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Agnes und Tommy

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Im Vergleich zu Bernd war Agnes das sprühende Leben, sie kochte beinahe über vor Energie und Tatenddrang. Sie war schon seit Jahren mit Tommy zusammen und beide ergänzten sie sich hervorragend: da wo Agnes vor Energie über zu bersten drohte, war Tommy der Bremser und der Räsonierte, da wo Agnes auf ihr Gegenüber einredete und ihr Gegenüber gar nicht zu Wort kommen ließ, wusste Tommy sie zu bändigen und auch dem anderen die Chance einzuräumen, sich am Gespräch zu beteiligen. Agnes hatte nach ihrem Abitur Jura studiert, was sie immer vorgehabt und schließlich auch verwirklicht hatte. Sie war zum Studium nach Münster gegangen und hatte sich in dieser Stadt sehr wohlgefühlt. Sie war ihren Kommilitonen gleich wegen ihrer Redseligkeit und unbändigen Lebensfreude aufgefallen und wurde von allen sehr gemocht. Agnes wurde im Verlauf ihres Studiums in die verschiedenen Gremien der verfassten Studierendenschaft gewählt und verrichtete dort ihre Aufgaben immer zu aller Zufriedenheit. Tommy war in Bremen geblieben und hatte dort Wirtschaftsingenieurwesen Fachrichtung Maschinenbau studiert, was ein knüppelhartes Studium war. Ihm kam dabei entgegen, dass er auf seinem Gymnasium Mathe und Physik als Leistungskurse belegt und mit sehr gut abgeschlossen hatte. Die beiden sahen sich regelmäßig mal in Münster, wo Agnes in einer Wohngemeinschaft lebte und mal in Bremen, wo Tommy zu Hause geblieben war und sein Zimmer behalten hatte. Nach ihrem Studium waren sie zusammengezogen und hatten sich ein Häuschen in Fischerhude gekauft.

Der kleine Ort lag 20 Kilometer nordöstlich von Bremen und erfreute sich bei jungen Familien als Wohnort zunehmender Beliebtheit, die die Landluft genießen, aber gleichzeitig nicht allzu weit von der Stadt entfernt leben wollten. Das Landleben widersprach eigentlich auch dem unruhigen Wesen von Agnes, und Agnes bestand bei Tommy darauf, regelmäßig nach Bremen zur Schlachte zu fahren und ordentlich einen drauf zu machen. Sie trafen sich dann dort mit Bekannten aus dem Viertel, in dem auch Agnes Eltern lebten und die Agnes und Tommy noch von früher her kannten. Nachdem Agens und Tommy Nachwuchs bekommen hatten, war Agnes Trieb etwas gestillt, sie war gezwungen, sich Ruhe aufzuerlegen und sich um Philipp, ihren Sohn, zu kümmern. Tommy hatte eine Stelle beim Senator für Wirtschaft, Arbeit und Häfen bekommen und war im Hafenwesen in der Logistik beschäftigt, er war deshalb viel unterwegs und musste mehrmals wöchentlich nach Bremerhaven. Agnes hatte sich während ihre Studiums überlegt, wie es danach mit ihr weitergehen sollte, hatte die Richterlaufbahn eingeschlagen und war Familienrichterin geworden, was ihr viel Spaß bereitete. Sie war dem Amtsgericht Bremen zugewiesen und für die letzten Wochen ihrer Schwangerschaft freigestellt worden. Agnes hatte sich bemüht, eine Stundenreduzierung für sich durchzusetzen und arbeitete nur 20 Stunden die Woche, damit sie Zeit für Philipp hatte.

Fischerhude hatte sich zu einem Künstlerdorf gemausert und Agnes und Tommy waren kunstinteressierte Menschen, die sich gern mit den Künstlern unterhielten und sich ab und zu auch mal eines ihrer Werke zulegten. Skulpturen stellten sie, wenn sie aus Stein waren, in ihrem Garten auf und Bilder hängten sie in ihrem großen Wohnzimmer an die Wand. Fischerhude lag an der Wümme, einem kleinen Flüsschen, das sich ab Ottersberg zu den sogenannten Wümmewiesen verzweigte und in Lesum in die Hamme mündete, mit der es, zusammen mit der Lesum, 10 Kilometer weiter in die Unterweser floss. Die Wümme lud zu ausgiebigen Spaziergängen ein und Agnes und Tommy schnappten sich oft ihren Kinderwagen und schoben ihn mit Philipp darin den Fluss entlang. Manchmal kamen Rosi und Berthold nach Fischerhude raus und verbrachten eine schöne Zeit mit Agnes und Tommy zusammen. Sie gingen oft in Fischerhude ins Cafe und aßen dort ein Stück Kuchen und aßen es mit großer Freude, außerdem war das Cafe ein ausgesprochen angenehmer Aufenthaltsort. Bernd und Jasmin hatten sich noch nie in Fischerhude blicken lassen, obwohl es bis dorthin von ihrem Golf-Club nur ein Katzensprung war. Umgekehrt waren Agnes und Tommy schon zweimal bei ihnen in der Vahr, sie fanden es aber mit ihnen immer reichlich steril und unpersönlich und wenn Bernd seine Golfkenntnise ausschüttete, auch extrem langweilig, sagten ihm das aber natürlich nicht.

Dagegen fuhren sie mit Philipp sehr gerne ins Viertel zu Rosi und Berthold, die sich über die beiden und vor allem über ihr Enkelkind immer riesig freuten. Sie spazierten dann oft den Sielwall hoch bis zur Weser und liefen an dem Fluss entlang oder sie nahmen die kleine Fähre hinüber und gingen ins Cafe Sand, nachdem sie den Strandweg einmal auf und ab gelaufen waren, um danach wieder die Fähre zurück zu nehmen und ins Viertel zu gehen. Agnes war eine Frau, die ihre Mutterrolle ernst nahm, sie aber nicht zu einem Teil ihrer Persönlichkeit werden ließ, das hieß, dass sie neben der Kindererziehung durchaus auch ein Eigenleben führte. Und genau darüber stritt sie sich gern mit anderen Müttern aus Fischerhude, mit denen sie oft ganze Nachmittage bei sich oder bei denen verbrachte und Gespräch über Kindererziehung oder die Rolle der Mutter führte. Sehr gern wurde auch über PEKIP diskutiert, das sogenannte Prager Eltern-Kind-Programm, das eine Frühförderung schon für Babys im 1. Lebensjahr vorsah und auf allgemeinen Zuspruch seitens der meisten Mütter stieß. Anders Agnes, die PEKIP in den Bereich des Frühförderwahns einreihte, um den sich ein privater Bildungsmarkt etabliert hätte. Das Kleinkind würde zu früh in den sozialen Wettbewerb geworfen und durch zu viele Reize überfordert. Die Befürworterinnen des PEKIP-Konzeptes warfen Agnes dann immer Verbohrtheit vor, sie malte Gespenster an die Wand, wo es keine gäbe.

Agnes beließ sie in ihrem Glauben an das Gute in PEKIP und hielt den Punkt nicht für wert, dass man sich länger über ihn stritt. Viel wichtiger war ihr die eigene Rolle in dem Erziehungsprozess ihrem Kind gegenüber und auch die Rolle der anderen Frauen ihren Kindern gegenüber. Sie sah sich in der ablehnenden Position PEKIP gegenüber in der Minderheit und wurde auch massiv angegangen. Aber sie war stark genug, dem Druck standzuhalten und ihre Position aufrechtzuerhalten. Sie wusste ihre Mutter in dieser Debatte auf ihrer Seite, Rosi war aber aus einer eher pauschal begründbaren Haltung gegen PEKIP. Sie kannte das Konzept nur vom Hörensagen und war einfach gegen den Versuch, althergebrachte Haltungen zum Umgang mit Säuglingen über Bord zu werfen, ihr waren Mütter, die sich mit all ihrer Liebe um ihre Kleinstkinder kümmerten, am liebsten. Dass Agnes in ihrer völligen Hingabe aber den falschen Weg sah, behielt sie gegenüber Rosi für sich. Gegenüber den anderen Müttern wahrte sie aber ihre Position, dass sie unbedingt ihr Selbst behalten wollte. Letztlich würden beide davon profitieren, die Mutter, weil sie Ich-Stärke bewahrte und das Kind, weil es von einer starken Mutter vielmehr bekam als von so einem Jammerlappen, mit dem Agnes die anderen Frauen immer verglich. Tommy hielt sich aus solchen Diskussionen immer heraus, war aber auf der Seite von Agnes und wusste, dass man sich mit ihr besser nicht anlegte, denn Agnes stritt gern auf hohem intellektuellem Niveau, auf dem man manchmal nicht gegen halten konnte.

Der Kreis der Mütter blieb aber bestehen, trotz der divergierenden Ansichten zu Erziehungsfragen und sie alle wussten zu trennen zwischen ihrem theoretischen Streit und der alle gleich betreffenden manchmal harten Praxis. Mit drei Jahren kam Philipp in den Kindergarten und freute sich regelmäßig, wenn er mit Gleichaltrigen spielen konnte. Agnes hatte längst ihre Arbeit wieder aufgenommen und sie und Tommy hatten eine Kinderfrau eingestellt, die putzte, kochte und sich um Philipp kümmerte. Auch das wurde in der Frauengruppe natürlich heftig diskutiert, dass Agnes sich als reiche Frau so etwas leisten konnte, während sich beinahe alle anderen Mütter selbst um ihre Kinder kümmern mussten. Aber Agnes erkannte schnell, dass das vorgeschobenen Argumente waren, die verschleiern sollten, dass sie ihre ureigenste Aufgabe darin sahen, ihre Kinder selbst zu erziehen und sonst nichts. Agnes war charakterfest genug, sich darüber hinwegzusetzen und sie nahm niemandem diese Kritik übel. Sie freute sich im Gegenteil immer, wenn sie mit den Frauen zusammensaß und sich mit ihnen unterhalten konnte. Philipp hatte im Juli Geburtstag und weil er vier Jahre alt würde, wurde ein großes Geburtstagsfest ins Leben gerufen, an dem alle Kindergartenkinder und natürlich auch die Kinder der Mütter aus der Frauengruppe teilnehmen sollten. Agnes merkte gleich, wie über Dinge wie Kinderspiele und auch das Essen diskutiert werden sollte, wobei es Agnes schließlich zu blöd war, darüber zu streiten, ob man den Kindern Würstchen reichen oder Pizza hinstellen durfte, oder ob es den Kindern erlaubt sein sollte, Fanta zu trinken.

Für Agnes kam es nur darauf an, dass alle Kinder ihren Spaß hatten und auch genug zu essen bekamen. Philipps Geburtstag war ein Tag mit herrlichem Sommerwetter und das Kinderfest stand von daher unter einem guten Stern. Schon am Morgen erschienen die Mütter bei Agnes, die an diesem Tag zum Glück freinehmen konnte und schmückten gemeinsam den Garten. Es wurden Luftschlangen und Luftballons aufgehängt, kleine Tischchen, die die Mütter zum Teil mitgebracht hatten, aufgebaut und an sie ebenfalls mitgebrachte Stühle gestellt. Agnes hatte ein riesiges Planschbecken im hinteren Teil des Gartens postiert und voll Wasser laufen lassen, alle Kinder sollten Badezeug und Handtücher mitbringen. Philipp hatte am Morgen von seinen Eltern, von Oma und Opa und sogar von Jasmin und Bernd viele Geschenke auszupacken, und er hatte ganz große Augen, als er das Papier von den Päckchen riss. Er kam kaum dazu, zu frühstücken und Agnes musste ihn anhalten, wenigstens ein Schnitte zu essen und eine Tasse Kakao zu trinken. Der Fußball und die Fußballschuhe, die seine Eltern ihm geschenkt hatten, hatten es ihm besonders angetan, und er zog seine Fußballschuhe sofort an und spielte ununterbrochen im Haus Fußball. Agnes hatte Angst um ihre Gläser und Vasen und um ihre Kunstwerke und sie schickte Philipp nach draußen, wo er auf dem Rasen spielen konnte wie er wollte.

Tommy hatte für ihn ein Fußballtor besorgt und es ihm auf dem Rasen aufgebaut. Agnes musste später als Torfrau herhalten und die Bälle ihres Sohnes fangen. Und immer wenn Philipp einen Ball rein schoss, war er stolz auf sich und hocherfreut. Um 15.00 h begann der offizielle Kindergeburtstag und Philipp bekam noch einmal jede Menge Geschenke, er wusste gar nicht, was er zuerst auspacken sollte und war glücklich, mit allen feiern zu können. Sie waren zusammen 20 Kinder und exerzierten alle Kinderspiele durch, die die Mütter vorbereitet hatten, und am meisten freuten alle sich über das Topfschlagen. Einige Mütter hatten einen Schminktisch aufgebaut und schminkten die Kinder, was Agnes affig fand, sie ließ die Mütter aber gewähren. Viel Zeit verbrachten die Kinder im Planschbecken und hatten einen Heidenspaß im Wasser. Anschließend ging es ans Essen und Agnes hatte gegen alle Bedenken auch Würstchen mit Ketchup und Pizza hingestellt, und die Kinder langten zu wie verrückt, besonders die Kinder der Mütter, die immer auf striktes Einhalten rigider Ernährungsvorschriften achteten. Es gab allerdings keine Pommes, dafür aber Pizza bis zum Abwinken. Als Rosi und Berthold erschienen waren, kamen sie aus dem Staunen nicht heraus, wie viele Kinder da waren, und wie viel jedes von ihnen aß.

Am frühen Abend verließen die Kinder die Geburtstagsfeier wieder und wurden von ihren Müttern abgeholt, die Mütter aus der Frauengruppe nahmen ihre Sprösslinge und gingen mit ihnen auch nach Hause. Philipp hatte so noch ausreichend Zeit, wieder zu sich zu kommen und sich seine Geschenke in Ruhe anzusehen. Das Geschenk von Oma Rosi und Opa Berthold, ein riesiger LKW, auf den er sich setzen konnte, und der einen Kipper und eine Lenkung hatte, fand er besonders gut. Am meisten freute sich Philipp aber über seine Fußballschuhe und den Ball von seinen Eltern und er zog für den Rest seines Geburtstages seine Fußballschuhe noch einmal an und ging mit Tommy und Opa Berthold auf den Rasen. Dieses Mal wechselten sich Tommy und Opa Berthold als Torwarte ab und gaben ihr Bestes. Wenn Philipp aber eine Flanke mit besonderer Wucht aufs Tor schoss, hatten auch sie keine Chance und der Ball war drin. Philipp stand dann neben dem Tor und hatte ein Lächeln im Gesicht.

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