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3. Makrokosmos im Mikrokosmos.
Natur und Kunst in der Renaissance

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Mit der Entfaltung der Renaissance und der Veränderung der Weltsicht hatten sich, wie das Beispiel der Medici gezeigt hat, auch die fürstlichen Sammlungen in ihrer Konzeption und in ihrer kulturellen Bedeutung schrittweise verändert. Vor allem war mit einigen Patrizierfamilien sowie humanistischen Gelehrten bzw. Naturwissenschaftlern in Bologna, Mailand, Florenz und Rom neben Fürsten, Kirchen und Adelsfamilien eine neue Gruppe von privaten Sammlern entstanden, deren Einfluss weit über ihr Territorium und ihr soziales Milieu reichte. Das späte 16. und das 17. Jahrhundert wurden zum goldenen Zeitalter privater Sammlungen. In Kirchen und Palästen wie in den Palais der Patrizier und in den Studierstuben von italienischen Gelehrten häuften sich Sammlungen von natürlichen und artifiziellen Objekten. Mit der Wiederentdeckung antiker Kunstwerke und der neuen Wertschätzung von Gemälden, wie sie sich in Italien und in Flandern seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts entwickelten, wurden unter den Artefakten zwei Gruppen zunehmen voneinander getrennt: erstens die Objekte, die vor allem wegen ihres Materialwertes aufbewahrt wurden und die somit noch sehr viel stärker in der Tradition der Schatzkammern standen; zweitens diejenigen, deren Wert auf ihrer kunstvollen Bearbeitung und Ausführung beruhte. Sie traten fast gleichrangig neben antike Kunstwerke, die in der Renaissance zum Maß aller Dinge wurden; sie genossen zusammen mit diesen eine besondere Wertschätzung, weil sie von der Virtuosität des Künstlers wie von der Kennerschaft bzw. dem Geschmack des Sammlers zeugten. Neben antiken Kunstwerken und den Gemälden, Skulpturen und Plastiken der Gegenwart tauchten nun als Folge immer neuer Entdeckungen und naturwissenschaftlicher Erkundungen Reptilien und seltene Fische, Korallen, Straußeneier und Kokosnüsse, Elfenbein und kostbare Steine, daneben Wunderwerke kunstgewerblich-handwerklicher Fertigkeit wie z.B. prächtige Pokale und Gefäße aus Gold und Silber, oft auch wissenschaftliche Instrumente der Physik und Astronomie, schließlich Spielzeuge, Uhren, mechanische Geräte und hochkomplizierte Automaten auf; außerdem noch indianischer Federschmuck, Speer und Schildkrötenpanzer, Pfeile und Bögen und andere ethnologische Raritäten. Sie bildeten einen neuen Sammlungstypus, der zum Charakteristikum vieler Privatsammlungen der Renaissance in Italien wie in Deutschland werden sollte, die Kunst- und Raritätenkammern, die später Kunst- und Wunderkammern genannt wurden. Sie waren Ausdruck einer enzyklopädischen Wissbegierde und entfernten sich konzeptionell damit am weitesten von den mittelalterlichen Schatzkammern. Schließlich entstanden mit wachsenden naturkundlichen Interessen auch Sammlungen mit einem Schwerpunkt auf der artengemäßen Zusammenschau von lebenden und getrockneten Pflanzen. Fürstliche Sammlungen erweiterten dieses Interesse um die Anlage von Gärten, die außerdem mit antiken Skulpturen oder Kopien davon geschmückt waren. Der Sinn für Repräsentation und die naturkundliche Neugierde waren dabei meist größer als das Bedürfnis nach idealtypischer Ordnung einer Sammlung, wie sie in Reiseberichten oder Inventaren vorgestellt wurde. In der Realität der einzelnen Sammlungen lassen sich darum die eben genannten idealtypischen Unterscheidungen nicht immer deutlich nachvollziehen und auch die Ausrichtung der einzelnen Sammlungen war mitunter recht vielfältig.

Auf den ersten Blick mochte eine solche Sammlung von Raritäten und Kuriositäten, die meist in einem besonderen Raum und in großen Schränken und auf Tischen untergebracht war, pittoresk und zusammenhanglos wie ein Labyrinth wirken. Die neuen Sammlungen, die von den Zeitgenossen auch „Theatrum“ oder „Museum“ genannt wurden, wollten jedoch als „imago mundi“, als Abbild der damals bekannten Welt, der verbreiteten Neugierde und den neuen Welterkenntnissen visuellen Ausdruck verleihen. Darum waren sie als Raritäten- oder Kuriositätenkammern auf die Sammlung von Naturalien- und Artificialien ausgerichtet, was die Präsentation der verschiedensten Zeugnisse menschlicher Kunstfertigkeit und Wissenschaft ebenso einbeschloss wie die Zurschaustellung seltener und skurriler Zeugnisse von Naturwundern oder Naturgeschichte; sie lenkten den staunenden ethnologischen Blick auf ferne Welten und auf ferne Zeiten, von der Antike bis in die neue Welt der Wissenschaften und Technik. Sie waren darum ein Mikrokosmos in der Kammer und vereinten wie in einem Zeitraffer Produkte der unterschiedlichsten Zeiten der Erd- und Naturgeschichte.

Die Ausrichtung und Schwerpunkte der Sammlungen konnten sehr unterschiedlich sein. Darum nannte man sie oft auch Kunstkammern, vor allem dann, wenn sie vorwiegend Gemälde und antike Kunstwerke oder Kopien davon umfassten; oder auch Wunderkammern, wenn sie Pretiosen zeigten wie auch allerlei wundersame Dinge, etwa ein „Skeleton von einem Frosch in einer Schachtel“, wie es ein Verzeichnis der Bevernschen Kunstkammer von 1687 auflistete. Der Phantasie waren keine Grenzen gesetzt: alles galt als Mirabilia oder auch Exotica. Der Begriff der Kunst- und Wunderkammern taucht erstmals im Testament von Erzherzog Ferdinand II. von Tirol, dem Schöpfer der Sammlungen auf Schloss Ambras, von 1594 auf. Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts hatte, ausgehend von Italien, auch das analogische Ordnungsprinzip enzyklopädischer Sammlungen Anerkennung und Nachahmung gefunden. Es ging nicht um vermeintliche Hierarchien von wertvollen Kunstwerken oder bloßen Kopien, von Erhabenem und Skurrilem, sondern allein um die „Reproduktion und Wahrung der im Schöpfungswerk eingeschriebenen, perfekten Ordnung“ (Siegel). Bearbeitete und unbearbeitete, artifizielle und natürliche Objekte standen gleichrangig nebeneinander. Sie waren idealerweise, wenn auch nicht immer konsequent und einheitlich, nach einem spezifischen Ordnungsschema zusammengestellt. Das konnte sich auf eine symbolische Entsprechung ganz unterschiedlicher Objekte beziehen, aber auch auf eine Ordnung nach den jeweiligen Materialien oder der Herkunft der Objekte. Ziel war eine möglichst vollständige Enzyklopädie der Welt, ein symbolisch überformtes und zugleich überschaubares Miniaturreich. Im utopischen Charakter dieses Anspruchs lag der Antrieb des Sammlers; die Befriedigung seiner Sammellust durch die Suche nach neuen, zusätzlichen Objekten, auch wenn es nur Kopien waren. Dieses Konzept, das von Museumstheoretikern wie dem flämischen Arzt Samuel Quiccheberg (1529–1567) als Idealplan erdacht und theoretisch begründet wurde, aber sich in der Praxis in vielfachen Varianten nur ansatzweise wiederfand, war aber keine Besonderheit der Territorien nördlich der Alpen, sondern zeigte viele Gemeinsamkeiten und Berührungspunkte mit der zeitlich etwas früher einzuordnenden Einrichtung eines Studiolo in Italien, sodass man sie einem gemeinsamen intellektuellen Bedürfnis und einem einheitlichen Sammlungstypus zuordnen kann. Sie waren Ausdruck einer Neugierde, die dem Kuriosen und Sensationellen galt und sich von überkommenen Wahrnehmungs- und Vorstellungszwängen befreien wollte. Sie waren enzyklopädisch und systematisch in ihrem Anspruch und versuchten einen inneren Zusammenhang zwischen Natur, Kunst, Technik und Wissenschaft herzustellen. Immer in der Absicht, die erfahrbare und gedachte Welt in eine Ordnung zu bringen und abzubilden. Kunst konkurrierte in den Sammlungen nicht mit Naturgegenständen, sondern diente der ergänzenden Beschreibung von Natur und der Vervollständigung der Sammlung. Die Geschichte des künstlichen Menschenwerkes sollte in die Geschichte der Natur integriert werden. Kunst, Geschichte, Natur und Wissenschaft waren zu einer Einheit, zu einer begehbaren Enzyklopädie verbunden. Was museumsgeschichtlich ebenfalls neu war: Die Sammlungen standen unter einer speziellen Aufsicht und befanden sich in einem abgetrennten Raum; sie waren für ein erlesenes Publikum zugänglich und dienten auf diese Weise der sozialen Distinktion. Nicht nur Fürsten und adlige Herren mehrten und präsentierten stolz ihre Sammlungen der Raritäten und Kostbarkeiten, sondern auch Gelehrte. Fürstenkultur und die Kultur der Wissenschaften berührten sich, auch wenn die meisten fürstlichen Sammlungen in ihren quantitativen Dimensionen wie in der Vielfalt der zusammengetragenen Objekte die Sammlungen humanistischer Gelehrter bei Weitem übertrafen. In ihrer Grundkonzeption stimmten beide, die fürstlichen Sammlungen wie die von vermögenden Privatgelehrten, überein: sie zeigten die im Vergleich zum Spätmittelalter veränderten und sich immer weiter verändernden Vorstellungen von Natur und Kunst. Sammeln wurde zur gefragten Aktivität der sozialen Eliten und galt als Schlüssel zu einem neuen Weltverständnis. Ein neuer Sammlertyp war entstanden. Dessen Sammlung repräsentierte vor allem sein Wissen und seinen Geschmack, sein ästhetisches Vermögen und wissenschaftliches Interesse an Systematik und Unterscheidung. Er definierte sich durch eine Ästhetisierung des Ichs und suchte seinen Platz in der Gesellschaft durch den Nachweis seiner Fähigkeiten zu imitatio, exempla und inventio, d.h. durch die Orientierung an der Kunst und den Normen der Antike, durch einen beispielhaften Umgang mit Zeugnissen von Natur und Kunst sowie durch die Fähigkeit zur wissenschaftlich-technischen Innovation.

Besonders die Sammlungen von Uhren, wissenschaftlichen Instrumenten und von Automaten, die meist zu ihren Prunkstücken gehörten, standen für die Förderung des modernen wissenschaftlich-technisches Wissens und Könnens. Dennoch steckten die Sammlungen denk- und mentalitätsgeschichtlich teilweise noch tief im mittelalterlichen, christlichen und magischen Denken. Man glaubte noch immer an Wunderdinge und meinte beispielsweise in fossilen Knochen, die auf Sizilien gefunden wurden, die Gebeine des einäugigen Riesen Polyphem zu erkennen. Noch bis in das 17. Jahrhundert galten Narwalzähne als Skelettteile des sagenumwobenen Einhorns. Ein technisch-physikalisch denkender Wissenschaftler wie Otto von Guericke hatte sie zu einer phantastischen Rekonstruktion zusammengefügt, von der auch Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) noch beeindruckt war. Noch im mittelalterlichen Denken der Scholastik wurzelt auch die Vorstellung, dass allen Dingen und der Natur derselbe Gedanke der Offenbarung immanent sei und dass es darum eine enge Verbindung von Makrokosmos und Mikrokosmos gäbe. Auch naturwissenschaftlich orientierte Gelehrte des späten 16. Jahrhunderts, wie Ulisse Aldrovandi (1522–1605) aus Bologna oder Athanasius Kircher (1602–1680) aus Rom, verstanden darum die vielen Wunderstücke in ihren berühmten Sammlungen als Werke eines göttlichen Willens. In den Kunstwerken wie in den ausgestopften Tieren und präparierten Pflanzen sahen sie die Repräsentation der einen göttlichen Schöpfung. Sie glaubten an eine Welt, in der Gott allein die Macht zum Eingreifen und Gestalten, eine vis plastica, besäße und darum auch für die Raritäten und wundersamen Dinge, wie das sagenumwobene Einhorn oder andere Monster und Drachen verantwortlich sei. Für den Jesuiten Kircher, dessen Sammlungen und deren Beschreibung den Höhe- und Endpunkt des naturkundlichen Sammelns und Forschens bedeuteten, behielt die Grundannahme dauerhafte Gültigkeit, dass das enzyklopädische Ideal der Sammlungen die göttliche Autorität repräsentiere. Auch wenn naturwissenschaftliche Beobachtungen und Erkenntnisse längst viele Annahmen eines Aristoteles oder Plinius in vielen Einzelheiten infrage gestellt hatten, blieben auch für die gelehrten Sammler die Grundmuster antiken und christlichen Denkens noch lange gültig. Die Vorstellung von der Identität der menschlichen schöpferischen Gestaltungskraft mit der göttlichen natürlichen Schöpferkraft beispielsweise war und blieb das Muster, das alles Ordnen und Beschreiben bestimmte. Doch gehörte es fast zwangsläufig zur alles verändernden Wirkungskraft der naturwissenschaftlichen Kategorienbildung und Analyse, die sich mit dem Sammeln verbanden, dass allmählich die theologische Begründung der Natur und damit auch die der Sammlungen einer säkularisierten Rationalität wich und damit den Übergang zu Aufklärung und Neuzeit endgültig herbeigeführt wurde.

Darum ist auch die lange Geschichte der Kunst- und Wunderkammern vom späten 16. Jahrhundert bis zum 18. Jahrhundert keineswegs von dauerhafter Stabilität, sondern von langsamer und ungleichmäßiger Veränderung geprägt. Daran änderten weder die zahlreichen zeitgenössischen Beschreibungen der vielgestaltigen Kunst- und Wunderkammern, die ihre Ordnungen festzuschreiben schienen, etwas, noch die im Laufe des 17. Jahrhunderts vermehrt verfassten Programmschriften oder Kataloge mit Inhaltsangaben der Sammlungen. Sie beschrieben, wie eine Kunst- und Wunderkammer sein sollte, nicht aber wie sie wirklich aufgebaut war. Der erste Versuch dieser Art war der Traktat des flämischen Mediziners Samuel Quiccheberg, Berater des bayerischen Herzogs Albrecht V., der seinem Aufraggeber mit seinem Traktat „Inscriptiones vel Tituli Theatri Amplissimi“ von 1565 nicht nur eine Übersicht der Münchner Sammlungsbestände vorlegte, sondern zugleich eine systematische, die tatsächlichen Gegebenheiten verdichtende Beschreibung einer idealen Kunst- und Wunderkammer verfasste, die er als „theatrum sapientiae“ bezeichnete. Auf der Grundlage intensiver empirischer Studien und Reisen und orientiert an der Münchner Kunstkammer Herzog Albrechts, lieferte er die sammlungs- und museumstheoretische Begründung für das Sammeln und Ordnen der vielgestaltigen Naturalien und Artificialien, ohne dass damit die tatsächliche Ordnung der Münchner noch die anderer Sammlung festgelegt wurde. Mit seinem „Theatrum amplissimum“ gab er überdies eine Auflistung aller vorhandenen Sammlungen und damit zugleich eine Ahnung von dem Netzwerk an Kontakten und Korrespondenzen, die bereits um die Mitte des 16. Jahrhunderts die kleine, aber sehr wirkungsmächtige Sammlerrepublik nördlich und auch südlich der Alpen miteinander verband.

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