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GOTT SEI DANK

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Bereits viele Hundert Gipfelerfolge wies die Statistik im Jahr 1987 für den 8200 Meter hohen Cho Oyu aus. Gezählt wurde seit der Erstbesteigung 1954. Chroniken hatten für Neugierige das Verhältnis von einem Todesfall pro fünfundsechzig überlebende Gipfelstürmer ausgerechnet. Die Wahrscheinlichkeit, an diesem Berg sein Leben zu verlieren, war also weit höher als die eines ordentlichen Lottogewinns.

Tragische Ereignisse wie Todesfälle und Amputationen nach Erfrierungen gehörten bei der Erschließung des Himalajas dazu und es war von jeher müßig die Frage zu diskutieren, ob das natürliche Bestreben des Menschen, neues Terrain zu erkunden, auch für diese lebensbedrohenden Höhen zutrifft; besonders Klement Frey vertrat dazu uneinsichtige Positionen.

Seine Kopfschmerzen hatten nachgelassen. Er schob sie auf die Akklimatisierung über 6000 Meter, einer Höhe, mit der er noch keine Erfahrung hatte.

Da das Wetter stabil zu bleiben schien, schlugen die Sherpas vor, am nächsten Morgen auf 6500 Meter aufzusteigen, um in kleinen Schritten am Tag darauf weitere 400 Höhenmeter bis auf das Plateau zu machen.

So geschah es. Ein Schutthang und die steilen Schneehänge waren verseilt, was den Anstieg erleichterte. Eine Hand zog sich am Seil hoch, die andere am Pickel. Der Firn ermöglichte sicheren Halt für die Steigeisenzacken.

Da sie überflüssiges Gepäck zurückgelassen hatten, war die Last auf dem Rücken um einiges geringer.

Dafür sogen die Lungen die dünner werdende Luft gierig ein und Klements Herz schlug permanent wie bei einem Hundertmeterlauf. Zwischendurch dröhnte es wieder in seinem Kopf, dann musste er sich am Fixseil sichern und warten, bis der Anfall vorbei war. Mit letzter Kraft schleppte er sich auf das mit Tiefschnee versetzte Plateau.

Pemba war vorgestiegen und hatte bereits die zwei Zelte in einer geschützten Mulde aufgestellt.

Während Klement das Ein-Mann-Igluzelt bezog, schmolz Lhakpa Schnee und brachte ihm wenig später Tee und eine Schale mit Reis. Pemba baute währenddessen Schutzwälle aus Schnee gegen den schneidenden Wind.

Klement war kaputt. Er zog alles, was wärmte, an. Dann legte er seine Isomatte aus, schlüpfte in seinen Mumienschlafsack und schlief ein, trotz der Stein-, Eis- und Schneelawinen. Die tosten die Wände hinab, dass man sie auch noch am 20 Kilometer entfernten Mount Everest hören musste.

Am nächsten Tag genossen sie den gigantischen Ausblick auf die Shisha Pangma und die Sechstausender im Nordwesten. Dann erkundeten sie ohne Gepäck den weiteren Anstieg bis zum letzten Lagerplatz, der die restlichen 1300 Meter etwa halbierte.

Am nächsten Morgen fühlte sich Klement zwar nicht erholt, aber die Kopfschmerzen waren wie weggeblasen.

Pemba wollte im Morgengrauen los. Klement hatte eine Sorgenfalte auf seiner Stirn beobachtet, als sie im größeren Zelt zusammensaßen, Tee tranken und über das Wetter sprachen. Ja, sie müssten ab morgen entgegen den Vorhersagen mit etwas Neuschnee rechnen, sagte Pemba. Sicher sei es nicht, aber die Göttin sei launisch, unkte er mit Pathos in der Stimme.

Klement glaubte, dass Pemba ihm Angst einflößen wollte. Nachdenklich wurde er schon, denn auch Herbert Tichy war oben in einen Sturm gekommen und hatte sich am Grat die Finger erfroren.

Pemba schlug vor, weil Klement ja allein auf den Peak wollte, auf 7550 Meter Höhe nur das kleine Zelt aufzubauen und das große als Rückzugsort und Depot mit der Notausrüstung für den Abstieg stehen zu lassen. Sollte das Wetter stabil bleiben, könne Klement übermorgen den Gipfelgrat bis zum höchsten Punkt auf 8200 Meter angehen, ein Foto mit Selbstauslöser machen und Schokolade im Schnee vergraben. Über Funk sollte er seinen Erfolg melden. Falls es schneite, müsse er aber sofort umkehren und absteigen. Der Steig war durch Sherpas verseilt worden. Fähnchen wiesen den Weg. Im Notfall käme Pemba ihm entgegen und würde ihn ans Seil nehmen. Keinesfalls dürfe er sich oberhalb der Achttausend länger aufhalten und für den Fall der Fälle müsse er Ersatzbatterien für das Walkie-Talkie im Warmen am Körper aufbewahren. Lhakpa nickte beipflichtend.

Der Aufstieg am nächsten Tag mit Gepäck brauchte mehr Zeit als tags zuvor. Der Himmel war klar, nur ein paar Wolken am Horizont.

Pemba und Lhakpa bauten Klements Zelt auf und versorgten ihn mit heißem Tee. Kekse und Studentenfutter ersetzten warmes Essen.

Die Sherpas stiegen wieder ab und überprüften die Funkverbindung. Alles schien gut soweit.

Bis auf die Wolken am Horizont, die starker Wind spät abends herantrug. Der Wind begann an Klements Zelt zu schütteln und war im Nu in Schneesturm übergegangen. Das kleine Außenthermometer zeigte minus achtunddreißig Grad an.

Es war Klements alleiniger Wille gewesen, auf den Cho Oyu ohne Sherpas zu gehen. Er wollte im Alpinstil und ohne Sauerstoff den Gipfel erreichen.

Eine Zeltschnur riss und eine Verstrebung brach.

Trotz der von Pemba angehäuften Schneemauer drückte der Sturm das Zeltdach ein. Binnen Minuten sammelte sich dort Schnee, er wurde mehr und mehr, schwerer und schwerer. Ein Abstieg bei Nacht kam nicht in Frage.

Klement musste entscheiden, ob er die Schutzmauer erhöhen und das Zelt neu verspannen oder für den Rest der Nacht das Zeltdach mit dem Arm abstützen wollte.

Er schlüpfte in Überschuhe und Handschuhe, setzte die Stirnlampe auf, nahm noch die Urinbox zum Ausleeren mit und tauschte das schützende Zelt mit der lebensfeindlichen Sturmnacht draußen.

Mit der Lawinenschaufel versuchte er, Schnee an der Schutzmauer anzuhäufen und sie zu erhöhen, bis der Wind über Firsthöhe hinwegpfiff.

Der Sturm drohte ihn fast vom Grat zu wehen. Er musste sich ihm entgegenstemmen. Beängstigend brach der Lichtkegel der Stirnlampe mit jeder Kopfdrehung durch die waagrecht davonjagenden Schneekristalle. Er konnte nur windabgewandt arbeiten. Eiseskälte hielt an Füßen und Händen Einzug. Klement wurde schwindlig. Er erbrach sich. Das gerissene Abspannseil wollte sich mit Handschuhen nicht verknoten lassen. Er zog die Fäustlinge aus.

Schon hatte die Nacht den linken aufgenommen. Bald waren Hände und Füße taub.

Nach etwa einer halben Stunde gab Klement auf und kroch wieder ins Zelt. Schnee war durch den geöffneten Reißverschluss geraten. Der musste raus, bevor er schmolz. Die Kopfschmerzen waren wieder da. Immer wieder musste er Schnee abräumen.

Klement kannte die Symptome von Erfrierungen und hoffte, dass Blut in Finger und Zehen zurückkehrte.

Er fühlte Durst. Das Gesicht brannte.

Mit dem Esbitkocher versuchte er, gesüßten Tee aufzuwärmen. Wegen des geringen Sauerstoffgehalts der Luft gelang es ihm erst nach mehreren Anläufen. Die kleine Flamme fraß den Sauerstoff im Zelt.

Das Funkgerät rauschte.

Pemba fragte, wie es oben stünde.

Als Klement von den noch nicht wieder aufgetauten Gliedern berichtete und von seiner Übelkeit, sagte Pemba Sherpa nur: „Here Pemba for Klement: No go to peak! Wait storm! Do not move away! We come to pick you up. Over!“

Am späten Vormittag hatte sich der Sturm gelegt und zwischen Nebelfetzen warf die Sonne Wärmestrahlen in Klements Zelt. Wenig später tauchten die Sherpas mit Ersatzhandschuhen, süßem Tee in einer Thermoskanne und halbwarmem Reis, Rosinen und Feigen auf.

Während Lhakpa sich um Zelt und Gepäck kümmerte, nahm Pemba Klement ans Seil.

Klement fühlte sich fiebrig. Er stieg wie in Trance ab, von hinten dirigiert. Sie hatten Glück, keine Lawine kreuzte den Abstieg. Die gelegten Seile waren unter dem Neuschnee noch leicht zu finden.

Mehrmals kam Klement ins Rutschen. Die Sicherung am Fixseil und Pembas Pickel verhinderten jeweils einen Sturz. Pembas Eispickel, an dessen Schaft das Seil zu Klement verknotet war, stak immer zur rechten Zeit fest in der Firndecke.

Klements Füße und Hände schmerzten.

Der Überlebenswille und seine Lebensretter, zwei Sherpas, brachten ihn an die Cho-Oyu-Moräne und über den Nangpa La zurück zum Vorposten der Zivilisation, nach Namche Bazaar. Erst dort konnte die Rettungsstelle informiert werden.

Im Namche Health Post wurde Klement notversorgt.

Eitrige Blasen hatten sich an blauschwarzen Zehen und an Fingern der linken Hand gebildet. Erfrierungen zweiten und dritten Grades wurden diagnostiziert. Die von ihm ignorierte Höhenkrankheit hätte Hirnschäden nach sich ziehen und auch zum Tod führen können. Lhakba verständigte Hannelore von der Poststelle aus.

Pemba schenkte ihm eine Mütze. Er sagte dazu: „Put this on head. This cap has been on top of Cho Oyu. It keeps you lucky. Good bye, my friend!“

Ein Hubschrauber brachte Klement nach Kathmandu.

Nach einer Antibiotikakur im Kathmandu Hospital holte Klements Versicherung ihn mit einer Linienmaschine über Katar nach München. Ein Sanitäter begleitete ihn auf dem Flug und trug das Gepäck. Die geschenkte Gebetsmühle hatte sein erstes Hotel ins Krankenhaus geliefert.

Vom Flughafen Riem ging es sofort ins Schwabinger Krankenhaus. Dort versuchte man zu retten, was zu retten war.

Zwei Fingerglieder, ein großer Zeh und drei Zehenkuppen mussten in Etappen amputiert werden.

Der Krankenhausaufenthalt zog sich.

Die Kommilitonen brachten ihm ihre Aufzeichnungen von wichtigen Vorlesungen.

Freyja besuchte ihn ab und zu.

Hannelore sprach ihm Trost und Mut zu, aber Klement hatte schon Schaden genommen, an Leib und Seele.

Die Männer der Désirée

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