.
Irakhem konnte sich den Verlust im Grunde nicht leisten. Seine Streitmacht reduzierte sich so von siebzig auf sechzig Einheiten. Auf der anderen Seite konnte er Traversan nicht preisgeben – Vorteil Nummer zwei für Troimus.
Zwanzig Lichtminuten vor Erreichen der Planetenbahn kam es zum Zusammenstoß.
Troimus hatte seine Flotte in dreißig kleine Gruppen gegliedert. Jeweils ein Schwerer und ein Leichter Kreuzer flankierten einen 500-Meter-Schlachtkreuzer der Fusufklasse. Ein Verband von zehn Schweren Kreuzern hielt sich abseits vom Kampfgeschehen in sicherer Entfernung.
Anzunehmen, dass Troimus von dort das Kommando führt, behauptete sein Extrasinn.
Damit hatten beide Seiten gleich viele Einheiten aus der Schlacht herausgelöst. Vor- und Nachteile waren egalisiert.
Irakhem befahl:
»Sperrkordon halten! An alle Einheiten: Bei Kernschuss-Reichweite der schweren Impulskanonen automatisch Feuer eröffnen! Erste Raketensalve mit selbstlenkenden Köpfen ausschleusen!«
Es dauerte zehn Sekunden. Irakhem prüfte, ob er an seinen Kontursessel geschnallt war.
»Kanonen 1 bis 8 – feuerklar!«
Er nickte den Männern am Feuerleitstand zu.
In der TRAVERSANS EHRE brach ein Inferno los. Innerhalb eines Atemzuges sah er die Schutzschirmauslastung auf den Rekordwert von 190 Prozent klettern. Die Zahl, so irreal sie schien, bedeutete eine sehr konkrete Lebensgefahr. Es konnte jeden Augenblick zu Ende sein.
Ein Blitz schlug von der einen Seite der Zentrale zur anderen. Aggregate fingen zu kohlen an. Am Rand seines Blickfeldes schrien Techniker unverständliche Wortfetzen.
»Gegenschub!«, brüllte er. »Schirme verstärken!«
Irakhem erinnerte sich an die erste Schlacht um Traversan, als er gehofft hatte, dass irgendein wie auch immer gearteter Zufall sich zu ihren Gunsten auswirken würde.
Es wird allmählich Zeit für das Wunder, dachte er.
Sein Logiksektor stimmte zu: Der Meinung bin ich ebenfalls.
Im Kommandosaal des Palastes von Erican versammelten sich zwei Dutzend Personen. Die Blicke aller waren an die Wand gerichtet, auf eine rotierende Holographie, die in komfortabler 3-D-Sicht das Kampfgeschehen abbildete. Allerdings waren keine Fachleute dabei; die Raumfahrer des Systems befanden sich oben, jenseits des Orbits, in einer zum Untergang verurteilten Abwehrflotte.
Ich schaute in gefasste Gesichter. Meiner Versicherung, dass den Personen am Boden nichts geschehen konnte, wurde kein Glauben geschenkt. Selbst Nert Kuriol schien mit dem Leben abgeschlossen zu haben. Ich empfand Verständnis für die Leute; an ihrer Stelle hätte ich kaum anders reagiert.
In diesem Augenblick wurde das Feuer eröffnet.
Das Hologramm explodierte in einer Orgie aus fehlerhaft dargestellten Strahlschüssen und Schiffsbewegungen. Für die Abbildung eines komplexen Kampfgeschehens war es nicht geeignet. Von hier konnten lediglich sehr grobe strategische Entscheidungen getroffen werden.
Ich war sicher, dass der Kapitän zweiter Klasse Irakhem über eine sehr viel differenziertere Sicht der Dinge verfügte. Schließlich hatte ich oft genug selbst in einer Schlacht das Kommando geführt.
Meine Augen fingen zu tränen an. Am Boden waren wir machtlos, wir konnten nichts tun außer zusehen.
Kapitän Irakhem beging seinen ersten Fehler, als er die Raketenwaffen gleich zu Anfang einsetzte. Im Feuersturm der ersten Sekunden erreichte kaum ein Viertel sein Ziel. Damit hatte er sich einer wichtigen taktischen Waffe beraubt, ohne einen Vorteil daraus zu ziehen.
»Atlan!«
»Ich höre«, sagte ich tonlos.
Neben mir stand plötzlich Tamarena. Die Prinzessin trat hilflos von einem Fuß auf den anderen, und sie starrte mit einer Spannung auf das Hologramm, als wolle sie jede Sekunde persönlich in die Kämpfe eingreifen.
»Du darfst das nicht zulassen«, drängte sie mich. »Da oben sterben mit jedem explodierenden Schiff Hunderte von Menschen!«
»Ich kann nichts daran ändern, Tamarena.«
Sie ballte die Hände und starrte mich an, als sei die Schlacht jenseits des Orbits meine Schuld. Mit hilflosem Zorn drehte sie sich um.
Fürst Kuriol trat an meine Seite, und er legte eine Hand auf meine Schulter.
»Nehmen Sie es ihr nicht übel«, sagte er. »Sie kennt Irakhem sehr gut. Ihn und noch einige andere Traversaner in der Flotte.«
Ich versuchte zu erklären:
»Erhabener, ich habe niemals für die Sicherheit der Raumschiffe garantiert. Ich habe nur gesagt, Traversan wird unversehrt bleiben!«
»Das weiß ich.«
»Man hätte die Schiffe in ein anderes System verlegen sollen!«
»Und Traversan ohne Schutz lassen?«
»Es existiert auch so kein Schutz!«, platzte es aus mir heraus. »Die Schiffe da oben sind Kanonenfutter, Nert!«
Kuriol entgegnete nichts darauf. Er winkte seine Tochter heran und versuchte, sie zu beruhigen.
Sie denkt gar nicht daran, behauptete mein Extrasinn. Pass auf diese Frau auf. Sie ist zu jeder Kurzschlussreaktion imstande.
Nebenbei behielt ich Tamarena im Sichtfeld. Der Hauptteil meiner Aufmerksamkeit galt allerdings der Schlacht.
Ich erkannte, dass Irakhem sich nicht ungeschickt anstellte – gemessen an seiner Qualifikation als Pal‘athor. Die vielen kleinen Fehler fielen mir jedoch ins Auge, selbst angesichts des schlecht auflösenden Hologramms.
Dies war das Jahr 12.402 da Ark. Zehntausend Jahre vor der Gegenwart, in die ich gehörte. In dieser Zeit war ich ein Fremdkörper, und ich machte mir immer wieder klar, dass jede Handlung meinerseits für die Gegenwart eine Katastrophe bedeuten konnte. Jeder Fehler konnte dazu führen, dass der Zeitstrom gespalten wurde. In meine Zeit konnte ich dann niemals wieder zurückkehren.
Tamarena riss sich von Kuriol los. Sie baute sich so nahe vor mir auf, dass ich ihren Atem auf meiner Haut spürte:
»Atlan! Ich bitte dich noch einmal um Hilfe! Wir dürfen die Flotte von Traversan nicht untergehen lassen!«
»Für mich ist es längst Vergangenheit!«, erwiderte ich rau. »Ich darf kein Zeitparadoxon auslösen!«
»Du bist ein Feigling!«, warf sie mir vor.
Ihr Gesicht hatte jede Farbe verloren.
»Was stellst du dir vor? Was soll ich konkret tun?«, fragte ich sie. »Ich bin nur ein einzelner Mann! Ich habe keinen schwarzen Zylinder und keine Zaubertricks. Ich kenne nur die Zukunft, das ist alles. Und ich sage euch: Traversan überlebt! Solange ich mich still verhalte! Solange die Kausalität gewahrt bleibt.«
»Bitte!«, drängte sie.
»Wenn ich die Nerven verliere, dann ist alles in Frage gestellt. Dann kann es sein, dass eure Heimat untergeht. Wenn ich eingreife, ist alle Sicherheit dahin, weil man sich auf den Lauf der Geschichte nicht mehr verlassen kann.«
»Du kannst das nicht ernst meinen, Atlan!«
»Stehe ich etwa selbst nicht hier unten? Ich weiß, was passiert, wenn die imperiale Flotte über Traversan erscheint. Dann sterbe auch ich.«
Ich blickte in ihre Augen – von denen ich eine Stunde zuvor noch so intensiv geträumt hatte. In ihren Zügen erkannte ich blanke Ablehnung.
»Diese Männer sterben!«
»Ich … ich kann nichts daran ändern!«
Etwas in ihren Zügen veränderte sich mit einem Mal.
»Du bist wirklich nur ein Schwätzer«, sagte sie abfällig. »Und ich, ich dachte schon …«
Kuriol griff nach ihrem Arm.
»Tamarena.«
Doch die Prinzessin riss sich los, mit einem heftigen Ruck, der den weitaus größeren Nert beinahe ins Straucheln gebracht hätte. Anklagend streckte sie die Hand aus.
»Vater! Ich habe seine Gedanken gelesen! Da ist noch etwas, das ich bis jetzt nicht preisgegeben habe. Dieser Mann …«, ihr Finger zeigte direkt auf mich wie auf einen Angeklagten, »dieser Mann ist ein Admiral! Er ist ein erfahrener Flottenkommandant! Er könnte Irakhem und die anderen jederzeit retten!«
Von einer Sekunde zur anderen trat Stille ein. Das war es also, flüsterte mein Extrasinn. Irgendetwas hat sie verheimlicht, und jetzt ist es heraus. Sie wollte dir wohl Gelegenheit geben, dich selbst zu offenbaren.
Ich blickte in betretene Mienen. Kuriol fragte:
»Ist das wahr, Atlan?«
»Ja, Erhabener. Aber ich versichere Euch, dass es nichts an den Gegebenheiten ändert.«
Der alte Nert schwieg eine Weile. Dann ließ er die Schultern hängen und sprach:
»Ich verstehe Sie.«
Tamarena stieß einen wütenden Schrei aus.
»Du hörst dies, Vater – und du tust nichts?«
»So ist es.«
Die Prinzessin presste die Lippen zusammen. Ich konnte sehen, dass sie in diesem Augenblick einen Entschluss fasste. Aber ich hatte nicht den Schimmer einer Ahnung, um was es sich handelte.
Bevor jemand reagieren konnte, war sie bereits auf dem Weg zum Ausgang. Tamarena stürmte auf den Korridor hinaus. Wir anderen blieben im Kommandosaal zurück. Ich tauschte einen hilflosen Blick mit Nert Kuriol.
Das Hologramm präsentierte immer neue Szenen der Schlacht im Weltraum. Irakhems Fehler wirkten sich langsam, aber sicher aus. Traversan besaß nur noch eine kurze Gnadenfrist.
Aus den Augenwinkeln sah ich eine Ordonnanz. Der Mann eilte herbei und flüsterte etwas in Kuriols Ohr. Ich ahnte, dass es etwas mit der Prinzessin zu tun hatte.
»Tamarena?«, fragte ich den Nert ahnungsvoll.
»Ja. Im Dachhangar des Palastes stehen einige schnelle Leka-Disken. Sie hat einen davon bestiegen.«
Ich spürte, wie mein Mund trocken wurde.
»Hat sie irgendetwas gesagt, wo sie hinfliegen wollte?«
Der alte Nert deutete wortlos nach oben. Ich wusste es auch so. Prinzessin Tamarena war auf dem Weg zur Schlacht.