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ALPENGLÜHEN

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Ein Fluch schien Menschen ein Ende setzen zu wollen, die glaubten, mit Familiengründung, Hauseigentum und Wunschkind ihr Glück gefunden zu haben.

Von der Côte d’Azur hatten sie die Route Napoleon gewählt und den Rosenduft geatmet, der über der Ebene von Grasse lag. Im Tal des Flusses Verdon tobten sie Wassergumpen leer. Danach röhrte der Motor mehrmals beim Erklimmen schwindelnder Höhen. Das Auto zwängte sich durch beängstigende Felsformationen und stürzte sich über endlose Serpentinen wieder hinab ins grüne Tal. Ein Adler schwebte auf meterbreiten Schwingen auf der Suche nach Beute über ihm. Der Junge auf dem Rücksitz bewunderte die Grazie seiner Kreise.

Noch in Frankreich war ein Unwetter über die zwei Erwachsenen und das Kind hereingebrochen.

Die Kleinfamilie wartete das Ende der Dusche unter einer alten Brücke ab. Deren bemooste Steinquader ließen die drei Münchner vermuten, dass bereits Hannibal über sie geritten war. Auch seine Kampfelefanten hat sie getragen.

„Klement …“, rief der kleine Mann laut seinen Namen. „… ent“ schallte es zurück.

„Wenn eine Brücke ein Echo hat, dann muss sie wirklich sehr groß und sehr alt sein“, wusste der Vater.

„Oder sie muss verwunschen sein – dann antwortet dir jemand aus dem Reich der Toten“, fügte die Mutter geheimnisvoll hinzu.

Es war Abend geworden. Die Landstraße spiegelte die Lichter der über sie brausenden Fahrzeuge. Die Natur wollte eigentlich schlafen gehen, aber der Vater klammerte sich an das Steuer und zwinkerte mit müden Augen.

Klements Papa wollte noch tanken und dann einen Espresso trinken.

Klements Mutter hatte am Beifahrersitz den Kopf auf ein Hörnchenkissen gebettet, wo er sich im Rhythmus des Asphalts bewegte. Licht- und Schattenspiele wanderten über ihre Silhouette.

Den Körper in eine Decke gewickelt, hatte es sich Klement auf der Rückbank gemütlich gemacht. Gegen Fahrgeräusche und Lichtreflexe, besonders die bei Ortsdurchfahrten und in Tunnels, hatte er ein Badehandtuch um den Kopf geschlungen. So schlief er ein.

Er träumte von seiner Modelleisenbahn, von seinem Kater Hadubald, den eine Nachbarin versorgte, und freute sich – völlig gegen die Regel – auf den Wiederbeginn der Schule.

In etwa einer Stunde würden sie die Schweizer Grenze passiert haben und spät nachts noch ihr Haus in Daglfing erreichen.

Das war der Plan, denn morgen, am Sonntag, würden sie sich ausruhen und von der Fahrt erholen können, hatte der Vater bei der Abfahrt in Nizza gesagt.

Die Hände taten weh vom Griff am Lenkrad. Der Rücken schmerzte vom stundenlangen Verharren in dem eigentlich bequemen Sitz des Citroën.

Den hatten sie gekauft, weil in ihm Platz für Zelt, Zweiflammenkocher und für Klements Gummiboot war und weil das hydraulische Auf und Ab vor und nach der Fahrt Klement so faszinierte, dass Papa manchmal das Auto nur für ihn anlassen musste. Dann lachte er und war glücklich.

Die Lautstärke des Radios hatte Klements Vater aus Rücksicht auf die Schläfer gedrosselt.

Noch immer spiegelten Scheinwerfer sich in dem nassen Straßenbelag. Wasser spritzte. Es blendeten Fernlichter und es senkten sich die Lider vor Müdigkeit. Schlaf reizte. Trägheit war über Klements Papa hergefallen. Die Achtsamkeit war reduziert und Alarmmechanismen waren ausgeschaltet.

Schon sah er die Leuchtreklamen der Tankstelle weit vor sich, als die Gefahr mit Blitzesschnelle nahte.

Ein gleißendes Licht brach in seine Müdigkeit ein. Schreck und Hitze übermannten ihn. Ein überholendes Fahrzeug kam ihm entgegen. Seine Muskeln zuckten. Reifen pflügten das Bankett. Bremsen quietschten. Das Auto schlingerte. Die Bremsen blockierten. Es rauchte und stank nach Gummi. Der Wagen schleuderte. Ein Baum setzte vorbei. Die Mutter schrie. Am Fuße des Abhangs katapultierte der Bug hoch. Das Auto prallte auf die Fahrerseite. Das Steuer brach. Alles drehte sich, einmal, ein zweites Mal, ein drittes Mal. Sie glitten auf dem Dach über Steine. Funken stoben. Die Uferböschung schlitterten sie hinunter ins Wasser. Das brach ein. Es wurde dunkel, nass und kalt. Oben nur ein Blubbern. Die Mutter hauchte: „Klement!“

Das Letzte, was Klement in seinem Leben von den leiblichen Eltern gehört hatte, war ein Entsetzensfluch des Vaters und ein Angstschrei der Mutter. Es war ihm, als hätte ihn jemand aus dem Auto geworfen. Danach umgaben den Jungen schützende Finsternis und eine tödliche Stille.

Die Männer der Désirée

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