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Jennifer und Benny

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Jennifer hatte an der Uni Siegen Englisch und Mathematik für Gymnasien studiert und sich danach bei der Bezirksregierung Düsseldorf auf eine Referendarstelle beworben. Der Bescheid, den sie bekam, sah für sie Arnsberg als Dienstort vor. Arnsberg schmeckte ihr nicht so sehr, sie war in ihren ganzen Leben vielleicht zweimal in Arnsberg gewesen und konnte sich deshalb kein rechtes Urteil über die Stadt bilden, dass da aber nicht so viel los war, war ihr gleich zu Anfang ihrer Referendarzeit vollkommen klar. Aber egal, sie trat ihren Dienst an und sah sich gleich am Tag ihren Referendariatsbeginns mit 60 weiteren Referendaren im Studienseminar. Es wurden ihnen Vorträge über den Status des Studienrates zur Anstellung gehalten, die sehr trocken waren und niemanden so richtig interessierten, und als die Rede auch noch auf das korrekte Ausfüllen von Dienstreiseanträgen kam, schaltete Jennifer ab und ließ den Vortrag an sich vorbeirauschen. Sie sah sich im Kreise der anderen Referendare um und stellte fest, dass sie ebenso abgeschaltet hatten wie sie. Sie saß direkt neben einem wie sie fand gutaussehenden Referendarskollegen und sah ihn unvermittelt an. Der registrierte ihren Blick sofort und flüsterte ihr zu:

„Nicht sehr spannend oder, ich heiße Benny, hast Du nicht Lust, im Anschluss mit mir Kaffee trinken zu gehen?“ Jennifer war wegen der Direktheit seiner Frage zunächst überrascht, sagte aber zu und flüsterte zurück:

„Ist gut, aber wir müssen den Vortrag noch zu Ende anhören!“ Jennifer war über die vermeintliche Sicherheit von ihr in dieser Situation erstaunt, aber Benny sah so vertrauenerweckend aus, dass sie keine Bedenken hatte, als er ihr so plötzlich das Kaffeetrinken anbot. Nach dem Vortrag strömten alle dem Ausgang zu, ziemlich gerädert von der trockenen Materie, die sie über sich ergehen lassen mussten. Benny lief neben Jennifer und achtete darauf, sie nicht zu verlieren. Im Foyer vor dem Vortragraum war etwas Platz, Benny blieb stehen und sagte zu Jennifer:

„Entschuldige bitte, dass ich Dich so direkt angesprochen habe, aber ich habe mir nichts dabei gedacht und finde Dich eigentlich sehr sympathisch!“ Jennifer wurde leicht verlegen, als Benny wieder so drauf los redete, ließ seine Worte aber so stehen und entgegnete:

„Wo wollen wir denn Kaffee trinken gehen, ich kenne mich in Arnsberg gar nicht aus?“

„Lass uns doch einfach in die Stadt gehen, wir finden schon ein Cafe, in das wir uns setzen können!“, sagte Benny, und die beiden liefen ins Stadtzentrum. Sie fanden schnell ein Cafe, das ihnen zusagte und bestellten sich jeder eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen. Sie setzten sich an einen Fenstertisch, und Benny begann ein Gespräch über seine vergangene Studienzeit:

„Ich habe in Bochum Sozialwissenschaften und Geschichte studiert und sehe schon jetzt die mühevolle Zeit des Referendariats auf uns zukommen, ich habe so viel darüber gehört, und man hat mir gesagt, dass wir uns noch ordentlich über die Fachleiter ärgern würden.“ Jennifer erwiderte:

„Ich habe mir über unser Referendariat noch gar keine Gedanken gemacht und lasse sie einfach auf mich zukommen, aber dass die Zeit für uns alle nicht leicht werden wird, das ist mir schon klar!“ Sie erzählten sich im Lauf des Gesprächs, wo sie herkamen, und wie ihre familiären Verhältnisse lagen. Benny sagte mit einem Mal, dass er sich noch eine Bleibe suchen müsste und auch Jennifer hatte noch nichts für sich gefunden. Am Ende beschlossen sie, dass sie mit anderen zusammen eine Wohngemeinschaft gründen wollten. Sie fragten im Laufe der folgenden Tage unter den Referendarkollegen herum und kamen bis dahin täglich von Siegen bzw. Bochum und fuhren immer wieder zurück. Aber so sehr sie auch für eine Wohngemeinschaft warben, es fand sich einfach niemand, der mitmachen wollte. Schließlich sah die Sache so aus, dass Jennifer und Benny zusammen in eine Wohnung zogen.

„Keine Sorge“, sagte Benny, „das ist eine reine Zweckgemeinschaft!“, und er zerstreute damit Jennifers anfänglichen Zweifel, ob es denn richtig wäre, mit ihm zusammenzuziehen. Im Laufe des Referendariats wuchs zwischen den beiden aber eine sehr enge Beziehung, in der sie sich beide ihre Liebe zugestanden, und sie waren glücklich miteinander.

Nachdem sie die Referendarzeit über so manche Hürde hinweg hinter sich gebracht hatten, ging es für beide daran, sich an eine Schule zu bewerben und Jennifer favorisierte ihre Heimatstadt. Benny war es egal, wo er letztlich landen würde, es durfte nur nicht zu weit von Jennifers Schule entfernt sein. Jennifer bekam so eine Stelle am Gymnasium Essen-Borbeck, Benny kam an das Burggymnasium, und beide wurden Essener Stadtbürger. Sie nahmen sich eine Wohnung in Schlossparknähe in Borbeck und waren so nicht weit von Jennifers Eltern entfernt. Benny war gebürtiger Gelsenkirchener und damit auch nicht so weit von seinem Zuhause entfernt. Nachdem sie ein paar Monate in ihrer Neuen Wohnung gelebt und sich an ihren Schulen eingewöhnt hatten, rief Jennifer eines Tages plötzlich aus:

„Ich glaube, ich bin schwanger!“ Benny war völlig aus dem Häuschen, er würde Vater werden und konnte es noch gar nicht fassen. Auch in Katernberg und Gelsenkirchen wurde die Nachricht von den Alten mit großer Freude aufgenommen, und Oma Ute und Opa Paul richteten bei sich schon einmal alles für das neue Enkelkind ein. Bärbel und Pascal kamen öfter mit ihren Kindern nach Borbeck zu Jennifer und Benny und freuten sich auch für die beiden, dass sie endlich Eltern werden würden. Bärbel gab Jennifer alle Babysachen, die sie noch von den eigenen Kindern hatte, und Jennifer war glücklich, dass sie sich nicht darum kümmern musste.

Sie hatte in Bärbel eine erfahrene Mutter neben sich, die ihr in allen Belangen um die Kinder herum würde helfen können. Jennifer gebar einen Sohn, den Benny und sie David nannten und im Abstand von einem Jahr kam auch noch eine Tochter auf die Welt, die Rahel hieß. Sie hatten sich beide für die jüdischen Vornamen entscheiden, weil sie sich ihrer Meinung nach gut anhörten und weil ihnen die jüdische Provenienz sympathisch war. Jennifer spazierte stolz mit ihren Kindern durch Borbeck. Sie nahm sich, während sie vom Dienst suspendiert war die Zeit, an den Tagen, an denen in Borbeck Wochenmarkt war, mit dem Kinderwagen an der einen und David an der anderen Hand über den Markt zu laufen und frisches Obst und Gemüse zu kaufen. Wenn sie mit Bärbel, Pascal und deren Kindern zusammen waren, kümmerten sich Inga und Max immer liebevoll um David und Rahel und spielten mit ihnen, und wenn Jennifer und Benny nach Gelsenkirchen zu Bennys Eltern fuhren, kriegten die sich kaum ein, so sehr freuten sie sich über ihre Enkelkinder. Wenn aber Bärbel, Jennifer, Pascal und Benny mit ihren Kindern in Katernberg bei Oma Ute und Opa Paul waren, schien es für die Alten das größte Glück auf Erden zu sein. Und natürlich mochten die Enkelkinder Oma Ute und Opa Paul sehr, denn die hatten immer Süßigkeiten für die Kleinen. Nachdem Jennifer wieder angefangen hatte zu arbeiten, hatten Benny und sie sich nach einer Kinderfrau umgesehen und schließlich, nachdem sie Gespräche mit vielen Bewerberinnen geführt hatten, eine genommen, die von Anfang an in die engere Auswahl gekommen war, weil sie so warmherzig war und gleich einen Draht zu den Kindern hatte, was man sofort merken konnte.

Sie hieß Dorothe und hatte schon einmal eine Job als Kinderfrau, ihre eigenen Kinder waren schon aus dem Haus, und sie freute sich, wenn sie eine sinnvolle Tätigkeit verrichten und dabei auch noch Geld verdienen konnte. Es klappte gleich sehr gut mit Dorothe und den Kindern. Doro, wie sie genant werden wollte, kochte für alle und kümmerte sich vormittags um David und Rahel bzw. holte sie später vom Kindergarten ab. Wenn Jennifer und Benny am frühen Nachmittag zu Hause waren, aßen sie alle zusammen, und Doro ging anschließend nach Hause. Und wenn Jennifer und Benny abends einmal ausgehen wollten, war es kein Problem, Doro Bescheid zu sagen, und sie passte auf David und Rahel auf. Oma Ute und Opa Paul kamen öfter nach Borbeck und brachten den Kindern immer etwas mit, weshalb sie natürlich in Borbeck besonders gern gesehen waren. Die Geburtstage wurden über das Jahr verteilt alle gefeiert, alle bei den Betreffenden zu Hause. Die Kindergeburtstage waren immer die großen Ereignisse und es wurde für die Kinder allerhand inszeniert. Alle Kinder hatten in den warmen Monaten Geburtstag, von Juni bis September, sodass im Regelfall draußen gefeiert werden konnte.

Das sah dann in Werden so aus, dass Bärbels Eltern, Oma Ute und Opa Paul zusammen die Kinder durch die Spiele führten, die für sie vorbereitet worden waren. Der gesamte Garten war geschmückt und Bärbel hatte Luftschlangen und Luftballons aufgehängt. Auch ein großes Planschbecken war aufgebaut worden und es waren bestimmt immer um die 10 Kinder im Garten, wenn Inga oder Max Geburtstag feierten. Allerdings kam Inga langsam in ein Alter, in dem man den Kinderkrams verpönte und lieber Musik hörte. Wenn aber die Kleinen feierten, wurden alle Register gezogen, die man nur ziehen konnte, es gab Topfschlagen, Sackhüpfen und Eisessen und wenn am Schluss alle aßen, gab es vorher keine Diskussionen, was es geben sollte: alle Kinder mochten am liebsten Pizza und Bärbel und Jennifer hatten immer ausreichend viele gebacken. In ihrer Schule war Jennifer schnell eine geachtete Kollegin geworden und sie erfreute sich auch bei den Schülern großer Beliebtheit, sie wurde sogar zur SV-Verbindungslehrerin gewählt. Das Gymnasium-Borbeck war eine altehrwürdige Schule, die schon weit über 100 Jahre bestand, manche Kollegen von Jennifer hatten selbst an dieser Schule ihr Abitur gemacht. Benny war ein ähnlich beliebter Lehrer wie Jennifer, er brachte als junger Kollege neuen Schwung in die verstaubten Rituale, die sich teilweise am Burggymnasium verfestigt hatten und Benny war deshalb nicht von allen hoch angesehen, weil manche in ihm einen Störenfried sahen, der ihre festgefahrenen Erziehungsstile durcheinander zu bringen drohte.

Aber die Schüler und die mit Abstand meisten Kollegen mochten ihn sehr, und Benny fühlte sich an seinem Gymnasium wohl und wollte dort so schnell nicht mehr weg. Als David und Rahel immer größer wurden, wurden es in der Wohnung langsam ein wenig zu eng und Jennifer und Benny dachten daran, ein Häuschen zu kaufen und hielten schon immer Ausschau beim Wohnungsmarkt in den Borbecker Nachrichten und in der WAZ, sie hörten sich auch in ihren Kollegien um. Schließlich stieß Jennifer an einem Samstagmorgen in ihrer WAZ auf eine Anzeige. In ihr wurde ein Haus angeboten, das sie sich gleich einmal ansehen wollten. Sie nahmen ihre Kinder und liefen alle gemeinsam in die Neuweselstraße, die fünf Minuten zu Fuß von ihnen entfernt lag. Als sie an der angegebenen Adresse ankamen, standen sie vor einem sympathischen alten Häuschen, das einen großen Vorgarten hatte und David und Rahel liefen gleich darauf. Noch bevor Jennifer sie wieder zurückgeholt hatte, öffnete sich die Haustür und eine sehr nette ältere Dame sagte, dass sie die Kinder doch lasen sollte, und sie bat alle ins Haus. Jennifer und Benny sollten sich doch ins Wohnzimmer setzen und sie hatten einen Blick in einen schönen großen Garten und waren ganz angetan. Die Dame ging gleich mit ihnen hinaus, und sie stellten sich zusammen auf den Rasen, wo die Dame erzählte, dass ihr Mann gestorben wäre und das Haus für sie allein zu groß wäre.

Nachdem sie Jennifer und Benny durch das Haus geführt hatte, waren die beiden sehr positiv berührt und wohl auch der Dame als junge Familie sehr genehm. Sie schlugen ohne groß zu überlegen zu und auch beim Preis hatte sich die Dame noch ein Stück bewegt, sodass der Hauskauf schnell in trockenen Tüchern lag. Die Dame streichelte den Kindern über ihre Köpfe und Jennifer sagte ihr, dass sie jederzeit in ihrem alten Haus willkommen wäre. In der Folgezeit kamen die beiden Großväter oft vorbei und halfen Benny dabei, das eine oder andere umzugestalten, zu streichen und zu tapezieren, was beide noch von früher kannten. Als alles nach dem Geschmack von Jennifer und Benny hergerichtet war, waren sie glücklich, in einem so schönen Haus wohnen zu können. Jennifer fuhr immer mit ihren Rad zur Schule, wenn es das Wetter zuließ, und Benny nahm Bus und Bahn in die Stadt und nur, wenn er sehr knapp in der Zeit lag, fuhr er mit dem Wagen. Jennifer und Benny führten ein glückliches Leben mit ihren Kindern, und die Kinder genossen den erweiterten Platz, der sich auf einmal in ihrem Zuhause aufgetan hatte, und auf dem sie mit ihren Freunden spielen konnten.

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