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Anthropologie des Sammelns

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In den historisch je unterschiedlichen kulturellen und sozialen Beziehungs- und Bedingungsrahmen entfalten sich beim Sammeln zugleich Bedürfnisse, die zum menschlichen Wesen gehören. Neben der kulturellen Perspektive besitzt das Sammeln auch eine anthropologische Perspektive, die sich in verschiedenen Epochen und Kulturen nur unterschiedlich ausprägt. Sammeln, das heißt Zerstreutes zusammenzutragen, es zu bewahren, zu ordnen und anzuschauen, ist ein Grundzug menschlichen Verhaltens. Es hat seine Ursprünge im Jagen und Sammeln zum Zwecke der Subsistenzsicherung und in dem Bedürfnis, die Objekte zur Daseinssicherung und Bedürfnisbefriedung bei sich zu behalten; sie sich anzueignen und damit den eigenen „Bemächtigungstrieb“ (S. Freud) zu erfüllen. Die subjektive Triebbefriedigung kann sich zum Verlangen nach friedlicher oder auch gewaltsamer Aneignung von Objekten steigern, das libidinös besetzt ist. Darum wird auch das Sammeln, auch das Kunstsammeln, nicht selten mit einer Besessenheit und Hartnäckigkeit, mit einer „ins Pathologische steigerbaren Leidenschaft“ (Rehberg) gleichgesetzt, die sich über alle sozialen Regeln hinwegsetzt. Kaum ein anderer Sammler hat diesen Typus des exzentrischen, seinsvergessenen Sammlers sichtbarer repräsentiert als Kaiser Rudolf II., dessen Sammlertrieb zur Vernachlässigung seiner Kaiserpflichten geführt haben soll. Im frühen 19. Jahrhundert verwandelte sich die Jagd nach Trophäen in die Jagd nach Devotionalien und touristischen Erinnerungsstücken. Bildungsreisende, die es nach Weimar zog, waren begierig darauf, kleine Bildnisbüsten von Wieland, Goethe und Schiller mit nach Hause zu nehmen. Die „Wut der Kunstliebhaberey“ stünde, so schimpfte Wilhelm Merck, überall hoch im Kurs. Was für die kleinen Sammler mit dem schmalen Geldbeutel gilt, die wir kaum kennen und die in dieser Studie auch nicht behandelt werden können, trifft umso mehr auf die großen Sammler zu. Die Sammelleidenschaft konnte bis zur Unvernunft treiben. „Es ist was Wahnsinniges mit der Kunst“, stöhnte der Kunsthändler und Sammler der klassischen Avantgarde, Alfred Flechtheim, nachdem er das ererbte Vermögen seiner Frau wieder einmal in den Erwerb von Gemälden von Picasso und Braque umgesetzt und seine Galerie in Turbulenzen gestürzt hatte.


Hans von Aachen: Porträt von Kaiser Rudolf II., um 1606–1608. Wien, Kunsthistorisches Museum. Kaiser Rudolf II. (1552–1612) war ein Sammler und Förderer der Künste, voller Leidenschaft, Machtbewusstsein und Melancholie. In der Spätphase seiner Regierungszeit widmete er sich mehr den Künsten als der Politik. Seine riesigen Kunstsammlungen in Prag verteilten sich über mehrere Paläste.

Zu den vielen Impulsen und Beweggründen, die den Sammler antreiben und seine Sammeltätigkeit zur Leidenschaft machen, gehören ferner zwei zunächst gegensätzlich erscheinende Triebkräfte, die vor allem von der Psychologie als Motive genannt werden. Die „Angst vor der Kontingenz der Welt“ (Stagl) wie die Lust und das Glückserlebnis beim Erwerb eines Objektes, die eng mit der Jagdlust verwandt sind. „Der Homo Collector“, so urteilt Justin Stagl, „ist ein angst- und lustbetontes Wesen“. Die Blockierung der unmittelbaren Antriebe aus Angst vor Verlusten und das darauf reagierende selbstbewusste Besitzen-Wollen stünden in einem wechselseitigen Bedingungsverhältnis. Zugleich möchte der Sammler das, was er zusammengetragen hat, auch zur Schau stellen. Damit bezieht er das gesammelte in seine eigene Ordnung mit ein und präsentiert sich zugleich als derjenige, der über etwas verfügt, was andere möglicherweise nicht oder nur teilweise besitzen.

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