Читать книгу EXO - Hans Müller-Jüngst - Страница 10

Jasmin und Bernd

Оглавление

Bernd ist der verhaltene Junge geblieben, der er immer gewesen war, und wenn Jasmin ihn nicht ab und zu aufmuntern würde, würde er vollkommen versauern. Aber einmal angestoßen und zu neuem Leben erweckt, konnte er Berge versetzen und vor Übermut überschäumen, sodass man ihn kaum wiedererkannte. Jasmin fragte sich dann immer, welche zwei Seelen wohl in seiner Brust wohnten, die zwei so gegensätzliche Charaktere in einer Person vereinten. Bernd hatte nach seinem Abitur Informatik in Hannover studiert, ein Studiengang, der nicht gerade die aktivsten und vor Energie strotzenden Studenten erforderte, sondern eher ruhige Lerner verlangte, die den abstrakten Stoff unhinterfragt in sich aufzunehmen bereit waren. Seinen ursprünglichen Plan, Lehrer werden zu wollen, hatte er verworfen. Bernd konnte tagelang auf seinem Zimmer sitzen und lernen, er drohte in dieser Zeit bald zu vereinsamen und wenn Jasmin ihn besuchen kam, öffnete sie erst einmal die Fenster und forderte Bernd auf, zu duschen und sich frische Sachen anzuziehen. Bernd schaute dann immer ganz verdutzt und wusste nicht so recht, wie er Jasmins Befehlston einzuordnen hatte, er fügte sich letztlich aber immer und tat, was Jasmin von ihm verlangte. Nach seinem Studium hatte Bernd eine Stelle am kommunalen Rechenzentrum der Hansestadt Bremen angenommen, wo er den ganzen Tag vor den großen Computern saß und aufpasste, dass die Software nicht anfing, verrückt zu spielen.

Es geschah aber höchst selten, dass er einmal einschreiten und das Programm korrigieren musste, und wenn ein Fehler auftrat, wurde der umgehend bemerkt und eine Alarmierung in Gang gesetzt, die seinen Vorgesetzten auf den Plan rief, der den Fehler dann in Eigenregie behob. Im Grunde war Bernd nur ein Statist, der zum Nichtstun verurteilt war, aber das störte ihn nicht im Mindesten, er wusste, dass er ein guter Informatiker war, der seine Fähigkeiten hatte, die er jederzeit abrufen konnte. Er fühlte sich während seiner Arbeitszeit auch nicht gelangweilt und überbrückte die Zeit, indem er Algorithmen aufstellte, die Programme steuerten, die er sich selbst ausgedacht hatte, und nicht einmal diese Betätigung stand in einem Zusammenhang zu seiner Arbeit. Jasmin hatte ihre Mittlere Reife an der Realschule gemacht und sich während ihrer Ausbildung zur Steuerfachgehilfin noch dazu durchgerungen, eine Abendschule zu besuchen und das Fachabitur nachzuholen, was an sie höchste Ansprüche stellte, denn nach dem Achtstundentag noch diese Mühe auf sich zu nehmen, dazu gehörte schon etwas. Sie studierte anschließend BWL an der Fachhochschule und machte ihren Bachelor, zusätzlich hätte für sie die Möglichkeit bestanden, den Masterstudiengang anzuhängen. Für sie war aber im Hinblick auf ein Weiterlernen die Luft raus und sie suchte sich einen Job. Jasmin hatte Glück und fand eine Stelle als Sachbearbeiterin in der Verwaltung der Senatorin für Finanzen.

Sie hatte sich die Internetseite der Senatorin angeschaut und sich einfach beworben, kurze Zeit später erhielt sie den positiven Bescheid. Man suchte gerade BWLer, vor allem mit dem Background, den Jasmin mit ihrer Ausbildung mit sich brachte. Jasmin und Bernd suchten sich eine Wohnung und zogen in die Vahr. Von ihrem Einkommen her konnten sie sich eine schöne Dreizimmerwohnung leisten. Die Wohnung hatte einen großen Balkon, auf dem sie sommertags immer saßen. Einen Garten hatten sie nicht und Bernd vermisste auch keinen Garten, denn sie hatten früher zu Hause auch keinen Garten. Das sah bei Jasmin ganz anders aus, sie war mit Gartenarbeit groß geworden und sehnte sich danach, zu pflanzen, zu düngen oder Sträucher zu schneiden. Aber sie wusste, zumindest für eine überschaubare Zeit, durchaus auch einmal ohne Garten zurecht zu kommen. Ihre Wohnung lag in einem Dreifamilienhaus in einer sehr ruhigen Gegend, es war so ruhig um sie herum, dass Jasmin sich manchmal nach etwas Lärm sehnte, nach irgendwelchen Geräuschen, die mit dem Lebendigen verbunden waren, nach Kindern, Haustieren oder dem Schrei Sportbegeisterter, die ihrem Verein zujubelten. Die Abende, die Bernd und sie zusammen verbrachten, verliefen immer gleich. Beide kamen sie um 17.00 h von der Arbeit nach Hause, begrüßten sich und Bernd machte sich eine Flasche Bier auf, anschließend setzten sie sich in die Küche an den Tisch und aßen zu Abend.

Sie redeten beim Essen kaum miteinander, denn Bernd war nicht der Typ, der gern redete. Im Gegensatz zu Jasmin, die ein riesiges Erzählbedürfnis hatte, bei Bernd aber regelmäßig auf taube Ohren stieß, was sie irgendwann zornig werden ließ. Bernd hatte ja aber auch keine Erfahrungen von Belang angesammelt, über die sich zu reden gelohnt hätte, und er war mit seinem Leben soweit zufrieden. Das sah bei Jasmin ganz anders aus, sie hatte sogar Angst, zu verkümmern, wenn sich in ihrem Leben nicht bald etwas Grundlegendes ändern würde. Man muss doch miteinander reden, dachte Jasmin und einmal platzte ihr der Kragen und sie sprach Bernd direkt darauf an, sie sagte:

„Ich halte das nicht länger aus, ich kann nicht so mit Dir leben, wir öden uns gegenseitig an, als hätten wir uns nichts zu sagen, wir leben wie alte Leute, die ihr Leben schon gelebt haben.“

„Ich verstehe nicht, was Du meinst, ich habe gar nicht das Bedürfnis, ununterbrochen mit Dir zu reden, und wenn Dir danach ist, dann treffe Dich doch mit irgendwelchen Freundinnen und tausche Dich mit denen aus!“, erwiderte Bernd.

„Aber ich lebe doch mit Dir zusammen“, sagte Jasmin „und da möchte ich mich schon mit Dir unterhalten können, es muss ja kein tiefgründiges Gespräch sein, das wir führen, aber wir können doch Worte miteinander wechseln!“ Aber Bernd zeigte kein Interesse an Gesprächen und Jamsin war schon verunsichert, sie hätte eigentlich allen Grund gehabt, die Beziehung mit Bernd zu beenden, aber sie war ein Kämpfertyp und sie sagte sich, dass es ihr doch gelingen müsste, Bernd zum Reden zu bringen.

Wenn aus ihrem Zusammenleben kein Gespräch erwüchse, dann müssten eben Impulse von außen kommen und Jasmin kam auf die Idee, Bernd und sich im Golf-Club-Oberneuland anzumelden. Aber Bernd war strikt dagegen:

„Warum soll ich Golf spielen, etwas Langweiligeres als Golf gibt es doch gar nicht, das ist etwas für ältere Herrschaften, die sich kaum noch bewegen können!“, protestierte er. Jasmin erwiderte:

„Lass es uns doch wenigstens ein Jahr lang ausprobieren, wir leihen uns zunächst unsere Ausrüstung zusammen und nach einem Jahr überlegen wir, ob wir eine Vollmitgliedschaft erwerben wollen!“ Bernd ließ sich am Ende breitschlagen und sie fuhren zum Golf-Club-Oberneuland, der auf der anderen Seite der A 27 lag. Als sie dort ankamen, wurden sie von sehr netten Leuten begrüßt und zu einem Gespräch bei einer Tasse Kaffee gebeten. Jasmin fiel das sehr positiv auf, Bernd war das gleichgültig, für ihn wollten die Golfbetreiber nur sein Geld. Ihr Ansprechpartner war ein Herr Bohms, der sie schließlich über die Anlage führte und an jedem der 18 Löcher einen Kommentar zu Schwierigkeit und einigen Spezialausdrücken beim Golf abgab wie Par, Birdie, Bogey, Greenfee, Handicap und Driving Range.

Aber sie brauchten diese Begriffe nicht zu behalten,

sie würden ihnen während ihres Spiels immer wieder begegnen. Herr Bohms empfahl Jasmin und Bernd, sich im Clubhaus eine Ausrüstung zu leihen und in der Driving Range ein paar Abschläge mit einem Golflehrer zu üben, danach sollten sie entscheiden, ob ihnen das Golfspielen Spaß machte oder nicht. Das taten die beiden anschließend auch und ließen sich jeder einen Schläger und Golfbälle geben, dazu probierten Jasmin und Bernd Golfschuhe an, die zwar nicht besonders gut aussahen, auf dem Rasen aber guten Halt gaben. Es stellte sich ihnen ein Golflehrer vor, und sie gingen mit ihm, als sie ihre Sache beisammen hatten, zur Driving Range, wo Abschläge geübt wurden. Der Bewegungsablauf beim Abschlag war so schwer nicht, und Jasmin und Bernd mussten ihn beide zunächst trocken üben, danach ging es ans Schlagen. Es gab bei ihnen am Anfang ein paar Luftschläge oder Schläge ins Gras, aber der Golflehrer machte ihnen Mut, sie sollten die Lust nicht verlieren und einfach immer weiter üben. Bernd war drauf und dran, die Flinte ins Korn zu werfen, er war im Grund ein Typ, der wie ein Tropf durch sein Leben ging und kaum einen Antrieb zu irgendetwas hatte, und wenn Jasmin ihm nicht immer wieder Feuer unterm Hintern machen würde, käme er zu nichts. Plötzlich gelangen ihm auch ein paar gute Abschläge und auch Jasmin brachte einige Abschläge zuwege, die brauchbar waren.

Und Bernd kam auf einmal richtig in Fahrt und wollte schon gar nicht mehr aufhören mit Abschlägen, die tatsächlich bei ihm auch alle kamen. Aber der Golflehrer sagte:

„Übertreiben Sie doch bloß nicht und machen Sie lieber Morgen weiter, Sie können dann auch endgültig aufs Grün gehen und spielen.“ Jasmin und Bernd gingen zur Anmeldung und meldeten sich für ein Jahr an. Das kostete 1250 Euro plus 200 Euro Anmeldegebühr und war damit nicht ganz billig, aber Geld spielte bei den beiden keine so große Rolle, und sie bezahlten den Betrag. Bernd hatte regelrecht Feuer gefangen und redete ununterbrochen über seinen Abschlag, als wäre er ein Golfprofi und er hörte auch zu Hause nicht auf, über das Golfen zu reden. Jasmin war glücklich, dass der Entschluss, im Golf-Club-Oberneuland anzufangen, gefruchtet hatte, und sie konnte sich prima mit Bernd unterhalten. Am nächsten Tag kam Bernd mit der Deutschen Golfzeitung von der Arbeit nach Hause und er zeigte Jasmin die Bilder darin, er stöberte die gesamte Zeitung durch und fieberte dem nächsten Golftermin entgegen, an dem er mit Jasmin zum ersten Mal auf dem Platz wäre. Ins Viertel zu Rosi und Berthold kamen Jasmin und Bernd nur selten und wenn, dann auf einen Geburtstag von einem von beiden. Es gab dann immer etwas Gutes zu essen und man erzählte sich Dinge, die man erlebt hatte, und das war bei Bernd Golf.

Er hielt sich dran zu schildern, wie Jasmin und er in der Driving Range gestanden hätten und das Golf gar nicht so läppisch wäre, wie er immer gedacht hatte. Die anderen kannten ihn dann gar nicht wieder, so redselig wie er geworden war und Rosi fragte ihn:

„Was ist in Dich gefahren, dass Du so viel erzählst, das kennt man ja gar nicht an Dir?“

„Das Golfspielen macht mir einfach unglaublich viel Spaß, und deshalb rede ich auch so gern darüber, ich fühle mich auf dem Platz wie ausgewechselt, und Jasmin und mir gelingen inzwischen auch gute Schläge“, entgegnete Bernd. Auffällig war bei Jasmin und Bernd, dass bei keinem von beiden einmal über Kinder gesprochen wurde und Jasmin sagte, nachdem Berthold sie direkt darauf angesprochen hatte:

„Vielleicht haben Bernd und ich auch irgendwann einmal Kinder, ich bin jetzt Mitte Zwanzig und habe damit noch reichlich Zeit, im Moment steht uns beiden nicht der Sinn nach Kindern, wir genießen unsere freie Zeit und tun Dinge nur für uns!“ Sie traf mit diesen Äußerungen bei den Anwesenden kaum auf Verständnis, besonders Agnes fand befremdlich, was Jasmin so redete, zumal sie selbst erst vor Kurzem Mutter geworden war. An solchen Abenden hielt es Bernd nie sehr lange auf seinem Stuhl, und er begann schon um 22.00 h zu drängeln, weil er nach Hause und ins Bett wollte, was die anderen kaum verstanden, weil sie sich doch nur so selten sahen. Jasmin versuchte Bernd immer davon abzubringen, so früh schon wieder nach Hause zu fahren, aber das gelang ihr nur für vielleicht eine halbe Stunde, danach stand Bernd auf und verabschiedete sich von allen und Jasmin blieb nichts anderes übrig, als mit ihm zu gehen.

Immerhin hatte sie Bernd dazu gebracht, zu reden, wenn auch nur über Golf, aber für den Anfang reichte das ja aus, man könnte den Kreis der Gesprächsthemen nach Belieben erweitern. Die beiden nutzten in der Folgezeit jede freie Stunde, um auf den Platz zu gehen und Golf zu spielen. Nach und nach schlossen sie rege Freundschaften zu anderen Golfern und trafen sich regelmäßig mit ihnen, auch bei sich in der Vahr. Jasmin und Bernd ließen dann Essen und Getränke kommen und verbrachten lange Abende mit ihren Golffreunden. Bernd war dann wie aufgedreht und redete und redete, er wurde von allen gemocht, weil er so eine Art an sich hatte, sich nicht in den Vordergrund zu drängen und auch andere zu Wort kommen zu lassen. Jasmin und Bernd führten fortan ein Leben, das sie beide sehr mochten, ihre Beziehung hatte einen neuen Schub bekommen. Von Kindern war bei ihnen aber weit und breit nichts zu sehen, sie hielten sich damit zurück, denn Jasmin hatte wirklich noch Zeit.

EXO

Подняться наверх