Читать книгу Kunst sammeln - Hans-Ulrich Thamer - Страница 7

1. Sammeln.
Leidenschaft und Geltung

Оглавление

Kunstsammler gelten seit Langem als „Schlüsselfiguren des Kunstbetriebs“ (W. Ullrich). Ohne ihr Geld und ohne ihre Sammelleidenschaft könnten viele Kunstmessen und Galerien kaum existieren. Ohne ihre Leihgaben könnten viele Museen nicht mit groß angelegten Sonderausstellungen zur Kunst von Vergangenheit und Gegenwart ein ständig wachsendes Publikum anlocken. Ohne die Dauerleihgaben und Stiftungen privater Sammler könnten viele Museen ihren Anspruch und ihren Auftrag, die Entwicklungslinien der bildenden Kunst in ihrer Vielfalt zu präsentieren, nur lückenhaft erfüllen. Das gilt für Museen und Ausstellunghallen in den Metropolen wie in der Provinz.

Kunstsammler besitzen mittlerweile mehr Werke der modernen und der zeitgenössischen Kunst als die öffentlichen Museen. Denn deren Etat lässt kaum noch kostspielige Ankäufe zu und zwingt sie zur Vorsicht vor riskanten Erwerbungen. Mehr noch, in jüngster Zeit treten private Großsammler in der Museumswelt als Konkurrenten der öffentlichen Museen auf. Inzwischen haben sich finanzstarke Kunstsammler in Deutschland und anderswo von renommierten Architekten spektakuläre private Museumsbauten errichten lassen, um ihre Sammlungen der staunenden Öffentlichkeit zu präsentieren; aber auch um mit einigem Stolz die Lücken in der Sammlungs- und Ausstellungspraxis zu schließen, die die öffentlichen Museen nicht mehr ausfüllen können.

Private Stiftungen an Museen und Ausstellungshallen waren und sind gelegentlich auch an selbstbewusste Bedingungen der Stifter und Mäzene gebunden, was ihrem Handeln nicht nur Zustimmung und Anerkennung verschafft. Sehr leicht kann der Mäzen zur ungeliebten und kritisierten Figur werden, wenn er als Gegenleistung für seine Schenkung von den beschenkten Städten und Ländern eine angemessene Aufbewahrung und Präsentation seiner Sammlung in einem öffentlichen finanzierten Museumsbau verlangt; wenn er mit seinem Geschenk die Einrichtung einer größeren Kunst- oder Kulturstiftung (möglichst noch unter seinem Namen) verbunden sehen will und damit kontroverse kultur- und museumspolitische Debatten auslöst. Das Verhältnis von Sammlern und Mäzenen zur bürgerlichen Gesellschaft ist (und war) darum oft ein schwieriges. Mehr denn je gelten Sammler als exzentrische oder egozentrische Figuren, deren öffentlich sichtbare Sammelleidenschaft und Risikobereitschaft zwar bis hin in Lifestyle-Magazine große Aufmerksamkeit erregen, aber auch als Ausdruck von Luxus und Machtgebaren erscheinen, die nicht so recht in die egalitäre Mentalität eines Wohlfahrtsstaates passen wollen. Was von Sammlern und Stiftern als Liebesbeweis zu einer Stadt und ihrer Gesellschaft, als Ausdruck ihres Anspruchs auf Unabhängigkeit von dem kulturellen Gestaltungsanspruch des Staates sowie ihres eigenen Beitrags zur Pflege von Kunst und Bildung verstanden wird, gilt unter diesen Bedingungen oft als Beweis von übermäßigem Reichtum und Machtansprüchen. So widersprüchlich sich das Bild von Groß-Sammlern in der Öffentlichkeit entfaltet, so faszinierend ist der private Sammler als Prototyp einer veränderten Bürgerlichkeit. Der Kunstsoziologe Wolfgang Ullrich sieht in ihm das Leitbild eines „neuen Bürgers“, der sich einerseits als „Held des Konsums“ präsentiert, andererseits aber eine große Risiko- und Innovationsbereitschaft mit einer ebenso großen intellektuellen bzw. ästhetischen Neugierde sowie einem erlesenen Geschmack verbindet.

Kein Wunder, dass seit vielen Jahren Sammler und ihre Kunstsammlungen in den Blickpunkt von Öffentlichkeit, Museumsausstellungen und kulturwissenschaftlicher Forschung gerückt sind. Museen in aller Welt stellen immer wieder Sammlungen von Fürsten und Bürgern in aufwendigen Sonderausstellungen vor und wecken das öffentliche Interesse an den Biographien und den ästhetischen Präferenzen wie an den Beweggründen und an den Strategien privater Sammler. Sie präsentieren den Glanz und auch den Niedergang großer Sammlungen und ihrer Urheber. Es entsteht ein schillerndes Bild von ihrer kulturellen Macht, aber auch von ihrem Machtverlust und ihrer Ohnmacht. Nicht nur weil es ein seit Jahrhunderten immer wiederkehrendes Problem privater Sammler ist, dass sie nicht wissen, was ihre Erben mit ihren Kostbarkeiten machen und ob diese die ererbte Sammlung nicht einfach verschleudern. Vor allem kennt die Geschichte privater Sammlungen aus den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts erschreckende und menschlich bewegende Beispiele für die Zerstörung wertvoller Sammlungen durch politische Gewalt und Habgier. Das gilt besonders für die privaten Sammlungen und ihre Sammler, die im 20. Jahrhundert aus politisch-ideologischen Gründen Opfer von Verfolgung und Enteignung wurden. Die Namen von Paul Cassirer, Alfred Flechtheim und Robert Graetz stehen stellvertretend für viele andere deutsche jüdische Bürger, Wirtschaftsbürger, Kunsthändler und Intellektuelle, die 1933 verfolgt und danach lange in Vergessenheit geraten waren. Darum zeigt die von Glanz, aber auch von Zerstörung geprägte Geschichte vorwiegend jüdischer Privatsammler im nationalsozialistischen Deutschland die andere Seite bürgerlicher Existenz und ästhetischer Moderne, die immer wieder auch von Hass und Ausgrenzung bestimmt war und in der antisemitische Ideologen und Feinde der Moderne Judentum und künstlerische Avantgarde miteinander identifiziert und bekämpft haben. Die museologisch und juristisch äußerst komplexen Restitutionsforderungen, die nach jahrzehntelangem Beschweigen in jüngster Zeit den Entzug von Kunstbesitz aufklären sollen und umfängliche Provenienzforschungen ausgelöst haben, werfen ein Schlaglicht auf das Schicksal seinerzeit prominenter jüdischer Sammler und Kunsthändler, deren Namen und deren Sammlungen vor und nach dem Ersten Weltkrieg unverzichtbarer Bestandteil der modernen deutschen und internationalen Kunstszene waren. Erst die Restitutionsansprüche der vergangenen Jahre haben das Schicksal vieler jüdischer und auch nicht jüdischer Sammler wieder ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Auch ihre Geschichte und die Ausplünderung ihrer Sammlungen gehören zu einer Geschichte von persönlicher Kunstbesessenheit wie von Macht- bzw. Machtverlust der Kunstsammler.


Alfred Flechtheim (1878–1937) zwischen Bildern seiner Galerie, Berlin 1928. Seine Galerien in Berlin und Düsseldorf prägten in den 1920er-Jahre die Kunstszene und wurden zum Umschlagplatz der Avantgarde-Kunst. Die Nationalsozialisten sahen in dem Sammler und Kunsthändler Flechtheim den Repräsentanten der verhassten Moderne.

Nicht nur die Tatsache, dass Museen mittlerweile immer mehr auf Sammler und Mäzene angewiesen sind, macht sie für eine Geschichte des Museums so interessant. Die Figur des Sammlers findet neuerdings auch das Interesse kultur- und sozialgeschichtlicher Forschung, denn in ihm verbinden sich ökonomische Macht und sozialer Rang mit dem Anspruch auf kulturelle Geltung und Einflussnahme. Damit weitet sich der forschende Blick des Sozialhistorikers, der auf das Verhalten des neuzeitlichen und modernen Bürgertums gerichtet ist, mit einer deutlichen Perspektivverschiebung aus. Die Etablierung und Präsentation privater Kunstsammlungen und der um sie entstehenden Kommunikationsformen wirft ein neues Licht auf eine spezifische (groß-)bürgerliche Lebensführung und einen damit verbundenen Wertehimmel, der auf Geschmack und ästhetische Bildung fixiert ist und mehr aussagt als nur die Geschichte von sozialem Aufstieg und wirtschaftlichem Erfolg bzw. Niedergang allein.

Kunst sammeln

Подняться наверх